Archiv der Evangelisch-lutherische Dreikönigsgemeinde, Frankfurt am Main - Sachsenhausen
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Predigten von Pfarrer Thomas Sinning: Offenbarung 21,1-7 "Siehe, ich mache alles neu"

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'Himmlisches Jerusalem', PSch

Ewigkeitssonntag

"Siehe, ich mache alles neu" Offenbarung 21,1-7

Predigt gehalten von Pfarrer Thomas Sinning am 21.11.2004

Und ich sah einen neuen Himmel und eine neue Erde; denn der erste Himmel und die erste Erde sind vergangen, und das Meer ist nicht mehr.
Und ich sah die heilige Stadt, das neue Jerusalem, von Gott aus dem Himmel herabkommen, bereitet wie eine geschmückte Braut für ihren Mann.
Und ich hörte eine große Stimme von dem Thron her, die sprach: Siehe da, die Hütte Gottes bei den Menschen!
Und er wird bei ihnen wohnen, und sie werden sein Volk sein und er selbst, Gott mit ihnen, wird ihr Gott sein;
und Gott wird abwischen alle Tränen von ihren Augen, und der Tod wird nicht mehr sein, noch Leid noch Geschrei noch Schmerz wird mehr sein; denn das Erste ist vergangen.
Und der auf dem Thron saß, sprach: Siehe, ich mache alles neu! Und er spricht: Schreibe, denn diese Worte sind wahrhaftig und gewiss! Und er sprach zu mir: Es ist geschehen.
Ich bin das A und das O, der Anfang und das Ende. Ich will dem Durstigen geben von der Quelle des lebendigen Wassers umsonst. Wer überwindet, der wird es alles ererben, und ich werde sein Gott sein und er wird mein Sohn sein. Offenbarung 21,1-7

Liebe Gemeinde!

"Die blinde Helen Keller wurde in einem Gespräch mit Lilli Palmer einmal gefragt, ob sie an ein Leben nach dem Tod glaube. „Selbstverständlich!“ sagte Helen Keller nachdrücklich. „Der Tod ist nichts weiter als ein Gang von einem Raum in den andern,“ fügte sie hinzu. Sie saßen eine Weile schweigend da. Dann sprach Helen wieder; langsam und sehr bestimmt sagte sie: „Aber für mich gibt es da einen Unterschied. Denn in dem anderen Raum, da werde ich sehen können!“

In Bezug auf das, was nach dieser Lebenszeit kommt, sind wir Menschen alle blind. Keiner kann präzise sagen, wie das Geheimnis von Tod und Leben aussieht. Die Bilder, die wir haben, die uns die Bibel vermittelt, sind vielmehr wie Traumbilder; Traumbilder, die jedenfalls eines zeigen: dass es einen großen Unterschied gibt zwischen jetzt und dann.

Wenn wir die Worte unseres Predigttextes hören von dem neuen Himmel und der neuen Erde, von dem neuen Jerusalem, das geschmückt ist wie eine Braut, und von Gottes Wohnung mitten unter den Menschen, dann könnte man vielleicht sogar sagen: das ist wie ein frommer Wunschtraum, und dabei ist der Unterton nicht zu überhören, dass fromme Wunschträume eben bar jeder Wirklichkeit sind.

Aber, liebe Gemeinde, wenn wir genau auf diese Worte hören, dann werden wir vielleicht entdecken, dass das, was uns hier gesagt ist, mehr ist als ein bloßer Wunschtraum, und dass es sich hier nicht um eine schlichte Vertröstung auf das Jenseits handelt. Hier ist keine Verströstung, sondern Trost. Hier wird nicht von der schwer zu ertragenden Lebenswirklichkeit geschwiegen, aber diese Lebenswirklichkeit bekommt einen neuen Horizont.

Tod, Leid, Geschrei, Schmerzen, das gibt es in unserer Gegenwart mehr als genug. Wenn es nicht die eigene Lebensgeschichte ist, die davon geprägt ist, so werden wir doch täglich mit Nachrichten konfrontiert, die genau dies zum Inhalt haben: Menschen trauern. Menschen leiden an zerrütteten Beziehungen. Tränen werden vergossen, und oft ist nicht einmal einer da, der sie trocknen kann. Leid ereignet sich millionenfach, wo Menschen ohne Arbeit, ohne Existenzgrundlage, ohne Rechte oder ohne Heimat oder mitten im Krieg sind. Nicht zuletzt Jerusalem, die Stadt in Israel und Palästina, zeigt uns immer wieder neu auf tragische Weise, wie realistisch unsere Gegenwart beschrieben ist, wenn wir auch von Tod und Leid und Geschrei erzählen.

„Der Tod wird nicht mehr sein, noch Leid noch Geschrei noch Schmerz wird mehr sein...“ Der das sagt, muss die Welt, in der wir leben, gut kennen, und er muss auch die Wirklichkeit meines eigenen Lebens ganz und gar kennen. Ja, er muss auch die Tränen gesehen haben, die ich in meinem Leben schon geweint habe. Diese Worte sind gewiss nicht lebensfern. Sie sind aufgeschrieben worden in einer Situation äußerster Bedrängnis, in der Menschen ihres Glaubens wegen verfolgt und getötet wurden. In einer Situation also, in der Angst und Trauer, Tränen und Schmerzen die Gegenwart prägten. In einer Situation, in der mancher gefragt hat: „Gott, wo bist du?" und sich vielleicht auch mancher andere sagte: „Gott hat uns ganz und gar verlassen“.

Wer Schlimmes erleben muss, dem kann man es gewiß nicht verübeln, wenn er solches sagt. Es gibt Situationen, in denen keine Kraft mehr da ist, zu hoffen oder nach vorne zu blicken, und wo man von Gott nichts mehr erwartet und wo man denkt, das Leben sei vorbei, und was jetzt noch komme, das sei bedeutungslos.

Hier aber, in unserem biblischen Wort, wird uns ein Horizont eröffnet, der über die Gedanken und Gefühle von Resignation hinaus führt. Gott eröffnet uns Zukunft, liebe Gemeinde! Weil Jesus den Tod überwunden hat, weist auch unser gegenwärtiges Leben über den Tod hinaus. Ein neuer Himmel, eine neue Erde, eine neue Stadt, und die Frage: „Wo bist du, Gott?" wird sich nicht mehr stellen, weil Gott sein Zelt neben uns aufgeschlagen hat, sozusagen als Nachbar unter Nachbarn. Die alten Fragen, die offenen Wunden, die schmerzenden Narben, die ungeklärten Dinge, alles das gilt nicht mehr.

Natürlich sind das Bilder, wenn hier von neuer Stadt und von Gottes Wohnung die Rede ist. Bilder, die nur eine Ahnung geben können von der neuen Wirklichkeit. Es können nur Bilder sein, weil dieses Neue, das Gott schafft, und das mit der Auferstehung Jesu begonnen hat, weil dieses Neue eben noch vor uns liegt und wir mitten in der alten Wirklichkeit leben, in der Tod und Leid an der Tagesordnung sind. Doch was wären wir ohne solche Bilder der Hoffnung? Und können wir nicht spüren, welche Kraft in diesem Bild von der neuen Erde und dem himmlischen Jerusalem liegt? Es ist die Kraft, die wir Gott zutrauen, dass er die Verhältnisse tatsächlich verändern kann. Und brauchen wir nicht dieses Bild vom neuen Jerusalem, um in die ausweglos erscheinenden Konflikte um das gegenwärtige Jerusalem die Hoffnung nicht aufzugeben?

Da, wo Neues zu erwarten ist, da erscheint auch das Alte in einem neuen Licht. Da ist zu erkennen, dass das, was ich tue und mache, was mir gelingt, und was unvollendet bleibt, dass alles das nur vorläufig ist. Es hat keine letzte Gültigkeit und Macht. Was mich belastet - an Erinnerungen, an Sorgen, an Gefühlen, an Abschiedsschmerz, an Versäumnissen, an Dingen, die ich anderen schuldig geblieben bin, an unlösbar scheinenden Konflikten, alles das ist nur vorläufig. Es wird nicht das Letzte bleiben. Auch das, was mich umtreibt, mich ärgert und zornig macht, an Armut und Unrecht, an Dummheit, an politischem Versagen, an ungerechten Verhältnissen, auch alles das wird nicht bleiben. Es hat keine letzte Macht. Auch der Tod wird keine letzte Macht behalten über mein Leben. Denn Gott verheißt uns ein Neues. Und darum darf ich alles das, was jetzt mein Herz bewegt, in einem neuen Licht sehen.

Vielleicht sind es heute am Totensonntag Erinnerungen an einen geliebten Menschen. Diese Erinnerungen sind etwas sehr Kostbares, auch wenn in ihnen ganz Unterschiedliches und Gegensätzliches vorkommt, Erinnerungen eben an gute und an schwierige Zeiten. Wenn ich aber das, was gewesen ist, nur als vorletztes begreifen kann, dann brauche ich es nicht zu idealisieren. Ich darf es nüchtern und das heißt durchaus auch kritisch sehen und gerade dadurch erkennen, was wirklich kostbar daran gewesen ist. Belastendes darf ich loslassen. Und dann kann ich auch das Kostbare bewahren und in mein heutiges Leben hinein nehmen und zugleich wissen: Gott will es in ein Neues verwandeln. Und da wird nur noch die Liebe Bedeutung haben und nicht mehr der Tod.

Wenn ich mein gegenwärtiges Leben als Vorläufiges begreifen kann, dann vermag ich es leichter anzunehmen, so wie es ist; wahrscheinlich anders, als ich es mir einmal geträumt habe, mit schönen Momenten und mit mancherlei Belastungen. Und ich kann dennoch das tun, was in meinen Kräften liegt, um der Verantwortung, die ich für mich und für andere trage, gerecht zu werden. Weil ich weiß, dass es nicht das Letzte ist, darum kann ich mutig handeln, kann mich für andere einsetzen, kann mich immer wieder neu dafür einsetzen, dass diese Erde ein Stück menschlicher wird. Dieser Sinn meines Tuns geht nicht verloren, auch nicht, wenn ich Fehler mache und Irrtümer sich einschleichen und Schuld geschieht. Denn meine Gegenwart ist umschlossen von dem, der sagt: „Siehe, ich mache alles neu".

Darum ist auch dieser Tag heute wichtig und kostbar, weil er schon im Licht der neuen Schöpfung Gottes steht. Ewigkeit ist nicht eine ferne unwirkliche Zukunft. Sondern es ist die Zeit, die heute schon Zukunft hat, weil sie vom österlichen Licht von Gottes neuer Welt beschienen ist. Darum heißt dieser Sonntag heute nicht nur Totensonntag, sondern ist viel besser noch Ewigkeitssonntag zu nennen.

Amen

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