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Predigt zur Eröffnung der Ausstellung: „Getauft. Ausgestoßen. Vergessen? Evangelische jüdischer Herkunft“ in der Dreikönigsgemeinde -

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Pröpstin Gabriele Scherle - Gottesdienst zur Eröffnung der Gedenkausstellung „Getauft, ausgestoßen, vergessen?“

Predigt zur Eröffnung der Ausstellung: „Getauft. Ausgestoßen. Vergessen?
Evangelische jüdischer Herkunft“ in der Dreikönigsgemeinde

Über die Bedeutung der Taufe Römer 6,3.4.8


Predigt gehalten von Pröpstin Gabriele Scherle am 29. Januar 2012 um 10.00 Uhr in der Dreikönigskirche

Zwei Tage nach dem Holocaust-Gedenktag feiern wir Gottesdienst. Und 70 Jahre nach dem Ausschluss von Christen jüdischer Herkunft aus unserer evangelischen Kirche wagen wir es, uns an Gott zu wenden, um die frohe Botschaft an diesem Sonntag zu hören.

Beides ist verwegen. Wir könnten uns zu Recht fragen, ob Gott sich nicht mit Grausen abgewendet hat von einem Volk, in dessen Namen Millionen von Menschen ermordet wurden. Auch die Frage, ob Gott mit seiner Kirche noch etwas anfangen kann, die ihre eigene Taufe nicht ernst nimmt, müssen wir uns stellen. Hat Gott uns also etwas zu sagen? Und wenn ja, was könnte die frohe Botschaft an diesem Sonntag sein, an dem wir die Ausstellung: „getauft, ausgestoßen und vergessen?“ eröffnen?

Lassen Sie uns dazu auf einen biblischen Text hören, der von der Bedeutung der Taufe handelt. Er stammt aus dem Brief des Paulus an die Gemeinde in Rom:

„Wisst ihr nicht, dass alle, die wir auf Christus getauft sind, die sind in seinen Tod getauft? So sind wir ja mit ihm begraben durch die Taufe in den Tod, damit, wie Christus auferweckt ist von den Toten durch die Herrlichkeit des Vaters, auch wir in einem neuen Leben wandeln. ... Sind wir aber mit Christus gestorben, so glauben wir, dass wir mit ihm auch leben werden. Römer 6, 3.4.8

'A child is baptized in a lutheran church of Brazil', 2010, Ceyla de Wilka

Deutlicher lässt sich kaum ausdrücken, dass die Taufe nicht eine Feier anlässlich einer Geburt ist. Paulus benutzt zwar das Bild von der Geburt, aber nur um jenen Übergang zu verdeutlichen, den er meint. Die Taufe nimmt Menschen mit hinein in das Leben der neuen Welt Gottes. Die Getauften werden für die neue Schöpfung in Anspruch genommen, obwohl sie noch ganz und gar dieser Schöpfung angehören.

Anders als es bis heute oft verstanden wird, ist die Taufe also nicht das Ja Gottes zu einem Menschen. Sonst würden wir Gottes Ja zu den Ungetauften bestreiten. Daran aber kann es keinen Zweifel geben: alle Menschen sind nach dem Bild Gottes geschaffen, dürfen sich als Gottes Geschöpfe verstehen. Oder um es allgemeiner zu sagen: die Würde der Menschen ist mit ihrem Menschsein gegeben.

Deshalb ist zu allen Zeiten Widerstand gegen die Entmenschlichung zu fordern. Deshalb schmerzt es bis heute, dass sich in Nazi-Deutschland der Ungeist verbreiten konnte, ganze Menschengruppen zu Untermenschen zu erklären: Juden und Slawen, Sinti und Roma, Homosexuelle und Behinderte – ihnen allen wurde das Lebensrecht bestritten.
Und wir wissen, dass selbst die Bilder aus den Vernichtungslagern nicht ausreichen, um diesen Ungeist zu vertreiben. Bis heute ...20% unserer Bevölkerung hat eine antisemitische Einstellung...

Wir müssen uns jedoch auch klar machen, dass dieser Ungeist theologisch befördert wird, wenn wir die Taufe zur Quelle der Menschenwürde erklären. Die Taufe setzt vielmehr die Menschenwürde, die Gottebenbildlichkeit aller Menschen voraus. Darauf beruht die jüdisch-christliche Kultur des Erbarmens, darauf beruht die Humanität unseres Gemeinwesens. Kein Mensch braucht die Taufe, um ein Recht auf Leben zu haben. Und kein Mensch muss fähig sein, das zu verstehen oder zu glauben, um ein Recht auf Leben zu haben.

Yellow badge Star of David called 'Judenstern'., 2005, Daniel Ullrich, Threedots

Es gehört deshalb zu den bedrückendsten Aspekten der Geschichte der christlichen Zivilisation, wenn Menschen die Taufe begehren müssen, um am Leben bleiben zu dürfen. Welch ein Hohn auf den biblischen Gott, den wir in Jesus Christus erkennen, wenn Juden während der Kreuzzüge oder in Nazi-Deutschland nur die Wahl: Tod oder Taufe hatten.

Und selbst die abgeschwächte Form, dass die Bürgerrechte von der christlichen Taufe abhängen, spricht dem christlichen Schöpfungsglauben Hohn. Zwar ist das schon lange nicht mehr der Fall. Aber bis heute gibt es eine Sorge bei Zuwanderern, dass sie nicht ganz zum christlichen Abendland gehören, wenn sie nicht getaufte Christen sind. Allein diese Sorge müsste uns hellhörig machen. Die Taufe kann nicht als Fundament gesellschaftlicher und europäischer Integration verstanden werden.

Bisher, liebe Gemeinde, habe ich nur einen Aspekt der Taufe stark gemacht: Die Taufe bejaht die vorausgesetzte Humanität und Gottebenbildlichkeit aller Menschen.
Nur so lässt sich der andere Aspekt der Taufe wirklich verstehen: Die Taufe nimmt uns auch in Anspruch. Sie nimmt uns für die Neu-Schöpfung in Anspruch. Wir werden als Gottes Ebenbilder in das Bild Christi verwandelt. Und deshalb können wir hören, was es bedeutet: „Ein jeder sei gesinnt wie Jesus Christus auch war,“ - wir haben es in der Lesung von Marlies Flesch-Thebesius gehört. Und deshalb kann Paulus auch an anderer Stelle sagen, dass der Heilige Geist uns - so ähnlich wie bei der Taufe Jesu im Jordan – zufliegt und wir hören, dass wir Gottes Kinder sind. Taufe verbürgt die Gotteskindschaft: Menschenkinder werden als Gotteskinder in Anspruch genommen.

Was bedeutet das? - Es macht die Getauften nicht zu besseren Menschen, schon gar nicht zu Übermenschen. Vielmehr eröffnet die Taufe eine Möglichkeit: Ich muss mich nicht festlegen lassen auf die scheinbar unverrückbaren Tatsachen meiner ethnischen Zugehörigkeit, meines Geschlechts oder meiner sozialen Herkunft. Sicher, ich bin Deutsche, eine Frau und komme aus kleinen sozialen Verhältnissen. Aber Paulus sagt mir: „Hier ist nicht Jude noch Grieche, nicht Freier noch Sklave, hier ist nicht Mann noch Frau, sondern ihr seid allesamt eins in Christus“. (Gal.3) Ich glaube, dass wir diese Verheißung der Taufe gar nicht stark genug machen können. Obwohl ich mit Haut und Haar durch meine Herkunft geprägt bin, so bin ich doch nicht durch sie festgelegt.

Nach allem, was wir durch die Recherche über das Geschick der Christen jüdischer Herkunft wissen, hat diese Sehnsucht bei den Taufen eine große Rolle gespielt. Nicht festgelegt zu werden auf die jüdische Herkunft, das war zunächst eine alltägliche Hoffnung für jene, die christliche Ehepartner fanden. Später – als die Verfolgung begann, war es überlebenswichtig. Und so trauten diese Menschen der Kraft der Taufe mehr zu, als jene in der Kirche, deren rassistische Ideologie stärker war als die Taufverheißung.

Es wäre jedoch zu einfach, liebe Gemeinde, wenn wir empört oder beschämt über diesen Teil unserer Kirchengeschichte so täten, als wären wir vor dieser geistigen Verirrung gefeit. Trauen wir unseren Taufen zu, die Festlegungen durch Ethnie, Geschlecht oder soziales Milieu aufzubrechen? Trauen wir uns in das neue Leben?

'Candles at a baptism in a Roman Catholic Church', Ad Meskens

Ich glaube, wir alle hätten sicher Beispiele, wo es uns heute an Zuversicht, Zivilcourage und Mut fehlt. Und darin sind wir vielleicht gar nicht so weit von denen entfernt, die ihre Geschwister jüdischer Herkunft damals preisgaben.

Aber es gibt so viele Menschen, die der Taufe die Kraft zutrauen, das Leben zu erneuern, dass wir dies ruhig als Gottes Herausforderung verstehen dürfen. Ja, die Kirche ist auch heute herausgefordert, der Taufe mehr zu trauen. In ihr verbindet sich Gottes Treue zu seiner Schöpfung mit dem Versprechen, die verletzte Kreatur zu heilen und die Welt zu verwandeln. Und könnten wir das nicht dringend brauchen - persönlich und gesellschaftlich?

Heute jedenfalls ist es ein Zeichen für die Kraft der Taufe, dass die Frankfurter Gemeinden die damals Ausgestoßenen in Gottesdiensten und durch die Ausstellung (über die ich sehr dankbar bin) als Geschwister im verwundeten Leib Christi erinnern.
Dazu gehört aber auch, dass wir an die Glieder der Menschheitsfamilie erinnern, die für immer die Wunde von Auschwitz an ihrem Leib tragen wird.
Als Getaufte dürfen wir hoffen, dass Gott beide Wunden heilen und die Welt für Getaufte und Ungetaufte verwandeln wird.
Amen

Das Bild Yellow badge Star of David called 'Judenstern'., 2005, Daniel Ullrich, Threedots, ist lizensiert unter der Creative Commons Attribution-Share Alike 3.0 Unported license.
Die Photographie 'A child is baptized in a lutheran church of Brazil', 2010, Ceyla de Wilka, ist lizensiert unter der Creative Commons Attribution-Share Alike 3.0 Unported license.
Das Bild 'Annunciation to the Shepherds', Simon Marmion, 1425–1489, ist im public domain, weil sein copyright abgelaufen ist.
Das Gemälde 'the Annunciation to the Shepherds', 14th century, Taddeo Gaddi, ist im public domain, weil sein copyright abgelaufen ist.
Die Photographie 'Brass players with sunlight streaming into Knox College Chapel', 2007, Glogger, ist lizensiert unter der Creative Commons Attribution-Share Alike 3.0 Unported license.