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Predigten von Prädikantin Ursula Schmidt: Johannes 6, 47 – 61

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Predigt: Laetare: Johannes 6, 47 – 61

Gehalten von Prädikantin Ursula Schmidt am 18.März 2007

'Christ feeding the multitude'

'Christ feeding the multitude'

Liebe Gemeinde,

als ich jünger war, fand ich es seltsam, dass dieser Passionssonntag "LAETARE – Freue dich!" heißt.
Ist das nicht irgendwie unpassend, einen Sonntag so zu nennen - mitten in der Passionszeit, die doch eigentlich eine stille Zeit ist oder zumindest eine stille Zeit sein sollte?
Eine Zeit, in der sich sogar viele Menschen Verzichts- oder Fastenaktionen anschließen? Darf man sich da freuen?
Dass der Name LAETARE in der Geschichte der Kirche eine lange Tradition hat, dass man an diesem Sonntag sogar im Hinblick auf die Ereignisse an Palmsonntag und bei der Auferstehung Christi von einem „kleinen Osterfest“ spricht, dass die katholische Kirche heute die Passions-paramente violett auf rosa umstellt, beantwortet das schon die Frage?

Wenn wir den Predigttext, der für heute vorgeschrieben ist, betrachten, kommen wir der Ursache von LAETARE näher :

In Johannes 6, 47 – 61 heißt es:
Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Wer glaubt, der hat das ewige Leben.
Ich bin das Brot des Lebens.
Eure Väter haben in der Wüste das Manna gegessen und sind gestorben.
Dies ist das Brot, das vom Himmel kommt, damit, wer davon isst, nicht sterbe.
Ich bin das lebendige Brot, das vom Himmel gekommen ist.
Wer von diesem Brot isst, der wird leben in Ewigkeit.
Und dieses Brot ist mein Fleisch, das ich geben werde für das Leben der Welt.

Jesu Aussage und Anspruch "ICH BIN DAS BROT DES LEBENS" gehört zu den sieben "ICH BIN-Worten", die im Johannesevangelium stehen: Sie kennen und lieben sie alle:

ICH BIN DAS BROT DES LEBENS
ICH BIN DAS LICHT DER WELT
ICH BIN DIE TÜR
ICH BIN DER GUTE HIRTE
ICH BIN DIE AUFERSTEHUNG UND DAS LEBEN
ICH BIN DER WEG, DIE WAHRHEIT UND DAS LEBEN
ICH BIN DER RECHTE WEINSTOCK

Vordergründig scheint das Jesu Wort "ICH BIN DAS BROT DES LEBENS" das zu sein, was am leichtesten zu verstehen ist, das, was am einleuchtendsten ist, denn gehört nicht das Brot zu den Grundnahrungsmitteln, die wir zum Leben brauchen.

Für die meisten von Ihnen ist Brot sicher noch etwas Besonderes, vielleicht sogar etwas Heiliges. Sie wissen um den Wert des Brotes. Sie würden Brot nicht einfach wegwerfen, ja, es tut Ihnen weh, wenn jemand Brot missachtet und es wegwirft. Sie haben Zeiten erlebt, als Brot knapp wurde, als Brot rationiert wurde, als Brot nicht mehr zu haben war. Deshalb können Sie auch heute Brot nicht einfach zu den Wegwerfartikeln zählen.

Jüngere Generationen in unserem Land haben diese Erfahrungen des Hungerns in der Kriegs- und Nachkriegszeit nicht gemacht.

Obwohl heute auch in Deutschland die Armut in erschreckendem Maße zunimmt, gibt es in unserem Land im Vergleich zu anderen Ländern verhältnismäßig wenige Menschen, die drastisch an Hunger LEIDEN.

Bei uns gibt es heute Brot, das nur schmeckt, wenn es frisch ist, so als programmiere man es zum Wegwerfen.
Es gibt Brot, das man mit dem Kalorienzähler einkauft, weil Brot ja dick machen könnte.
Es gibt ausgefallene Spezialbrote, die in Bäckereien verkauft werden, die sich BrotBOUTIQUE nennen; denn Brot als Grundnahrungsmittel scheint für den Feinschmecker zu simpel und primitiv.
Deutschland rühmt sich, das Land zu sein, das die meisten Brotsorten produziert, - und unrühmlicherweise gehört Deutschland aber auch zu den Ländern, wo das meiste Brot weggeworfen wird.

Vor einigen Jahren hat ein englischer Journalist einen aufschlussreichen Test gemacht.
Er kaufte ein Dreipfundbrot und stellte sich damit in verschiedenen Städten dieser Welt an verkehrsreiche Plätze.
Er hielt das Brot hoch und forderte die Passanten auf, für dieses Brot eine Stunde lang zu arbeiten.
Und was geschah?
In Hamburg wurde er ausgelacht,
in New York wurde er sogar von der Polizei festgenommen.
In Nigeria waren etliche Personen bereit, für dieses Brot entsprechend zu arbeiten.
In New Delhi umringen ihn sofort viele Menschen, die alle für diese Brot mehrere Stunden arbeiten wollten.

Diese wahre Begebenheit zeigt, welchen StellenWERT Brot heute hat.

In dem Predigttext, der uns für den heutigen Sonntag LAETARE vorgeschrieben ist, bezeichnet sich Jesus selbst als BROT DES LEBENS.
Das Johannesevangelium berichtet, wie Jesus kurz vorher 5000 Menschen gespeist hat. Dieses Wunder hat die Menschen so begeistert, dass sie Jesus hinterherlaufen und ihn suchen. Sie sehen in ihm einen faszinierenden und magischen Wundertäter, der sie satt gemacht hat, sie wollen von ihm noch mehr Wunder. Viele kennen ihn als Jesus von Nazareth, aber sie sehen Jesus nicht als Sohn Gottes, der mit diesem Wunder ein Zeichen setzen wollte.

Wenn Jesus "ICH BIN" sagt, übernimmt er damit den Namen, mit dem Gott sich selbst offenbarte.
In der Geschichte Israels erschien Gott z.B. dem Mose in einem brennenden Dornbusch und offenbarte sich ihm aus dem Feuer heraus mit den Worten "ICH BIN".
Nur Gott durfte kategorisch sagen "ICH BIN".
"ICH BIN" steht aber auch für einen Gott der Heilsgeschichte mit uns.
"ICH BIN“ steht für einen Gott, der die Kluft zwischen ihm und uns überbrückt, indem er uns in Jesus aufsucht.
Dass Jesus die göttliche Selbstbezeichnung für sich übernimmt, ist nicht nur für seine Zeitgenossen, sondern für alle, die mit ihm zu tun haben - damals wie heute - ein unerhörter Anspruch.
Für die frommen Juden war und ist das "ICH BIN" Jesu eine Gotteslästerung.
Uns heute sollte das "ICH BIN" Jesu eigentlich davon abhalten, Jesus definieren zu wollen, als sei er nur ein weiser Lehrer, ein Prediger von neuen Wertvorstellungen, ein von Gott inspirierter Mensch gewesen. All unsere Deutungsversuche und Auslegungen können Jesus als Sohn Gottes nicht fassen. Jesus lässt sich nicht von uns vereinnahmen, auch nicht theologisch.

In unsrem Predigttext sagt Jesus, dass es LEBENSNOTWENIG ist, ihn als den „ICH BIN“ anzuerkennen: Er IST das Brot des Lebens.

Bei der Speisung der 5000 sieht Jesus die natürliche Notlage der Menschen: sie sind hungrig, aber er sieht noch mehr als ihren Hunger.
Jesus lehrt, dass der Hunger der Menschen nicht nur eine rein körperliche Erscheinung ist, die mit Brot gestillt werden kann. Er erinnert an die Vorfahren der Israeliten, die mit Mose in der Wüste hungerten. Das Volk Israel war hungrig und wurde durch das Manna satt, das vom Himmel fiel, - aber es starb.
Jesus weiß, dass Hunger etwas ist, das die GANZE EXISTENZ des Menschen erfasst.
Hunger ist ein etwas, das über das rein Leibliche hinausgeht.

Kennen wir nicht alle solche Hungergefühle, die über das rein Körperliche hinausgehen?
Einen Hunger nach Dingen, der nicht mit Nahrungsaufnahme gesättigt werden kann.
Jeder Mensch hat nicht nur körperlichen, sondern geistigen Hunger – jeder auf eine andere ganz persönliche Art.
Denken wir nur an die Begriffe "Lebenshunger" oder "Machthunger". Diese Art Hunger geht über das körperliche Hungrig Sein hinaus, sie ist eigentlich weniger Hunger als Gier.
Von einer anderen Art Hunger aber sind wir alle mehr oder weniger betroffen, dem Hunger nach Liebe.

Vor einigen Monaten traf ich einen Bettler mit einem Schild, auf dem gut sichtbar stand „Ich habe Hunger!“
Sicher sind Sie alle schon solchen Menschen begegnet.
Der Mann saß aber nicht auf der Straße, wo ich so tun konnte, als hätte ich ihn nicht gesehen, dieser Mann saß direkt neben dem Eingang eines Supermarktes, in dem ich einkaufen wollte. Ich musste also direkt an ihm vorbei.
Als ich ihn fragte, ob ich ihm etwas zu essen mitbringen könnte, gab er eine überraschende Antwort, über die ich später lange nachdenken musste.
Der Mann mit dem Schild "Ich habe Hunger" sagte nämlich: "Ja, Schoko-Croissants!"
Ich war so verblüfft, dass ich ihm ohne Erwiderung die Croissants kaufte.
Zu allererst hielt ich den Bettler für unverschämt, denn jemand, der Croissants statt Brot wollte, konnte ja gar nicht wirklich hungrig sein.
Aber war mein Urteil richtig - oder war es eine leichtfertige Verurteilung?
Hatte der Mann nicht vielleicht eine Art Hunger verspürt, die über seinen körperlichen Hunger hinausging? War er vielleicht nach etwas anderem hungrig?
Und bin ich ihm nicht etwas schuldig geblieben, obwohl ich ihm seinen "Hunger" mit Schoko-Croissants gestillt hatte?

Weizenähren bei einem Kindergottesdienst im Kirchsaal Süd, März 2009, PSch

Wenn Jesus Christus von "Speise", von "Brot" redet, weist er auf eine neue Sicht von "Hunger", er eröffnet er uns neue Perspektiven.
Er weiß, dass wir Menschen mehr brauchen als tägliche Nahrung.
Wenn Jesus sagt "ICH BIN das Brot des Lebens" weist er uns über unsere täglichen Bedürfnisse des Essens hinaus, er richtet unseren Hunger auf das eigentliches Fundament und Ziel unseres Lebens hin:
Brot allein macht uns nicht satt, wir leben nicht vom Brot allein.
Unser Leben hat nur dann einen Sinn, wenn wir ein neues Verhältnis zu Gott haben. Erst dann leben wir wirklich, erst dann werden wir auch lebendig für andere.
Und was uns lebendig macht, ist das Leben und Sterben Jesu Christi für uns. In ihm wird uns das Brot geschenkt, das uns wahrhaft lebendig macht:
"WER VON DIESEM BROT ISST, DER WIRD LEBEN IN EWIGKEIT.
UND DIESES BROT IST MEIN FLEISCH, DAS ICH GEBEN WERDE
FÜR DAS LEBEN DER WELT."

In dem Johannesevangelium fehlen im Unterschied zu den anderen Evangelien die Einsetzungsworte, die Jesus beim letzten Mahl mit seinen Jüngern gesprochen hat, aber der Bezug zum Abendmahl ist hier unüberhörbar, die Einsetzungsworte klingen deutlich an:
Jesus IST das lebendige Brot der Welt, er hat nicht nur für mich, sondern für alle, die sich ihm öffnen, den Tod erlitten.
Wenn wir heute das Abendmahl feiern, wird uns dies besonders anschaulich: wir dürfen schon hier und jetzt und mit allen, die uns im Glauben vorausgegangen sind, einen Vorgeschmack des ewigen Lebens erleben.
Mit seinem Tod sprengt Jesus die Barrikaden, mit denen der Weg von der Erde zum Himmel versperrt war.
Er verheißt uns, dass unser Leben nicht mit dem Tod endet, sondern dass wir für die Ewigkeit vorgesehen sind, wenn wir an IHN als den Messias glauben.

Diese Verheißung richtet unser Leben und unser Sterben aus zum LEBENDIG WERDEN.
Der Glaube an Christus als Brot des Lebens macht uns erst wahrhaft lebendig in unserem persönlichen Leben, in unserem Handeln und in unserem Sterben.
Diese Verheißung will uns vor allem auch dann trösten, wenn der Tod schmerzliche Lücken in unsere Gemeinschaft reißt - wie Sie es besonders oft schmerzhaft in der Diakonissen- gemeinde erfahren.
Wie könnten wir den Verlust eines Menschen durch den Tod aushalten OHNE die gläubige Zuversicht auf das ewige Leben?
Wie könnten Sie und ich weiterleben OHNE diese Gewissheit der Ewigkeit?

Diesen Glauben an das EWIGE LEBEN durch Christus als BROT des Lebens können wir nicht verdienen durch unser Verhalten oder unser Bemühen, solchen Glauben können wir nur geschenkt bekommen.
Gott will uns zu sich ziehen, indem er seinen Sohn als BROT DES LEBENS in die Welt geschickt und ihn für uns geopfert hat. Damit hat er sich in Ewigkeit mit uns verbunden.

Das ist nicht nur Grund zur Dankbarkeit, das ist Grund zur FREUDE!
Und diese Freude ist grenzenlos, sie ist keine bloße Festtagsfreude, die sich auf die hohen kirchlichen Feste wie Ostern, Pfingsten und das Christfest beschränkt.
Auch und gerade an LAETARE - mitten in der Passionszeit - dürfen wir uns FREUEN.
Dass Gott uns den Glauben an ihn schenken will.
Wir dürfen uns heute, an "Kleinostern", FREUEN über die Gewissheit, dass Jesus Christus der Messias ist, dass Jesus Christus das BROT der Welt und das BROT unseres Lebens ist.
Wir dürfen uns freuen, dass dieses Brot uns in Wort und Sakrament wahrhaft sättigen will.

Wir dürfen uns FREUEN, dass er für uns gestorben ist, damit wir leben können – Hier auf Erden und in Ewigkeit.

AMEN !

Und der Friede Gottes, der alle Dimensionen unseres Denkens übersteigt, mache unsere Herzen und Sinne in Jesus Christus lebendig. Hier und in Ewigkeit.

Das Kunstwerk 'Alte Frau beim Gebet' Rijksmuseum, Amsterdam, ca. 1655, ist im public domain, weil sein copyright abgelaufen ist.
Die Photographie des Brotleibs ist unter Creative Commons Attribution 2.0 License lizensiert.

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