Archiv der Evangelisch-lutherische Dreikönigsgemeinde, Frankfurt am Main - Sachsenhausen
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Predigten von Pfarrer Thomas Sinning: 1. Mose 1,1-31; 2,1-4a Was bedeutet es, wenn wir die Welt als Gottes Schöpfung begreifen?

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'Schöpfung', PSch

Jubilate

Was bedeutet es, wenn wir die Welt als Gottes Schöpfung begreifen? 1. Mose 1,1-31; 2,1-4a

Predigt gehalten von Pfarrer Thomas Sinning am 29.4.2007

Am Anfang schuf Gott Himmel und Erde. Und die Erde war wüst und leer, und es war finster auf der Tiefe; und der Geist Gottes schwebte auf dem Wasser. Und Gott sprach: Es werde Licht! Und es ward Licht. Und Gott sah, daß das Licht gut war. Da schied Gott das Licht von der Finsternis und nannte das Licht Tag und die Finsternis Nacht. Da ward aus Abend und Morgen der erste Tag. Und Gott sprach: Es werde eine Feste zwischen den Wassern, die da scheide zwischen den Wassern.Da machte Gott die Feste und schied das Wasser unter der Feste von dem Wasser über der Feste. Und es geschah so. Und Gott nannte die Feste Himmel. Da ward aus Abend und Morgen der zweite Tag. Und Gott sprach: Es sammle sich das Wasser unter dem Himmel an besondere Orte, daß man das Trockene sehe. Und es geschah so. Und Gott nannte das Trockene Erde, und die Sammlung der Wasser nannte er Meer. Und Gott sah, daß es gut war. Und Gott sprach: Es lasse die Erde aufgehen Gras und Kraut, das Samen bringe, und fruchtbare Bäume auf Erden, die ein jeder nach seiner Art Früchte tragen, in denen ihr Same ist. Und es geschah so. Und die Erde ließ aufgehen Gras und Kraut, das Samen bringt, ein jedes nach seiner Art, und Bäume, die da Früchte tragen, in denen ihr Same ist, ein jeder nach seiner Art. Und Gott sah, daß es gut war. Da ward aus Abend und Morgen der dritte Tag. Und Gott sprach: Es werden Lichter an der Feste des Himmels, die da scheiden Tag und Nacht und geben Zeichen, Zeiten, Tage und Jahre und seien Lichter an der Feste des Himmels, daß sie scheinen auf die Erde. Und es geschah so. Und Gott machte zwei große Lichter: ein großes Licht, das den Tag regiere, und ein kleines Licht, das die Nacht regiere, dazu auch die Sterne. Und Gott setzte sie an die Feste des Himmels, daß sie schienen auf die Erde und den Tag und die Nacht regierten und schieden Licht und Finsternis. Und Gott sah, daß es gut war. Da ward aus Abend und Morgen der vierte Tag. Und Gott sprach: Es wimmle das Wasser von lebendigem Getier, und Vögel sollen fliegen auf Erden unter der Feste des Himmels. Und Gott schuf große Walfische und alles Getier, das da lebt und webt, davon das Wasser wimmelt, ein jedes nach seiner Art, und alle gefiederten Vögel, einen jeden nach seiner Art. Und Gott sah, daß es gut war. Und Gott segnete sie und sprach: Seid fruchtbar und mehret euch und erfüllet das Wasser im Meer, und die Vögel sollen sich mehren auf Erden. Da ward aus Abend und Morgen der fünfte Tag. Und Gott sprach: Die Erde bringe hervor lebendiges Getier, ein jedes nach seiner Art: Vieh, Gewürm und Tiere des Feldes, ein jedes nach seiner Art. Und es geschah so. Und Gott machte die Tiere des Feldes, ein jedes nach seiner Art, und das Vieh nach seiner Art und alles Gewürm des Erdbodens nach seiner Art. Und Gott sah, daß es gut war. Und Gott sprach: Lasset uns Menschen machen, ein Bild, das uns gleich sei, die da herrschen über die Fische im Meer und über die Vögel unter dem Himmel und über das Vieh und über alle Tiere des Feldes und über alles Gewürm, das auf Erden kriecht. Und Gott schuf den Menschen zu seinem Bilde, zum Bilde Gottes schuf er ihn; und schuf sie als Mann und Weib. Und Gott segnete sie und sprach zu ihnen: Seid fruchtbar und mehret euch und füllet die Erde und machet sie euch untertan und herrschet über die Fische im Meer und über die Vögel unter dem Himmel und über das Vieh und über alles Getier, das auf Erden kriecht. Und Gott sprach: Sehet da, ich habe euch gegeben alle Pflanzen, die Samen bringen, auf der ganzen Erde, und alle Bäume mit Früchten, die Samen bringen, zu eurer Speise. Aber allen Tieren auf Erden und allen Vögeln unter dem Himmel und allem Gewürm, das auf Erden lebt, habe ich alles grüne Kraut zur Nahrung gegeben. Und es geschah so. Und Gott sah an alles, was er gemacht hatte, und siehe, es war sehr gut. Da ward aus Abend und Morgen der sechste Tag. So wurden vollendet Himmel und Erde mit ihrem ganzen Heer. Und so vollendete Gott am siebenten Tage seine Werke, die er machte, und [a] ruhte am siebenten Tage von allen seinen Werken, die er gemacht hatte. Und Gott segnete den siebenten Tag und heiligte ihn, weil er an ihm ruhte von allen seinen Werken, die Gott geschaffen und gemacht hatte. So sind Himmel und Erde geworden, als sie geschaffen wurden. 1. Mose 1, 1 - 2, 4a

Liebe Gemeinde!

In dem Roman von Robert Musil „Der Mann ohne Eigenschaften“ wird erzählt von einer Frau – Diotima – und ihrem Vetter, die beide ganz unterschiedliche Sichtweisen der Wirklichkeit haben:

„Wenn sie von Schönheit sprach, sprach er von einem Fettgewebe, das die Haut stützt. Wenn sie von Liebe sprach, sprach er von der Jahreskurve, die das automatische Steigen und Sinken der Geburtenziffer anzeigt. Wenn sie von den großen Gestalten der Kunst sprach, fing er mit der Kette der Entlehnungen an, die diese Gestalten untereinander verbindet. Es kam eigentlich immer so, daß Diotima zu sprechen begann, als ob Gott den Menschen am siebenten Tag als Perle in die Weltmuschel hineingesetzt hätte, worauf er daran erinnerte, daß der Mensch ein Häuflein von Pünktchen auf der äußersten Rinde eines Zwergglobus sei ....“

Man kann unsere Welt auf verschiedene Weise sehen – so, wie es die beiden tun: man kann die Welt materialistisch sehen als ein Gebilde, das durch das Zusammenwirken von Naturgesetzen besteht, oder man kann die Welt sehen als das schöne Werk Gottes. Man kann den Menschen sehen als bloße vorläufige Endstufe einer langen Entwicklung sehen, oder man kann in ihm das Ebenbild Gottes erkennen. Beide Sichtweisen haben gewiß ihr Recht. Denn wir können und sollen diese Welt auch in ihrem Zusammenhang verstehen und die Schöpfung gebrauchen – über sie herrschen, wie es im Schöpfungsbericht heißt, oder - besser ausgedrückt im nächsten Kapitel der Bibel: Der Mensch soll den Garten Eden und damit Gottes Schöpfung bebauen und bewahren. Und dazu ist es nötig, ihre Strukturen und Gesetzmäßigkeiten zu erkennen. Doch wenn es um Sinn und um Schönheit und um Geborgenheit geht in dieser Welt, dann reicht diese Perspektive nicht; dann gilt es, die Welt als Schöpfung, als Geschenk Gottes zu sehen.

Dieser Unterschied der Sichtweisen wird in der biblischen Schöpfungsgeschichte deutlich daran, daß der Mensch als Ebenbild Gottes geschaffen ist (und uns damit zur Menschlichkeit gegenüber jedermann verpflichtet. . . .) Und er wird auch deutlich daran, daß Gott die Welt nicht in sechs, sondern in sieben Tagen geschaffen hat. Freilich – geht es hier nicht um meßbare Zeit – sie müßte wohl eher in Milliarden von Jahren seit dem Urknall ausgedrückt werden. Es geht vielmehr um das Ganze der Schöpfung. Und das ist erst mit dem siebten Tag vollendet: „Gott vollendete am siebenten Tag seine Werke, als er ruhte von allen Werken, die er gemacht hatte.“ Das mag uns vielleicht verwundern. Denn wer ruht, der tut ja scheinbar nichts mehr. Aber die Ruhe, so wird uns hier gesagt, die Ruhe gehört notwendig zu dieser Schöpfung dazu. Dieser Ruhe ist es zu verdanken, daß diese Welt von uns als schön und als wohnlich wahrgenommen werden kann.

Der Sabbat, der Tag der Ruhe, läßt uns die Welt erst als das wahrnehmen, was sie für uns sein soll: als Gottes Schöpfung, als seine kostbare Gabe. Wenn wir die Welt so sehen lernen, dann hat das Folgen: Denn diese Sichtweise läßt uns staunen über das, was er geschaffen hat. Sie vermag Freude in uns zu wecken angesichts der Schönheit der Natur, eines Sonnenaufgangs in den Bergen, der eleganten Bewegung eines Tieres, der Schönheit eines menschlichen Gesichtes ... Und diese Sichtweise läßt uns etwas empfinden wie Ehrfurcht vor dem Leben, wie Albert Schweitzer es formuliert hat.

Gewiß, Gott hat dem Menschen den Auftrag gegeben, die von ihm geschaffene Lebenswelt zu gestalten. Die Arbeit des Menschen, durch die er die Erde nutzt und gestaltet und erforscht, ist wichtig und notwendig. Gott hat sie ihm aufge-tragen zusammen mit der Verantwortung für einen lebensfördernden Umgang mit ihr. Und er hat den Menschen mit der ganzen Schöpfung gesegnet; denn ohne seinen Segen wäre alles menschliche Gestalten umsonst. Aber diese Arbeit soll auch ihre Grenze haben. Darum vollendet Gott die Schöpfung mit dem Ruhetag, und darum auch ist uns Menschen das Gebot gegeben, den Feiertag als Tag der Ruhe zu heiligen.

Ruhen heißt: Zeit haben, sich an der Schöpfung zu freuen. Ruhen heißt, wir können die Schöpfung Gottes Schöpfung sein lassen und eben nicht das Produkt unserer menschlichen Leistungskraft. Wir können uns selber als Teil von Gottes Schöpfung begreifen und Gott als Gott und Schöpfer anerkennen. Und eben darum gehören das erste und das dritte Gebot zusammen: die Ruhe des Sabbat läßt uns Gottes Gottsein anerkennen. Und erst darin finden wir zu wahrer Menschlichkeit.

So ist die Ruhe, durch die die Schöpfung vollendet wird, immer ein Hinweis auf die Grenze des Machbaren. Und damit ist die Sabbatruhe sozusagen ein aktiver Widerstand gegen alle Versuchungen, daß der Mensch sich selbst zum Ma-cher und Hersteller der Schöpfung macht und so in letzter Konsequenz zum Herrn über Leben und Tod wird. Wer die Welt nur materialistisch betrachtet, der braucht vor nichts mehr Ehrfurcht zu haben. Der kann sagen: Was machbar ist, das machen wir.

Mit der Ruhe des Sabbat aber sagt Gott gleichsam: „Halt!“ Nicht alles, was du kannst, ist auch gut. Denn wer sich die Fähigkeit, über Leben und Tod zu bestimmen verschafft, der maßt sich eine göttliche Macht an, die ihm nicht zukommt, und deren Verantwortung kein Mensch gerecht werden kann.

In der Gegenwart erfahren wir von immer neuen Möglichkeiten der Wissenschaft, die etwa die Entschlüsselung des genetischen Codes und die neuen Methoden der Fortpflanzungsmedizin erschließen. Fluch und Segen scheinen hier besonders dicht beieinander zu liegen. Auch die Frage, inwieweit Sterbehilfe erlaubt sein kann, markiert eine Grenze, bei der der Mensch in Gefahr gerät, das Leben nicht mehr als Geschenk Gottes zu würdigen, sondern einer Ideologie vom Gesundheit und Schmerzfreiheit preiszugeben. Wo das geschieht, wo Menschenleben beendet wird, statt mit allen Möglichkeiten Leiden zu linden und die Nähe zu dem Leidenden auszuhalten, da hat der Mensch die Grenze zum Schöpfer überschritten.

Demgegenüber richtet die Ruhe, mit der die Schöpfung vollendet wurde, den Blick auf das Ganze. Auch das menschliche Leben gilt es, als von Gott geschaffenes, als Ganzes zu sehen: der Mensch ist eben nicht eine biologische Funktion, sondern er ist Gottes Ebenbild, als Mensch mit Beziehungen und mit seiner eigenen, ihm von Gott geschenkten, unantastbaren Würde, einer Würde, die vom Anfang bis zum Ende Bestand hat. Und darum kann die Liebe immer nur auf den Erhalt des Lebens gerichtet sein, auf nichts anderes.

Wie kostbar unser Menschsein ist, das zeigt sich schließlich auch darin, daß Gott sich in Jesus ganz und gar mit ihm identifiziert hat. Er ist selber Mensch geworden. Er der selber diese Welt ins Leben rief, hat sich auf die Bedingungen eines Lebens als Geschöpf dieser Erde eingelassen. Er hat Leben und Tod erfahren. Und er hat in der Auferstehung Christi das Menschsein der Macht des Todes entrissen. Ja, er hat damit den Anfang einer neuen Schöpfung gesetzt, einer neuen Schöpfung, in der der Tod keine Macht mehr hat. Mit der neuen Schöpfung, die uns verheißen ist und die mit der Auferstehung Christi begonnen hat, hat unsere Welt und unser Leben eine hoffnungsvolle Perpektive. Da, wo Menschen den Tod herbeiführen oder erleiden, da hat Gott neues Leben geschaffen, neues Leben, an dem wir in Christus schon heute Anteil bekommen: „Ist jemand in Christus, so ist er eine neue Schöpfung,“ heißt es im 2. Korintherbrief.

Wir sind unterwegs zu diesem Ziel, zu der neuen Schöpfung, in der wir auch von den Erfahrungen von Leid und Schmerz befreit sein werden. Vielleicht kann gerade die Ruhe des Feiertages uns einen Geschmack davon geben, von der Freude am Leben, das ein wunderbares Geschenk unseres Gottes ist, und von der Vorfreude auf die neue Schöpfung, der wir seit Jesu Auferstehung entgegengehen.

Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus.

Amen

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