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Geistliches Wort für August 2010 - Johannes 8, 15

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'Justice et inégalité: les plateaux de la balance', 2010, Frachet

„Christus spricht: Ihr urteilt, wie Menschen urteilen, ich urteile über keinen.“

(Johannes 8, 15)

„Das ist doch typisch“ „Der ist doch immer so…“ Wer kennt solche oder ähnliche Sätze nicht? In ihnen spiegeln sich Erfahrungen, die wir mit anderen Menschen machen. Nicht selten sind es eher negative. Und der äußere Anschein trägt oft ebenso zu unserer Meinung über andere bei, noch bevor wir ein Wort mit der Person gewechselt haben. Es geschieht meistens ziemlich schnell, dass wir uns auf diese Weise ein Urteil bilden über andere Menschen. Und schon ist der andere in meinen Augen darauf festgelegt, das zu sein, was ich von ihm denke. Es ist durchaus menschlich, so zu urteilen. Wir tun das meistens gar nicht in böser Absicht. Manchmal schützen wir uns damit vor Enttäuschungen. Doch leider passiert es auf diese Weise leicht, dass ich einem anderen Menschen Unrecht tue; dass ich ihm Absichten oder Eigenschaften unterstelle, die gar nicht der Wahrheit entsprechen.

Das kann verletzend sein, es kann sogar Beziehungen unmöglich machen. Deshalb liegt im vorschnellen Urteilen eine große Gefahr für das menschliche Zusammenleben. Jesus wurde seinerzeit auch mit Vorurteilen konfrontiert. Er kannte ihre destruktive Dynamik. Besonders das Johannesevangelium schildert Jesus, wie er mit seinen Kritikern Streitgespräche führt. Als er von sich sagt: „Ich bin das Licht der Welt,“ wollen die Pharisäer ihm das nicht abnehmen. Sie haben ein anderes Urteil über ihn gefällt. Sie können sich nicht vorstellen, dass in Jesus Gott in einzigartiger Weise präsent ist. Jesu gewöhnliche Herkunft, seine Lehre und sein Leben haben bei ihnen die Meinung bestärkt, dass er ein religiöser Scharlatan sei. So haben sie ihr Urteil über Jesus schnell gefällt. Sie urteilen, wie Menschen eben urteilen.

Doch Jesus ist anders. Und das in zweifacher Hinsicht. Erstens ist sein göttliches Geheimnis ein verborgenes. Seine ganze Lebensgeschichte steht im Kontrast zu dem, was Menschen sich unter göttlicher Macht und Herrlichkeit vorstellen. Und gerade darin kommt Gottes Wesen als Liebe zur Geltung. Zum Zweiten ist Jesus einer, der eben nicht nach dem Augenschein richtet, und für den Vorurteile nicht maßgebend sind. Menschen, die Fromme als „Sünder“ oder als „Gottlose“ ablehnen, wendet er sich in besonderer Weise zu, ob sie sich als Zöllner unrechtmäßig bereichert haben oder als Ehebrecherin öffentlich bloß gestellt wurden. Zu ihr sagt Jesus: „Ich verurteile dich nicht. Geh hin und sündige nicht mehr!“ (Joh. 8,11). Jesu Aufmerksamkeit gilt vor allem denen, die von Gottes Liebe besonders weit weg zu sein scheinen. Und gerade darin wird das Wesen von Gottes Liebe sichtbar: wenn nicht Urteile vollstreckt werden, sondern Vergebung und Barmherzigkeit geschehen.

Die Perspektive Jesu kann auch unseren menschlichen Umgang miteinander verändern. Auch wenn wir vielleicht nie ganz ohne Vorurteile leben werden, so ist es jedenfalls besser, kritisch gegenüber den eigenen Vorurteilen zu sein, als andere vorschnell in eine bestimmte Schublade zu stecken. Und es ist auch besser, andere Menschen immer nur nach dem Maßstab zu messen, an dem man auch selber gemessen werden möchte. Und zwar an dem der Barmherzigkeit.

Jesus sagt: „Seid barmherzig, wie auch euer Vater im Himmel barmherzig ist.“ (Lukas 6,36).

Pfarrer Thomas Sinning

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