Archiv der Evangelisch-lutherische Dreikönigsgemeinde, Frankfurt am Main - Sachsenhausen
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Predigt von Pfarrerin Silke Alves-Christe: Weltgebetstag aus Frankreich - „Ich war fremd - ihr habt mich aufgenommen“ Mt 25, 35

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Ich war fremd, ihr habt mich aufgenommen

„Ich war fremd - ihr habt mich aufgenommen“ Anne-Lise Hammann Jeannot, © WGT e.V.

Weltgebetstag aus Frankreich

„Ich war fremd - ihr habt mich aufgenommen“
Mt 25, 35

Predigt gehalten von Pfarrerin Silke Alves-Christe am 01.03.2013 in der Bergkirche

Liebe Schwestern und Brüder!

„Ich war fremd und ihr habt mich aufgenommen.“

Das Thema des heutigen Weltgebetstags, von Frauen aus Frankreich vorbereitet, ist ein Satz aus dem vielleicht bekanntesten Gleichnis Jesu, aus dem Gleichnis vom Weltgericht. Wir haben es eben als Evangelium gehört.
Jesus wird auf dem Thron seiner Herrlichkeit sitzen und alle Völker werden vor ihm versammelt werden. Und er wird sie voneinander scheiden wie ein Hirt; und wird die Schafe zu seiner Rechten stellen und die Böcke zur Linken. Dieses Gleichnis hat Jesus nicht erzählt, um uns Angst vor der Zukunft zu machen, sondern um uns Wichtiges für unser Leben hier mitzugeben. Auf diese Scheidung, diese Unterscheidung in die, die rechts und die, die links von ihm stehen, folgt die Urteilsverkündung. Jesus wird sagen zu denen zu seiner Rechten:

Kommt her, ihr Gesegneten meines Vaters, ererbt das Reich, das euch bereitet ist von Anbeginn der Welt!

Jesus verkündet aber nicht einfach das Urteil, das Gerichtsurteil, sondern er läßt auch eine Begründung des Urteils folgen:

Denn ich bin hungrig gewesen und ihr habt mir zu essen gegeben, durstig, ein Fremder, nackt, krank, im Gefängnis.

Und ein Satz aus dieser Urteilsbegründung ist Thema des diesjährigen Weltgebetstags:

Fremde aufnehmen

„Ich bin fremd gewesen und ihr habt mich aufgenommen.“

Auf die Begründung des Gerichtsurteils folgt eine Antwort, eine Reaktion der Beurteilten:

Dann werden ihm die Gerechten antworten und sagen…

Dazu noch kurz eine Bemerkung vorneweg: Die französischen Frauen, die unsere Gebetsordnung vorbereitet haben, haben die Evangeliumslesung sehr besonders gestaltet. Die Reaktion der Gerechten, das, was sie dem Weltenrichter dann antworten, haben sie uns allen in den Mund gelegt. Erinnern Sie sich, wie wir eben alle zusammen gesprochen haben, bzw. gefragt haben:

Herr, wann haben wir dich hungrig gesehen und haben dir zu essen gegeben, oder durstig und haben dir zu trinken gegeben?
Wann haben wir dich als Fremden gesehen und haben dich aufgenommen, oder nackt und haben dich gekleidet?
Wann haben wir dich krank oder im Gefängnis gesehen und sind zu dir gekommen?

Das Sonderbare an ihrer Reaktion ist, daß sie alle nicht wußten, was sie taten. Weder die, die Barmherzigkeit übten, noch die, die Barmherzigkeit verweigerten, konnten sich daran erinnern. Das liegt nicht an ihrem schwachen Gedächtnis. Eine etwaige Demenz spielt beim Weltgericht gewiß keine Rolle. Daß sie für die Aktion „Brot für die Welt“ oder „Misereor“ oder für die Hilfe an Obdachlosen durch Lazarus oder für die Essensgutscheine gespendet haben, die so manche Kirchengemeinde an Bedürftige ausgibt, das werden diese Gerechten vermutlich nicht vergessen haben, daß Sie im Krankenhaus Besuche gemacht haben, werden sie vermutlich auch nicht vergessen haben.
Warum fragen sie dann so, wie wir es vorhin alle zusammen gelesen haben:

Wann haben wir dich als Fremden gesehen und haben dich aufgenommen, oder nackt und haben dich gekleidet?

Daß sie nicht wußten, was sie taten, liegt nicht an ihrer Vergesslichkeit, auch nicht an falscher Bescheidenheit, sondern daran, daß sie das Entscheidende nicht erkannt hatten: Jesus erläutert es ihnen:

„Was ihr getan habt einem von diesen meinen geringsten Brüdern, das habt ihr mir getan.”

Das ist das ganz Besondere an diesem Gericht: Die Werke der Barmherzigkeit werden an dem Weltenrichter selbst getan.
Richten tut nicht - wie in unseren Gerichten - ein unbeteiligter, neutraler Dritter, sondern der, der die Barmherzigkeit oder die Unbarmherzigkeit an seinem eigenen Leibe erfahren hat.
Also könnte man sagen: Richten tut das Opfer. Ja, in diesem Sinne ist Jesus Christus Opfer: Nicht, weil ein angeblich grausamer Gottvater seinen Sohn am Kreuz opfert, sondern weil sein Sohn Jesus Christus an seinem eigenen Leib erfährt, wie Menschen an ihren Mitmenschen handeln.

So sagt dieses Gleichnis vielleicht mehr über die Gegenwart aus als über die Zukunft. Nicht umsonst wird dieses Gleichnis vom Weltgericht auch die magna charta der Diakonie bzw. der caritas genannt, die deutlich macht: Nächstenliebe, Nächstendienst ist Gottesdienst. Wenn wir an diesen spannenden Bibeltext stur mit der Frage herangehen, die uns nun einmal stark beschäftigt, ob wir selbst im Weltgericht zur ewigen Strafe oder aber zum ewigen Leben bestimmt werden, dann macht uns Jesus deutlich, daß es ihm um die Hungernden und Durstenden geht, um die Fremden, Nackten, die Kranken und Gefangenen. Mit ihnen ist er sozusagen identisch.

„Ich war fremd - ihr habt mich aufgenommen“ Anne-Lise Hammann Jeannot, © WGT e.V.

Wenn es uns mehr um unser eigenes Seelenheil geht, als um die Not unserer Mitmenschen, wenn uns nur die Frage interessiert: Was bringt mir der Glaube? dann macht Jesus mit diesem großen Gleichnis deutlich: Ihm geht es um die Frage: Was bringt mein und dein Glaube den Hungernden und Kranken und Fremden? Wenn wir uns auf diese andere Blickrichtung einlassen könnten, wäre vielen Menschen geholfen und nicht zuletzt auch uns.
In einem der leider nicht ganz einfachen, aber eigentlich sehr schönen Lieder unseres Gottesdienstes haben wir gesungen:

Schlag mir die Tür nicht vor der Nase zu, denn ich könnt ein Engel für dich sein.

Im Evangelium, im Gleichnis vom Weltgericht wird das nochmal gesteigert: nicht nur ein Engel, sondern Jesus Christus selbst könnte der sein, dem wir die Nase vor der Tür zuschlagen. Die christlichen Frauen aus Frankreich haben da ganz konkrete Menschen vor Augen; sie erleben, wie Einwanderern, die aus den verschiedensten Gründen in Frankreich Zuflucht suchen, die Tür vor der Nase zugeschlagen wird.
In Sachsenhausen sind wir manchmal in Gefahr zu vergessen, wie viele Menschen sich auch in unserer Stadt fremd und ausgegrenzt fühlen. Die Botschaft dieses Weltgebetstags, daß gerade in den Geringsten unter ihnen kein anderer als Jesus Christus selbst Zuflucht sucht, trifft uns heute in Frankfurt in einer Situation, in der unzählige Rumänen und Bulgaren in unsere Stadt strömen.

Die Aussage Jesu: „Ich war fremd und ihr habt mich aufgenommen“ ist nicht die Aufforderung, unkritisch und naiv allen einfach nur Tor und Tür zu öffnen. Aber wenn wir von Jesus Christus hören: „Was ihr getan habt einem von diesen meinen geringsten Brüdern, das habt ihr mir getan”, dann verändert das unsere Sichtweise und unsere Redeweise über Fremde, die nach Deutschland kommen. Damit wäre schon viel gewonnen, wenn Christinnen und Christen den Verallgemeinerungen mancher Stammtischgespräche eine andere Redeweise entgegensetzen. Aber schließlich wird es auch Konsequenzen für unser Handeln haben, wenn wir in den Geringsten nicht nur eine Bedrohung unseres Wohlstands sehen, sondern in jedem einzelnen einen Menschen, ja, sogar einen Menschen, in dem uns Jesus Christus selbst begegnet. Dann kann es vielleicht gelingen, daß die graue Gestalt auf dem Titelbild, dieser fremde Mensch, der durch sein Anderssein auffällt, von uns umgeben wird wie von den warmen, angenehmen Farben, den Farben der liebenden, warmherzigen Zuwendung auf diesem schönen Bild.

Dann kann die graue Gestalt, unser fremder Mitmensch, schließlich auch den hellen Lichtstrahl von oben wahrnehmen, die frohe Botschaft der Liebe Gottes, die jedem Menschen gilt. Amen.

Das Glasfenster 'Fremde aufnehmen' gehört zu dem „beweglichen Kunstgut in gesamtkirchlichen Gebäuden der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau“
Titel: „Die fünf Taten der Barmherzigkeit“
Entwurf: Helmuth Uhrig 1969/79
Hergestellt von Hans Bernhard, Ravensburg
Standort: Martin-Niemöller-Haus, Schmitten, Kappellengang
Herzlichen Dank an die Verwaltung des Martin-Niemöller-Hauses für die Erlaubnis, diese Glasfensterbilder auf unserer Website zu zeigen.

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