Archiv der Evangelisch-lutherische Dreikönigsgemeinde, Frankfurt am Main - Sachsenhausen
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Predigten von Prädikantin Ursula Schmidt: Johannes 12, 20 – 26 Jesus bietet kein Wellness-Programm

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Weizenähren bei einem Kindergottesdienst im Kirchsaal Süd, März 2009, PSch

Laetare

Jesus bietet kein Wellness-Programm Johannes 12, 20 – 26

Gehalten von Prädikantin Ursula Schmidt in der Dreikönigskirche 2009

HERR, ÖFFNE MEINEN MUND UND UNSERE HERZEN FÜR DEIN EWIGES WORT!

Liebe Gemeinde!
Als ich jünger war, fand ich es seltsam, dass dieser Passionssonntag „ LAETARE – FREUE DICH!“ heißt.
Ist das nicht irgendwie unpassend, einen Sonntag so zu nennen - mitten in der Passionszeit, die doch eigentlich eine stille Zeit ist oder zumindest eine stille Zeit sein sollte, in der die Christenheit besonders an das Leiden und Sterben Jesu Christi denkt?
In einer Zeit, in der sich sogar viele Menschen Verzichts- oder Fastenaktionen anschließen, passt da Freude hinein?
Dass der Name LAETARE in der Geschichte der Kirche eine lange Tradition hat, dass man an diesem Sonntag sogar im Hinblick auf die Auferstehung Christi von einem „kleinen Osterfest“ spricht, dass manche Kirchengemeinden heute die Passions-Paramente am Altar von violett auf rosa umstellen, beantwortet das schon die Frage?

Obwohl der für heute vorgeschlagene Predigttext sehr ernst ist, kommen wir der Ursache von LAETARE „Freue dich“ näher, wenn wir ihn genau betrachten. Im Johannesevangelium, im Kapitel 12, hören wir die Verse 20 –26:

Es waren aber einige Griechen unter denen, die heraufgekommen waren, um anzubeten auf dem Fest. Die traten zu Philippus, der von Betsaida aus Galiläa war, und baten ihn und sprachen: Herr, wir wollten Jesus gerne sehen. Philippus kommt und sagt es Andreas, und Philippus und Andreas sagen's Jesus weiter.
Jesus aber antwortete ihnen und sprach: Die Zeit ist gekommen, dass der Menschensohn verherrlicht werde.
Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Wenn das Weizenkorn nicht in die Erde fällt und erstirbt, bleibt es allein; wenn es aber erstirbt, bringt es viel Frucht.
Wer sein Leben lieb hat, der wird's verlieren; und wer sein Leben auf dieser Welt hasst, der wird's erhalten zum ewigen Leben. Wer mir dienen will, der folge mir nach; und wo ich bin, da soll mein Diener auch sein. Und wer mir dienen wird, den wird mein Vater ehren.

Was ist zuvor geschehen?

In Jerusalem steht das Passahfest bevor. Von überall her kommen Menschen, um dort im Tempel eines der höchsten Feste der Juden zu feiern. Der Evangelist Johannes beschreibt den Jubel der Menge, die Jesus bei dessen Einzug in Jerusalem voller Enthusiasmus als den „König von Israel“ feiern und ihm begeistert „Hosianna“ entgegenrufen. Überall hat man von den Wundern gehört, die Jesus getan hat, überall rühmt man Jesus als Wundertäter, der sogar Tote auferwecken kann. Die Pharisäer analysieren die Sachlage, sie halten sie für äußerst explosiv, sie erkennen, dass von Jesus etwas Besonderes ausgeht. Sie halten Jesus für einen aufwieglerischen Demagogen, für einen gefährlichen Gotteslästerer, dem, wie sie sagen, „alle Welt“ nachläuft.

Hier setzt nun unser Predigttext ein:
Jetzt sind es nicht nur Juden, sondern sogar Griechen, die sich so brennend für Jesus interessieren, dass sie einen Jünger bitten, Jesus sehen zu dürfen!
Griechen galten damals im guten Sinn als neugierig: sie waren offen und aufgeschlossen für Neues, unternehmungs- und reiselustig, vor allem aber wissbegierig.
Auf der Suche nach Wahrheit interessierten sie sich für die Lehren verschiedenster Philosophen und auch für neue Religionen.
Vielleicht hatten Griechen während ihres Aufenthaltes in Jerusalem sogar die Tempelreinigung Jesu miterlebt und waren gespannt darauf, den Menschen kennen zu lernen, der so etwas fertig gebracht hatte.
Warum auch immer die Griechen Jesus sehen wollten, es kann ein Hinweis sein, dass das Evangelium in die ganze Welt gebracht werden sollte.
Ob sie sich an Philippus wegen seines griechischen Namens wandten, bleibt offen.
Der angesprochene Philippus jedenfalls geht nicht sofort zu Jesus, wie man erwarten könnte, sondern kontaktiert zuerst einen anderen Jünger, mit dem er dann gemeinsam Jesus die Bitte der Griechen vorträgt.

In unserer Sprache würden wir sagen, Jesus ist ein Star, sogar ein Superstar.
Er ist auf dem Gipfel seines Ruhms, gefolgt und verfolgt von Fans und Paparazzis.
„Alle Welt“ läuft ihm nach, wie die Pharisäer sagen.

Und wie reagiert Jesus?
Jesus wehrt weder die Jünger noch die neugierigen Griechen ab, Jesus bestreitet weder die Besonderheit der Situation. „Die Zeit ist gekommen“ noch die Besonderheit seiner Rolle „Die Zeit ist gekommen, dass des Menschensohn verherrlicht werde.“ sagt Jesus.
„Die Zeit ist gekommen“, Jesus weiß, dass sich schon seit langem eine Krise angebahnt hat und sich nun alles auf eine Krise zuspitzt.
Seine Zuhörer hängen an Jesu Lippen, die Spannung ist auf dem Höhepunkt, als Jesus seine Verherrlichung als die des „Menschensohns“ ankündigt.

Für die Juden war und ist der „Menschensohn“ die Verkörperung des von Gott gesandten unbesiegbaren Weltenrichters.
In der Vorstellung der Juden ist der „Menschensohn“ von Gott eingesetzt, um mit übermenschlicher göttlicher Allmacht alle Völker und alle Weltreiche zu beherrschen, nachdem er in einem großen Gericht aller Barbarei und allem Unrecht ein Ende gemacht hätte.
Mit der Erwartung des „Menschensohns“ verbinden die Juden bis heute gleichzeitig die Hoffnung, dass Israel von aller Unterdrückung und Versklavung befreit werden würde.

Als sich Jesus auch vor den Griechen selbst als „Menschensohn“ bezeichnet, wird bei den Zuhörern die Erwartung geweckt, dass Jesus jetzt seine Herrschaft proklamiert – dass jetzt die siegreiche Schlacht zur Befreiung Israels unmittelbar bevorsteht – dass jetzt der endgültige Triumph Jesu nicht mehr aufzuhalten ist.

Wenn Jesus sagt: „Die Zeit ist gekommen, dass des Menschensohn verherrlicht werde“ könnte das für Zuhörer unserer Zeit etwa so klingen:
„OK. Ihr habt Recht. Das ist das richtige Timing, hier seht ihr den ultimativen Superstar.
Ihr werdet ein einmaliges Event von universaler Bedeutung erleben!“

Der Enthusiasmus bei den Juden und Griechen gleicht der Massenhysterie unserer Tage bei einem Popevent. Die Begeisterung für Jesus und die Erwartungen an ihn sind unbeschreiblich, dramatischer kann es gar nicht zugehen. Und in diesem Augenblick kommt der Schock, denn Jesus sagt:

„Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Wenn das Weizenkorn nicht in die Erde fällt und erstirbt, bleibt es allein, wenn es aber erstirbt, bringt es viel Frucht.“

Wir müssen uns diesen Schock der Zuhörer Jesu ganz deutlich vor Augen führen.
Denn Jesus meint mit „Verherrlichung des Menschensohns“ das krasse Gegenteil von dem, was die Zuhörer von ihm erwarten; Jesu Worte rufen äußerste Verblüffung, Verwirrung und Bestürzung hervor. Jesus erklärt nämlich, dass die „Verherrlichung des Menschensohns“ darin besteht, dass er als „Menschensohn“ sterben muss, und das löst Fassungslosigkeit, ja sogar Entsetzen aus.
Jesus zerstört damit die Jahrtausende alten jüdischen Vorstellungen, Träume und Erwartungen von der siegreichen Eroberung des Menschensohns. Jesus vernichtet mit einem Schlag alle Erwartungen seiner begeisterten Zuhörerschaft, denn Jesus spricht nicht von Kriegstriumph, sondern von Tod, von seinem Tod!

'Wheatberries', 2009, zandland

Aber nicht nur die Menschen, die damals Jesus zuhörten, sind verstört und fassungslos.
Auch wir heute müssten eigentlich verwirrt reagieren, wenn wir mehr hören als alt vertraute Worte.
Wenn Jesus sagt „Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Wenn das Weizenkorn nicht in die Erde fällt und erstirbt, bleibt es allein; wenn es aber erstirbt, bringt es viel Frucht.“,
dann geht es nicht darum, dass Jesus uns ein schönes Bild von der Natur malen will.
So hoffnungsvoll und faszinierend ein solches Bild auch ist - besonders nach einem so harten Winter, wie wir ihn diesmal erlebt haben. Hier geht es nicht um Neuwerdung der Natur, sondern hier geht es um den Tod Jesu!

Jesus konfrontiert uns mit diesem Gleichnis von der Gewissheit und der Notwendigkeit seines Todes: er, der „Menschensohn“, der Sohn Gottes wird und muss sterben!
Eine Aussage, die fromme Juden bis heute nicht akzeptieren können. Meine Wirklichkeit als „Menschensohn“, erklärt Jesus, wird erst in meinem Tod sichtbar.
D.h. alles, was Jesus auf Erden gelehrt hat, was er Gutes und im wahrsten Sinn des Wortes Wunderbares getan hat, alles ist auf Jesu Tod bezogen. Jesu Leben und Handeln wären ohne seinen Tod leer und sinnlos.
Aber: So wie Jesu Leben und Wirken ohne seinen Tod sinnlos wären, so wäre auch Jesu Tod ohne seine Auferstehung nicht denkbar: „...wenn das Weizenkorn erstirbt, bringt es viel Frucht. Hinter Jesu Kreuz scheint seine Auferstehung.
Die Tatsache des Leidens und Sterbens Jesu für uns und die Gewissheit der Auferstehung Jesu, unser Glauben an die ewige Lebendigkeit Jesu, das ist der Hintergrund des Sonntags Laetare „FREUE DICH“. Mitten in der Passionszeit dürfen wir uns also heute freuen.
Wir dürfen uns freuen, weil Jesus lebt, obwohl er sterben musste.
Wir dürfen uns freuen, weil auch wir zur Lebendigkeit berufen sind.

Die Worte, mit denen uns Jesus zu dieser Lebendigkeit aufruft, scheinen auf den ersten Blick allerdings ein Widerspruch zu dieser Lebendigkeit zu sein, sie wirken unerbittlich und hart: Wer sein Leben lieb hat, der wird's verlieren; und wer sein Leben auf dieser Welt hasst, der wird's erhalten zum ewigen Leben.

Passen diese befremdlichen Worte überhaupt in unsere moderne Welt?
Vom Beginn bis zum Ende unseres Lebens werden wir beraten, wie wir das Leben am besten gestalten sollten.
Schon Kindern und Jugendlichen wird geraten, wie sie ihr Leben zu „lieben“ haben:
„Nehmt euer Leben in die Hand! Schaut euch die Stars an, strebt nach Erfolg, dann lebt ihr richtig!“
Es gibt zahllose Ratschläge und Rezepte für das Leben, die sich gegenseitig überbieten: philosophische und praktische, religiöse und pseudoreligiöse, medizinische, esoterische.
Alle haben dasselbe Grundprinzip, nämlich die allgegenwärtige hochmoderne WELLNESS.
Und dagegen steht Jesus mit einer Krassheit und Radikalität ohne gleichen!
Jesus bietet kein Wellness-Programm für Lebensgestaltung an, Jesus wirft alle unsere Konzepte für Lebensentwürfe über den Haufen, wenn er sagt:
Nur dann erhaltet ihr euer Leben, wenn ihr es verliert.

Diese radikale Aussage würden wir lieber nur auf die außergewöhnlichen Nachfolger Jesu beschränken wie Missionare, Ordensleute, Märtyrer. Menschen also, die bewusst ihr Leben in den Dienst Gottes stellen, die auf persönlichen Besitz und Bequemlichkeit verzichten. Menschen, die kompromisslos alles für Gott riskieren. Menschen, die irgendwie nicht von dieser Welt zu sein scheinen.

„Wer sein Leben lieb hat, der wird's verlieren; und wer sein Leben auf dieser Welt hasst, der wird's erhalten zum ewigen Leben.“
Gilt das wirklich für alle Menschen? Meint Jesus damit tatsächlich auch Sie und mich, uns Durchschnittsmenschen, die wir hier zusammengekommen sind?

Mit „sein Leben lieben“ meint Jesus das, was wir alle am liebsten tun, was uns am leichtesten fällt und was uns tagtäglich angepriesen wird: nämlich sein Leben selbst in die Hand nehmen, eigene Lebensregeln und Lebensziele setzen, sein Leben in die eigene Regie nehmen.
Dagegen betont Jesus mehrmals, nicht nur in unserem Predigttext, dass alle diese individuellen Lebensentwürfe, alle Versuche, sein Leben selbst zu bestimmen und alleine zu gestalten, alles Streben nach persönlichem Erfolg und Sicherheit letztendlich keine Garantie für ein wirklich erfülltes Leben sind.
Mit „sein Leben lieben“ meint Jesus, OHNE Gott zu leben, im wahrsten Sinn gott—los.
„Sein Leben hassen“ heißt, sich die Regie seines Lebens von Gott aus der Hand nehmen zu lassen, das aus der Hand zu geben, was uns an einem Leben mit Gott hindert.
Wenn wir unser Leben, unsere Zeit, unsern Verstand, unsere Talente, unsere Kreativität nicht zu unserem eigenen Vorteil, sondern für Gott einsetzen, dann erst werden wir wirklich lebendig.
Wenn wir nur um uns selbst kreisen, wenn nur unsere eigenen Maßstäbe gelten, wenn wir so leben, wie wir es wollen, dann sind wir eigentlich tot.

Wirkliches, echtes Leben, so sagt Jesus, ist nur in der Nachfolge möglich;
„Wer mir dienen will, der folge mir nach; und wo ich bin, da soll mein Diener auch sein. Und wer mir dienen wird, den wird mein Vater ehren.“

„Nachfolge“ ist für Jesu Zuhörer sicher zunächst buchstäblich gemeint: ihm hinterher laufen, mit ihm gehen.
Das können wir heute nicht mehr, denn wir sehen Jesus nicht mehr leibhaftig vor uns.
Wenn wir heute „Nachfolger“ Jesu sein wollen, reicht ein unverbindliches Anschauen nicht aus, nach dem Motto „Schauen wir mal, was uns Jesus zu bieten hat.“
Auch ein Mitläufer zu sein, genügt nicht, nach dem Motto „Für eine Weile kann ich Jesu Lehre ja mal ausprobieren.“
Ja sogar in Jesus ein verehrungswürdiges Vorbild zu sehen, ist zu wenig.
Nachfolge bedeutet für uns heute, egal wie alt wir sind, uns täglich an der Botschaft Jesus zu orientieren und nach ihr zu leben – ob wir Konfirmanden sind oder alte treue Kirchgänger.
Nachfolge beinhaltet das Risiko, sein Leben dem lebendigen Jesus anzuvertrauen.
Nachfolge kann auch Verzichten oder Loslassen von Liebgewordenem bedeuten - so wie das Weizenkorn, das gesät wird, erst einmal sterben muss, bevor der Weizen wächst.

Damit dieses Symbol vom Weizenkorn für Sie nicht nur ein schönes Gleichnis bleibt, sondern buchstäblich sichtbar wird, erhalten Sie heute am Ausgang einen Umschlag mit Weizenkörnern.
Wenn Sie diese Weizenkörner heute am Sonntag Laetare in die Erde säen, werden Sie spätestens an Ostern das Wunder sehen, wie aus scheinbar toten Samen etwas Lebendiges entsteht.

Und möge der allmächtige Gott, der dieses Wunder bewirkt, ebenfalls bewirken, dass auch wir wirklich lebendig werden - wie diese Weizenkörner.

UND DER FRIEDE GOTTES, DER HÖHER IST ALS ALL UNSERE VORSTELLUNGEN UND UNSERE VERNUNFT, BEWAHRE UNSER DENKEN UND HANDELN DURCH UNSERN HERRN JESUS CHRISTUS! A M E N!

Die Photographie 'Wheatberries', 2009, zandland, ist lizernsiert unter der Creative Commons Attribution-Share Alike 3.0 Unported license.

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