Archiv der Evangelisch-lutherische Dreikönigsgemeinde, Frankfurt am Main - Sachsenhausen
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Predigten von Pfarrer Phil Schmidt: Johannes 8, 21 - 30 Auf den Straßen von Los Angeles

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Mose und der brennende Dornbusch

Mose und der brennende Dornbusch. Loca sancta-Ikone des 12. (13.?) Jahrhunderts

Reminiscere

Auf den Straßen von Los Angeles Johannes 8, 21 - 30

Predigt gehalten von Pfarrer Phil Schmidt 2007

Da sprach Jesus abermals zu ihnen: Ich gehe hinweg, und ihr werdet mich suchen und in eurer Sünde sterben. Wo ich hingehe, da könnt ihr nicht hinkommen. Da sprachen die Juden: Will er sich denn selbst töten, dass er sagt: Wohin ich gehe, da könnt ihr nicht hinkommen? Und er sprach zu ihnen: Ihr seid von unten her, ich bin von oben her; ihr seid von dieser Welt, ich bin nicht von dieser Welt. Darum habe ich euch gesagt, dass ihr sterben werdet in euren Sünden; denn wenn ihr nicht glaubt, dass ich es bin (ICH BIN), werdet ihr sterben in euren Sünden. Da fragten sie ihn: Wer bist du denn? Und Jesus sprach zu ihnen: Zuerst das, was ich euch auch sage. Ich habe viel von euch zu reden und zu richten. Aber der mich gesandt hat, ist wahrhaftig, und was ich von ihm gehört habe, das rede ich zu der Welt. Sie verstanden aber nicht, dass er zu ihnen vom Vater sprach. Da sprach Jesus zu ihnen: Wenn ihr den Menschensohn erhöhen werdet, dann werdet ihr erkennen, dass ich es bin (ICH BIN) und nichts von mir selber tue, sondern, wie mich der Vater gelehrt hat, so rede ich. Und der mich gesandt hat, ist mit mir. Er lässt mich nicht allein; denn ich tue allezeit, was ihm gefällt. Als er das sagte, glaubten viele an ihn. Johannes 8, 21 - 30

In der Stadt Los Angeles gab es einen Wohnsitzlosen mit dem Namen Morris Siegel. Er lebte auf der Straße. Er hielt sich meistens in Hintergassen auf, er schlief öfters auf der Straße. Alles, was er besaß, war in einem Einkaufswagen untergebracht, den er vor sich her schob. Am 4. Dezember 1989 wurde er in einer Hintergasse entdeckt; er war offenbar an Herzversagen gestorben.

Aber dieser Morris Siegel hätte bequem leben können. Denn als er starb, hatte er ein Bankkonto mit einem Guthaben von $207.421. Dieses Geld hatte er von seinem Vater geerbt. Zuerst hatte er dieses Erbe nicht zur Kenntnis genommen, denn er war lange Zeit von der Bildfläche verschwunden, aber zuletzt wurde er aufgefunden und seine Familie überredete ihn, das Geld anzunehmen und ein Konto anzulegen. Er nahm aber gerade genug Geld von dem Konto, um ein altes Auto zu kaufen, in dem er bei schlechtem Wetter schlief. Er hatte auch Verwandte, die für ihn eine Wohnung gemietet hatten, aber er ging nie hin. Als er auf der Straße starb, hatte er $3 in einer Tasche.

Warum hat dieser Mann auf seinen Reichtum verzichtet und auf der Straße gelebt? Es gibt keine veröffentlichte Antwort auf diese Frage; aber eine Sache ist eindeutig: Dieser Morris Siegel hatte irgendwann einen Punkt erreicht, wo er nicht mehr in der Lage war, umzukehren. Er war in seiner eigenen Vorstellungswelt so festgefahren, dass er sich nicht mehr von einem Leben in Armut befreien konnte.

Dieser Mann kann für uns als Gleichnis dienen. Denn es gibt Menschen und Völker, die im Bereich des Glaubens ein ähnliches Schicksal erleiden, wie dieser Morris Siegel. Wer zu der Christenheit gehört, ist ein Erbe/ eine Erbin. Jeder Anhänger Christi hat ein unermesslich großes Guthaben geerbt. Zum Beispiel: in dem Epheserbrief steht ein Gebet des Apostels Paulus, das lautet:

Und er gebe euch erleuchtete Augen des Herzens, damit ihr erkennt, zu welcher Hoffnung ihr von ihm berufen seid, wie reich die Herrlichkeit seines Erbes für die Heiligen ist und wie überschwänglich groß seine Kraft an uns, die wir glauben.

In einem anderen Brief redet Paulus von dem „Reichtum an Gewissheit und Verständnis“, der allen Gläubigen zugänglich ist, und dass sie dazu bestimmt sind „zu erkennen das Geheimnis Gottes, das Christus ist, in welchem verborgen liegen alle Schätze der Weisheit und der Erkenntnis.“

Es wird also von einer überschwänglich großen Kraft gesprochen, von einer Erbschaft, die reich an Herrlichkeit ist, von einem Reichtum an Gewissheit und Verständnis. Es wird verkündet, dass in Christus alle Schätze der Weisheit und Erkenntnis verborgen liegen.

Wie sind diese Worte zu verstehen? Wie sieht diese Reichhaltigkeit an Kraft, Herrlichkeit und Weisheit aus, die uns als Erbschaft zur Verfügung steht?

Der Johannestext, der für heute vorgesehen ist, gibt einen Hinweis, welche Reichhaltigkeit gemeint ist. In diesem Text gibt es zwei Stellen, wo Jesus sich selbst bezeichnet - mit der Formulierung „Ich bin“ – so steht es im Urtext.

Fire from loppings

Wenn Jesus sagt: „Ich bin“, dann tut sich eine Welt auf. Diese Formulierung „Ich bin“ ist eine Erinnerung an die erste Selbstoffenbarung Gottes in der biblischen Geschichte. Am Hang des Berges Sinai erschien Gott in einem brennenden Dornbusch. Gott sprach zu Mose aus dem Feuer heraus und offenbarte seinen heiligen Namen. Es gibt verschiedene Übersetzungsmöglichkeiten für diesen Gottes-Namen, aber die Übersetzung, die für das Johannesevangelium maßgeblich war, lautete: „Ich bin“. „Ich bin“ gilt in der Bibel als die göttliche Selbstbezeichnung Gottes. Nur Gott durfte kategorisch sagen „Ich bin“. In dem Johannesevangelium aber übernimmt Jesus diese Selbstbezeichnung mit seinen vielen „Ich bin“ Worten: Ich bin das Brot des Lebens, Ich bin das Licht der Welt, Ich bin die Auferstehung und das Leben, Ich bin die Tür, Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben, und manchmal sagte er nur „Ich bin“.

Die Göttlichkeit dieser Bezeichnung sieht man an den jeweiligen Reaktionen der Zuhörer: z. B. als Jesus in der Anwesenheit des Hohenpriesters sagte „Ich bin“, hat der Hohepriester sein Gewand zerrissen und sagte: „Ihr habt die Gotteslästerung gehört!“ Als Jesus vor einer Gruppe von Juden sagte: „Ich bin“ wollten sie ihn steinigen – die Strafe für Gotteslästerung. Als Jesus im Garten Gethsemane sagte: „Ich bin“ fielen alle zu Boden, denn damals - zur Zeit Jesu - wenn der heilige Name Gottes laut ausgesprochen wurde – was selten vorkam - waren alle Zuhörer verpflichtet, sich anbetungsvoll auf den Boden zu werfen. Als Jesus sagte „Ich bin“ hat er sich damit Gott gleichgesetzt.

Dieser Name „Ich bin“ beinhaltet aber auch die ganze biblische Heilsgeschichte. Dieser Name steht für einen beweglichen Gott, der sich an bestimmten Orten niederlässt, der sich in biblischen Geschichten, in Geboten und Vorschriften, in Richtern und Propheten, in Psalmen, in Weisheitsliteratur und in apokalyptischer Geheimsprache offenbart hat. Der Name „Ich bin“ steht für einen Gott, der nicht nur weit oben im Himmel ist, sondern der aktiv auf die Menschen zugeht und überall erscheinen kann –in einem brennenden Dornbusch, auf dem Berg Sinai, in der Wüste, in einem Tempel, in Bethlehem, am Jordan, in Galiläa, in Jerusalem, am Golgatha, sogar im Totenreich. „Ich bin“ steht für einen Gott, der die Kluft zwischen ihm und uns überbrücken will, indem er uns in Jesus aufsucht. Deswegen sagt Jesus in dem Johannestext, dass es sogar lebensnotwendig sei, ihn als „Ich bin“ anzuerkennen. „Ich bin“ beinhaltet den unermesslichen Reichtum, der in der Bibel steht und der dazu dienen soll, uns mit Gott in Ewigkeit zu verbinden.

Für uns Christen steht ein Reichtum zur Verfügung, der uns helfen könnte, mit Zuversicht und mit Kraft zu leben. Aber sind wir nicht manchmal vergleichbar mit dem Nichtsesshaften in Los Angeles, der seinen Reichtum missachtet hatte und der die Fesseln seiner Armut nicht mehr ablegen konnte? Sein Problem war eine seelische Verkrüppelung, die nicht mehr rückgängig zu machen war. Er hätte in einer Wohnung leben können, die für ihn gemietet war, aber er konnte sich nicht mehr ändern. Er war innerlich total versklavt.

An dieser Stelle sind die warnenden Worte relevant, die Jesus am Anfang des Johannestextes spricht: „Ich gehe hinweg, und ihr werdet mich suchen und in eurer Sünde sterben“. Es ist nicht so, dass Jesus als Offenbarung Gottes jederzeit zugänglich ist. Ein Mensch, der jetzt noch in der Lage ist, sich für Fragen des Glaubens zu interessieren, kann später innerlich so verkümmern, dass er nicht mehr fähig ist, eine Bibel aufzuschlagen. Menschen können seelisch so verstockt werden, dass sie nicht mehr richtig zuhören und Neues aufnehmen können. Wer geistigen Reichtum verachtet, ist in der Gefahr, innerlich steril zu werden und den Zugang zu seinem Reichtum zu verlieren. Es gibt Menschen, die nicht mehr in der Lage sind, ein ernsthaftes Gebet zu sprechen, weil sie zu sehr in sich selbst eingekerkert sind.

Der Name„Ich bin“ steht für einen Gott, der in lebendiger Bewegung bleibt. Er wird nicht immer dort zu finden sein, wo er einmal war. Deswegen soll man jetzt zugreifen und ihn aufsuchen, wo er zu finden ist: in der biblischen Geschichte, in Wort und Sakrament, in denen, die als Zeugen Jesu Christi auftreten, in Liturgie und Gesangbuch, in Gemeindegruppen, in Musikgottesdiensten oder kirchlichen Konzerten. Es gibt viele Möglichkeiten, einen Zugang zu finden zu dem Reichtum an Weisheit und Erkenntnis, die Jesus Christus darstellt.

Das Gebet des Paulus für die Epheser darf auch unser Gebet sein:

Und er gebe euch erleuchtete Augen des Herzens, damit ihr erkennt, zu welcher Hoffnung ihr von ihm berufen seid, wie reich die Herrlichkeit seines Erbes für die Heiligen ist und wie überschwänglich groß seine Kraft an uns, die wir glauben.

Möge Gott uns helfen, den Reichtum zu ergreifen, der uns in Christus jetzt zur Verfügung steht, dass wir mit Kraft und mit Zuversicht leben können, dass wir den Reichtum nicht vergeuden, der uns anvertraut ist.

Das Bild 'Mose und der brennende Dornbusch', Loca sancta-Ikone des 12. (13.?) Jahrhunderts, Saint Catherine's Monastery, Sinai (Egypt) / K. Weitzmann: "Die Ikone" , ist in public domain, weil sein copyright abgelaufen ist. Das Photo 'Fire from loppings, 4. April 2007' ist in public domain, weil sein Urheber es zur uneingeschränkten Nutzung freigegeben hat.

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