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Predigten von Prädikant Thomas Leichum: Ist das Leben nicht schön oder wie ein Engel sich seine Flügel verdient

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Andacht zur 15. Nacht der Kirchen: Ist das Leben nicht schön oder wie ein Engel sich seine Flügel verdient

Gehalten von Prädikant Thomas Leichum am 4. September 2009 in der Dreikönigskirche in Frankfurt am Main

'James Stewart', 1934, Carl Van Vechten

Lieben Sie Filme, liebe Gemeinde?

Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht: Es gibt Filme, die ich immer wieder sehen kann. Filme, die auch dann noch funktionieren, wenn ich sie das zehnte mal sehe. Filme, die mich träumen lassen, die eine emotionale Wucht haben, die mich bei jedem Ansehen, immer wieder zu Tränen rühren, ohne dass ich auf Anhieb erklären kann, woran das genau liegt. Das können Filme sein, die man mit guten Gründen als hoffnungslos märchenhaft und verkitscht ansehen kann und die doch über Jahrzehnte hinweg immer wieder eine ganz eigene Liebe und Wärme ausstrahlen, die mir zu Freunden werden. Filme, die ich immer wieder gerne einmal zu mir nach Hause einlade oder sie im Kino besuche.

Ein solcher Film ist für mich der amerikanische Weihnachtsklassiker „It's a wonderful life.“ Auf deutsch: „Ist das Leben nicht schön“, den der amerikanische Regisseur Frank Capra mit einem wunderbaren James Stewart in der Hauptrolle im Jahr 1947 gedreht hat. Ich kann und will Ihnen diesen Film schon aus Gründen der Jahreszeit heute Abend nicht zeigen, aber ich möchte Sie einladen, für einen Moment innezuhalten, in seine Welt einzutauchen. Lernen Sie einen Menschen kennen, der für andere zum Engel wird, und der am Ende selbst einen Engel braucht, nachdem all seine Träume scheinbar geplatzt sind. Und erleben Sie mit, wie dieser andere Engel tatsächlich erscheint und sich selbst dabei seine Flügel verdient.

Es ist Heiligabend in „Bedford Falls“, einer kleinen amerikanischen Stadt kurz nach Ende des zweiten Weltkriegs. George Bailey alias James Stewart ist am Ende. Er steht auf einer Brücke und will sich hinabstürzen. „Sie sind ja tot mehr wert als lebendig“, so hat ihm gerade sein Widersacher, der böse Mr. Potter, zugerufen. Konkurs, Anklage wegen Unterschlagung, Gefängnis drohen. 8000 Dollar sind verschwunden.

„Lieber Gott, wenn es dich gibt, steh mir bei“, so presst George Bailey es mit letzter Kraft heraus. Und wir sehen wie aus vielen Häusern von Menschen, die uns noch im einzelnen vorgestellt werden, inbrünstige Gebete für diesen Mann gen Himmel gerichtet werden. Und Gott hilft wirklich. Allerdings steht ihm am Heiligabend nur noch ein diensthabender Engel zweiter Klasse namens Clarence zur Verfügung, der sich noch seine Flügel verdienen muss, dabei prompt vor dem Lebensmüden ins eiskalte Wasser stürzt und erst einmal selbst von George gerettet werden muss.

An dieser Stelle des Films haben wir – gemeinsam mit Clarence, der genau so ins Bild gesetzt werden muss wie wir – schon weit über eine Stunde Zeit gehabt, um George Bailey kennenzulernen. Wir haben gesehen wie George als Kind seinen kleinen Bruder vor dem Ertrinken gerettet hat und dabei auf dem rechten Ohr sein Gehör einbüßt. Wir waren Zeuge wie George einen alten vom Leben geschlagenen Apotheker vor schlimmer Verwechslung von Medikamenten bewahrt. Wir sahen seine Träume von einer großen Karriere in fernen Welten zerplatzen, weil es ihm – dem Idealisten - nicht gelang, den Staub von den Füßen zu schütteln und einfach zu gehen. Nein, George Bailey bleibt, rettet nach dem Tod seines grundgütigen aber geschäftlich erfolglosen Vaters die kleine soziale Wohnungsbaugesellschaft der Baileys vor dem Untergang, während der viel weniger begabte Bruder an ihm vorbeizieht, hinaus, dahin, wohin George niemals kommen wird. Während der Bruder schließlich zum Kriegsheld wird, bleibt er in dem kleinen Nest „Bedford Falls“ hängen und heiratet seine Jugendliebe, die schöne Mary, die ihm vier Kinder schenkt. Dem Tycoon des Ortes, jenem bösen Mr. Potter, einem abgrundtief herzlosen Kapitalisten, stellt er sich als einziger in den Weg, mit nichts bewaffnet als seinem grenzenlosen Idealismus. Und das geht auch lange gut, selbst von einem finanziellen Lockangebot in damals offenbar astronomischer Höhe von 20.000 Dollar Jahresgehalt lässt er sich nicht korrumpieren.

Aber als George Bailey nach dem versehentlichen Verlust von $ 8000 mit dem finanziellen Ruin konfrontiert wird und sich außer Stande fühlt, seiner Familie weiterhin ein gutes Leben oder seine Liebe bieten zu können, sieht er den einzigen Ausweg darin, sich das Leben zu nehmen. Mehr noch, er wünscht sich, dass er nie existiert hätte. Gerade als er von einer Brücke springen will, taucht Schutzengel Clarence auf und führt George vor Augen, wie der Lauf der Dinge ausgesehen hätte, wenn es ihn tatsächlich nie gegeben hätte.

Frank Capras Meisterwerk zählt bis heute zumindest zur Weihnachtszeit zu den populärsten und beliebtesten Filmen. Was genau ist es, das mir bei jedem Anschauen von It's A Wonderful Life immer wieder diese unsägliche und anhaltende Freude aufs Gesicht zaubert?

Und das, obwohl in der so märchenhaft daherkommenden Geschichte auch eine gehörige Portion Tragik steckt. Denn es geht eben auch um geplatzte Träume, um Träume, die sich nicht haben verwirklichen lassen, die von der Wirklichkeit weggeblasen worden sind.

'Frank Capra cuts Army film as a Signal Corps Reserve major during World War II', 1943, Andibrunt, 2006

Die Firma, die George Bailey nach dem Tod seines Vaters zu leiten beginnt, war für den jungen Mann eigentlich immer ein Gräuel. Er wollte, wie er es immer wieder betont, den "Staub von seinen Füßen bekommen", ein reicher Mann werden, die öde Kleinstadt hinter sich lassen, die Welt sehen. Für die kleinbürgerliche Büroarbeit seines Vaters sei er sowieso nicht geeignet. Mehr noch, sie würde ihn sogar wahnsinnig machen.

Aber dann übernimmt George doch die Geschäftsführung der Firma, um das Andenken an das Lebenswerk seines Vaters zu erhalten und nicht ganz Bedford Falls an den kalten Potter übergeben zu müssen, der für die Bürger der Stadt kaum ein gutes Wort übrig hat. Er arbeitet engagiert in der Firma, steckt viel Herzblut in sie, und gewinnt die Sympathien zahlreicher Einwohner, während es ihn zur selben Zeit mit Zorn und Missmut erfüllt, wenn er sieht, wie seine Jugendfreunde im In- und Ausland herum kommen und viel Geld verdienen.

George Bailey ist alles andere als der geborene "barmherzige Samariter". Er ist ein tragischer Held wider Willen, der von den ausgelassenen Chancen seines Lebens heimgesucht wird, und ihnen voller Kummer nachtrauert, als eine nach der anderen wie eine Seifenblase zerplatzt.

Man versteht zu jedem Zeitpunkt seinen Kampf mit sich selbst, mit der Verantwortung, die er nun einmal hat, und den großen Träumen und Visionen seines Lebens, die sich nie erfüllen werden, obwohl sie ihm theoretisch offen stünden.

Trotz seiner vielen zutiefst gütigen Seiten, wird Baileys Kampf letztlich zu seinem Fluch: Als nach einem dummen Missgeschick die Firma vor dem Konkurs steht, Spekulationen über wissentliche Fehlangaben in seinen Bilanzbüchern aufkommen und die Polizei praktisch schon bei den Baileys vor der Tür steht, wird George alles zu viel. Endlos müde und ermattet von der ständigen Schlacht mit sich selbst und den wirtschaftlichen Widrigkeiten, denen er nun scheinbar ohne Ausweg gegenübersteht, beschließt er, "Gottes höchstes Geschenk", wie es der Engel später einmal nennt, wegzuwerfen. Zum Sprung bereit steht er auf einer kleinen Brücke in Bedford Falls; dem Gefängnis, das nun sein Grab werden soll.

Ab diesem Zeitpunkt, als der Engel Clarence, witzig und etwas betulich, auf die Erde kommt, um George vor dem Freitod zu bewahren, beginnt der Teil des Filmes, in dem man ihn als eine "Ode" bezeichnen darf: An das Leben, die Freude, die Menschlichkeit - an alles, was da ist. Spätestens mit Georges Äußerung, dass er wünsche, nie geboren worden zu sein, als Clarence daraufhin die himmlischen Kräfte anruft, dies möglich zu machen, und als Sekunden später ein Windstoß die Szenerie zerfegt, worauf Clarence etwas verächtlich gen Firmament fragt, ob so ein Spektakel denn wirklich von Nöten sei, wird uns ganz bewusst, dass hier niemand durch die eigene Hand sterben wird, dass die nun folgenden Minuten zur Feier des Daseins, des "Lebendürfens" werden.

Daher erscheinen die nun folgenden Szenen des Films weniger grauenvoll als sie sind, weil wir in uns bereits den aus zahllosen anderen Filmerlebnissen formierten "Glauben" tragen, dass nun kein "schlimmes Ende" mehr eintreten kann, darf und soll: Konsequent führt der Engel Clarence George durch ein Bedford Falls, das den Namen "George Bailey" nie gehört hat. Eine Stadt, zwischenzeitlich in "Pottersville" umbenannt, die ganz und gar dem Bösen und der Gier verfallen ist.

Nichts ist mehr so, wie George es in Erinnerung hatte - die Armen, für die er sich Zeit seines Lebens trotz allen Widerwillens immer einsetzte, leben unterhalb jeder Zumutbarkeit, die wenigen Reichen sind noch mächtiger geworden und dort, wo er einst die meisten der Häuser seiner Kunden hatte errichten lassen, steht nun ein verlassener Friedhof. Bailey gelangt an dem Punkt an, an dem er nur noch zurück möchte - sein Haus sehen, seine Frau und Kinder, die er im Zorn und sie anschreiend verlassen hatte. Er will Weihnachten feiern; gleich, ob mit oder ohne Haftbefehl gegen ihn, egal, ob reich oder bankrott. Er möchte wieder leben.

Und mit seinem neuen Elan kehrt auch das Glück zurück. Seine Frau hatte in der Not die Freunde gebeten, ihm, der stets half, nun ihrerseits zu helfen. So strömen sie unter dem Klingen von Weihnachtsliedern in Georges Haus, um ihm ihr Erspartes zu spenden. Unter dem Tannenbaum findet der überglückliche George eine Nachricht von Clarence, dem endlich ein Paar Flügel gewachsen sind.

'Altarraum in der Dreikönigskirche zur Nacht der Kirchen am 04. September 2009', PSch

Um It's A Wonderful Life zu charakterisieren schrieb Regisseur Frank Capra einmal Folgendes:

"Ein Film, den Argwöhnischen, Entmutigten und Desillusionierten; den Weinsäufern, den Drogensüchtigen, den Prostituierten und denen hinter Gefängnismauern und Eisernen Vorhängen, zu zeigen, dass kein Mensch ein Versager ist. Den körperlich oder geistig zurückgeblieben Geborenen, den ältesten Schwestern, verdammt zum ewigen Jungfernstand, und den ältesten Söhnen, verdammt zu ungeschulter Schwerstarbeit, vorzuführen, dass eines jeden Menschen Leben so viele andere Leben beeinflusst und bewegt. Und dass ein abscheuliches Loch entsteht, wenn er einmal nicht mehr da ist."

Hier hört man deutlich die Stimme eines anderen heraus. Und so wird diese Geschichte auch getragen von einem tiefen, alltäglichen und pragmatisch-selbstverständlichen Glauben an Jesus Christus, von einem unumstößlichen Einstehen für das Gute in jedem Menschen und einer großen, aber herzerwärmenden Naivität.

It's A Wonderful Life feiert die Schönheit des Lebens und die blanke Freude über das "Geborensein".

Dass nichts, was man tut, umsonst ist, dass man mit Einigem in der Welt – mit Gott und seinen Engeln - noch immer "rechnen darf", und, dass stets ein "Weiter" existiert. Vielleicht hatte Regisseur Frank Capra ja wirklich mit vielem nicht Recht, vielleicht war er ein hoffnungsloser Sentimentalist, Romantiker und großer Naiver. Aber wie reich wäre doch unsere Welt, wenn auch nur ein bisschen mehr von solcher Torheit in ihr leben würde?

Amen.

Die Photographie 'James Stewart', 1934, Carl Van Vechten, ist der Annahme der Nationalbibliothek der USA zufolge im public domain, weil die Restriktionen bezüglich dieser Sammlung 1986 abliefen.
Die Photographie 'Frank Capra cuts Army film as a Signal Corps Reserve major during World War II', 1943, Andibrunt, 2006, ist in den Vereinigten Staaten gemeinfrei, da es von einem Beamten oder Angestellten einer US-amerikanischen Regierungsbehörde in Ausübung seiner dienstlichen Pflichten erstellt wurde und deshalb nach Titel 17, Kapitel 1, Sektion 105 des US Code ein Werk der Regierung der Vereinigten Staaten von Amerika ist.

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