Archiv der Evangelisch-lutherische Dreikönigsgemeinde, Frankfurt am Main - Sachsenhausen
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Predigten von Prädikantin Ursula Schmidt: Quasimodogeniti: Johannes 20, 19 – 21, 24 – 28 Befreiung aus einem Gefängnis der Angst

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Quasimodogeniti

Befreiung aus einem Gefängnis der Angst Johannes 20, 19 – 21, 24 – 28

Predigt gehalten von Prädikantin Ursula Schmidt am 11.04.2010

'Some Paschal candles (Holland)', 2008, WaxArtStudio

HERR, SEGNE MEIN REDEN UND UNSER HÖREN AUF DEIN WORT. Amen

Ist uns eigentlich bewusst, dass in unsrem Kirchenjahr seit letztem Sonntag eine ganz besondere Zeit angebrochen ist, nämlich die „österliche Freudenzeit“?
Nehmen wir als Christen diese Freudenzeit in unserem Alltag überhaupt wahr?
Leben und praktizieren wir täglich diese Zeit, die 50 Tage lang dauert, nämlich von Ostern bis einschließlich Pfingsten?
Strahlen wir als Menschen, die an den Auferstandenen glauben, diese Freude auch wirklich an unsere Umgebung aus, und geben wir sie an unsere Mitmenschen weiter?
„Die Christen müssten erlöster aussehen“ monierte schon Friedrich Nietzsche im letzten Jahrhundert. Eine wohl vergebliche Mahnung, wenn wir andere mit unseren freudlosen Alltagsgesichtern anblicken, eine berechtigte Mahnung, vielleicht sogar heute im Gottesdienst, wenn wir in uns verkapselt bleiben und wenig Freude und Erlösung vermitteln.

Immer wieder gibt es kirchliche Aktionen, die zu bewusst christlichem Leben und Handeln aufrufen, z.B. bei der Gestaltung des Sonntags, bei der Bedeutung von Advent und Weihnachten, bei Verzicht „40 Tage ohne“ in der Passionszeit u.ä.
Wo aber bleiben eigentlich kirchliche Appelle und Aktionen zu Ostern?
Vermitteln wir unserer Umwelt die Bedeutung von Ostern als dem höchsten Fest der Christenheit?
Warum weiß nur ein Bruchteil unserer Bevölkerung, was an Ostern geschehen ist?
Wie konnte es geschehen, dass in diesem Jahr ein Kulturbeauftragter der Stadt Frankfurt das große Ostergeläut damit erklärte, dass es „irgendwas mit Pfingsten“ zu tun hätte?
Hören wir nicht schon oft nach unseren Gründonnerstag- oder Karfreitagsgottesdiensten den Gruß „Frohe Ostern“, weil für viele Ostern nur identisch mit Urlaub ist?
Haben wir als Kirche Ostern fast ganz dem Osterhasen und dem Kommerz der Süßigkeiten überlassen?
Nutzen nur Friedensaktivisten Ostern mit ihren Ostermärschen?

Es ist ja nicht so, dass wir als Christen Ostern nicht feiern würden. Wir tun es u.a. mit Osternachtsfeiern, Osterfeuern, Ostergottesdiensten, Osterfrühstücken oder Osterkonzerten. Aber oft begnügen wir uns damit - und dann ist wieder Schluss mit Ostern. Machen wir häufig nicht ebenso eilig Schluss mit Ostern wie die Ostersüßigkeiten aus den Regalen der Supermärkte verschwinden? Ist für uns als Kirche die „österliche Freudenzeit“ überhaupt noch ein Thema?

Natürlich können Kirchenleitungen Osterfreude nicht von oben verordnen – nach dem Motto „Nun freut euch gefälligst mal 50 Tage lang!“
Zwei Dinge aber müssten ganz selbstverständlich in unserem Bewusstsein fest verankert und unauslöschlich eingebrannt sein:

  1. das Osterfest ist das höchste Fest für uns Christen, sogar mehr noch als das Christfest. Ohne die Auferstehung Christi müssten wir als Kirche zumachen - und
  2. die Zeit im Kirchenjahr, die sich österliche Freudenzeit nennt, dauert 50 Tage.

Und selbst 50 Tage Osterfreude sind viel zu wenig, denn die Freude über die Auferstehung Jesu von den Toten ist ja wahrhaftig nicht auf diese 50 Tage begrenzt!
Freuen wir uns also, heute, morgen und unser ganzes Leben lang , denn wir haben durch das Lebendig werden Christi allen Grund zur Freude!
Freude ist auch der Hintergrund unseres heutigen Sonntags Quasimodogeniti:
Freuen wir uns, denn wir sind „wie die neu geborenen Kindlein“, so die wörtliche Übersetzung des Namens Quasimodogeniti, mit der Auferweckung Jesu von den Toten neu Geborene, d.h. wir werden wahrhaft lebendig, unser Leben bekommt neue Dimensionen.
Freuen wir uns, dass die Auferstehung Jesu Christi von unserem Verstand nicht zu fassen ist. Freuen wir uns, dass die Auferstehung Jesu Christi alle theologischen Erklärungsversuche übersteigt.
Freuen wir uns, dass die Auferstehung Jesu Christi sowohl Glauben schaffen als auch Glaubenszweifel überwinden kann.

'The confession of Saint Thomas', 1500, Dionisius

Von dem Sieg über Glaubenszweifel erzählt der Evangelist Johannes in seinem 20. Kapitel. Hören wir auf die Geschichte, die die meisten von Ihnen seit ihrer Kindheit kennen. Ich beschränke mich dabei auf die Verse 19 bis 21 und 24 bis 28.:

Am Abend aber dieses ersten Tages der Woche, als die Jünger versammelt und die Türen verschlossen waren aus Furcht vor den Juden, kam Jesus und trat mitten unter sie und spricht zu ihnen: Friede sei mit euch!
Und als er das gesagt hatte, zeigte er ihnen die Hände und seine Seite. Da wurden die Jünger froh, dass sie den Herrn sahen.
Da sprach Jesus abermals zu ihnen: Friede sei mit euch!
Thomas aber, der Zwilling genannt wird, einer der Zwölf, war nicht bei ihnen, als Jesus kam.
Da sagten die andern Jünger zu ihm: Wir haben den Herrn gesehen. Er aber sprach zu ihnen: Wenn ich nicht in seinen Händen die Nägelmale sehe und meinen Finger in die Nägelmale lege und meine Hand in seine Seite lege, kann ich's nicht glauben.
Und nach acht Tagen waren seine Jünger abermals drinnen versammelt und Thomas war bei ihnen. Kommt Jesus, als die Türen verschlossen waren, und tritt mitten unter sie und spricht: Friede sei mit euch!
Danach spricht er zu Thomas: Reiche deinen Finger her und sieh meine Hände und reiche deine Hand her und lege sie in meine Seite, und sei nicht ungläubig, sondern gläubig! Thomas antwortete und sprach zu ihm: Mein Herr und mein Gott!

Versetzen wir uns also zurück an den Abend des Auferstehungstages so wie ihn der Evangelist Johannes schildert.
Bei den Anhängern Jesu ist nichts, aber auch gar nichts von Osterfreude zu spüren.
Petrus und Johannes waren zusammen mit Maria Magdalena am frühen Morgen im Schutz der Dunkelheit zum Grab Jesu gegangen und hatten zu ihrem Entsetzen die Gruft bis auf die Grabbinden leer vorgefunden.
Später hatte Maria Magdalena erzählt, Jesus wäre lebendig und er sei ihr begegnet. Sie hätte ihn zwar erst für den Gärtner gehalten, ihn dann aber als den Herrn erkannt.
Offenbar haben die Jünger Maria Magdalena nicht geglaubt; schließlich galten Frauen früher im Judentum nicht als verlässliche Zeugen.
Deshalb ist der Bericht der Maria Magdalena bei den Anhängern Jesu auf keinen fruchtbaren Boden gefallen. Sie haben ihn nicht für ein Zeugnis der Auferstehung Jesu gehalten, sondern für Illusion, für Einbildung, für ein Wunschbild, ja sogar für Geschwätz.
Das Entsetzen und die Trauer über den grauenvollen Tod Jesu haben alle Erinnerung an die prophetischen Worte Jesu gelöscht, mit denen er von seinem Tod und seiner Auferstehung gesprochen hatte.
Die Tatsache, dass der Leichnam Jesu verschwunden ist, ist für sie kein tröstliches Indiz dafür, dass Jesus nicht bei den Toten geblieben ist, sondern verstärkt nur ihre Erschütterung.
Alles, was fühlen können, ist schlichtweg Angst.
Im Griechischen steht für die Angst, die die Jünger empfinden, Phobos, das Wort, das in unsere Sprache als Begriff „Phobie“ eingegangen ist.

Die Jünger leiden. Sie sind gepeinigt von schrecklicher, grauenvoller, unkontrollierbarer Angst. Sie sind ihrer Angst hilflos ausgeliefert, denn der, der sie immer wieder aufgerichtet hatte, der ihnen gezeigt hatte, wie es weitergeht, der ihr Hoffnungsträger war, um dessentwillen sie ihr bisheriges Leben hinter sich gelassen hatten, um ihm nachzufolgen, ist nicht mehr da.
Die Angst hat die Jünger so fest im Griff, dass sie sich versteckt haben und die Türen fest verschlossen halten.

Sind wir heute, mehr als 2000 Jahre später, nicht oft in einer ähnlichen Situation wie damals die Anhänger Jesu ?
Fühlen wir uns nicht oft verzagt, ängstlich und mutlos angesichts unserer immer leerer werdenden Kirchen?
Steigern wir uns nicht auch manchmal in eine Phobie hinein, weil uns besonders angesichts unserer schrumpfenden Mitgliederzahlen das Anwachsen von charismatischen oder sektiererische Gruppierungen oder die Popularität fremder Religionen Angst macht?
Fühlen wir uns nicht oft – als Kirche und als Einzelpersonen – von Gott verlassen, weil er uns fern oder verborgen scheint, weil wir von seiner Existenz und seinem Handeln so wenig spüren?
Wir müssen hier in Deutschland zwar keine Angst vor Verfolgung wegen unseres Glaubens haben. Aber haben wir nicht oft Angst, von unserem Glauben zu sprechen?
Haben wir nicht Angst, uns mit einem Bekenntnis unseres Glaubens lächerlich zu machen oder deswegen nicht für voll genommen zu werden?
Haben wir gerade in letzter Zeit nicht Angst davor, dass immer mehr Missstände in unserer Kirche und immer krasseres Fehlverhalten von angeblich vorbildlichen Christen ans Tageslicht kommen?
Verfallen wir nicht angesichts dieser Misere häufiger in Resignation und Depression als in mutige Aufrichtigkeit und aktive Zivilcourage?
Sind nicht Phobien jeglicher Art typische Krankheiten in unserer modernen Gesellschaft, die oft trotz langjähriger Therapien oft nicht geheilt werden können?
Könnte nicht jeder von uns – und ich nehme mich dabei nicht aus - eine ganz persönliche Form von Angst nennen, die uns hin und wieder oder sogar ständig quält?
Hat uns angeblich so vernünftige und aufgeklärte Menschen nicht viel zu oft die Angst, die Phobie fest im Griff - so wie einst die Anhänger Jesu unmittelbar nach seinem Tod?

Zu den Jüngern kommt mitten in ihren Zustand der Phobie, mitten in dieses Gefängnis ihrer eigenen Angst Jesus und sagt „Friede sei mit euch!“ Mehrfach ruft der Auferstandene seinen Anhängern diesen Friedensgruß zu, in unserem Predigttext allein dreimal.
Jesus will damit die Gefängnismauern der Angst durchbrechen und seine Anhänger zur Freude befreien.
Was für ein Geschenk ist dieser Friede!
Johannes beschreibt die Reaktion auf dieses Geschenk lapidar so: „Da wurden die Jünger froh, dass sie den Herrn sahen.“
Was für eine Macht hat dieser Friedensgruß, dass er aus panisch angsterfüllten Menschen, die sich äußerlich und innerlich ab- und zugeschlossen haben, befreite frohe Menschen machen kann!

Einer aber ist von dieser Freude ausgeschlossen, denn er war nicht dabei, als Jesus kommt und Frieden wünscht.
Thomas, einer der engsten Freunde Jesu, fehlte.
Thomas reagiert misstrauisch, skeptisch und ablehnend auf die sicher enthusiastischen Schilderungen der Jünger „Wir haben den Herrn gesehen.“
Er weigert sich, kritiklos den Glauben der anderen zu übernehmen.

Die Tradition, die Kirche und die Schmalspurtheologen, die die Bibel als Fundgrube für ihre jeweilige Weltanschauung ausschlachten, haben sich vorschnell ihre Meinung gebildet: sie haben aus dem Jünger Thomas den „ungläubigen Thomas“ gemacht.
Wenn wir heute jemanden einen „ungläubigen Thomas“ nennen, so ist das alles andere als ein Kompliment.. Dann meinen wir einen Menschen, der an allem herumkritisiert, einen Menschen, dem ständige Zweifel und Grübeleien nur die Sicht auf Negatives zulassen, einen Menschen, dem vor lauter Skepsis der Weg zur Wirklichkeit und zur Wahrheit auf immer versperrt bleibt.

Wie immer, wenn wir einen Menschen durch die Brille unserer Vorurteile sehen, machen wir es uns zu leicht, wenn wir den Thomas des Neuen Testaments so sehen, wenn wir ihn einfach als “ungläubigen Thomas“ abstempeln.
Der Thomas, von dem die Evangelien berichten, hatte alles, was sein früheres Leben ausgemacht hatte, hinter sich gelassen, um sich Jesus anzuschließen.
Der Thomas, der zu den „Zwölfen“, dem engsten Kreis der Nachfolger Jesu gehört, hat sich ohne Wenn und Aber auf Jesus eingelassen, weil er in ihm den Gesandten Gottes gesehen und erlebt hat.
So reagiert kein kühl abwägender, nüchterner Verstandesmensch!
Der Thomas, der uns im Neuen Testament begegnet, ist weder das noch der rationale, wissenschaftlich orientierte Vorläufer der Neuzeit, als der er manchmal bezeichnet wurde.

Ist nicht der Thomas, der sagt: „Wenn ich nicht in seinen Händen die Nägelmale sehe und meinen Finger in die Nägelmale lege und meine Hand in seine Seite lege, kann ich´s nicht glauben.“ vielmehr ein Mensch wie Sie und ich?
Diesen Thomas hat das Leben in seinen Grundfesten erschüttert.
Dieser Thomas ist in seiner Angst und Verzweiflung eingeschlossen.
Dieser Thomas hat Geborgenheit und Vertrauen verloren.
Diesen Thomas hat der Unfriede überwältigt.
Dieser Thomas fühlt sich angesichts des Furchtbaren, das er erlebt hat, von Gott verlassen.
Dieser Thomas schwankt deshalb in seinem Glauben an Jesus.
Diesem Thomas ist der Auferstandene noch nicht begegnet.

Geht es uns heute nicht viel zu oft ganz genau so?!
Besonders dann, wenn wir vor den Scherben unserer Lebensentwürfe stehen, wenn uns sog. Schicksalsschläge wie Unfall, Arbeitslosigkeit, Krankheit, Tod oder andere Katastrophen treffen.

Und gerade in einer solchen Krisensituation, gerade einem Menschen wie Thomas begegnet der lebendige auferstandene Christus in einer ganz besonderen Weise!
Er muss zwar auf diese Begegnung warten, eine ganze Woche lang nach Ostern, was ihm sicher wie eine Ewigkeit vorgekommen ist, - aber dann kommt der Auferstandene erneut zu seinen Anhängern.
Sie sitzen schon wieder verzagt und kleingläubig hinter verschlossenen Türen, obwohl sie sich so gefreut hatten, dass Jesus nicht tot, sondern lebendig ist!
Und nach dem Gruß: „Friede sei mit euch!“ wendet er sich sofort Thomas zu – nicht mit Enttäuschung über Thomas´ Verhalten, nicht mit Vorwürfen, sondern mit Liebe.
Jesus Christus geht auf Thomas zu und bietet sich ihm regelrecht an, indem er ihn auffordert, ihm ganz nahe zu kommen, ihn zu berühren, seine Wundmale anzufassen.
Der Auferstandene kennt die verzweifelte Lage, in der sich sein Jünger befindet, er weiß, was Thomas fehlt und was er braucht. Jesus weiß, dass Thomas seine Nähe braucht, um wieder froh werden, um sich wieder geborgen zu wissen, um glauben zu können.

Und dann geschieht das Wunder, Thomas sagt das kürzeste, innigste Glaubensbekenntnis der Bibel: „MEIN HERR UND MEIN GOTT!“

Wünschen wir es uns nicht alle, so wie Thomas von unseren Zweifeln befreit zu werden?
So wie Thomas Glauben geschenkt zu bekommen.
So wie Thomas zu Jesus Christus stehen zu können.
So wie Thomas einen Glauben buchstäblich zum Anfassen zu bekommen.
So wie Thomas nichts anders zu können als zu bekennen: „Mein Herr und mein Gott!“

Möge Gott uns das schenken, so wie Thomas den Auferstandenen erkennen und bekennen zu können!
Beten wir darum, den Osterglauben als das Geschenk Gottes annehmen zu können.
Beten wir darum, dass wir dieses Geschenk nicht für uns behalten, sondern mit Freude weitergeben.

Dann kann und wird sich das ereignen, was ein Lied so wunderschön mit den Worten besingt,
„...da berühren sich Himmel und Erde,
dass Friede werde unter uns.“

UND DER FRIEDE GOTTES, DER HÖHER IST ALS ALL UNSER MENSCHLICHES DENKEN UND HANDELN, BEWAHRE UNSERE HERZEN UND SINNE IN JESUS CHRISTUS UNSEREM HERRN! A M E N !

Die Photographie 'Some Paschal candles (Holland)', 2008, WaxArtStudio, wurde von ihrem Urheber zur uneingeschränkten Nutzung freigegeben. Diese Datei ist damit gemeinfrei („public domain“). Dies gilt weltweit.
Die Abbildung der Ikone 'The confession of Saint Thomas', 1500, Dionisius, ist im publicdomain, weil sein copyright abgelaufen ist.

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