Geistliches Wort zum Monatsspruch - Oktober 2015
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Geistliches Wort zum Monat Oktober 2015
Haben wir Gutes empfangen von Gott und sollten das Böse nicht auch annehmen? Hiob 2,10
„Haben wir Gutes empfangen von Gott und sollten das Böse nicht auch annehmen?“
Das sagt Hiob zu seiner Frau. Er sitzt in der Asche und lobt Gott. Alles wurde ihm genommen: sein Reichtum, seine Kinder, seine Gesundheit, alles das, was ihm in seinem Leben Anlass zu Glück und Zufriedenheit gegeben hatte.
Die weisheitliche Erzählung der Bibel, die im Buch Hiob aufgeschrieben wurde, gibt einen Anstoß, darüber nachzudenken, was das eigene Leben denn letztlich ausmacht. Wir reden am liebsten von dem Guten, dass wir erzählen können. Von glücklicher Kindheit, von beruflichem Erfolg, von Hochzeiten und Reisen, von Kindern, auf die wir stolz sind, von glücklichen Fügungen und erfolgreich bestandenen Krisen. Aber das ist nur die halbe Wahrheit. Das „Gute“ im Leben ist niemals alles. Je älter ein Mensch ist, umso mehr gehört zu seiner Lebensgeschichte das „Gute“ genauso wie das „Böse“ und alles, was dazwischen liegt. Und das macht oft den größten Teil davon aus. Meistens ist Gutes und Böses mehr oder weniger ineinander verwoben, anders als in der Hioberzählung, wo es ein glückliches Vorher und ein unglückliches Nachher gibt.
Aber von Hiob wird erzählt, damit wir einen genaueren Blick auf unser eigenes Leben werfen können. Und damit stellt sich auch die Frage nach Gott ganz neu.
„Haben wir Gutes empfangen von Gott und sollten das Böse nicht auch annehmen?“
Wer das sagt, versteht sein ganzes Leben als Gottes Geschenk. Alles, das Schöne und das Schwere darin, haben mit Gott zu tun. Die geraden und die krummen Wege kann ich erkennen als Wege, auf denen Gott mich führt.
Wer das für sich erkannt hat, der lässt nicht zu, dass ein anderer als Gott Macht hat über sein Leben. Nichts, aber auch nichts in meinem Leben ist fern von Gott. Kein „Schicksal“ bestimmt mein Leben, sondern Gott allein. Alles lege ich in seine Hand.
Das fällt leicht an guten Tagen; an schweren Tagen daran festzuhalten ist nicht leicht und kann in manche Anfechtung führen. Oftmals ist da nur eine Ahnung, was das Schwere in meinem Leben bedeuten könnte.
„Haben wir Gutes empfangen von Gott und sollten das Böse nicht auch annehmen?“
Wer das sagen kann, der kann entdecken, dass Gott den Lebensweg eines jeden Menschen zu einem Kunstwerk macht, zu einem Kunstwerk, das gerade durch die Ecken und Kanten und Brüche erst interessant und kostbar wird, auch wenn man sich an diesen Ecken und Kanten und Brüchen weh getan hat. Und wer anerkennt, dass sein Leben zwar anders aussieht, als man sich das immer vorgestellt hat, aber dass es eben so, wie es ist, einzigartig und schön ist, weil Gott ihm darin liebevoll begegnet ist, der wird dieses Kunstwerk, das sein eigenes Leben ist, mit Staunen und mit Dankbarkeit betrachten. In dieser Perspektive werden die Gegensätze von guten und bösen Erfahrungen relativiert. Und hinter manchem Unglück kann ein verborgener Segen hervorscheinen.
Am Ende bleibt dann nur noch das Staunen über Gottes Größe, die alles menschliche Denken und Argumentieren übersteigt. Davon erzählt das Ende des Buches Hiob. Es ist eine große Gnade, wenn auch die Betrachtung der eigenen Lebensgeschichte trotz aller Widrigkeiten darin münden kann.
Pfarrer Thomas Sinning
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