Archiv der Evangelisch-lutherische Dreikönigsgemeinde, Frankfurt am Main - Sachsenhausen
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Predigten von Pfarrer Thomas Sinning: Drittletzter Sonntag nach Trinitatis: Hiob 14, 1-6 am 11.11.2012

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'Purple Wither', 2008, Sillyputtyenemies

Drittletzter Sonntag nach Trinitatis

"Hör doch auf, Gott" Hiob 14, 1-6

Predigt gehalten von Pfarrer Thomas Sinning am 11. November 2012 in der Dreikönigskirche

Der Mensch, vom Weibe geboren, lebt kurze Zeit und ist voll Unruhe, geht auf wie eine Blume und fällt ab, flieht wie ein Schatten und bleibt nicht. Doch du tust deine Augen über einen solchen auf, dass du mich vor dir ins Gericht ziehst. Kann wohl ein Reiner kommen von Unreinen? Auch nicht einer! Sind seine Tage bestimmt, steht die Zahl seiner Monde bei dir und hast du ein Ziel gesetzt, das er nicht überschreiten kann: so blicke doch weg von ihm, damit er Ruhe hat, bis sein Tag kommt, auf den er sich wie ein Tagelöhner freut. Hiob 14, 1-6

Liebe Gemeinde!

„Ach wie flüchtig, ach wie nichtig ist der Menschen Leben, wie sich eine Kugel drehet, die bald da, bald dorten stehet, so ist unser Glücke, sehet!“ EG 528,5

Dieser Liedvers von Michael Franck drückt aus, was einem in diesen Herbsttagen öfter in den Sinn kommt. Das Leben ist wie ein Windhauch. So hat es auch schon der alte weise Prediger in der Bibel ausgedrückt. Das Glück des Lebens ist begrenzt. Es geht vorbei, wie können es nicht festhalten. Wie eine Blume, die aufblüht und schon kurz darauf wieder verwelkt. Eben habe wir noch in fröhlicher Runde auf der Sonnenterasse gesessen, und schon umweht uns der kalte Windhauch des November. Es fehlt ein Mensch, der doch immer da war.

'People Shadow', 2003, Purityofspirit

Wo ist die Zeit geblieben? Das Leben verändert sich so schnell, die glücklichen Momente kann ich nicht festhalten. Das sind Gedanken und Gefühle, die ich gerne verdränge, und die dennoch – ob ich will oder nicht –Teil meines Lebens sind.

„Siehe, meine Tage sind ein Handbreit bei dir, und mein Leben ist wie nichts vor dir. Wie gar nichts sind alle Menschen, die doch so sicher leben. Sie gehen daher wie ein Schatten und machen sich viel vergebliche Unruhe.“

So haben wir mit dem 39. Psalm gebetet.

So ist das. Ob ich will oder nicht. Und genau das ist es, was Hiob Gott vorhält. Hiob hat diese Erfahrung in besonders bitterer Weise machen müssen. Er war ein glücklicher Mensch gewesen, wohlhabend und mit einer großen und glücklichen Familie gesegnet. Alles das wurde ihm genommen. Alles hat er verloren. Und selbst in seinem Unglück noch erfährt er Kritik und Ablehnung von seiner Frau, die ihm rät, sich von Gott abzuwenden, und seinen Freunden, die ihm vorwerfen, er müsse doch irgendwie mit Schuld an seinem Unglück sein.

Aber diese Versuche, Hiobs Leiden mit eigener Schuld zu erklären, gehen ins Leere. Hiob wehrt sich dagegen. Denn mit dem Leben ist es untrennbar verbunden, dass man auch schuldig wird. Da kommt kein Mensch drum herum. Menschen geben zu wenig an Liebe. Sie geben zu viel an Liebe. Sie werden schuldig an ihren Kindern, an ihren Eltern, an ihren Mitmenschen, weil sie das rechte Maß nicht finden. Menschen werden schuldig, da ist keiner ausgenommen. Hiob sagt: „Kann wohl ein Reiner kommen von den Unreinen?“ Die Antwort lautet: „Nein!“ Mit Schuld lässt sich das Leiden der Menschen nicht erklären. Es lässt sich überhaupt nicht erklären. Es ist sinnlos, im Leiden einen Sinn zu suchen.

Wer einmal am Sterbebett eines Kranken gestanden hat, kennt solches Leid. Der kann vielleicht nachempfinden, wie wütend Hiob ist. Der kennt die Gedanken, mit denen man Gott anklagen möchte. „Du tust deine Augen über einen solchen vergänglichen Menschen auf, dass du mich vor dir ins Gericht ziehst.“ Womit habe ich das verdient? Lass mich doch endlich in Ruhe!

'Book of Job', 1984, Jim Padgett

Hiob hat das satt. „Hör doch auf, Gott! Schau woanders hin! Nimm mich aus deinem Blick! Lass mich in Ruhe!“ Hiob möchte loskommen von den großen Lebensfragen, die ihn umtreiben und in Unruhe versetzen. Er möchte heraus aus dem unablässigen Karussell von grübelnden Gedanken und Fragen die doch keine Antwort finden. Er will zur Ruhe finden in seinem Leben. Nicht immer neu in Fragen nach Fehlern in der Vergangenheit und in Gewissensentscheidungen sich zerreiben. „Blicke doch weg von mir, damit ich Ruhe habe,“ so betet er.

Hiob hadert mit seinem Gott. Und niemand kann es ihm verdenken. Aber er sagt sich nicht los von ihm. Er bleibt vor Gott. Er läuft nicht davon. Er wendet sich nicht ab von ihm. Denn er hält fest an seiner Ahnung, dass Gott am Ende doch ein gerechter Gott ist. Eine Gerechtigkeit, die er ganz und gar nicht mehr erkennen kann. Die ihm ganz und gar verdunkelt ist. Aber er hält fest an der Erinnerung, dass es am Ende eine Ruhe geben kann, die Gott ihm schenken kann, einen Ruhetag wie am Ende der Schöpfungsgeschichte. Einen Schabat, an dem alles Leid und aller Schmerz Vergangenheit ist. Ich möchte ihn gerne erinnern an Worte wie die aus dem 27. Psalm, wo ein Mensch betet: „Ich glaube aber doch, dass ich sehen werde die Güte des HERRN im Lande der Lebendigen,“ (Psalm 27,13) und ihm Mut machen, an dem Vertrauen zu Gott fest zu halten.

Hiob weiß noch nicht, dass Gott ihm am Ende antworten wird. Er hat noch nicht verstanden, dass Gott größer ist als alle seine Gefühle und Gedanken und Fragen. Er ist noch ganz und gar mit seiner eigenen Situation beschäftigt und von seinen Verletzungen bestimmt. Er sehnt sich nur nach Ruhe. Und für ihn wird der Gedanke an den Tod zu einem erlösenden Gedanken, und die Begrenztheit seines Lebens versteht er als Erleichterung. Er freut sich auf den Tag seines Endes „wie ein Tagelöhner““, der sich auf das Ende seiner Plage freut.

Ich kann Hiob verstehen. Hiob drückt aus, wie es Menschen geht, die sich von Gott ganz und gar verlassen fühlen, die keine Gerechtigkeit und keinen Sinn in ihrem Schicksal erkennen können. Ich kann Hiob verstehen.

Und doch bin ich froh, dass ich in der Bibel nicht nur Hiobs Worte finde, sondern auch die Worte Jesu: „Selig sind, die da Leid tragen, denn sie sollen getröstet werden.“ (Matth. 5, 4). Ich bin froh, dass ich von Jesus weiß, dass ihm die Situation Hiobs nicht fremd geblieben ist, als er am Kreuz rief: „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen.“ (Mk. 15,34)

'Matt 25, Taten der Barmherzigkeit: Kranke besuchen', 1984, Jim Padgett

Ich bin froh, dass uns in Jesus Gott begegnet als der, der sich mit ans Krankenbett stellt. Als der, der die Ohnmacht der Familienangehörigen aushält, Als der, der sich zu dem setzt, der alles verloren hat. Als der, der Einsamen und Verlassenen seine Nähe schenkt. Jesus ist da, wo Menschen leiden wie Hiob. Er ist da, wo einer traurig am Grab eines lieben Menschen steht. Er ist da, wo alle Lebensperspektiven verstellt scheinen und kein Ausweg mehr sichtbar ist. Er bleibt auch da, wo ich zornig werde auf Gott, weil ich nicht verstehen kann, was mir in meinem Leben zugemutet wird. Jesus bleibt da und zeigt mir Gottes verlässliche Zuwendung: „Der HERR lasse sein Angesicht leuchten über dir und gebe dir Frieden.“

Darum kann es im Hebräerbrief heißen: „Es ist also noch eine Ruhe vorhanden für das Volk Gottes.“ (Hebr. 4,9) Jesus hat mit seinem Kreuz und mit seiner Auferstehung der ersehnten Ruhe einen neuen Namen gegeben. Es ist nicht mehr die Grabesruhe, sondern es ist neues Leben. Und die Freude des Tagelöhners, der sich auf das Ende seiner Plage freut, darf sich hier verwandeln in die Freude eines Kindes, das nach einem Krankenhausaufenthalt endlich wieder nach Hause kommen kann.

Damit werden Gefühle der Traurigkeit und Bedrückung nicht weggenommen. Die Vergänglichkeit bleibt Teil unseres Lebens. Aber der Blick darf sich weiten. Ich darf sehen, dass Gottes Gedanken weiter reichen als meine, dass er „Gedanken des Friedens und nicht des Leides“ hat, (Jer. 29,11), und dass ich allen Grund habe, mit Hiob zu bekennen: „Ich weiß, dass mein Erlöser lebt.“ (Hiob19,25)

Amen.

Die Photographie 'Purple Wither', 2008, Sillyputtyenemies, ist lizensiert unter der Creative Commons Attribution-Share Alike 3.0 Unported license. Die Photographie 'People Shadow', 2003, Purityofspirit, wurde durch den Autor, Purityofspirit auf wikipedia, in die Gemeinfreiheit übergeben. Dies gilt weltweit.
Die Photographie 'Book of Job', 1984, Jim Padgett, ist lizensiert unter der Creative Commons Attribution-Share Alike 3.0 Unported license.
Die Glasfenster auf dieser Seite gehören zu dem „beweglichen Kunstgut in gesamtkirchlichen Gebäuden der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau“
Titel: „Kranke heilen“
Entwurf: Helmuth Uhrig 1969/79
Hergestellt von Hans Bernhard, Ravensburg
Standort: Martin-Niemöller-Haus, Schmitten, Kappellengang
Herzlichen Dank an die Verwaltung des Martin-Niemöller-Hauses für die Erlaubnis, diese Glasfensterbilder auf unserer Website zu zeigen.

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