Archiv der Evangelisch-lutherische Dreikönigsgemeinde, Frankfurt am Main - Sachsenhausen
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Predigten von Pfarrer Thomas Sinning: Johannes 3, 1-8 Jesus und Nikodemus

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Trintiatis

Jesus und Nikodemus Johannes 3, 1-8

Predigt gehalten von Pfarrer Thomas Sinning am 7.6.2009

'Cornfield'

Es war aber ein Mensch unter den Pharisäern mit Namen Nikodemus, einer von den Oberen der Juden. Der kam zu Jesus bei Nacht und sprach zu ihm: Meister, wir wissen, du bist ein Lehrer, von Gott gekommen; denn niemand kann die Zeichen tun, die du tust, es sei denn Gott mit ihm. Jesus antwortete und sprach zu ihm: Wahrlich, wahrlich, ich sage dir: Es sei denn, dass jemand von neuem geboren werde, so kann er das Reich Gottes nicht sehen. Nikodemus spricht zu ihm: Wie kann ein Mensch geboren werden, wenn er alt ist? Kann er denn wieder in seiner Mutter Leib gehen und geboren werden? Jesus antwortete: Wahrlich, wahrlich, ich sage dir: Es sei denn, dass jemand geboren werde aus Wasser und Geist, so kann er nicht in das Reich Gottes kommen. Was vom Fleisch geboren ist, das ist Fleisch; und was vom Geist geboren ist, das ist Geist. Johannes 3, 1-8

Liebe Gemeinde,

Der Theologe und Schriftsteller Christoph Schmid wanderte einmal durch die Felder, auf denen das Getreide reifte. Da begegnete er einem Bauern, der in der glühenden Sonne ohne Hut ging. Auf die Empfehlung des Geistlichen, den Hut doch aufzusetzen, entgegenete der Bauer: „Wenn ich durch meine reifenden Felder gehe, setze ich den Hut nicht auf, weil man Ehrfurcht haben muss vor dem geheimnisvollen Walten und Wirken Gottes, das sich da still vollzieht.“

Das Wachsen des Lebens lässt einen Staunen, wenn man das Staunen noch nicht verlernt hat. Es lässt einen Staunen über Gottes wunderbare Schöpfermacht. Noch mehr ist dies vielleicht spürbar, wenn ein Kind geboren wird. Dann erlebt man: dieses neue Leben ist ein Wunder, ein Wunder das mich ahnen lässt, wie großartig und schön Gottes Schöpfung ist. Man braucht dieses Kind nur anzuschauen, dann spürt man es. Es gehört zu dem allerersten, was in der Bibel gesagt wird, dass diese ganze Schöpfung von Gott ist, und dass sie sehr gut ist. Ja, mehr noch, in dieser Schöpfung Gottes ist Gottes Heiliger Geist am Wirken, und jeder Mensch trägt als Gottes Ebenbild etwas von seinem lebendig machenden Geist, von Gottes Lebensatem in sich.

Es ist gut, wenn wir das Staunen darüber nicht verlernen. Es ist gut, wenn wir die Freude darüber immer wieder spüren, wenn ein Kind geboren ist, wenn die Freude am Leben uns bewegt, wenn wir die köstlichen Gaben genießen und wenn die Schönheit der Schöpfung uns überwältigt. Ja, wir haben allen Grund, Gott zu loben und unsere Freude über dieses Leben in dieser Welt zum Dank an den Schöpfer werden zu lassen.

Ich bin mir sicher, dass auch Jesus die Schöpfung mit Freude erlebt hat; schließlich hat er sich um die leiblichen Bedürfnisse der Menschen gesorgt, hat Menschen gesund gemacht, hat für Brot gesorgt in Zeiten des Mangels und für Wein auf einer Hochzeit, so dass ihn seine Gegner sogar als "Fresser und Weinsäufer" beschimpften. Jesus hat diese Schöpfung geschätzt und mit Dank an den Schöpfer genossen.

Und doch hören wir in diesem Gespräch Jesu mit Nikodemus, dass auch dieses Leben der Erneuerung bedarf. Es geht um ein "Neu geboren Werden". Ist etwa diese Schöpfung nicht gut genug? Sollte sie etwa gering geachtet werden, weil es Höheres gibt? Nein, liebe Gemeinde, das gewiss nicht!

Es ist nicht eine Abwertung dieses Lebens, die Jesus von der "neuen Geburt" sprechen lässt, sondern es ist das Wissen um die Gefährdung und um die Zerbrechlichkeit dieses Lebens, das die Notwendigkeit von Erlösung verstehbar macht. Schon wenn man ein kleines Kind betrachtet, dann ist ja neben der Freude auch Sorge da: Wird es gesund bleiben? Wird es später Menschen haben, die es lieben? Wird es den Verführungen, die das Leben kaputtmachen, etwa durch Drogen, widerstehen können? Wird die Umwelt, in der es aufwächst, noch genügend gesunde Luft und Nahrung bieten? Wird es Arbeit finden? Wird es ein Mensch werden, der auch an andere denkt und für die Not der Mitmenschen ein offenes Ohr hat? Und wird es am Vertrauen festhalten, oder wird es verzweifeln, wenn es an schmerzliche Grenzen stößt und Enttäuschungen erleben muss? ....

Es gibt so vieles, wodurch unser Leben gefährdet ist. Durch die Gewalt und Bosheit und Gleichgültigkeit anderer, aber auch durch mich selber, durch die Abgründe, die sich in mir selber auftun, ist unser menschliches Leben gefährdet. Um es in biblischen Worten zu sagen: Sünde und Tod sind auch Teil unseres Lebens. Und darum gibt es eine tiefe Sehnsucht nach Erlösung. Nach Leben, das gelingt, das sich erfüllt, das so wird, wie Gott es gemeint hat. Erlöstes Leben, das ist mehr als ein bisschen Nettsein und Freundlichkeit und ein bisschen Frieden. Erlösung meint: ein von Grund auf neues Leben.

Die Sehnsucht danach spürt gewiss auch jener jüdische Gelehrte Nikodemus, der eines Nachts zu Jesus kommt und mit ihm spricht. Er hat erkannt, dass Jesus von Gott ist, und er erwartet, dass mit den Taten Jesu schon alles gut ist. Er hat vielleicht gedacht: jetzt kann alles noch ein wenig besser werden, wenn ich mich mal nach Jesus erkundige.

Doch da bekommt er etwas ganz anderes zu hören. Jesus sagt nicht: Gott will, dass ihr ein bisschen netter und freundlicher und friedlicher seid, dass ihr euch ein bisschen mehr Mühe gebt, die Gebote zu halten, dann wird alles gut. Nein! Das sagt Jesus nicht. Sondern er sagt: Wer nicht ganz und gar neu geboren wird, der wird das Reich Gottes nicht sehen. Der wird Erlösung und Frieden nicht finden. Darum geht es: ganz und gar neu werden, nicht bloß ein bisschen.

Mit dem neu Geborenwerden ist das wie mit dem Geborenwerden: ein bisschen schwanger oder ein bisschen geboren werden, das gibt es nicht. Entweder ganz oder gar nicht. So ist Gott eben: wenn er Leben schenkt, dann ganz und gar. Und wenn unser Leben Erlösung finden soll, dann ebenfalls ganz und gar.

'Taufe Christi', 1435 - Masolino da Panicale

Ganz und gar neu werden, das kann allein Gott bewirken. „Durch Wasser und Geist" geschieht das, heißt es hier. Durch Wasser, das meint: mit dem Zeichen der Taufe. Ein Zeichen, dass symbolisch das Sterben und Auferstehen Christi abbildet und damit anschaulich macht, dass es wirklich um neues Leben geht. Das ist uns allen, die wir getauft sind, schon jetzt geschenkt.

Aber dazu gehört auch „der Geist". Der Heilige Geist ist damit gemeint, Gottes Geist, der "lebendig macht", wie es in einem alten Glaubensbekenntnis heißt. Diesen Geist will Gott uns schenken. Er befähigt uns zum Glauben; er befähigt mich zum Vertrauen auf Gott und zum liebevollen Umgang mit meinen Mitmenschen und mit der ganzen gefährdeten Schöpfung. Ein häufig gebrauchtes Bild für Gottes Geist ist der Wind oder der Sturm; in der Schöpfungsgeschichte und in der Pfingstgeschichte und einigen anderen biblischen Erzählungen wird vom Heiligen Geist berichtet, dass er wie ein Wind erscheint. Das hebräische Wort "ruach" meint auch beides: Geist und Wind.

Auch Jesus vergleicht den Geist Gottes mit dem Wind: man hört ihn, man spürt ihn, er ist eine Kraft, die wahrhaftig wirksam ist, aber sehen kann man sie nicht, und woher er kommt und wohin er geht, das bleibt unfassbar. Gottes Geist ist die Kraft, die unser Leben verändern kann, aber er bleibt unverfügbar. Er kommt von Gott, und nicht aus uns selber.

Damit ist es Gottes Geschenk, wenn ein Mensch zum Vertrauen auf Gott findet, und wenn er die Kraft findet, den Geboten Jesu zu folgen, wenn er zur selbstlosen Liebe fähig wird, wenn er sich für Gerechtigkeit in dieser zerrissenen Welt einsetzt und für die Bewahrung dieser gefährdeten Schöpfung Sorge trägt, und wenn er am Ende ein solch starkes Vertrauen zu Gott findet, dass auch Sterben und Tod keine Macht mehr über ihn haben. Es ist Gottes Geschenk, es ist Gottes Geist, der das bewirkt.

Freilich, wir nehmen davon manchmal nur sehr wenig wahr. Es sind besondere, glückliche Momente, wo wir Gottes Geist in uns oder in unserer Kirche spüren. Aber es gibt sie, solche glücklichen Momente. Und sie geben der Hoffnung immer wieder Nahrung, die Hoffnung, die zusammen mit dem Glauben und vor allem der Liebe die größte Geistesgabe ist. Mit diesem Glauben, mit dieser Hoffnung und mit dieser Liebe können wir das Leben bestehen, ja, wir dürfen und wir sollen uns diesem Leben liebevoll und hoffnungsvoll zuwenden, mitten in unserer gefährdeten und zerrissenen und doch so schönen Welt. Vielleicht müssen wir uns erst durch die Kinder zeigen lassen, die noch ein wenig näher an Gottes Schöpfung dran sind als wir Großen, vielleicht müssen wir erst wieder werden wie die Kinder, wie Jesus sagt, damit wir merken, dass das geht: lieben und hoffen. Amen.

Das Gemälde 'Taufe Christi', 1435 - Masolino da Panicale, und dessen Reproduktion gehört weltweit zum "public domain". Das Bild ist Teil einer Reproduktions-Sammlung, die von The Yorck Project zusammengestellt wurde. Das copyright dieser Zusammenstellung liegt bei der Zenodot Verlagsgesellschaft mbH und ist unter GNU Free Documentation lizensiert.
Die Photographie 'Cornfield' wurde von ihrem Urheber zur uneingeschränkten Nutzung freigegeben. Das Bild ist damit gemeinfrei („public domain“). Dies gilt weltweit.

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