Archiv der Evangelisch-lutherische Dreikönigsgemeinde, Frankfurt am Main - Sachsenhausen
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Predigten von Pfarrer Phil Schmidt: Lukas 9,57-62 Wie Dummheit entsteht

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Christus spricht zu den Jüngern

'Christus spricht zu den Jüngern', um 1010, Meister der Reichenauer Schule, Bayerische Staatsbibliothek

Oculi

Wie Dummheit entsteht Lukas 9,57-62

Predigt gehalten von Pfarrer Phil Schmidt 2003

Und als sie auf dem Wege waren, sprach einer zu ihm: Ich will dir folgen, wohin du gehst. Und Jesus sprach zu ihm: Die Füchse haben Gruben, und die Vögel unter dem Himmel haben Nester; aber der Menschensohn hat nichts, wo er sein Haupt hinlege. Und er sprach zu einem andern: Folge mir nach! Der sprach aber: Herr, erlaube mir, dass ich zuvor hingehe und meinen Vater begrabe. Aber Jesus sprach zu ihm: Lass die Toten ihre Toten begraben; du aber geh hin und verkündige das Reich Gottes! Und ein andrer sprach: Herr, ich will dir nachfolgen; aber erlaube mir zuvor, dass ich Abschied nehme von denen, die in meinem Haus sind. Jesus aber sprach zu ihm: Wer seine Hand an den Pflug legt und sieht zurück, der ist nicht geschickt für das Reich Gottes. Lukas 9,57-62

Es gibt einen Professor für Medienökologie, der an seinen Kollegen ein Experiment durchführte, ohne dass sie es wussten. Dieses Experiment lief folgendermaßen ab: er fragte einen Kollegen, ob er eine bestimmte angesehene Tageszeitung gelesen hätte. Wenn die Antwort „Nein“ lautete, dann würde er sagen: „Du musst dir heute unbedingt den Wissenschaftsteil ansehen. Dort steht ein sehr interessanter Artikel über eine Untersuchung, die an einer Universität durchgeführt wurde.“ Und nach dieser Einleitung würde er dann eine erfundene Information vortragen - etwas, was völlig lächerlich ist. Zum Beispiel: dass Ernährungswissenschaftler herausgefunden hätten, dass Schokoladenkuchen einen besonderen Nährstoff enthalte – enkomisches Doxin – das die Kalorien mit einer unglaublichen Geschwindigkeit abbaue. Wenn man also abnehmen wolle, sollte man jeden Tag drei Stücke Schokoladenkuchen essen, ein Stück genüge nicht. Oder er würde erzählen, dass Neurophysiologen herausgefunden hätten, dass ein Zusammenhang bestehe zwischen Joggen und Intelligenzschwund. Man habe mehr als 1200 Personen fünf Jahre lang getestet und eindeutig festgestellt, dass ihre Intelligenz um so mehr abnahm, je mehr Stunden sie in der Woche mit Joggen verbrachten.

Dieser Professor stellte fest, dass etwa zwei Drittel seiner Kollegen bereit waren, erfundene und hirnverbrannte Informationen zu glauben. Einige hätten sogar gesagt: „Weißt du, das habe ich auch schon gehört“. Er führte dieses Experiment auch mit Nicht-Professoren durch und kam auf dasselbe Ergebnis: etwa zwei Drittel waren bereit, etwas völlig Unsinniges zu glauben, solange es hieß, dass es sich um eine wissenschaftliche Untersuchung handelte und dass eine angesehene Zeitung davon berichtet hätte.

'NBC Nightly News broadcast
	', 2008, Jeff Maurone from Seattle, WA, USA

Was ist die Erklärung für diese Leichtgläubigkeit und Manipulierbarkeit? Dieser Professor für Medienökologie hat zwei Erklärungen: erstens die Vergöttlichung der Wissenschaft und der Massenmedien. So wie die Menschen in früheren Zeiten bereit waren, Priestern und Schamanen bedingungslos zu vertrauen, so gibt es heute eine Bereitschaft, Wissenschaftlern und Journalisten so zu vertrauen, als ob sie Propheten, Apostel oder Evangelisten wären. Und die zweite Erklärung für Leichtgläubigkeit und Manipulierbarkeit lautet: die Menschen haben nicht die Zeit, um Informationen zu verdauen und auszuwerten. Denn wir werden mit Informationen überflutet: ehe man mit einer Information fertig wird, kommen die nächsten zehn.

Denken Sie zum Beispiel an die Fernsehnachrichten. Jeder von uns weiß, wie die Nachtrichten ablaufen. Man hört z. B. von einem Massaker an Palästinensern oder Israelis; man sieht dazu die entsprechenden Bilder von Blut, Zerstörung und hasserfüllten Gesichtern. Ehe diese Nachricht verdaut worden ist, kommt vielleicht die Meldung von dem Verschwinden eines Kindes oder von dem neuesten Mord an einem Kind oder die neuesten Ergebnisse einer Morduntersuchung. Dann kommt vielleicht eine Meldung über die jüngste Regierungskrise und was die Opposition und Gewerkschaftler dazu sagen. Dann kommt vielleicht die Meldung einer Naturkatastrophe: ein Vulkanausbruch, eine Überflutung, eine Dürre, ein Erdbeben, ein Orkan; man sieht Bilder von den Menschenopfern und von der Zerstörung. Ein paar Sekunden später wird von einer Massenkarambolage auf der Autobahn berichtet. Mann sieht Bilder von ausgebrannten Autowracks und Blutspuren auf der Autobahn. Dann kommen Sportergebnisse und der Wetterbericht. Wie soll ein Mensch diese Informationen einordnen können, wenn sie so schnell, so bruchstückhaft und so willkürlich auftreten? Es gibt keine Zeit, um zu überlegen, was man mit dieser Fülle von Information anfangen sollte. Es gibt zunächst keine Möglichkeit, zu überprüfen, inwieweit man durch die Auswahl der Bilder und der Meldungen manipuliert worden ist, und wie sich diese Bilder und Meldungen auf die eigene Seele auswirken. Und es gibt erst recht keine Zeit, irgendetwas zu verdauen.

Und was ist das Ergebnis dieser Sintflut von Nachrichten? Der Professor für Medienökologie hat ein Ergebnis festgestellt: wir sind anfällig für Manipulation. Sein Experiment hat angedeutet, dass die Informationsfülle uns nicht unbedingt klüger und weiser macht, sondern eher anfälliger für Dummheit und Täuschung. Ein weiteres Ergebnis der Informationsschwemme ist, dass man durch die Überfütterung gelähmt wird. So wie ein Mensch, der zu viel gegessen hat, lethargisch und krank wird, weil sein Körper zu viel Zeit und Energie braucht, um alles zu verdauen, so wird ein Mensch, der zu viele Informationen aufnimmt, gelähmt und unausgeglichen, weil er mit dem Informationschaos nicht fertig wird. Ein anderes Ergebnis ist Unkonzentriertheit: wer mit Informationen überfüttert wird, weiß nicht, wo er anfangen sollte zu reagieren. Kein Wunder, dass so viele Menschen heutzutage auch unkonzentriert leben und sich mit ihrer Energie und Zeit verzetteln.

'Folge mir nach', 1989 - Walter Habdank. © Galerie Habdank

'Folge mir nach', 1989 - Walter Habdank. © Galerie Habdank

In diesem Zusammenhang hat der Text, der für heute vorgesehen ist, eine Aktualität. Es geht um drei Personen, die Jesus nachfolgen wollen oder sollten. In allen drei Fällen geht es darum, dass die Nachfolge keine Verzettelung der Aufmerksamkeit zulässt, sondern wer zu Jesus gehören will, muss lernen, sich auf eine Sache zu konzentrieren. Und in allen drei Fällen versucht Jesus, eine Entscheidungshilfe zu geben.

Der Erste, der zu Jesus gehören will, wird damit konfrontiert, dass Jesus ein Wanderprediger ohne festen Wohnsitz ist. Wer ihm nachfolgen will, muss bereit sein, eine Entwurzelung in Kauf zu nehmen. Der Zweite will Jesus nachfolgen und will gleichzeitig bei seinem Vater bleiben, bis er stirbt. Er ist vergleichbar mit Menschen, die heute sagen: sobald ich im Ruhestand bin, werde ich mich um meinen Glauben mehr kümmern, aber wegen Beruf und Familie habe ich im Moment leider keine Zeit. Wer so denkt, täuscht sich. Die Beziehung zu Gott darf nicht an Zeitmangel scheitern. Wer sich nicht jetzt Zeit für Gott nehmen will, wird auch später keine Zeit für Gott finden. Der Dritte will Jesus nachfolgen, aber will sich zuerst von seiner Familie verabschieden. Diese dritte Person erinnert mich an eine Erfahrung, die ich vor 20 Jahren machte, als ich versuchte, eine sogenannte Hauskirche einzurichten. Mit dieser Hauskirche wollte ich ein Angebot für Menschen einrichten, die mit dem traditionellen Gottesdienst und mit sterilen Gemeinderäumen nicht zurecht kamen. Als ich Menschen dafür ansprach, hörte ich sehr häufig die Erwiderung: „Ja, das ist eine gute Idee. Darüber muss ich nachdenken.“ Die Menschen, die so geredet hatten, haben nie teilgenommen. Nur die Menschen, die sich sofort dafür entschieden hatten, haben an dieser Hauskirche teilgenommen. Das heißt: wenn es um Glaubensentscheidungen geht, ist eine Verzögerung dasselbe wie eine Absage. Deshalb forderte Jesus von der dritten Person eine sofortige Entscheidung, denn Verzögerung bedeutet, dass die alltägliche Unkonzentriertheit und die Neigung zur Verzettelung sich durchsetzen.

Gerade in der heutigen Zeit, in der wir mit Reizüberflutung und mit einer Informationssintflut fertig werden müssen, ist es lebensnotwendig, bewusste Entscheidungen zu treffen und sich auf einzelne Sachen zu konzentrieren. Notfalls muss man einiges einfach radikal ausblenden.

In diesem Zusammenhang kann man an Leonardo da Vinci denken. Ein berühmtes Bild von ihm ist das Abendmahlsbild, wo Jesus und seine Jünger an einem langen Tisch dargestellt werden. Aber bei der ersten Ausstellung dieses Bildes waren fast alle Betrachter von einem kleinen Schiff fasziniert, das in einer Ecke des Bildes vorkam. Drei Wochen hat da Vinci gebraucht, um dieses kleine Schiff zu malen. Aber als er merkte, wie viel Aufmerksamkeit dieses Schiff auf sich zog, übermalte er das Schiff. Denn nichts sollte die Menschen vom Blick auf Jesus ablenken.

'Last Supper', Leonardo da Vinci

Und darum geht es bei den drei Personen, die Jesus nachfolgen wollten. Sie mussten zunächst radikal alles ausblenden, was sie von der Sache Jesu ablenken könnte. In dem Moment der Entscheidung ist die Sache Jesu vorrangig. Es geht hier nicht darum, dass der Nachfolger Jesu auf Dauer entwurzelt bleiben muss oder sich um Dinge wie Beerdigungen oder Familie nicht kümmern darf. Sondern es geht darum, dass Momente der Entscheidung nicht vergeudet werden dürfen. Diese drei Personen, von denen Lukas berichtet, werden Jesus vielleicht nie wieder sehen und werden vielleicht nie wieder die Gelegenheit bekommen, eine eindeutige Entscheidung für Jesus zu treffen. Wenn ein Entscheidungsmoment da ist, ist alles andere nebensächlich.

In diesem Zusammenhang kann man an die Konfirmation denken, wo Konfirmanden die einmalige Gelegenheit bekommen, vor der Gemeinde eine Willensentscheidung zu erklären, ob sie zur Gemeinde Jesu Christi gehören wollen, die aus Gottes Wort und Sakrament lebt. Dieser Moment der Entscheidung ist einmalig und darf nicht vergeudet werden. Aber jeder normale Gottesdienst bietet auch Entscheidungsmomente, Momente, wo man entscheiden kann, eine bestimmte Richtung einzuschlagen.

Es gibt eine Geschichte von dem heiligen Benedikt, dem Begründer des Benediktinerordens. Eines Tages war er unterwegs auf seinem Pferd und begegnete einem Bauern. Der Bauer sagte zu ihm: „Sie haben aber einen einfachen Beruf. Ich sollte auch ein Betender werden, dann könnte ich auch auf einem Pferd reiten.“ Benedikt erwiderte: „Sie meinen, Beten ist einfach. Also gut: wenn Sie ein Vaterunser beten können, ohne sich ablenken zu lassen, dann können Sie mein Pferd haben.“ „Abgemacht“, sagte der überraschte Bauer. Er schloss seine Augen, faltete seine Hände und fing an, laut zu beten: „Vater unser im Himmel, geheiligt werde dein Name, dein Reich komme...“ Plötzlich schaute er auf und fragte: „Bekomme ich auch den Sattel?“ Er bekam weder Sattel noch Pferd. Diese Geschichte macht deutlich, wie schwer es ist, sich völlig auf die Sache Gottes zu konzentrieren. Das Christsein scheitert nicht so sehr an großem Versagen oder an schwerwiegenden Sünden, sondern es scheitert viel mehr an banalen Ablenkungen.

Wir müssen also lernen, Dinge auszublenden. Dazu gehört die Informationssintflut, die in der eigenen Seele ein Chaos verursachen kann: und zwar ein unverdaubares Chaos, das uns von der Christusnachfolge abhalten kann. Möge Gott uns helfen, uns auf das Wesentliche zu konzentrieren und Entscheidungen zu treffen, die uns in der Nachfolge Christi einen Schritt weiter bringen.

Das Kunstwerk 'Christus spricht zu den Jüngern' (um 1010, Meister der Reichenauer Schule, Bayerische Staatsbibliothek) und dessen Reproduktion gehört weltweit zum "public domain". Das Kunstwerk ist Teil einer Reproduktions-Sammlung, die von The Yorck Project zusammengestellt wurde. Das copyright dieser Zusammenstellung liegt bei der Zenodot Verlagsgesellschaft mbH und ist unter GNU Free Documentation lizensiert.
Die Photographie 'NBC Nightly News broadcast', 2008, Jeff Maurone from Seattle, WA, USA, ist lizensiert unter der Creative Commons Attribution 2.0 Generic license.
Das Gemälde 'Last Supper', Leonardo da Vinci, ist im public domain, weil sein copyright abgelaufen ist.

Wir danken Frau Friedgard Habdank sehr herzlich, dass sie uns die Bilder ihres Mannes auf so großzügige und kostenlose Weise zur Verfügung gestellt hat.
© Galerie Habdank, www.habdank-walter.de

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