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Gottesdienst zum Holocaust-Gedenktag
„70 Jahre Befreiung von Auschwitz“2. Kor. 4,6
25. Januar 2015 in der Dreikönigskirche am Sonntag nach Epiphanias
Predigt Achim Knecht
Licht soll aus der Finsternis hervorleuchten
Liebe Dreikönigsgemeinde,
liebe Schwestern und Brüder!
Ich danke für die Einladung, heute mit Ihnen Gottesdienst zu feiern.
„70 Jahre nach der Befreiung von Auschwitz - was bedeutet das für den
Glauben?“ Das ist das Thema, das Sie mir für die Predigt gestellt
haben.
Ich will mit Ihnen über dieses Thema nachdenken mit einem Wort aus
dem 2. Korintherbrief, Kapitel 4 Vers 6. Es ist der Epistel für den
heutigen Sonntag entnommen. Dort schreibt der Apostel Paulus:
Denn Gott, der sprach: Licht soll aus der Finsternis hervorleuchten, der hat einen hellen Schein in unsre Herzen gegeben, dass durch uns entstünde die Erleuchtung zur Erkenntnis der Herrlichkeit Gottes in dem Angesicht Jesu Christi. (2. Kor. 4,6)
Licht soll aus der Finsternis hervorleuchten.
Vielleicht war das ja auch Ihr Wunsch, als Sie mir dieses Thema
stellten. Dass die Finsternis von Auschwitz, der wir uns mit diesem
Gedenktag aussetzen, doch das Licht nicht verlöschen, die Hoffnung
des Glaubens nicht ersticken möge.
Auch nach Auschwitz glauben
wir noch an Gott. Aber haben wir auch
Grund dazu? Oder wird durch die Nacht von Auschwitz jeglicher
Glaube an Gott radikal in Frage gestellt?
Ich kann über Auschwitz und die Bedeutung für den Glauben nicht
reden, ohne davon zu reden, was „Auschwitz“ in mir auslöst. Aber es
ist schwer, dafür Worte zu finden.
Vor ca. 15 Jahren habe ich im Rahmen einer Studienreise auch das
Todeslager in Auschwitz-Birkenau besucht. Das grauenvolle Leiden,
das dort geschehen ist, kommt einem unwirklich vor. Wie kann man
über das Unfassbare angemessen reden?
Ein erster Schritt ist, den Betroffenen das Wort zu geben. Denen, die
damals in Auschwitz waren.
Der jüdische Schriftsteller Elie Wiesel kam als Jugendlicher im Alter
von 15 Jahren nach Auschwitz und überlebte das Todeslager. Er erzählt
von seiner „Wiederbegegnung mit Auschwitz“ Jahre später: 1
„Die Stille. Die Stille von Birkenau. Die Stille von Birkenau ist wie keine andere. Sie birgt in sich die Entsetzensschreie, die erdrosselten Gebete von Tausenden und Abertausenden Gemeinden, ausgerottet durch den Feind, von ihm verurteilt, in der Dunkelheit einer endlosen, einer namenlosen Nacht verschlungen zu werden.“
Das war irgendwie auch mein Empfinden. Stille. Angesichts des millionenfachen unschuldigen Leidens und Sterbens kann man nur verstummen.
Im September vergangenen Jahres konnte ich in Jerusalem das
Holocaust-Museum Jad VaShem besuchen. Dort gibt es einen
unterirdischen Raum, der den ermordeten Kindern gewidmet ist. Der
Raum ist in völliger Dunkelheit. Man verliert dort die Orientierung.
Durch eine Installation scheinen Hunderte von Kerzenflammen durch
den Raum zu schweben. Eine Stimme im Hintergrund nennt Namen
und Alter von ermordeten Kindern.
Das machte mich fassungslos. Ich wusste nicht mehr, wo oben und
unten ist. Es kam mir vor, wie wenn Gott all die Kinder bei ihrem
Namen ruft.
Licht soll aus der Finsternis hervorleuchten.
Elie Wiesel schreibt in der schon erwähnten Erzählung seiner
Wiederbegegnung mit Auschwitz auch von der Rampe und den
Schienen, auf denen die Züge mit den deportierten Juden ankamen.
Dort wurden die Menschen aussortiert. Auf der einen Seite diejenigen,
die sofort in die Gaskammern geschickt wurden, und auf der anderen
jene, die sich zu Tode arbeiten sollten.
Er schreibt:
„Schienen, die diesen Ort mit allen jüdischen Zentren des Kontinents verbunden haben. Schienen, die auf dem ungeheuren Altar zusammenlaufen, dessen Flammen den Himmelsthron berühren, ihn berühren müssen. ... Da ist sie also, die Rampe. Der Kreuzweg. Mengele. Eine Bewegung des Stabes zeigte den Todesweg. Bei Anbruch des Tages war von unserem Konvoi nicht mehr viel übrig.“
In seinen Worten deutet Elie Wiesel an, dass ihm Auschwitz wie ein
ungeheurer Altar vorkommt. Ein Ort der Anwesenheit Gottes? Die
Flammen in den Krematorien, in denen die Leichenberge verbrannt
wurden, sie können doch den Himmelsthron nicht unberührt lassen!
Und weiter schreibt er:
„Wieder umgibt uns eine Stille, schwer von Endgültigkeit. Sie gleicht jener, die der Offenbarung am Sinai vorausging. ... Das ganze Universum hielt den Atem an in Erwartung des göttlichen Wortes ...“
Sie haben als Schriftlesung für diesen Gottesdienst einen Abschnitt aus der hebräischen Bibel, aus der Thora gewählt. Wir haben gerade gehört, wie Gott am Berg Horeb, das ist der Sinai, aus dem brennenden Dornbusch zu Mose ruft:
Tritt nicht herzu, zieh deine Schuhe von deinen Füßen, denn der Ort, darauf du stehst, ist heiliges Land! (2. Mose 3,5)
Und wie Gott weiter zu Mose spricht und von sich sagt:
Ich werde sein, der ich sein werde. (2. Mose 3, 14)
Ist Auschwitz für unsere Zeit dieser heilige Ort? An dem Gott sich
offenbart? An dem Gott zeigt, wer er ist?
Offenbar kann und will Elie Wiesel, der Überlebende, von Gott nicht
mehr reden ohne die Erfahrung der Gottesfinsternis von Auschwitz.
Licht soll aus der Finsternis hervorleuchten.
In seinem anderen Buch „Die Nacht. Erinnerung und Zeugnis“ erzählt Elie Wiesel von einem erschütterndem Erlebnis im Vernichtungslager:
„Die SS erhängte zwei jüdische Männer und einen Jungen vor der versammelten Lagermannschaft. Die Männer starben rasch, der Todeskampf des Jungen dauerte eine halbe Stunde. ‚Wo ist Gott. Wo ist er?‘ fragte einer hinter mir. Als nach langer Zeit der Junge sich immer noch am Strick quälte, hörte ich den Mann rufen: ‚Wo ist Gott jetzt?‘ Und ich hörte eine Stimme in mir antworten: ‚Wo ist Er? Hier ist Er ... Er hängt dort am Galgen ...“ 2
Bei diesen Worten sehe ich Jesus vor mir, wie er am Kreuz
hängt. Das Kreuz war in der Antike schlicht und einfach ein Galgen.
Nach christlicher Überzeugung hat in dem sterbenden Jesus am Kreuz
Gott selber mit uns Menschen gelitten. Im Kreuzestod Jesu ist Gott
selber für uns gestorben.
In der jüdischen Theologie wurde von Alters her ebenfalls vom Mit-
Leiden Gottes mit seinem Volk Israel gesprochen. Oder dass Gott sich
selbst erniedrigt, wenn er in dieser Welt erscheint und mit Menschen
spricht, wie zum Beispiel in der Erzählung vom brennenden
Dornbusch. 3
Vielleicht ist das
der Hintergrund für Elie Wiesels innere Stimme, die
ihm sagt: Gott selbst hängt an diesem Galgen in Auschwitz, an dem
jener Junge zu Tode gequält wird.
Gott spricht:
Ich werde sein, der ich sein werde. (2. Mose 3, 14)
Nach Auschwitz höre ich in diesen Worten: Ich werde der sein, der mit den Menschen leidet, der mit ihnen in die Gaskammern ging, der mit Jesus am Kreuz hing. Ich werde der sein, der keinen Menschen allein lässt.
Wenn wir als Menschen christlichen Glaubens überlegen, was Auschwitz für unseren Glauben bedeutet, müssen wir also zunächst hören , wie im Bereich der jüdischen Theologie von Gott nach Auschwitz gesprochen wird. Das gebietet schon der Respekt vor den jüdischen Opfern. Noch einmal Elie Wiesel:
„Mit unserem letzten Atemzug wollten wir einer unwürdigen Welt unseren Glauben an Gott kundtun, jawohl, trotz Auschwitz: Gott ist einzig; trotz der Schlächter: Gott ist unser Gott, trotz Buchenwald: Gott ist einer.“
Erst danach können wir Christen bedenken, was dieses Geschehen für
unseren eigenen Gottesglauben bedeutet.
Ich will hier noch einmal an den eingangs erwähnten Vers aus dem 1.
Korintherbrief erinnern:
Denn Gott, der sprach: Licht soll aus der Finsternis hervorleuchten, der hat einen hellen Schein in unsre Herzen gegeben, dass durch uns entstünde die Erleuchtung zur Erkenntnis der Herrlichkeit Gottes in dem Angesicht Jesu Christi. (2. Kor. 4,6)
Die Herrlichkeit Gottes wird im Angesicht Jesu Christi sichtbar. Denn
der Gekreuzigte ist das Bild Gottes. Der leidende, verfolgte und
sterbende Mensch: In ihm kommt Gott den Menschen nahe. Jedem von
uns. Weil er die Menschen liebt. Weil er mit ihnen leidet. Mit jedem
einzelnen Menschen.
Und zugleich gilt: Die Herrlichkeit Gottes wird im Angesicht Jesu
Christi sichtbar
, weil er den Menschen erlöst. So wie er Jesus Christus
von den Toten auferweckt hat.
Wie können wir zu diesem Glauben finden? Wie konnten Elie Wiesel
und seine Leidensgenossen trotz Auschwitz weiterhin an ihrem
Glauben festhalten?
Es ist wohl Gnade, wenn ein Mensch im Leiden, auch im Mit-Leiden
mit anderen und in der Erinnerung an Auschwitz, wenn ein Mensch zu
diesem Glauben finden kann. Und zugleich ist es ein Wunder. Nicht
umsonst erinnert Paulus in diesem Wort aus dem 1. Korintherbrief an
nichts weniger als die Erschaffung der Welt:
Denn Gott, der (am Anfang der Welt) sprach: Licht soll aus der Finsternis hervorleuchten, der hat einen hellen Schein in unsre Herzen gegeben.
Um diese Einsicht kann man nur bitten. Sie kann einem nur geschenkt
werden.
Dieser helle Schein, das Licht, das aus der Finsternis hervorleuchten
soll - für mich ist das der Glaube, dass kein Mensch, kein Ort, und sei
er noch so schrecklich, ohne Gott ist.
„70 Jahre nach der Befreiung von Auschwitz - was bedeutet das für den Glauben?“ Wir können darüber nicht reden, ohne auch die Konsequenzen für unser Reden und Tun zu bedenken.
Das erste, was wir tun können, ist das Gedenken. Den Opfern ihre Namen und ihre Geschichte zurückzugeben. So wie das von den Konfirmandinnen und Konfirmanden eben eindrucksvoll gezeigt wurde. Und so wie es in Jad VaShem im Raum der ermordeten Kinder geschieht. An die Verfolgten und Ermordeten erinnern, sie der namenlosen Dunkelheit entreißen und ein Licht für sie anzünden.
Und das zweite: Nicht mehr zu unterscheiden zwischen „denen“ und
„uns“. Das ist ja vielleicht das Grundübel, das hinter Auschwitz steht.
Es wurde auch im christlichen Glauben über viele Jahrhunderte
gepflegt: Die Abgrenzung gegenüber den vermeintlich Fremden.
Dass um des eigenen Vorteils willen eine Gruppe von Menschen zu den
„Anderen“ gemacht wird, die nicht dazu gehören. Dass man um der
eigenen Überlegenheit willen andere mit entwürdigenden Stereotypen
belegt. Dass man in ihnen keine Menschen mehr sieht, sondern vor
allem Fremde.
Auschwitz macht deutlich, wohin diese rassistische Unterscheidung
zwischen „denen“ und „uns“ führen kann, wie un-menschlich sie
letztlich ist.
Auschwitz macht deutlich, dass diese Unterscheidung für Christen
undenkbar ist, weil Gott selber an der Seite der Opfer steht und mit
ihnen leidet.
Deshalb können wir schlecht an die Befreiung von Auschwitz vor 70
Jahren gedenken, ohne rassistischen Vorurteilen in unserem Land heute
entgegen zu treten.
Der Vorsitzende der katholischen Bischofskonferenz, Kardinal Marx,
und der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland,
Landesbischof Bedford-Strohm, haben deshalb anlässlich des heutigen
Gedenktages erklärt:
„Die katholische und die evangelische Kirche treten in ökumenischer Gemeinschaft gegenwärtig und zukünftig entschieden jeder Form von Antijudaismus und Antisemitismus entgegen, die, wie die Ereignisse der vergangenen Wochen zeigten, leider immer noch virulent und im Wortsinn tödlich sind.“
Deshalb stellen wir uns an die Seite jüdischer Menschen, wenn sie heute bedroht werden. 70 Jahre nach Auschwitz sollten Juden in unserer Stadt keine Angst haben müssen.
Das gilt aber genauso, wenn gegen Muslime gehetzt wird, und wenn sie pauschal zu denen erklärt werden, die nicht dazu gehören sollen. Deshalb gehört für mich die Kundgebung auf dem Römerberg, die am Montag abend stattfinden soll, unter dem Motto: „Freiheit, Gleichheit, Geschwisterlichkeit“, zum Gedenken an Auschwitz dazu.
Licht soll aus der Finsternis hervorleuchten.
Gebe Gott, dass sein Licht auch uns erleuchtet. Amen.
1. zitiert aus: Spuren Gottes. Vom Unbedingten Reden (Akzente Religion 4), Düsseldorf: Patmos Verlag, 1998, S. 62f
2. zitiert nach: Jürgen Moltmann, Der gekreuzigte Gott, München: Chr. Kaiser Verlag, 3. Aufl. 1976, S. 262
3. Peter Kuhn, Gottes Selbsterniedrigung in der Theologie der Rabbinen, München: Kösel-Verlag, 1968, S. 86f