Archiv der Evangelisch-lutherische Dreikönigsgemeinde, Frankfurt am Main - Sachsenhausen
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Predigten von Pfarrer Thomas Sinning: Römer 14,7-9 Von der Freiheit eines Christenmenschen

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Predigt: Römer 14,7-9 Von der Freiheit eines Christenmenschen und Bachkantate „Ach wie flüchtig“

Gehalten von Pfarrer Thomas Sinning am 11. November 2007

Liebe Gemeinde!

Ein Tourist hatte auf seiner Reise die Gelegenheit, in einem Kloster bei Kartäusermönchen zu übernachten. Er war sehr erstaunt über die spartanische Einrichtung der Klosterzellen und fragte die Mönche: „Wo habt ihr denn eure Möbel?“ Schlagfertig fragten ihn die Mönche zurück: „Ja, wo haben Sie denn ihre Möbel?“ „Meine?“ erwiderte der Tourist verblüfft. „Ich bin ja nur auf der Durchreise hier!“ sagte er dann. „Eben,“ sagten ihm darauf die Mönche, „das sind wir auch.“

Diese Mönche haben das gleiche zum Ausdruck gebracht wie der Choral von Michael Franck, der der Bachkantate zugrunde liegt. Wir sind als Menschen in unserem Leben nur auf der Durchreise, und alles, was wir hier haben, das besitzen wir letztlich nicht. Es ist vergänglich, alles ist nur geliehen. Alles in unserem Leben ist nicht mehr als eine Zwischenstation auf dem Weg, der uns zu Gott führt. Nichts, was wir haben, kann daher Selbstzweck sein.

Für viele Menschen sind solche Gedanken mit einem melancholischen Gefühl oder gar mit einer depressiven Grundstimmung verbunden. Und daher wollen sie sich oft gar nicht mit solchen Gedanken beschäftigen.

Die Kartäuser-Mönche, von denen wir eben hörten, haben dagegen mit einer fröhlichen und wohl auch verschmitzten Gelassenheit davon gesprochen, dass sie ihr Leben als eine Durchreise zu Gottes Ewigkeit verstehen. Ihnen macht der Gedanke daran nicht Angst, sondern er macht ihnen das Leben sogar leichter. Sie erfahren sich als freie Menschen, eben weil sie so wenig besitzen.

Mosaik des Heiligen Paulus, Veria, Griechenland (AJ Alfieri-Crispin, San Francisco, CA, USA, 2006)

Vielleicht hat ihnen der Apostel Paulus dabei auch als Orientierung gedient. „Leben wir, so leben wir dem Herrn, sterben wir, so sterben wir dem Herrn,“ schreibt er. Der Apostel Paulus schreibt diese Worte allerdings auch nicht in einer Trauerrede oder in einem Kondolenzschreiben. Für ihn ist die Zugehörigkeit zum Auferstandenen Christus eine Gewissheit, die nicht erst am Ende, sondern mitten im Leben wichtig ist. Und das hat einen konkreten Anlass. Denn in der Gemeinde in Rom gab es einen Konflikt unter den Christen. Die einen hielten die Beachtung von bestimmten Glaubenstraditionen für notwendig, und die anderen fühlten sich frei davon. Es ging dabei um die Frage, ob man Fleisch essen dürfe und ob man bestimmte Feiertage einhalten müsse oder nicht.

Paulus sagt: diese Frage ist zweitrangig. Was viel wichtiger ist, ist die Gewissheit, dass Ihr, dass wir alle zu Christus gehören. Von dieser Zugehörigkeit zu Christus her darf jeder Christ eine große Freiheit erleben: ich darf im Letzten, wenn es um die Wurzeln meines Daseins geht, frei sein von religiösen Zwängen und von der Angst vor dem eigenen Versagen. Wenn ich Christus zugehöre, dann hat keine andere Macht, kein anderes moralisches Gesetz, keine Tradition, keine Autorität und keine Angst Anspruch mehr auf mein Leben. Und dann braucht mich auch kein Besitz, kein Genuss und kein Erfolg so in den Bann ziehen, dass ich mich davon nicht mehr lösen könnte. Luther nannte dies die „Freiheit eines Christenmenschen." Sie ist das Zentrum unseres Glaubens. Und wenn diese Freiheit mich bestimmt, kann ich es mir leisten, andere Menschen nicht zu verurteilen, auch wenn ich sie kritisieren möchte, und das Urteilen über andere getrost Gott überlassen. Das war Paulus damals wichtig. Und ich kann mit all den schönen Dingen des Lebens, die mir viel bedeuten, einen freien Umgang pflegen, kann mich an Dingen freuen, und sie wieder loslassen, so, wie man auch an seinen Kindern Freude hat, die aber nur dann Bestand haben kann, wenn man lernt, sie loszulassen.

Unser Leben gehört Christus. „Wir gehören nicht uns selbst.“ Wenn ein Diktator das sagt, (dann klingt das vielleicht so: “Du gehörst dem Vaterland…“,) dann will er die Menschen dazu missbrauchen, um seine Macht zu festigen und Unterdrückung oder sogar Kriege damit zu rechtfertigen. Wenn der Apostel dies aber im Blick auf Christus sagt: „Wir gehören nicht uns selbst, sondern im Leben und im Sterben gehören wir dem Herrn,“ dann liegt darin die Wurzel einer großen Freiheit, der „Freiheit eines Christenmenschen“. Durch diese Freiheit wird mein Leben in einen neuen, größeren Zusammenhang gestellt. Ich habe eine Zugehörigkeit, die mein Leben reich macht. Eine Zugehörigkeit, die durch alle Lebenssituationen hindurch Bestand hat. Eine Zugehörigkeit, die hinausreicht über den Horizont meines Lebens.

Diese Zugehörigkeit hat ihren Grund in Jesus Christus. In ihm ist Gott den entscheidenden Schritt auf uns Menschen zugegangen, damit wir in diesem Kosmos nicht allein bleiben müssen mit unseren Sorgen und mit unsren ungelösten Problemen. Jesu Sterben und seine Auferstehung haben für alle Menschen eine neue Zugehörigkeit begründet: wir gehören nicht mehr dem Tod, sondern Gott. Und damit dem Leben. Das große Geheimnis unseres Lebens, das sich hinter dem Tod verbirgt, muss uns keine Angst mehr machen. Es liegt in Gottes Hand, der uns in Christus seine Liebe erweist.

Und weil die letzte Frage unserer Existenz damit zur Ruhe kommen kann, darum werden wir frei, uns um die vorletzten Dinge zu kümmern mit der angemessenen Nüchternheit. Dann werden Fragen der gerechten Verteilung von Wohlstand und Arbeit nicht einfach abgetan werden können mit dem Hinweis darauf, dass alles ohnehin vergänglich sei. Denn dann wäre der Glaube an Christus als bloße Vertröstung auf das Jenseits missbraucht. Nein, sondern vielmehr gibt uns die Gewissheit, auf ewig in Gott geborgen zu sein, die Freiheit, uns ernsthaft und nüchtern den Nöten der Menschen anzunehmen; sie gibt uns die Freiheit, zu geben und zu teilen; sie gibt uns die Freiheit, die eigenen Interessen zurückzustellen, um denen nahe zu sein, denen Jesu besonderes Augenmerk galt: den Schwachen und Hilflosen, denen, die allein nicht mehr weiter wissen und die sich nach Erlösung sehnen. Denn die Freiheit eines Christenmenschen ist die Freiheit, die zu allererst zur Liebe in Jesu Sinn befähigt. Sie ist das Kennzeichen eines lebendigen Glaubens.

Wenn es in unserer Gemeinde Kreise von aktiven Menschen gibt, die ein ganzes Jahr lang ihre Zeit einsetzen, um einen Basar vorzubereiten dessen Erlös für Arme bestimmt ist, dann ist auch das gelebte Freiheit eines Christenmenschen.

Wandering People - Free Christian Graphic

„Keiner lebt für sich selber, und keiner stirbt für sich selber. Leben wir, so leben wir dem Herrn, sterben wir, so sterben wir dem Herrn…“
Wer sein Leben an Christus ausrichtet, der kann sich auch im Sterben ihm anvertrauen. Sorgen wir also dafür, dass dieser Satz heute schon auf das eigene Leben zutrifft; denn dann bleibt er auch beim Abschied aus diesem Leben wahr. Und dann kann man die Vergänglichkeit auch in so schöner Weise musikalisch zum Ausdruck bringen, wie in der gehörten Kantate, und kann das heiter und gelassen tun ohne depressive Gedanken.

Was wir erreichen oder besitzen in unserem Leben, so schön es auch sein mag, das bleibt nur vorläufig. Was einer aber in der Liebe Christi tut, das kann man nicht besitzen. Aber das bleibt. Das behält seinen Wert auf der „Durchreise“ des Lebens.

Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus.

Amen

Das Mosaik des Heiligen Paulus, Veria, Griechenland (AJ Alfieri-Crispin, San Franci sco, CA, USA, 2006) ist lizenziert unter der Creative Commons-Lizenz Attribution ShareAlike 2.0.

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