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Predigten von Prädikantin Ursula Schmidt: Johannes 10, 11-17, 27–30 Seine Hand hält uns geborgen

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Misericordias Domini

Seine Hand hält uns geborgen Johannes 10, 11-17, 27–30

Predigt gehalten von Prädikantin Ursula Schmidt in der Bergkirche 2009

'In manibus tuis', II, 1972/ 1988 - Walter Habdank. © Galerie Habdank

'In manibus tuis', II, 1972/ 1988
Walter Habdank. © Galerie Habdank

GNADE SEI MIT EUCH UND FRIEDE VON GOTT, UNSEREM VATER, UND UNSEREM HERRN JESUS CHRISTUS!

Ich bin der gute Hirte. Der gute Hirte lässt sein Leben für die Schafe. Der Mietling aber, der nicht Hirte ist, dem die Schafe nicht gehören, sieht den Wolf kommen und verlässt die Schafe und flieht – und der Wolf stürzt sich auf die Schafe und zerstreut sie –, denn er ist ein Mietling und kümmert sich nicht um die Schafe. Ich bin der gute Hirte und ich kenne die Meinen, und die Meinen kennen mich, wie mich mein Vater kennt, und ich kenne den Vater. Und ich lasse mein Leben für die Schafe.
Und ich habe noch andere Schafe, die sind nicht aus diesem Stall; auch sie muss ich herführen, und sie werden meine Stimme hören, und es wird eine Herde und ein Hirte werden.
Meine Schafe hören meine Stimme, und ich kenne sie und sie folgen mir; und ich gebe ihnen das ewige Leben, und sie werden nimmermehr umkommen, und niemand wird sie aus meiner Hand reißen. Mein Vater, der mir sie gegeben hat, ist größer als alles, und niemand kann sie aus des Vaters Hand reißen. Ich und der Vater sind eins. Johannes 10, 11-17, 27–30

Im Kirchenjahr heißt diese Zeit die “österliche Freudenzeit”, und der heutige Sonntag MISERICORDIAS DOMINI, bei dem es um die BARMHERZIGKEIT GOTTES geht, nimmt darin eine besondere Stellung ein.
Auch der für heute vorgeschlagene Predigttext ist ein ganz besonderer Text.
Ein reichhaltiger Text, bei dem man über jeden einzelnen Satz eine eigene Predigt halten könnte.
Ein inhaltsschwerer Text, auf den sich verschiedene theologische Schulen gründen.

Wir, Sie und ich, können uns heute nur auf einige Bilder beschränken und versuchen, diese zu deuten.
Jesus bezeichnet sich als den GUTEN HIRTEN und die, die an ihn glauben, als SCHAFE.
Diese Bilder haben nicht erst seitdem eine lange Geschichte:
Das Bild von Jesus Christus als dem guten Hirten ist mindestens so alt und bedeutungsvoll wie das Symbol des Kreuzes.
In den Katakomben Roms schmückt es die Grabmäler der ersten Christen. Unzählige Künstler verschiedener Epochen, Maler, Bildhauer, Musiker, haben das Bild des guten Hirten gestaltet.
In manchen Regionen heißt der Pfarrer, vom lateinischen Wort „Hirte“ abgeleitet, „Pastor“, das darauf hindeutet, welche Eigenschaften von einem Pfarrer erwartet werden.

Vielen von Ihnen, die Sie heute hier zum Gottesdienst zusammen gekommen sind, ist das Bild von Jesus Christus als dem guten Hirten seit den Tagen ihrer Kindheit lieb und vertraut.
Die Älteren von Ihnen sind mit dem Lied „Weil ich Jesu Schäflein bin“ aufgewachsen.
Heute gehört dieses Lied nicht mehr zum Repertoire der kirchlichen Kinderlieder; heute will man kein Schäflein mehr sein.
Das Schaf scheint sich nicht mehr als Symbol eines modernen Menschen zu eignen.
Nie ist die Anrede „Du Schaf!“ freundlich gemeint, und „Du Schäfchen!“ klingt auch nicht viel besser.
Wer will schon ein Schaf sein, ein „dummes Schaf“, ein willenloses Herdentier, das ohne eigenes Profil ist, das sich ohne individuellen Charakter unterordnet, das namen- und gesichtslos in der Menge untergeht?!
Das Bild vom Schaf als Vergleich mit dem Menschen hat heute einen altmodischen und sogar negativen Beigeschmack.
Auch das Bild vom Hirten scheint nicht in unsere moderne westliche Welt zu passen.
Einen Hirten zu sehen, ist in unserer Region eher eine Seltenheit.
Als zum letzten Mal öffentlich von einem Hirten die Rede war, ging es um ein tragisches Ereignis, als nämlich eine Schafherde, die in einen Tunnel geraten war, einen folgenschweren Unfall eines ICE-Zuges verursachte.

Obwohl wir als moderne aufgeklärte Menschen es also ablehnen, mit einem Schaf verglichen zu werden,
obwohl es kaum vorstellbar ist, dass auch nur einer unserer Konfirmanden als Berufswunsch „Hirte“ angeben wird, existieren trotzdem viele Abbilder und Vorstellungen von dem Schaf und dem Hirten.
Allerdings in abgewandelten Formen: von Verfälschung, über Verniedlichung bis zum Kitsch höchsten Grades:
Schäfchen sind ein beliebtes Kinderspielzeug, angeblich beruhigen sie oder fördern den Schlaf – und das sowohl bei Kindern als auch bei Erwachsenen.
Denken Sie nur an den gut gemeinten Rat, „Schäfchen“ zu zählen, um besser einschlafen zu können.
Besonders vor der Osterzeit wimmelt es überall von ach so niedlichen Schäfchen. Wohin man auch schaut, sie sind allgegenwärtig: als Gebäck, als Süßigkeit, als Dekorationsartikel.
So wie der Hase, so wird auch das Schaf kommerzialisiert, ja es ist sogar für viele Menschen der Inbegriff für Ostern. Und wir als Kirche nehmen längst keinen Anstoß mehr daran.

Auch die Vorstellung vom Hirten wurde im Laufe der Zeit umfunktionalisiert: sie wurde immer romantischer.
Besonders in der Lyrik und der Musik entstanden poetische Bilder vom Hirtenleben.
Im 19. und im Anfang des 20. Jh.s hingen in vielen Schlafzimmern Bilder von Jesus als dem guten Hirten, der entweder ein Schaf auf seinen Schultern trägt oder ein Schaf vom Absturz von einem Felsen rettet.
Heute hat das Bild vom Hirten einen eher grünen Eco-Touch.
Hirte zu sein, bedeutet für manche Aussteigen, alternativ leben, zurück zur Natur, weg von der Hektik des Erfolgsstrebens der modernen Welt.

Die biblischen Vorstellungen von dem Hirten und den Schafen dagegen, die Jesus anspricht, sind allerdings weitab von süßlicher Verniedlichung und poetischer Romantik!
Wenn wir unseren Predigttext genauer betrachten, wenn wir die Kruste der allzu vertrauten Worte unseres Predigttextes abkratzen, können wir uns nicht länger Träumereien und Verharmlosungen hingeben, sondern kommen der Realität auf die Spur.
Hier geht es nämlich nicht um unsere Klischeevorstellungen von Hirte und Schafen.

In der Zeit des Alten und des Neuen Testamentes war der Beruf des Hirten weder romantisch noch alternativ, sondern risikoreich und oft sogar lebensgefährlich.
Die Menschen, die Schafherden hatten, waren umherziehende Nomaden, die um Weide- und Brunnenrechte zu kämpfen hatten, die sich häufig gegen wilde Tiere und Räuber zur Wehr setzen mussten.
Deshalb waren Hirten schon bei den Sumerern, Babyloniern, Assyrern und Griechen angesehene Leute, der Beruf des Hirten hatte in der sozialen Rangordnung einen hohen Stellenwert. Hirte zu sein, war ein angesehener Beruf.
Unbedingte Verlässlichkeit, Ehrlichkeit, Treue, Tapferkeit waren nur einige der Charakterstärken, die man damals von einem guten Hirten erwartete.
Ein guter Hirte verstand es sowohl, ein geschickter Führer seiner Herde zu sein, als auch pflichtbewusst für das Wohl seiner Schafe zu sorgen.
Im Alten Testament gibt es zahllose Beispiele für gute Hirten, angefangen von Abel, über Mose bis zum König David, sie alle waren Hirten, die sowohl als fürsorglich wie auch als vollmächtig galten.
Der gute Hirte war etwas so Besonderes, etwas so Außerordentliches, dass die Israeliten Gott ihren guten Hirten nannten und den kommenden Messias als guten Hirten bezeichneten.

„Der Herr ist mein Hirte“, der 23. Psalm, den wir heute zu Beginn des Gottesdienstes gemeinsam beteten, hat eine ganz besondere Stellung im Alten Testament und ist bis heute Hilfe und Trost vieler Menschen, nicht nur im Leben, sondern auch im Sterben.
Sogar in unserer modernen säkularen Welt ist und bleibt dieser Psalm wichtig und wegweisend:
bei Paaren, die sich trauen lassen, und bei Eltern oder Konfirmanden, die auf der Suche nach einem Tauf- oder Konfirmationsspruch sind. Denn der gute Hirte verkörpert die menschliche Ur-Sehnsucht nach Geborgenheit und Schutz.

In unserem heutigen Predigttext bezeichnet sich nun Jesus selbst als den guten Hirten.
In zwei Sätzen ist hier die ganze Heilsbotschaft des Christentums zusammengefasst, in zwei Sätzen erklärt Jesus seine Rolle und seine Funktion als Messias:

„Ich bin der gute Hirte. Der gute Hirte lässt sein Leben für die Schafe.“

„ICH BIN“ ist im Alten Testament die Selbstbezeichnung Gottes. Nur Gott darf das sagen: „ICH BIN.“
Im Johannesevangelium wird berichtet, wie Jesus zum Entsetzen der Pharisäer und Schriftgelehrten siebenmal in messianischer Vollmacht „ICH BIN“ sagt:

Ich bin das Brot des Lebens.
Ich bin das Licht der Welt.
Ich bin die Tür.
Ich bin der gute Hirte.
Ich bin die Auferstehung und das Laben.
Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben.
Ich bin der wahre Weinstock.

Immer geht es bei diesen „ICH BIN“- Worten um Jesus als den Sohn Gottes, um Jesus als den Messias, der uns Menschen frei macht für den Weg zum wirklichen Leben hier auf Erden und in der Ewigkeit.
In unserem Predigttext ist Jesus als der GUTE HIRTE nicht nur bereit, für die Schafe, die an ihn glauben, zu sorgen und sich für sie einzusetzen, sondern für sie zu sterben.
Jesus ist der Sohn Gottes, der sein Leben für die Menschen opfert!
Jesus ist nicht ein religiöser Scharlatan, ein magischer Verführer oder ein esoterischer Blender,
Jesus ist kein „Mietling“, wie es in der Sprache der Bibel heißt, der sich nicht um die Schafe kümmert.
Jesus ist kein falscher Heilsprediger, der nach persönlicher Macht strebt, unbedingte Hörigkeit verlangt, seine Anhänger manipuliert und sie im Ernstfall im Stich lässt.

Bis in unsere Gegenwart gab und gibt es immer wieder solche „Mietlinge“ wie Jesus sie nennt.
Denken Sie nur an das Ende des letzten Jahrhunderts, als der zwielichtige koreanische Reverend Sun Moon Schlagzeilen machte, weil er mit dubiosen Mitteln eine sog. Universalkirche propagierte oder den amerikanischen Sektenführer Jim Jones, der in Guyana mit Demagogie und Manipulation eine neue Welt aufbauen wollte und der kurz vor seiner Verhaftung über 900 seiner Anhänger in den Massenselbstmord trieb.

Solche religiösen Führer prangert Jesus als unverantwortliche, selbstsüchtige“ gemietete“ Hirten an, die nur auf ihr eigenes Wohl und nicht das ihrer Schafe bedacht sind, die nur an den Profit denken, den sie aus ihrer Herde herausschlagen können, denen das Schicksal der Einzelnen dieser Herde völlig egal ist.

Für Jesus aber sind diejenigen, die „seine Stimme hören“, die an ihn glauben, weder ein Instrument der Ausbeutung noch eine anonyme Masse.
Für Jesus ist niemand namenlos, ihm ist jeder einzelne wichtig.
Jesus“ kennt“ seine Anhänger, jeden persönlich.
Sie und ich, wir sind ihm so wichtig, dass er einen beispiellos KÜHNEN Vergleich herstellt:

„Ich bin der gute Hirte und kenne die Meinen, und die Meinen kennen mich, wie mich mein Vater kennt, und ich kenne den Vater.“

Kann die Vertrautheit, die zwischen Jesus und denen besteht, die an ihn glauben, eindrucksvoller beschrieben werden?
Jesus vergleicht die Beziehung zwischen sich und denen, die an ihn glauben, mit Gottes Beziehung zu sich als seinem Sohn.
Ja, er stellt sie sogar auf dieselbe Stufe!

Aber damit nicht genug.
Jesus stellt nicht nur diesen ungewöhnlichen Vergleich her, sondern er vollendet das Bild vom guten Hirten und seiner Herde mit den Worten:

„.. und ich gebe ihnen das ewige Leben, und sie werden nimmermehr umkommen, und niemand wird sie aus meiner Hand reißen.“

Gibt es eine schönere Zusage für unser Leben? Gibt es einen größeren Trost?
Was auch immer geschieht in den Wirrnissen unserer Zeit,
was sich auch immer zuträgt in den Unsicherheiten unseres Lebens - nichts und niemand kann uns aus der Hand Jesu reißen, seine Hand hält uns geborgen.
Wenn wir uns Jesus Christus als dem guten Hirten anvertrauen, sind und bleiben wir geborgen.
Wir sind geborgen für das ewige Leben, das schon hier und heute beginnt und geborgen für das ewige Leben, auf das wir zugehen.
Dazu helfe uns der barmherzige Gott, dass wir mit dieser Glaubenszuversicht leben und sterben.

„... und niemand wird sie aus meiner Hand reißen.“ AMEN

UND DER FRIEDE GOTTES, DER ALLE MENSCHLICHEN VORSTELLUNGEN ÜBERSTEIGT, DER BEWAHRE UNSER DENKEN UND HANDELN IN JESUS CHRISTUS UNSEREM HERRN!

Wir danken Frau Friedgard Habdank sehr herzlich, dass sie uns die Bilder ihres Mannes auf so großzügige und kostenlose Weise zur Verfügung gestellt hat. © Galerie Habdank, www.habdank-walter.de

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