Archiv der Evangelisch-lutherische Dreikönigsgemeinde, Frankfurt am Main - Sachsenhausen
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DREIKÖNIGSGEMEINDE

Frankfurt am Main - Sachsenhausen

Predigt von Pfarrerin Silke Alves-Christe: „Ein Jahr unter der Einflugschneise“

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Bergkirche, 2012, Silke Alves-Christe

20. Sonntag nach Trinitatis

„Ein Jahr unter der Einflugschneise“ Psalm 57, 1. Mose 11,1-9

Predigt gehalten von Pfarrerin Silke Alves-Christe am 21.10.2012 in der Bergkirche

Dieser Gottesdienst hat einen besonderen thematischen Schwerpunkt: Heute vor einem Jahr wurde am Frankfurter Flughafen die neue Landebahn eingeweiht. Sie hat das Leben der Menschen, die sich von einem Tag zum andern unter der Einflugschneise wiederfanden, einschneidend verändert. Bald darauf hat der Kirchenvorstand der Dreikönigsgemeinde entschieden, am Turm der Bergkirche ein großes Banner zu befestigen. Mit einem Satz aus den alttestamentlichen Klageliedern: „Wenn wir auch müde sind, läßt man uns doch keine Ruhe“ drückt unsere Gemeinde zum einen die Solidarität mit den von der ständigen Überflugbelastung betroffenen Menschen aus wie auch die Forderung an die Verantwortlichen, den ruhelosen Menschen endlich Ruhe zu verschaffen.
Heute in diesem Gottesdienst soll Raum sein, die Belastung vor Gott auszusprechen und Trost und Ermutigung zu suchen in seinem Wort.

Psalm 57:

Sei mir gnädig, Gott, sei mir gnädig!
Denn auf dich traut meine Seele,

und unter dem Schatten deiner Flügel
habe ich Zuflucht, bis das Unglück vorübergehe.

Ich rufe zu Gott, dem Allerhöchsten,
zu Gott, der meine Sache zum guten Ende führt.

Er sende vom Himmel und helfe mir,
Gott sende seine Güte und Treue.

Bergkirche, 2012, Silke Alves-Christe

Verzehrende Flammen sind die Menschen
und ihre Zungen scharfe Schwerter.

Erhebe dich, Gott, über den Himmel
und deine Herrlichkeit über alle Welt!

Sie haben meinen Schritten ein Netz gestellt
und meine Seele gebeugt;

sie haben vor mir eine Grube gegraben -
und fallen doch selbst hinein.

Mein Herz ist bereit, Gott,
mein Herz ist bereit, dass ich singe und lobe.

Wach auf, meine Seele, wach auf, Psalter und Harfe,
ich will das Morgenrot wecken!

Herr, ich will dir danken unter den Völkern, ich will dir lobsingen unter den Leuten.

Denn deine Güte reicht, so weit der Himmel ist,
und deine Wahrheit, so weit die Wolken gehen.

Erhebe dich, Gott, über den Himmel
und deine Herrlichkeit über alle Welt!

Hier vorn im Altarraum haben wir eine Klagemauer aufgestellt. Wie in der Jerusalemer Klagemauer Gebetszettel in die Ritzen und Lücken der Steine gesteckt werden, so dürfen wir unsere Klagen vor Gott bringen.

W:
Politiker und Fraport feiern vollmundig ihre wirtschaftlichen Erfolge durch die Erweiterung des Flughafens. Wir Menschen in dieser dichtbesiedelten Region leiden täglich unter der Ignoranz der Manager und der Kommunalpolitiker.
Unsere Klage bringen wir vor Dich, Herr.

S:
Leben zu erhalten, die Gesundheit zu schützen, Schaden zu vermeiden sind die Aufgaben von uns Ärzten. Der Schutz der Gesundheit wird durch wirtschaftliche Interessen deutlich vernachlässigt.
Unsere Klage bringen wir vor Dich, Herr.

H:
Im Minutentakt donnern Flugzeuge über die südlich des Mains gelegenen Stadtteile. Naherholungsgebiete wie der Stadtwald, Kleingartenanlagen und Sportstätten dienen nicht mehr der Ruhe und Entspannung. Kindergärten, Schulen und Freizeitparks sind einem ständigen Lärmpegel ausgesetzt. Kinder reagieren mit Konzentrationsstörungen und ADHS-Symptomen. Kinder und Jugendmediziner warnen vor Folgeschäden. Emissionen wurden bisher nicht thematisiert! Das Land hat bisher Luftmessungen auf Schadstoffbelastungen noch nicht ausgewertet.
Unsere Klage bringen wir vor Dich, Herr.

W:
In den südlichen Stadtteilen von Frankfurt leiden wir unter einer großen Doppelbelastung: bei Ostwind durch die Startbahn, bei Westwind durch die neue Landebahn. Wir haben niemals Ruhe.
Unsere Klage bringen wir vor Dich, Herr.

'Klagemauer' in der Bergkirche, 2012, Silke Alves-Christe

S:
Vor dem Ausbau des Flughafens gab es Durchschnittsberechnungen der zu erwartenden Lärmbelastung in Dezibel. Als die Flugzeuge dann kamen, waren sie viel lauter.
Unsere Klage bringen wir vor Dich, Herr.

A:
Unsere Kirche setzt sich ein für den Schutz des Sonntags und der Feiertage. Sie verbreitet den Slogan: „Ohne Sonntag gibt es nur noch Werktage.“ Aber für uns unter der Einflugschneise gibt es sowieso nur noch Werktage, ohne Unterschied werden wir auch sonntags und feiertags aus dem Schlaf gerissen; und die Ruhetage, die wir brauchen, die Sonntage und Feiertage, die wir besonders gestalten wollen, die wir vielleicht heiligen wollen, werden zerrissen und zerstört durch diese ständige Überflugbelastung.
Unsere Klage bringen wir vor Dich, Herr.

W:
Man arbeitet mit irreführenden Worten und Argumenten, wie zum Beispiel: Wir schaffen Schutzzonen – Aber - wir haben keinen Schutz in diesen sogenannten Schutzzonen. Man spricht von einem Nachtflugverbot – Aber - wir haben kein wirkliches Nachtflugverbot.
Unsere Klage bringen wir vor Dich, Herr.

Schriftlesung: 1. Mose 11,1-9, Der Turmbau zu Babel Es hatte aber alle Welt einerlei Zunge und Sprache. Als sie nun nach Osten zogen, fanden sie eine Ebene im Lande Schinar und wohnten daselbst. Und sie sprachen untereinander: Wohlauf, laßt uns Ziegel streichen und brennen! - und nahmen Ziegel als Stein und Erdharz als Mörtel und sprachen: Wohlauf, laßt uns eine Stadt und einen Turm bauen, dessen Spitze bis an den Himmel reiche, damit wir uns einen Namen machen; denn wir werden sonst zerstreut in alle Länder. Da fuhr der HERR hernieder, daß er sähe die Stadt und den Turm, die die Menschenkinder bauten.
Und der HERR sprach: Siehe, es ist einerlei Volk und einerlei Sprache unter ihnen allen, und dies ist der Anfang ihres Tuns; nun wird ihnen nichts mehr verwehrt werden können von allem, was sie sich vorgenommen haben zu tun.
Wohlauf, laßt uns herniederfahren und dort ihre Sprache verwirren, daß keiner des andern Sprache verstehe! So zerstreute sie der HERR von dort in alle Länder, daß sie aufhören mußten, die Stadt zu bauen.
Daher heißt ihr Name Babel, weil der HERR daselbst verwirrt hat aller Länder Sprache und sie von dort zerstreut hat in alle Länder.

Lied 430 (1-4) Gib Frieden, Herr, gib Frieden, die Welt nimmt schlimmen Lauf.

  1. Gib Frieden, Herr, gib Frieden,
    die Welt nimmt schlimmen Lauf.
    Recht wird durch Macht entschieden,
    wer lügt, liegt obenauf.
    Das Unrecht geht im Schwange,
    wer stark ist, der gewinnt.
    Wir rufen: Herr, wie lange?
    Hilf uns, die friedlos sind.

  2. 'Grafik gegen den Fluglärm' 2012, Marsel Djendjo
  3. Gib Frieden, Herr, wir bitten!
    Die Erde wartet sehr.
    Es wird so viel gelitten,
    die Furcht wächst mehr und mehr.
    Die Horizonte grollen,
    der Glaube spinnt sich ein.
    Hilf, wenn wir weichen wollen,
    und lass uns nicht allein.

  4. Gib Frieden, Herr, wir bitten!
    Du selbst bist, was uns fehlt.
    Du hast für uns gelitten,
    hast unsern Streit erwählt,
    damit wir leben könnten,
    in Ängsten und doch frei,
    und jedem Freude gönnten,
    wie feind er uns auch sei.

  5. Gib Frieden, Herr, gib Frieden:
    Denn trotzig und verzagt
    hat sich das Herz geschieden
    von dem, was Liebe sagt!
    Gib Mut zum Händereichen,
    zur Rede, die nicht lügt,
    und mach aus uns ein Zeichen
    dafür, dass Friede siegt.

Liebe Gemeinde!

Von dem Lied, das wir gerade gesungen haben, könnte man in manchen Formulierungen meinen, es sei für uns, für unsere Situation hier auf dem Berg, für die Unruhe und den fehlenden Frieden in der Nachbarschaft des Frankfurter Flughafens geschrieben worden: „Wir rufen: Herr, wie lange? Hilf uns, die friedlos sind.“

Ich habe aber ein anderes Lied ausgesucht, das ich der heutigen Predigt zugrunde legen möchte und bitte Sie, die nächste angeschlagene Liednummer, 428, aufzuschlagen. Hans Graf von Lehndorff, der Verfasser des Ostpreußischen Tagebuchs, hat dieses Lied 1968 gedichtet – gut 20 Jahre nachdem er seine ostpreußische Heimat verloren hatte, wo sein Vater das bekannte Trakehner Gestüt geleitet hatte. Er selbst hat in Ostpreußen, später in Bonn als Arzt gearbeitet. Im Ruhestand war er in der Krankenhausseelsorge und in der Drogenberatung tätig, bevor er 1987 starb.

Direkt zum Thema Fluglärm gibt es natürlich weder einen Predigttext noch ein Lied, aber in dem Lied Hans von Lehndorffs, vor allem in den Strophen 1-,3 finde ich viele Gedanken, die ich mit unserer Situation, mit der Problematik, in die wir durch die neue Landebahn geraten sind, verbinden kann. Was mir an seinem Lied besonders gefällt, ist, daß jede der 5 Strophen mit dem Ruf: „Komm!“ beginnt: „Komm in unsre Welt / Komm in unser Land …“

Dabei beginnt er mit der Welt und zieht dann den Kreis mit jeder Strophe etwas kleiner, etwas konkreter: Komm in unsre Welt, komm in unser Land, in unsere Stadt, in unser Haus, in unser Herz. Es ist sicher gut, wenn wir unsere weltumfassenden, globalen Bitten immer herunterbrechen bis vor unsere Haustür, ja bis in unser Innerstes, in unser Herz in der letzten Strophe.

Ich lese zunächst das ganze Lied:

''Adventus Domini' - Walter Habdank, © Galerie Habdank

'Adventus Domini' - Walter Habdank, © Galerie Habdank

  1. Komm in unsre stolze Welt, Herr, mit deiner Liebe Werben. Überwinde Macht und Geld, lass die Völker nicht verderben. Wende Hass und Feindessinn auf den Weg des Friedens hin.

  2. Komm in unser reiches Land, der du Arme liebst und Schwache, dass von Geiz und Unverstand unser Menschenherz erwache. Schaff aus unserm Überfluss Rettung dem, der hungern muss.

  3. Komm in unsre laute Stadt, Herr, mit deines Schweigens Mitte, dass, wer keinen Mut mehr hat, sich von dir die Kraft erbitte für den Weg durch Lärm und Streit hin zu deiner Ewigkeit.

  4. Komm in unser festes Haus, der du nackt und ungeborgen. Mach ein leichtes Zelt daraus, das uns deckt kaum bis zum Morgen; denn wer sicher wohnt, vergisst, dass er auf dem Weg noch ist.

  5. Komm in unser dunkles Herz, Herr, mit deines Lichtes Fülle; dass nicht Neid, Angst, Not und Schmerz deine Wahrheit uns verhülle, die auch noch in tiefer Nacht Menschenleben herrlich macht.
Text: Jürgen Henkys (1980) 1983 nach dem niederländischen »Geef vrede, Heer, geef vrede« von Jan Nooter 1963
Melodie: Befiehl du deine Wege (Nr. 361)

Liebe Gemeinde!

„Adventsgedicht“ hatte Hans von Lehndorff dieses Gedicht genannt. Jede Strophe beginnt mit dem Ruf: Komm! – Advent heißt ja nichts anderes als Ankommen. Komm – ein ganz wichtiger christlicher Gebetsruf, nicht nur im Advent. Ja, ein spezifisch christlicher Gebetsruf. In den meisten anderen Religionen wird Gott nicht unbedingt so geradezu nach Hause eingeladen. Gott wird vielleicht angerufen, um etwas gebeten, aber diese Einladung: Komm in unsere Welt, in unsere Stadt, in unser Haus ist ein Ruf an den Gott, der in seinem Sohn Jesus Christus Mensch geworden ist, der sich als Mensch in menschliche Verhältnisse hineinbegeben hat und sich nicht zu schade war auch für erbärmlichste menschliche Verhältnisse zwischen Krippe und Kreuz.

Mit der Einladung „Komm!“ wenden wir uns an einen Gott, der in unsere belastete Situation hineinkommen will, der ankommen will, da wo wir ihm Raum und Zeit geben, der nicht über den Wolken thront, sondern uns nahe kommen will. Viele kennen den Gebetsruf „Komm“ von dem Tischgebet: Komm, Herr Jesus, sei du unser Gast. Ja, so ist es auch hier gemeint: Gott wird dahin gerufen, wo wir nicht allein sein wollen. Komm – das ist ein Hilferuf. „Komm, sei unser Gast“: so haben viele von uns im letzten Jahr Freunde und Verwandte eingeladen: „Komm, sei einmal unser Gast! Hör Dir einmal an, was wir Tag für Tag und Nacht für Nacht ertragen müssen.“ Und es tut gut, diese Solidarität zu erfahren, daß andere wenigstens einmal stunden- oder tageweise miterleben, wovon wir reden. Für Welt, Land, Stadt etc. hat Hans von Lehndorff jeweils ein Adjektiv gefunden, und für unsere Welt ist es das Adjektiv „stolz“. Das können wir wohl bestätigen. Stolz ist unsere Welt auf ihr immer Höher, Besser, Schneller, Mehr.

Schon in den ersten Kapiteln der Bibel erfahren wir davon:

Wohlauf, laßt uns eine Stadt und einen Turm bauen, dessen Spitze bis an den Himmel reiche, damit wir uns einen Namen machen.

Gegen eine Stadt und einen Turm ist nichts einzuwenden, aber gegen die eigentliche Intension dahinter: ein Turm,

dessen Spitze bis an den Himmel reiche, damit wir uns einen Namen machen,

zeigt, daß es auch hier schon um Grenzüberschreitung und Wachstumswahn geht und um den eigenen Stolz. Daß gerade hier ein Umdenken gefragt ist, daß die Ideologie grenzenlosen Wachstums, von der unsere gesamte Wirtschaft geprägt ist, obwohl sie schon auf den ersten Seiten der Bibel kritisiert wird, konsequent hinterfragt werden muß, das macht unser Problem so komplex. Denn es ist alles schon so selbstverständlich geworden:

'La tour de Babel', 1564-1635, Joos De Momper II

Mal eben für 90 € nach Mailand hin und zurück. Nur zum Einkaufen. Kartoffeln aus Zypern, Erdbeeren im Winter. Flugananas zu jeder Jahreszeit. In den Urlaub fliegen. Spanien, Amerika, Südsee. Nach München oder Berlin fliegen. Geschäftlich. Schnell. Wir haben es eilig. Erst die eigene Betroffenheit durch die Nachteile einer solchen Lebenshaltung deckt diesen Wahn auf.

Würden wir es nicht am eigenen Leib erfahren, wären wir vermutlich auch nicht sensibel für dieses Thema. Das geben viele von uns ehrlich und unumwunden zu.
Im Gespräch mit Pfarrerinnen und Pfarrern in anderen Stadtteilen Frankfurts erfahre ich von den spezifischen Nöten, unter denen andere Menschen in Frankfurt leiden: daß es auch nicht so einfach ist, das eigene Kind in eine Schule zu schicken, in der nur noch vier deutsche Schüler in einer Klasse zu finden sind; oder wie belastend das Wohnen in einer Hochhaussiedlung ist; oder wie verängstigt Menschen in manchen anderen Stadtteilen sind, für die Kriminalität direkt vor der eigenen Haustür zum Alltag gehört. Daß Menschen unter solchen und ähnlichen Belastungen nicht unbedingt den Kopf frei haben für unser Problem, kann ich ihnen nicht wirklich übelnehmen. Und wir müssen schon zugeben: Wir haben auch nicht ständig die Probleme anderer Stadtteile vor Augen und tun auch nicht viel, um in ihrer jeweils anderen Not zu helfen. Wenn die eigene spezifische Belastung einen solidarischen Blick auch auf die belastenden Erfahrungen anderer schenkt, sind wir einen guten Schritt vorangekommen.

In der zweiten Strophe, die die vielzitierte Schere zwischen Arm und Reich thematisiert, die sich seit der Entstehung des Lieds bis heute noch deutlich weiter geöffnet hat, gefällt mir die Bitte,

„dass von Geiz und Unverstand unser Menschenherz erwache“.

Als eine Mischung aus Geiz bzw. Geldgier und Unverstand sehe ich auch die Entscheidung, partout die Flughafenerweiterung durchzudrücken und die Flüge voller Unverstand über dicht besiedeltes Gebiet zu führen.

Die dritte Strophe scheint wie für uns geschrieben:

Komm in unsre laute Stadt, Herr, mit deines Schweigens Mitte,
dass, wer keinen Mut mehr hat, sich von dir die Kraft erbitte
für den Weg durch Lärm und Streit hin zu deiner Ewigkeit.

Viel zu selten wurde bisher die laute Stadt zum Thema gemacht. Dabei ist das Thema nicht neu: Frank Crüsemann, Professor für Altes Testament, weist auf einen 4000 Jahre alten altbabylonischen Mythos hin, aus dem ich einige Zeilen zitiere:

Die Menschen wurden immer mehr, das Land lärmte wie Stiere,
durch ihr lautes Tun geriet der Gott in Unruhe, Enlil hörte ihr Geschrei,
er sprach zu den großen Göttern: Zu lästig wird mir das Geschrei der Menschen,
infolge ihres lauten Tuns entbehre ich den Schlaf.

Soweit einige Zeilen aus diesem altbabylonischen Atramchasis-Mythos, der eine uralte Parallele zur biblischen Sintflutgeschichte darstellt. Denn dieser vom Lärm der Menschen gestörte Gott Enlil forderte nun in der Versammlung der Götter, durch eine Flut die gesamte lärmende Menschheit zu vernichten.
Bemerkenswert ist das schon, daß in den frühen Stadtkulturen im Zweitstromland zwischen Euphrat und Tigris 2000 Jahre vor Christi Geburt Lärm schon ein solches Thema war, ja, soweit, daß der Lärm der Menschen den Göttern den Schlaf raubte.
In der Bibel selbst ist die Sintflut durch die Bosheit der Menschen begründet, nicht durch ihren Lärm. Aber schon zuvor, gleich in der biblischen Schöpfungsgeschichte, ist berichtet, daß Gott am siebenten Tage ruhte von allen seinen Werken, die er gemacht hatte.
Und Gott segnete den siebenten Tag und heiligte ihn, weil er an ihm ruhte von allen seinen Werken, die Gott geschaffen und gemacht hatte. So finden wir in der Bibel zwar nicht einen lärmgeplagten, aber doch einen ruhebedürftigen Gott, der – das ist nun in der Bibel immer wieder erwähnt – auch uns diese Ruhe gönnt, ja vielmehr wünscht.

Hans von Lehndorff erbittet mitten in der lauten Stadt:

Komm in unsre laute Stadt, Herr, mit deines Schweigens Mitte.

'Frankfuter Nacht der Kirchen, Mainufer', 2009

Diese Worte bilden auch genau die Mitte dieses Liedes. Das Schweigen Jesu wird als sammelnde Mitte aufgefaßt: Aus aller Zerstreuung wieder zur Mitte finden, aus allem Unerheblichen, am Rande Liegenden zum Zentralen zurückfinden. Daß uns unter der Einflugschneise diese Konzentration auf die Mitte, auf das Zentrale, auf das Wichtigste so schwer gemacht wird, ist ein großes Unrecht. Und wir sind heute in der Kirche zusammengekommen, um genau dies zu tun, was unser Lied nun benennt:

dass, wer keinen Mut mehr hat, sich von dir die Kraft erbitte
für den Weg durch Lärm und Streit hin zu deiner Ewigkeit.

Es könnte ein längerer Weg werden durch Lärm und Streit, aber es ist gut, daß wir ihn konsequent und mutig gehen: Durch den Aufschrei der Menschen unter der neuen Einflugschneise ist das Thema: Überflugbelastung, Lärmbelastung ein wichtiges Thema in unserer Gesellschaft geworden, das auch andere aufhorchen läßt, die diese nicht sofort sichtbare Belastung noch gar nicht wirklich ernst genommen haben.

Neben manchen wirklich ignoranten Leserbriefen erfahren wir doch auch viel Zustimmung und Verständnis, so etwa durch die Deutsche Ärztekammer oder in der Resolution der Kirchensynode der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau, die auf ihrer letzten Tagung feststellte,

dass die Lärmbelastung der unter den Flugbahnen des Frankfurter Flughafens lebenden Menschen unerträglich und in nicht zu verantwortendem Maße gesundheits-gefährdend geworden ist.

Unter der Einflugschneise bekommen wir besonders deutlich zu spüren, daß etwas nicht stimmt in unserer von Macht und Geld bestimmten Gesellschaft. Indem wir das bekannt machen, tun wir – quasi stellvertretend – einen wichtigen Dienst für unsere Gesellschaft. Daß wir darin fortfahren können, daß wir durch allen Lärm hindurch gehört werden, dazu schenke Gott uns Kraft und Mut. Amen.

Lied 428 (1-5) Komm in unsre stolze Welt

Fürbitten:

Z:
Herr, wir bitten dich: Gib allen, die für den Flughafen Verantwortung tragen, Verständnis für die Menschen, die vom Lärm der Maschinen betroffen sind und darunter leiden: im südlichen Frankfurt und in der Umgebung. Lasse sie erkennen, daß Gesundheit und Wohlergehen der Menschen ebenso wichtig sind wie wirtschaftliche Gesichtspunkte, und gib, daß sie dies gewissenhaft abwägen und ihre Entscheidungen über zu ergreifende Maßnahmen so treffen, daß sie sie auch in Zukunft verantworten können.
Kehret um, und ihr werdet leben!

'Bergkirche', 2008, PSch

A:
Wir bitten dich, Gott, für die Familien unter der Einflug-schneise, in denen unter der ständigen Lärmbelastung der Haussegen schief hängt: wo die Anspannung zu Gereiztheit und Ungeduld im Miteinander führen, wo Ehen durch eine Zerreißprobe gefährdet sind, weil die eine nur noch weg will und der andere sich ein Verlassen der Heimat nicht vorstellen kann.
Kehret um, und ihr werdet leben!

W:
Wir bitten Dich für alle Menschen, die in und um den Flughafen Arbeit haben, die um unsere Situation und Proteste wissen und sich dadurch in einem Zwiespalt befinden. Wir bitten Dich: laß das Wohl und die Gesundheit aller Menschen Vorrang vor allem Profitdenken haben.
Kehret um, und ihr werdet leben!

A:
Wir bitten dich, Gott, darum, daß wir uns in unserer Belastung in den verschiedenen Städten und Regionen nicht gegeneinander ausspielen lassen, sondern solidarisch zusammenhalten in dem einen Anliegen, für alle Betroffenen eine gute Lösung zu finden.
Kehret um, und ihr werdet leben!

S:
Wir bitten dich für unsere Gesellschaft, daß sie die Fragwürdigkeit unserer Ideologie zu durchschauen lernt, dass Ziele „immer schneller, immer höher, immer größer“ die Grenzen des Zumutbaren überschreiten.
Kehret um, und ihr werdet leben!

Lied 643: Viele kleine Leute an vielen kleinen Orten, die viele kleine Schritte tun,
können das Gesicht der Welt verändern, können nur zusammen das Leben bestehn.
Gottes Segen soll sie begleiten, wenn sie ihre Wege gehn.

Das Bild 'La tour de Babel', 1564-1635, Joos De Momper II, ist lizensiert unter der Creative Commons Attribution-Share Alike 3.0 Unported license.
Wir danken Frau Friedgard Habdank sehr herzlich, dass sie uns die Bilder ihres Mannes auf so großzügige und kostenlose Weise zur Verfügung gestellt hat. © Galerie Habdank, www.habdank-walter.de

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