Archiv der Evangelisch-lutherische Dreikönigsgemeinde, Frankfurt am Main - Sachsenhausen
Zurück zum Archiv Home der Dreikönigsgemeinde

Evangelisch-Lutherische

DREIKÖNIGSGEMEINDE

Frankfurt am Main - Sachsenhausen

Predigten von Pfarrer Phil Schmidt: Matthäus 4, 1 – 11 Die Wüste soll zurückerobert werden

« Predigten Home

'Temptation of Jesus in desert, William Hole: The Life of Jesus of Nazareth. Eighty Pictures.'

Temptation of Jesus in desert, William Hole: The Life of Jesus of Nazareth. Eighty Pictures.

Invokavit

Die Wüste soll zurückerobert werden Matthäus 4, 1 – 11

Predigt gehalten von Pfarrer Phil Schmidt 2009

Da wurde Jesus vom Geist in die Wüste geführt, damit er von dem Teufel versucht würde.
Und da er vierzig Tage und vierzig Nächte gefastet hatte, hungerte ihn. Und der Versucher trat zu ihm und sprach: Bist du Gottes Sohn, so sprich, dass diese Steine Brot werden. Er aber antwortete und sprach: Es steht geschrieben (5. Mose 8,3): »Der Mensch lebt nicht vom Brot allein, sondern von einem jeden Wort, das aus dem Mund Gottes geht.« Da führte ihn der Teufel mit sich in die heilige Stadt und stellte ihn auf die Zinne des Tempels und sprach zu ihm: Bist du Gottes Sohn, so wirf dich hinab; denn es steht geschrieben (Psalm 91,11-12): »Er wird seinen Engeln deinetwegen Befehl geben; und sie werden dich auf den Händen tragen, damit du deinen Fuß nicht an einen Stein stößt.« Da sprach Jesus zu ihm: Wiederum steht auch geschrieben (5. Mose 6,16): »Du sollst den Herrn, deinen Gott, nicht versuchen.« Darauf führte ihn der Teufel mit sich auf einen sehr hohen Berg und zeigte ihm alle Reiche der Welt und ihre Herrlichkeit und sprach zu ihm: Das alles will ich dir geben, wenn du niederfällst und mich anbetest. Da sprach Jesus zu ihm: Weg mit dir, Satan! Denn es steht geschrieben (5. Mose 6,13): »Du sollst anbeten den Herrn, deinen Gott, und ihm allein dienen.« Da verließ ihn der Teufel. Und siehe, da traten Engel zu ihm und dienten ihm. Matthäus 4, 1 – 11

Im 4. Jahrhundert entstand in Syrien, Palästina und Ägypten eine neue Bewegung: christliche Männer und Frauen zogen in die Wüste und lebten dort entweder jeder für sich allein oder in Wohngemeinschaften. Diese Wüstenbewohner waren die ersten Mönche und Nonnen des Christentums. Denn sie lebten ehelos und keusch, sie fasteten und beteten, sie taten Werke der Barmherzigkeit, sie strebten nach Demut. Warum haben sie das gemacht? Wollten sie in der Wüste Gott näher sein? Wollten sie in der Wüste frei sein von allen Verlockungen der Zivilisation, damit sie um so intensiver die Nähe Gottes durch Fasten, Gebet, und Meditieren erleben konnten?

Die Antwort ist überraschend und für uns heute kaum nachvollziehbar. Es ging nicht unbedingt darum, in der Wildnis Gott näher zu sein, sondern es ging vor allem darum, dem Teufel näher zu sein. Die Wildnis galt in der antiken / biblischen Welt als der Ort, wo Satan wohnte und wo Dämonen hausten. Die Wüste war der Ort, wo Tod und Teufel regierten. Die ersten christlichen Einsiedler wollten in der Wüste den Kampf mit dem Teufel aufnehmen. Sie sind in sein Herrschafts-Gebiet eingedrungen, um feindlich-besetztes Land für Gott zurück zu erobern. Es ging darum, Krieg zu führen.

Es gibt eine Fülle von Erzählungen über diese sogenannten Wüstenväter aus dem 5. Jahrhundert. Es wurde z. B. von einem Mönch berichtet, der den Teufel sah und ihn fragte: „Warum kämpfst du gegen mich, Satan?“ Und Satan erwidert: „Du bist es, der einen großen Krieg gegen mich führt!“ Oder es wurde erzählt, dass zwei Dämonen einen schlafenden Mönch beobachteten. Einer sagte zu dem anderen: „Geh mal hin und wecke ihn auf; das wird ihn ärgern.“ Der andere erwiderte: „Das kann ich nicht tun, einmal habe ich ihn aus dem Schlaf gerissen und er verbrannte mich, indem er Psalmen sang und betete.“ Solche Erzählungen unterstreichen, worum es ging: es ging darum, Machtkämpfe dort aufzunehmen, wo das Böse glaubte, einen Heimvorteil zu haben.

Und das große Vorbild für diese christlichen Wüstenkämpfer war Jesus selbst. Denn Jesus ging in die Wüste, um den Kampf mit dem Teufel aufzunehmen. Wie es in dem Matthäustext heißt, der für heute vorgesehen ist:

Da wurde Jesus vom Geist in die Wüste geführt, damit er von dem Teufel versucht würde. Und da er vierzig Tage und vierzig Nächte gefastet hatte, hungerte ihn. Und der Versucher trat zu ihm.

Der Teufel erschien, um Jesus in eine Falle zu locken. Denn Jesus hatte gefastet und ist dementsprechend hungrig und schwach. Offenbar ist er wegen seines geschwächten Zustandes verwundbar und ein ideales Opfer der Versuchung. Aber es ist nicht der Teufel, der Jesus in eine Falle locken wird, sondern es ist umgekehrt: Jesus ist derjenige, der Satan in eine Falle gelockt hat. Denn Jesus ist in das Gebiet des Satans eingedrungen; er will die Wüste zurückerobern.

Es ist bis heute eine Erwartung des Judentums, dass der Messias die Wüste erobern und zum Blühen bringen wird. Das Paradies soll überall wiederhergestellt werden – und besonders in der Wüste: dem Ort des Todes und des Teufels, dem Ort, wo Dornen und Disteln wachsen – sichtbare Zeichen der Verfluchung des Ackerbodens nach dem Sündenfall im Garten Eden. Dementsprechend berichtet das Markusevangelium, dass Jesus – als er von dem Geist Gottes in die Wüste getrieben wurde – „bei den wilden Tieren“ war; Markus und Matthäus berichten: die Engel dienten ihm. Diese zwei Aussagen sind Hinweise auf den Paradiesgarten, wo Adam in Harmonie mit wilden Tieren lebte und wo er nach jüdischer Erzählung von den Engeln bedient wurde. Jesus war also dabei, in der Wüste das Paradies wiederherzustellen. Und dazu gehörte eine Auseinandersetzung mit teuflischen Versuchungen: die gab es in dem Paradiesgarten, jetzt gab es sie in der Einöde.

Und worum ging es bei diesem Wüstenkampf? Bei allen drei Versuchungen geht es um die Frage: wie kann die Menschheit von ihrem Elend erlöst werden? Denn dazu ist Jesus in die Welt gekommen: er will die Menschen erlösen: er will sie zu Gott zurückführen.

Und der Teufel zeigte drei einleuchtende Wege, wie Jesus den Menschen helfen könnte. Erstens: viele Menschen leiden unter Hungersnot. Wenn Jesus Steine in Brot verwandeln würde, könnte er den Hunger in der Welt mit einem Schlag abschaffen. Dann wären die Menschen aufnahmefähig für Gott. Wie Bertolt Brecht sagte: „Zuerst kommt das Fressen, dann kommt die Moral.“ Mit leeren Bäuchen kann niemand auf das Wort Gottes hören, aber wenn Menschen gesättigt wären, dann wären sie Jesus dankbar und wären aufnahmefähig für seine Botschaft. So lautet die Versuchung, die natürlich eine Täuschung ist, denn wenn Sättigung an erster Stelle steht, werden Menschen dadurch weder frommer noch dankbarer.

'Temptation of Christ' (part of Russian icon), Simeon Holmogorec, 1682

'Temptation of Christ' (part of Russian icon), Simeon Holmogorec, 1682

Die zweite Versuchung ist auf derselben Linie: Jesus sollte von der Zinne des Tempels hinunterspringen – wo es viele Zuschauer geben würde - um sich von Engeln auffangen zu lassen. Nach einem solchen sensationellen Wunder-Event würde jeder Jesus als Superstar bejubeln und auf ihn hören. So lautet die 2. Versuchung, aber auch diese Rechnung würde nicht aufgehen. Denn Sensationen führen nicht zu Gott, sondern zu Erlebnissucht.

Die dritte Versuchung lautet: Satan gab an, Verfügungsgewalt über die Weltreiche und ihre Herrlichkeit zu haben. Dazu gehörte auch das römische Weltreich. Es geht hier um eine pragmatische Taktik. Warum nicht dieses römische Weltreich anerkennen? Immerhin haben sie eine relativ friedliche und gesetzlich geregelte Weltordnung hergestellt. Diese friedliche Weltordnung ist zwar auf Sklavenarbeit und auf brutaler Gewalt aufgebaut und es gibt eine Menge Leichen im Keller, aber im großen und ganzen kann man mit einem solchen Weltreich gut leben. Es gibt nur einen Haken: dieses Weltreich duldet es nicht, grundsätzlich in Frage gestellt zu werden. Jesus müsste schon pragmatische Zugeständnisse machen und sich dem römischen Kaiser unterordnen und seine Göttlichkeit anerkennen. Wenn Jesus das tun würde, dann würden die Römer ihn in Ruhe lassen und er könnte viel erreichen. Wenn er aber den Kampf mit Rom aufnimmt, dann wird er vernichtet. So könnte die dritte Versuchung verstanden werden. Wenn sich Jesus darauf eingelassen hätte, wäre er heute bedeutungslos.

Satan schlug dreimal vor, den Menschen zu helfen, indem Jesus göttliche Macht einsetzen und sich an die Realität dieser Welt anpassen würde. In dieser Welt kommt es auf Macht, Ansehen und Erfolg an. Jesus hätte alle drei haben können, wenn er wollte. Aber Jesus überlistete den Teufel, indem er einen entgegengesetzten Weg einschlug. Der Weg Jesu bestand nicht aus Macht, Ansehen und Erfolg, sondern aus Ohnmacht, Erniedrigung und Niederlage. Denn nur so konnte er uns Menschen wirklich helfen, indem er alles annahm, was uns entkräftet, entwürdigt und tötet. Nur wenn er Menschen dort aufsucht, wo sie sich befinden – und sie befinden sich in seelischen Wüsten -, kann er sie zu Gott heimholen. Der Weg zu Gott ist nicht ein Weg der erfolgreichen, sensationellen Macht, sondern ein Weg der Verletzlichkeit. Der Teufel wollte Jesus von diesem Weg der scheinbaren Hilflosigkeit abbringen. Aber er hat gegen Jesus verloren.

Bei dieser Auseinandersetzung Jesu mit dem Teufel geht es um die Frage, was wahre Macht ausmacht. Das Böse kann eigentlich nicht begreifen, welche Art der Macht zuletzt siegen wird.

Es gibt eine weitere Erzählung von den Einsiedlern in Ägypten aus dem 5. Jahrhundert, die diese Machtfrage veranschaulicht. Zwei Einsiedler, die auch leibliche Brüder waren, lebten zusammen. Der Teufel schickte einen Dämon hin, um sie auseinander zu reißen. Eines Abends hat der jüngere Bruder eine Lampe angezündet. Der Dämon kippte den Stand um, auf dem die Lampe stand und die Lampe ging aus. Der ältere Bruder war so verärgert über die scheinbare Tollpatschigkeit seines Bruders, dass er ihm eine Ohrfeige erteilte. Normalerweise müsste jetzt ein unversöhnlicher Streit entstehen. Der jüngere Bruder aber entschuldigte sich und sagte: „Sei geduldig mit mir, mein Bruder, ich werde die Lampe noch einmal anzünden.“ Obwohl es nicht seine Schuld war, dass die Lampe umkippte, und obwohl er zu Unrecht dafür geschlagen wurde, nahm er diese Demütigung auf sich – so wie Christus fremde Schuld und Demütigungen auf sich nahm und zu Unrecht geschlagen wurde. Und dann heißt es wortwörtlich: „Und siehe, die Kraft des Herrn kam und quälte den Dämon die ganze Nacht hindurch.“ Und es wurde festgestellt: „Die ganze Kraft des Feindes (= des Teufels) wird durch Demut wirkungslos gemacht.“ Und der Teufel kommt auch zu Wort in dieser Erzählung und sagt: „Wenn ich versuche, die Mönche herabzusetzen, nimmt einer von ihnen die Schuld auf sich und zerstört meine Macht.“

Solche Kämpfe in der Wüste, ob es sich um Jesus oder um seine Nachfolger handelt, offenbaren die Macht, die diese Welt zuletzt beherrschen wird: nicht rohe Gewalt, nicht Ansehen, und nicht pragmatische, politische Taktik werden diese Erde zuletzt bestimmen, sondern Dinge wie grenzenlose Vergebungsbereitschaft, selbstlose Güte, und bedingungslose Gnade. Der Teufel hat den Kampf schon verloren, denn er konnte Jesus nicht davon abhalten, den Weg einzuschlagen, der in das Totenreich hinabstieg, wo eine allumfassende Befreiung eingeleitet wurde. Es ist nur noch eine Frage der Zeit, bis der Ostersieg Christi überall und endgültig vollendet wird. Denn wie es in dem Wochenspruch für Invocavit heißt:

Dazu ist erschienen der Sohn Gottes, dass er die Werke des Teufels zerstöre.

Möge Gott uns helfen, an dem Sieg über den Teufel teilzunehmen, indem wir grenzenlose Vergebungsbereitschaft, selbstlose Güte und bedingungslose Gnade verkörpern und ausstrahlen.

Die Bilder 'Temptation of Christ' (part of Russian icon), Simeon Holmogorec, 1682 sowie 'Temptation of Jesus in desert', William Hole: The Life of Jesus of Nazareth. Eighty Pictures, sind in public domain, weil ihr copyright abgelaufen ist.

^ Zum Seitenanfang

PSch