Archiv der Evangelisch-lutherische Dreikönigsgemeinde, Frankfurt am Main - Sachsenhausen
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Predigten von Pfarrer Thomas Sinning: 1. Joh. 4, 16b - 21 Gottes Liebe ist nicht wählerisch

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'Sperindio Cagnola, Works of Mercy (Give drink to the thirsty)', fresco, 1514 -24, Paruzzaro, San Marcello Church

1. Sonntag nach Trintiatis

Gottes Liebe ist nicht wählerisch 1. Joh. 4, 16b - 21

Predigt gehalten von Pfarrer Thomas Sinning am 6.6.2010

Und wir haben erkannt und geglaubt die Liebe, die Gott zu uns hat. Gott ist die Liebe; und wer in der Liebe bleibt, der bleibt in Gott und Gott in ihm. Darin ist die Liebe bei uns vollkommen, dass wir Zuversicht haben am Tag des Gerichts; denn wie er ist, so sind auch wir in dieser Welt. Furcht ist nicht in der Liebe, sondern die vollkommene Liebe treibt die Furcht aus; denn die Furcht rechnet mit Strafe. Wer sich aber fürchtet, der ist nicht vollkommen in der Liebe.
Lasst uns lieben, denn er hat uns zuerst geliebt. Wenn jemand spricht: Ich liebe Gott, und hasst seinen Bruder, der ist ein Lügner. Denn wer seinen Bruder nicht liebt, den er sieht, der kann nicht Gott lieben, den er nicht sieht? Und dies Gebot haben wir von ihm, dass, wer Gott liebt, dass der auch seinen Bruder liebe. Johannes 4, 16b – 21

Liebe Gemeinde!

Von einem Rabbi wird folgende Begebenheit erzählt: Der Rabbi gab einmal einem übel berüchtigten Menschen sein letztes Geld hin. Seine Schüler warfen es ihm vor. Daraufhin sagte der Rabbi: „Soll ich wählerischer sein als Gott, der es mir gegeben hat?“

Gott ist die Liebe. Er ist die Liebe, und deshalb ist er nicht wählerisch. Er liebt jeden Menschen, wie er jedes seiner Geschöpfe liebt. Keiner ist davon ausgenommen. Das unterscheidet Gott von uns Menschen. Denn wir sind wählerisch. Wir lieben die, die wir schön und sympathisch finden. Die, die uns nahe stehen. Oder die, die Mitleid in uns erregen. Aber die Unsympathischen, die Hochnäsigen, die Gemeinen und die Übeltäter, die die mir etwas angetan haben oder die, die einfach nicht mein Typ sind, die kann ich doch nicht lieben? Oder etwa doch? Wie soll das denn gehen?

Gottes Liebe ist offenbar größer und weiter als unsere menschliche Liebe. Wir überlegen genau, wem wir mit Liebe begegnen, weil wir Angst haben, enttäuscht zu werden, oder weil wir die Energie, die wir in eine Beziehung investieren, genau berechnen und nicht umsonst aufwenden wollen. Gott dagegen liebt nicht nur diesen oder jenen, und die anderen mag er weniger oder gar nicht – nein! - sondern, so heißt es hier, er ist in seinem tiefsten inneren Wesen Liebe. Wenn es um Liebe geht, dann ist Gott nicht wählerisch. Gott liebt jeden Menschen.

Wie aber können wir so lieben, wie Gott es von uns erwartet? „Lasst uns lieben, denn er hat uns zuerst geliebt,“ sagt der Apostel. Dieser Satz ist entscheidend. Denn es heißt hier: „Er hat uns zuerst geliebt.“ Wer selber Liebe erfahren hat, der ist auch fähig zu lieben. Das fängt schon von klein auf an. Ein kleines Kind lebt ganz und gar davon, dass es von seinen Eltern geliebt wird. Dass es jemanden hat, der es in den Arm nimmt, der er streichelt, der ihm nicht nur zu Essen und zu Trinken gibt, sondern auch Zuwendung, Nähe, Wärme und Geborgenheit. Man hat beobachtet, dass Kinder, die von Pflegerinnen in einem Säuglingsheim korrekt gepflegt und ernährt wurden, aber keine menschliche Zuwendung, keine Ansprache und kaum Hautkontakt bekamen, sich nicht richtig entwickelten, depressive Symptome zeigten und krank wurden, obwohl sie außer Liebe alles hatten. Liebe ist lebensnotwendig, von Anfang an, und nur wer geliebt ist, kann selber lieben.

Es ist auch bekannt, dass Jugendliche, die gewalttätig werden, sehr oft selber Gewalt in der eigenen Familie erlebt haben oder von ihren Eltern kaum Zuwendung bekommen haben. Viele gesellschaftliche Missstände, die uns heute Sorgen bereiten, hängen offenbar auch damit zusammen, dass es Menschen gibt, die zu wenig Liebe erfahren. Gerade deshalb ist das, was unser Predigttext heute sagt, so entscheidend. Ohne Liebe kann das Leben nicht gelingen.

Die frohe Botschaft aber lautet: Liebe ist möglich. „Lasst uns lieben, denn er hat uns zuerst geliebt.“ Jesus ist es, der für beides steht. Er zeigt uns die Liebe Gottes überzeugend, anschaulich und konkret. Und er weist uns den Weg, wie Nächstenliebe gelingen kann.

Das Entscheidende bei Jesus scheint mir zu sein, dass die Liebe bei ihm ungeteilt war. Er liebte Gott und die Menschen. Er wusste sich mit Gott in einer einzigartigen innigen Verbundenheit und setzte seine ganze Energie für ihn ein, bis zu seinem Tod am Kreuz. Und zugleich gab es keinen Menschen, dem er nicht in Liebe begegnete, ob dem reichen jungen Mann, der so sehr an seinem Besitz hing, das er selber zur Liebe nicht mehr fähig war, oder ob dem armen blinden Bettler Bartimäus, ob dem gelehrten Pharisäer oder der stadtbekannten Hure oder den Peinigern, die ihn ans Kreuz schlugen, und für die er noch um Vergebung bat - Liebe zu Gott und Liebe zu allen Menschen war bei Jesus immer eines. Die Liebe, die wir bei Jesus erkennen können ist ganz und gar Liebe, ohne Einschränkungen und Vorbehalte. Keiner ist ausgenommen.

Allen diesen Begegnungen ist eines gemeinsam: Jesus hatte keine Furcht. Er fürchtete nicht, zurückgewiesen oder für verrückt erklärt zu werden, er fürchtete nicht, ausgenutzt oder missverstanden zu werden. Er lebte die Liebe zu den Menschen so eindeutig und konsequent, dass jeder sehen kann: Gott ist Liebe. Und Furcht ist nicht mehr möglich, wenn die Liebe völlig alles bestimmt. Liebe ist stärker als jede Furcht.

'Mosaic Icone with Christ the Merciful (1100-1150)', Museum für Byzantinische Kunst, Bode-Museum, Berlin, Germany, Gunnar Bach Pedersen

So schreibt es auch der Apostel. Weil Jesus uns Gottes Liebe zeigt, darum können auch wir lieben. Wir sollen und wir können Gott lieben von ganzem Herzen, von ganzer Seele und von ganzem Gemüt, und wir sollen und wir können unseren Nächsten lieben wie uns selbst. Wir sollen und wir können es, weil Gott uns zuerst geliebt hat.

Wenn Gott mich liebt, dann brauche ich keine Angst mehr zu haben vor ihm. Dann brauche ich meine Bemühungen um gute Taten nicht von der Angst bestimmt sein lassen, ob Gott mich belohnt oder bestraft oder mit mir zufrieden ist. Wenn er mich liebt, hat jede Angst vor ihm keinen Grund mehr. Wo wirkliche Liebe ist, da hat jegliche Angst keinen Platz mehr.

Das ist auch bei jeder Begegnung mit einem Menschen so. Der Rabbi, von dem ich eingangs erzählte, hatte keine Angst, sein Geld an den Falschen zu geben. Das war vielleicht unklug aus Sicht seiner Schüler. Aber diese Freiheit, spontan etwas für einen anderen zu tun, kann man wohl nur haben, wenn man nicht von der Angst bestimmt ist, etwas falsch zu machen. Wenn man von dem Vertrauen auf Gottes Liebe getragen ist. Wir können ohne Hintergedanken die Liebe weitergeben, die wir von Gott empfangen haben. Wir können liebevolle Handlungen spontan und freiwillig vollbringen, ohne Zwang, ohne Berechnung, ohne eine Gegenleistung zu erwarten. Und wir brauchen uns nicht davor zu fürchten, dass unser Tun missverstanden wird. Denn die Liebe, die Jesus als das höchste Gebot bezeichnet, ist ja nicht von Gefühlen abhängig. Sie ist vielmehr ein konkretes Tun. Sie ist das Notwendige, das getan werden muss, damit einem Menschen geholfen oder Frieden ermöglicht oder Versöhnung vollzogen wird und es in einer Gesellschaft menschlich und menschenwürdig zugeht.

Christen sind daran zu erkennen, dass diese Liebe ihr Leben bestimmt. Das ist nicht neu. Aber es bleibt immer wieder neu eine Herausforderung.

Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. A M E N

Die Ikone 'Mosaic Icone with Christ the Merciful (1100-1150)', Museum für Byzantinische Kunst, Bode-Museum, Berlin, Germany, Gunnar Bach Pedersen, wurde von ihrem Urheber zur uneingeschränkten Nutzung freigegeben. Diese Datei ist damit gemeinfrei („public domain“). Dies gilt weltweit.
Das Mosaik 'Sperindio Cagnola, Works of Mercy (Give drink to the thirsty)', fresco, 1514 -24, Paruzzaro, San Marcello Church, (2009, Laurom), wurde unter der GNU-Lizenz für freie Dokumentation veröffentlicht. Es ist erlaubt, die Datei unter den Bedingungen der GNU-Lizenz für freie Dokumentation, Version 1.2 oder einer späteren Version, veröffentlicht von der Free Software Foundation, zu kopieren, zu verbreiten und/oder zu modifizieren.

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