Archiv der Evangelisch-lutherische Dreikönigsgemeinde, Frankfurt am Main - Sachsenhausen
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Geistliches Wort für April/ Mai 2010 - Matt. 27, 52

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'Damage to Fourth Avenue', 1964, U.S. Geological Survey

Und die Erde erbebte, und die Felsen zerrissen...

(Matt. 27, 52)

Am Karfreitag, den 27. März 1864, gab es in Alaska ein Erdbeben, das unvorstellbar massiv war. Es dauerte fast 5 Minuten – für die Betroffenen eine Ewigkeit. Diese Erschütterung war das zweitheftigste, das jemals durch seismographische Geräte registriert wurde; es erreichte 9,2 auf der Richter-Skala.

Die katholische Kirche in Anchorage, „Kirche der Allerheiligen“, wurde total zerstört. Zwei Tage später, am Ostersonntag, gingen die Gemeindeglieder dieser zertrümmerten Kirche in die nahegelegene St. Marienkirche, die nur leicht beschädigt war.

Zwei Listen wurden an diesem Ostersonntag ausgelegt, in die man sich eintragen konnte. Die erste Liste trug die Überschrift „Wir brauchen“; wer wollte, konnte hier aufschreiben, was man durch das Beben verloren hatte und jetzt dringend brauchte. Auf der anderen Liste stand als Überschrift: „Wir bieten“. Hier konnte man angeben, was man bereit wäre, mit anderen zu teilen.

Das Ergebnis war verblüffend. Die erste Liste blieb leer. Aber in die zweite Liste hatte sich fast jede Familie eingetragen. Es gab eine Auflistung der Dinge, die man bereit war zu teilen: Kleidung, Lebensmittel, Heizöl, handwerkliche Fähigkeiten, u. s. w.

Viele, die sich in die zweite Liste eingetragen hatten, hatten fast alles verloren; trotzdem wollten sie das Wenige teilen, das sie noch hatten. War es Zufall, dass diese Bedürfnislosigkeit und diese Großzügigkeit an einem Ostersonntag zum Vorschein kamen?

An dem ursprünglichen Karfreitag gab es zur Todeszeit Jesu auch ein Beben. Wie Matthäus berichtet: „Und die Erde erbebte, und die Felsen zerrissen...“ Dieses Beben veranschaulicht, dass die ganze Schöpfung in Mitleidenschaft gezogen wurde, als Jesus starb. Die Jünger waren in einem ähnlichen Zustand wie die schlimmsten Opfer des „Karfreitagsbebens“ in Alaska: sie waren tief erschüttert und hatten so gut wie alles verloren. Sie hatten vor allem ihren Mut verloren. Wie ein Jünger sagte: „Wir aber hofften, er sei es, der Israel erlösen werde.“

Aber ab dem ersten Ostermorgen sah alles ganz anders aus. Die Anhänger Jesu, die am Karfreitag zerschlagen waren, die nichts mehr zu bieten hatten, weil sie innerlich leer waren, hatten auf einmal etwas Überwältigendes erfahren, das sie nicht für sich behalten konnten. Deshalb ist eine Gemeinde entstanden.

Diese erste Gemeinde in Jerusalem, die durch die Auferstehung Jesu Christi zustande kam, bestand aus Menschen, die nicht viel hatten. Aber das Wenige, das sie hatten, hatten sie untereinander geteilt, wie die Christen in Anchorage. Denn durch Osterglauben waren sie reich und dementsprechend großzügig.

Was würde passieren, wenn wir als Gemeinde auch am Ostersonntag zwei Listen auslegen würden: „Wir brauchen“, „Wir bieten“? Welche Liste wäre bei uns länger?

Auf jeden Fall haben wir durch die Auferstehung Jesu Christi mehr zu bieten als wir brauchen. Denn wer mit Auferstehungsverheißung leben und sterben darf, hat das Größte, das es überhaupt geben kann: die Verheißung, dass Gott stärker ist als alles, was uns erschüttern könnte, und dass wir deshalb in ihm in Ewigkeit geborgen sind. Wer mit Osterglauben lebt, hat auf jeden Fall mehr zu geben, als das, was er braucht.

Pfarrer Phil Schmidt

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Die Photographie 'Damage to Fourth Avenue', 1964, U.S. Geological Survey, ist im public domain, weil es Material enthält, das ursprünglich von der Gologischen Studie der Vereinigten Staaten stammt, einer Agentur des Innenmisteriums der Vereinigten Staaten.