Archiv der Evangelisch-lutherische Dreikönigsgemeinde, Frankfurt am Main - Sachsenhausen
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Predigt von Pfarrerin Silke Alves-Christe: Lukas 16,1-8 Nur Verwalter, nicht Besitzer

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'An etching by Jan Luyken illustrating Luke 16:1-9 in the Bowyer Bible*, 2009, Phillip Medhurst

Vorletzter Sonntag des Kirchenjahres

Nur Verwalter, nicht Besitzer Lukas 16,1-8

Predigt gehalten von Pfarrerin Silke Alves-Christe am 13.11.2011 in der Bergkirche

Er sprach aber auch zu den Jüngern: Es war ein reicher Mann, der hatte einen Verwalter; der wurde bei ihm beschuldigt, er verschleudere ihm seinen Besitz.
Und er ließ ihn rufen und sprach zu ihm: Was höre ich da von dir?
Gib Rechenschaft über deine Verwaltung; denn du kannst hinfort nicht Verwalter sein.
Der Verwalter sprach bei sich selbst: Was soll ich tun?
Mein Herr nimmt mir das Amt; graben kann ich nicht, auch schäme ich mich zu betteln.
Ich weiß, was ich tun will, damit sie mich in ihre Häuser aufnehmen, wenn ich von dem Amt abgesetzt werde.
Und er rief zu sich die Schuldner seines Herrn, einen jeden für sich, und fragte den ersten: Wie viel bist du meinem Herrn schuldig?
Er sprach: Hundert Eimer Öl.
Und er sprach zu ihm: Nimm deinen Schuldschein, setz dich hin und schreib flugs fünfzig.
Danach fragte er den zweiten: Du aber, wie viel bist du schuldig?
Er sprach: Hundert Sack Weizen.
Und er sprach zu ihm: Nimm deinen Schuldschein und schreib achtzig.
Und der Herr lobte den ungetreuen Verwalter, weil er klug gehandelt hatte; denn die Kinder dieser Welt sind unter ihresgleichen klüger als die Kinder des Lichts. Lukas 16,1-8

Liebe Gemeinde!

Von den zahlreichen Gleichnissen Jesu wurde dieses schon immer als besonders anstößig empfunden. Denn Jesus billigt hier offenbar das Verhalten eines raffinierten Gauners, ja er fordert seine Jünger auf, sich an ihm ein Beispiel zu nehmen. Jedoch gilt auch in diesem Fall, was für alle Gleichnisse und Vergleiche zutrifft: Sie können missverstanden und sogar bewusst missdeutet werden, wenn man sozusagen eins zu eins die Bildhälfte in die Sachhälfte überträgt, wenn alle Details des Vergleichs auf das zu Verdeutlichende angewendet werden, anstatt auf den einen springenden Punkt zu achten, der zu dem Vergleich, zu dem Gleichnis den Anlass gibt. Und so verhält es sich auch hier. Schon der Reformator Johannes Calvin hält es deshalb für töricht, wenn man bei diesem Text „auf den Einzelaussagen herumreitet“. Was aber ist in dieser Geschichte der springende Punkt, auf den es Jesus ankommt, den er herausstellen will, ohne damit das unmoralische Verhalten des Verwalters selbst zu rechtfertigen? „Und der Herr lobte den ungetreuen Verwalter, weil er klug gehandelt hatte.“ Das Vorbildliche an diesem Mann ist also Jesus zufolge seine Klugheit. Klar erkennt er seine ernste Lage: Er wurde – ob zu Recht oder Unrecht bleibt offen – bei seinem Herrn angeklagt, dass er dessen Vermögen schlecht verwalte. Die Absetzung von seinem Amt wird ihm angekündigt und Rechenschaft von seiner Verwaltung verlangt. Um für die Zeit danach nicht völlig mittellos zu sein – zu schwerer Handarbeit ist er nicht fähig und zu betteln schämt er sich – verschafft sich der Verwalter die Gunst und die Freundschaft der Schuldner seines Herrn, indem er deren Schulden beträchtlich herabsetzt, in der Hoffnung, dafür später bei ihnen unterzukommen. Zugegeben: ein betrügerisches, aber wie Jesus anerkennt, ein kluges Verhalten. Klug deshalb, weil luzide die eigene Situation erfasst und wirksam für die Zukunft vorgesorgt wird.

'Last Judgment*, First half of the 16th century

Und genau das ist er, der springende Punkt, an dem die Jünger Jesu von diesem Mann lernen sollen: Sie sollen ebenfalls klug ihre eigene Lage vor Gott erkennen und dementsprechend handeln. Jesus sieht offenbar die Menschen in ihrem Verhältnis zu Gott ganz grundsätzlich als Verwalter an – im Griechischen Urtext steht hier das Wort: Ökonom – denen am Ende ihres Lebens eine Rechenschaft über den Umgang mit dem ihnen Anvertrauten vor Gott bevorsteht. Die Bibel und die Theologie sprechen im Blick darauf vom letzten Gericht, auf das wir zugehen. Und eben in der Erwartung dieses Gerichtes, dieses Sich-Verantworten-müssens vor Gott gilt es, jetzt in der Gegenwart zielgerichtet zu handeln und zu leben.

Nun steht es so, liebe Gemeinde, dass bei uns der Gedanke des letzten oder jüngsten Gerichts ein eher negativ gefärbter Begriff ist, den man am liebsten aus der religiösen Vorstellungswelt entfernen würde. Zu sehr wurde damit in früheren Jahrhunderten Missbrauch getrieben und Angst eingejagt, er wurde zur Disziplinierung und Einschüchterung von Menschen verwendet. Aber dennoch liegt ihm eine tiefe Wahrheit zugrunde, die es wieder zu entdecken gilt: Wir Menschen sind von Gott – im Unterschied zu den Tieren – als freie Wesen in Dasein gerufen worden, die Gott als Personen gegenüberstehen. Gott will darum unser freies Ja, unsere freie Antwort auf seinen Ruf. Er will, dass wir das, was er uns anvertraut hat, verantwortlich gebrauchen und verwalten. Und dazu gehört es dann auch, dass wir Gott einmal, eben am Ende unseres Lebens, darüber Rechenschaft geben müssen. Dies erniedrigt den Menschen nicht, sondern darin offenbart sich seine einzigartige Würde vor allen anderen Geschöpfen. Das gibt seinem Leben Tiefgang und Ernst. Insofern stellt der Gerichtsgedanke eine unaufgebbare Wahrheit unseres Glaubens dar, zumal er für die, denen großes Unrecht zugefügt wurde, oft die letzte Hoffnung ist: Wenn keine menschliche Instanz ihnen Recht und Gerechtigkeit zu geben vermag, bleibt allein der Appell an den göttlichen Richter. „Die Völker freuen sich und jauchzen, dass du die Menschen recht richtest“ heißt es deshalb in einem Psalm. (67,5)

Erfasst Jesus nicht im Grunde äußerst treffend unser Wesen und unseren Auftrag als Menschen, dass wir Verwalter, Ökonomen dessen sind, was Gott uns an Gaben und Talenten verliehen hat? Der Bibelausleger Adolf Schlatter fasst es bündig zusammen: „Nur Verwalter, nicht Besitzer ist der Mensch für das, was er sein Eigentum nennt.“ Nur Verwalter, nicht Besitzer: Wenn das so ist, dann dürfen wir das, was uns gehört, Geld, Besitz, Einfluss, Fähigkeiten und Wissen nicht nur für uns selbst, für den eigenen Nutzen und Vorteil einsetzen, sondern haben es wesentlich zum Wohl und zum Nutzen unserer Mitmenschen anzuwenden. Mit dem, was Gott mir geschenkt hat, darf bei mir nicht Endstation sein, sondern es soll gleichsam weiterfließen zu meinem Nächsten hin. So wie Gott mich gesegnet hat, soll ich zum Segen für andere werden (1. Mose 12,2)! Dann sind wir gute Verwalter und treue Ökonomen! „Dient einander, ein jeder mit der Gabe, die er empfangen hat, als die guten Haushalter [Ökonomen] der mancherlei Gnade Gottes“, so greift der 1. Petrusbrief (4,10) unser Evangelium auf. Und wir sehen jetzt, wie wenig eigentlich unsere heutigen Ökonomen und Wirtschaftsleute nach diesem Verständnis „Ökonomen“ sind. Denn den im Sinne Jesu sich als „Ökonom“ verstehenden Menschen darf es nicht in erster Linie um den persönlichen Profit und die höchste Aktienrendite gehen, sondern darum, dass er mit seinem Besitz anderen, der Allgemeinheit nützt und dient! Und wie anders sähe unsere Welt aus, wenn die Mächtigen und Reichen, die Aktienbesitzer und Geldanleger darum wüssten, daraus handelten: Nicht Besitzer, sondern Verwalter sind wir! Nicht Besitzer, sondern Verwalter – und als solche werden wir einmal vor Gott rechenschaftspflichtig sein. „Gib Rechenschaft über deine Verwaltung!“ Das gilt es als Christ klug zu erkennen und entsprechend zu leben und zu handeln.

Bleiglasfenster 'Auferstehung der Toten', 2011, GFreihalter

Die heutige Schriftlesung – das Gleichnis vom Weltgericht – malt uns ausführlich vor Augen, dass es am Ende ein Gericht nach den Werken, nach den Taten geben wird. Auch zahlreiche andere Bibelstellen, darunter der heutige Wochenspruch aus dem Zweiten Korintherbrief erinnern uns daran: „Denn wir müssen alle offenbar werden vor dem Richterstuhl Christi, damit jeder seinen Lohn empfange für das, was er getan hat bei Leibesleben, es sei gut oder böse.“ Dabei wird es wohl durchaus auch Anerkennung und Lohn durch Gott geben, aber bei den meisten von uns wird dieses Urteil über unsere Taten vermutlich ernüchternd und kritisch ausfallen. Wir alle werden im letzten Gericht letztlich von der Barmherzigkeit Gottes in Christus leben, die uns in Gnaden annimmt und freispricht und der wir uns im Leben und Sterben vertrauend überlassen dürfen!

Liebe Gemeinde, mancher von Ihnen wird nun fragen: Wenn wir im letzten Gericht doch ganz und gar auf Gottes Barmherzigkeit angewiesen sind, was ist dann mit dem verantwortlichen christlichen Handeln, mit der christlichen Nächstenliebe? Wenn der Mensch mit seinem Tun vor Gott nicht bestehen kann, weil er stets hinter dem göttlichen Willen zurückbleibt, werden dann die guten Taten nicht überflüssig? Nein, ganz und gar nicht! Sie werden nur anders begründet und motiviert. Sie geschehen nicht, um mir damit den Himmel zu verdienen, um damit vor Gott im letzten Gericht bestehen zu können. Denn den Himmel hat Gott dem, der an Jesus glaubt, schon geschenkt, und im Endgericht tritt Jesus, der Gekreuzigte und Auferstandene, für ihn ein. Das alles muss er also sich durch sein Tun nicht mehr erwerben. Sondern sein Tun wird jetzt motiviert aus der Dankbarkeit gegenüber dem Gott, der ihn umsonst, aus Gnaden angenommen hat. Sein Tun wird motiviert von der Liebe zum Nächsten, von seiner Not und Bedürftigkeit, auf die der glaubende Mensch jetzt situationsgerecht einzugehen vermag, ohne dabei wieder selbstsüchtig nach dem eigenen Vorteil im letzten Gericht schielen zu müssen. Sein Tun und Handeln geschieht jetzt frei und ungezwungen aus der „Gelassenheit des Beschenkten“ (Kierkegaard) heraus, der sich nicht selbst perfektionieren muss und die Unvollkommenheit und Gebrochenheit der eigenen Lebenspraxis demütig anerkennen kann! Sein Handeln wird nun nicht motiviert durch das, was er für sich erreichen oder erzielen will, sondern durch das, was ihm zuteil geworden ist!

'Martin Luther', 2003, CTSWyneken

Was damit gemeint ist, möchte ich abschließend durch eine Anekdote aus dem Leben Martin Luthers verdeutlichen. Der Reformator soll vom Kurfürsten einmal einen etwas größeren Geldbetrag erhalten haben, den er und seine Frau Käthe dringend für die Bestreitung des Lebensunterhalts und die Verköstigung der vielen ständigen Gäste brauchen konnten. Mit diesem Geldbetrag in der Tasche ging Luther mit einem Begleiter durch Wittenberg. Dabei begegneten sie einem Bettler. Luther gab dem Bettler ein vergleichsweise großes Geldstück, was seinen Begleiter zu der Bemerkung veranlasste: „Das wird Gott euch aber reichlich lohnen.“ Worauf Luther spontan erwidert haben soll: „Das hat er doch schon längst getan!“ Amen.

Die Illustration 'An etching by Jan Luyken illustrating Luke 16:1-9 in the Bowyer Bible*, 2009, Phillip Medhurst, darf frei verwendet werden gemäß den Bestimmungen der Free Art License.
Die Gemälde 'Last Judgment*, First half of the 16th century, ist im public domain, weil sein copyright abgelaufen ist.
Das Glasfenster 'Bleiglasfenster im Musée National du Moyen Âge (Hôtel de Cluny) in Paris; Herkunft: Sainte-Chapelle in Paris, um 1200; Darstellung: Auferstehung der Toten,
Das Bild 'Martin Luther', 2003, CTSWyneken, ist im public domain, weil sein copyright abgelaufen ist.

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