Archiv der Evangelisch-lutherische Dreikönigsgemeinde, Frankfurt am Main - Sachsenhausen
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Predigten von Pfarrer Phil Schmidt: 1. Joh. 3, 8 Warum wir auf den Teufel nicht verzichten können

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Die Versuchung Christi (The Temptation on the Mount). Maestà by Duccio di Buoninsegna, Museo dell'Opera del Duomo, Siena

Die Versuchung Christi (The Temptation on the Mount). Maestà by Duccio di Buoninsegna, Museo dell'Opera del Duomo, Siena

Invokavit

Warum wir auf den Teufel nicht verzichten können 1. Joh. 3, 8

Predigt gehalten von Pfarrer Phil Schmidt 2008

Dazu ist erschienen der Sohn Gottes, dass er die Werke des Teufels zerstöre. 1. Joh. 3, 8

'photographic portrait of Warden Burl Cain taken at Angola Penitentiary', 2008, Blake Nelson Boyd

Es gibt in dem Bundesstaat Louisiana in den USA ein Gefängnis, das den Spitznamen „Angola“ trägt. Dieses Gefängnis war einmal berüchtigt - wegen der blutigen Gewalttätigkeit unter den Gefangenen. Aber Anfang der 80er Jahre gab es einen Wendepunkt, als ein neuer Aufseher mit dem Namen Burl Cain die Verantwortung übernahm. Dieser Aufseher war ein tiefgläubiger Christ, und er hat seine Glaubensüberzeugungen auf das Gefängnis übertragen. Sein erstes Ziel war es, dass möglichst alle Gefangenen Lese- und Schreibfertigkeit lernen – auch die, die auf die Todesstrafe warteten. Auf allen Stationen des Gefängnisses gab es Bildungsangebote in Lesen und Schreiben. Gleichzeitig wurde die Zahl der Gefängnispfarrer erhöht. Und ein theologisches Seminar wurde dazu eingeladen, im Gefängnis Bibelstudien anzubieten. Außerdem hat der Aufseher darauf bestanden, dass die Wächter alle Gefangenen mit Respekt behandeln. Das Ergebnis war, dass Gewalttätigkeit unter Gefangenen drastisch nachgeließ. Die Zahl der Gefangenen, die sich fortbildeten, nahm immer mehr zu. Ein Frieden war eingekehrt, der vorher unvorstellbar war.

In diesem Gefängnis gab es Wandlungen, die nach menschlichem Ermessen nicht möglich sind. Ein Mörder, der 16 Jahre lang auf seine Hinrichtung gewartet hatte, sagte zu diesem Gefängnisaufseher aus der Tiefe seines Herzens: Gott segne Sie! Es handelt sich hier um Vorgänge, die größer sind als Psychologie und Pädagogik.

Diese Wandlung eines Gefängnisses macht deutlich, dass Menschen sich verändern können – auch abgebrühte Kriminelle, wenn sie Entscheidungsmöglichkeiten bekommen. Die Bildungsangebote im Gefängnis gaben den Gefängnisinsassen die Möglichkeit, sich für etwas Konstruktives zu entscheiden und gegen das Zerstörerische.

Es handelt sich hier um etwas, was in der heutigen Zeit maßlos unterschätzt wird: nämlich – wie ausschlaggebend Entscheidungen sind, wenn es um Gut und Böse geht.

In diesem Zusammenhang möchte ich etwas behaupten, was mittelalterlich klingt, was aber seine Relevanz nicht verloren hat. Die Entscheidung, die jeder Mensch zu treffen hat, ist nicht nur eine Entscheidung zwischen Gut und Böse, sondern sie ist vielmehr eine Entscheidung zwischen Gott und Teufel.

Das Wort Teufel ist aus dem Sprachgebrauch der Kirche so gut wie verschwunden. In kirchlichen Veröffentlichungen wird man den Begriff „Teufel“ vergeblich suchen. Aber durch den Verlust dieses Begriffes ist uns als Kirche etwas Wesentliches verloren gegangen.

'Die Taufe Chlodwigs', um 1500, Der Meister von Saint-Gilles

In der lutherischen Kirche, in der ich aufgewachsen bin, gab es bei der Taufe eine Frage, die Jahrhunderte lang zu jeder Taufe gehörte, aber heutzutage nicht mehr gestellt wird. Diese Frage – gerichtet an die Taufpaten oder an mündige Taufkandidaten - lautet: „Widersagst Du dem Teufel und allen seinen Werken und allen seinen Wegen?“ Diese Frage ist fast so alt wie die Taufe selber. Im 4. Jahrhundert haben Taufkandidaten gesagt: „Ich widersage dir, Satan, deiner Pracht, deinem Dienst und deinen Werken.“ Als Vorbereitung auf die Taufe wurden an Taufkandidaten Dämonenaustreibungen ausgeführt.

Diese Sprache von Teufeln und Dämonen ist scheinbar überholt, aber sie ist trotzdem unverzichtbar. Denn es geht in diesem Kontext um eine grundlegende Wahrheit. Es geht hier um die Frage: Gehört das Böse zum Menschsein? Ist das Böse ein fester Bestandteil der Identität jedes Menschen? Oder ist das Böse ein Fremdkörper? Ist das Böse etwas, was nur vorübergehend in Menschen haust?

Diese Frage ist keine abstrakte, theoretische Frage sondern eine der dringlichsten Fragen der Menschheitsgeschichte. Denn warum gibt es Kriege? Warum gibt es lebenslängliche Inhaftierung und die Todesstrafe? Warum bringen Terroristen Menschen um? Menschen werden deswegen umgebracht, weil sie angeblich böse und deshalb nicht mehr lebenswert sind. Seit Jahrtausenden werden Menschen umgebracht, weil es angeblich keine andere Lösung gibt, das Böse aus der Welt zu schaffen. Die Rechnung lautet: wenn alle bösen Menschen vernichtet sind, gibt es nur noch gute Menschen.

Zu der Zeit Jesu haben Juden auf einen Messias gewartet, der die Feinde Israels vernichten sollte. Der Messias sollte in einem Heiligen Krieg die Feinde Gottes gewaltsam überwinden – und zur Zeit Jesu waren das die Römer. Jesus hat aber keine Gewalt eingesetzt und wurde deshalb als Messias nicht allgemein anerkannt.

Aber Jesus hat doch vorgeführt, dass er der Messias war, indem er die Dämonen austrieb.

Jesus hat keinen einzigen Menschen getötet, sondern er hat das Böse aus den Menschen ausgetrieben. Er hat damit demonstriert, dass jeder Mensch ein Abbild Gottes ist, und dass alles, was Gott geschaffen hat, immer noch gut ist. Er hat damit demonstriert: das Böse gehört nicht organisch zum Menschsein, sondern ist ein Schmutzkörper, den Gott entfernen kann und entfernen wird. Dementsprechend heißt es in dem Wochenspruch: „Dazu ist erschienen der Sohn Gottes, dass er die Werke des Teufels zerstöre.“

Das Wort Teufel ist deswegen so wichtig, weil es zum Ausdruck bringt, dass das Böse nicht naturgemäß zum Menschsein gehört, sondern ein Fremdkörper ist, den Gott überwältigen und hinauswerfen kann.

'Jesus heilt den Besessenen von Gerasa Mittelalterliche Buchillustration', 2005, Markus Mueller

Die Dämonenaustreibungen Jesu haben gezeigt, dass Gott in diese Welt eingebrochen ist, um seine Herrschaft aufzurichten. Und für Gott zählt jeder einzelne Mensch. Jesus war keine „Massenvernichtungswaffe“, denn es gab bei Jesus keine Massenaustreibungen – sondern der Kampf um die Herrschaft Gottes wurde Mensch für Mensch ausgetragen. Denn in jedem einzelnen Menschen spielt sich der Kampf zwischen Gott und Satan ab. Von jedem einzelnen Menschen wird deshalb eine Entscheidung erwartet: ob er zu Gott oder zu dem Teufel gehören will. Das Böse ist nicht nur etwas Überwältigendes, es ist auch etwas, wofür man sich entscheidet.

Zu dem Begriff Teufel schreibt ein neutestamentlicher Theologe folgendes: „Die Rede vom Teufel und von der Absage an ihn hat gegenüber den psychologischen Erklärungsversuchen gewichtige Vorteile: vom Teufel und seiner Macht kann man befreit werden, man kann Nein sagen. Man muss das Böse nicht in die Seele integrieren, sondern es gibt die Lösung, Befreiung und Sieg“.

Wie er schreibt: „Man kann Nein sagen:“ Dieses Nein-Sagen zu dem Teufel gehörte ursprünglich zu jeder einzelnen Taufe. Das Wort „Nein“ hat eine große Macht.
In seinem bekanntesten Lied, Ein feste Burg, schreibt Luther in der dritten Strophe:

"Und wenn die Welt voll Teufel wär und wollt uns gar verschlingen, so fürchten wir uns nicht so sehr, es soll uns doch gelingen. Der Herr dieser Welt, wie sau’r er sich stellt, tut er uns doch nicht; das macht, er ist gericht’: ein Wörtlein kann ihn fällen."

Was ist das Wörtlein, das den Teufel fällen kann? Es ist viel spekuliert worden, aber es kommt eigentlich nur ein Wort in Frage; das Wörtlein „Nein“, das bei jeder Taufe dem Teufel gegenüber auszusprechen war.

Aber gleichzeitig gehört es zu jeder Taufe, ein „Ja“ zu Christus zu sagen. Und dieses „Ja“ kann weitreichende Auswirkungen haben. In dem Gefängnis in Louisiana wurde demonstriert, wie dramatisch die Auswirkung von Entscheidungen sein kann. Der Gefängnisaufseher hat den Gefangenen die Möglichkeit gegeben, sich für Fortbildung zu entscheiden, sich für ein Lernen in der Bibel zu entscheiden, sich für Gebet und Gottesdienst zu entscheiden.

Auch für uns, die wir hier versammelt sind, gibt es unzählige Entscheidungsmöglichkeiten. Sie brauchen nur den Gemeindebrief zu lesen und Sie werden feststellen, dass es viele Möglichkeiten gibt, wie Sie sich konkret für Christus entscheiden können, indem Sie die Angebote der Gemeinde wahrnehmen. Es ist möglich, durch Entscheidungen in neue Richtungen aufzubrechen.

'Cirkus Merano, Norwegian Cirkus
	', 2007, C. Hill

In diesem Zusammenhang können wir etwas von Elephanten lernen. Es gibt Zirkusvorstellungen, bei denen Elephanten durch eine Kette an einen Pfahl gebunden werden, und dann laufen sie in einem Kreis um diesen Pfahl herum. Elephanten sind so kräftig, dass sie diesen Pflock ohne Mühe herausreißen könnten. Und warum tun sie es nicht? Ein Elephantentrainer fängt in der Kindheit des Tieres an. Ein Baby-Elephant wird an einem Pflock angekettet, der zu groß und zu tief ist, um ihn auszureißen. Er wird wochenlang versuchen, sich zu befreien, aber er wird es nicht schaffen und irgendwann gibt er es auf. Wenn er erwachsen ist, hat er diese Kindheitserfahrungen in Erinnerung, und er wird niemals versuchen, sich zu befreien, denn er hat nur in Erinnerung, dass Befreiungsversuche hoffnungslos sind.

Viele Menschen sind wie diese Zirkuselephanten. Ihr Leben läuft in engen Kreisen ab und es ist scheinbar nicht möglich, durch eine Willensentscheidung, eine neue Richtung einzuschlagen, die Befreiung bringt.

Aber die Macht Gottes kann Pfahle ausreißen und Ketten zerbrechen. Gott wartet auf unsere Entscheidungen. Er wartet auf Ja- und Nein-Entscheidungen. Denn seit Ostern ist der Teufel machtlos: „ein Wörtlein kann ihn fällen“. Und spätestens seit der Ankunft Jesu in diese Welt gilt kein Mensch als hoffnungslos böse, sondern das Böse ist für Vernichtung vorgesehen, damit jeder Mensch seine wahre Identität in Gott finden kann.

Das Kunstwerk Die Versuchung Christi (The Temptation on the Mount). Maestà by Duccio di Buoninsegna, Museo dell'Opera del Duomo, Siena ist im public domain, weil sein copyright abgelaufen ist.
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Das Bild 'Jesus heilt den Besessenen von Gerasa Mittelalterliche Buchillustration', 2005, Markus Mueller, ist im public domain, weil sein copyright abgelaufen ist.
Die Abbildung 'Die Taufe Chlodwigs', um 1500, Der Meister von Saint-Gilles, ist im public domain, weil sein copyright abgelaufen ist.
Die Photographie 'Cirkus Merano, Norwegian Cirkus', 2007, C. Hill, ist lizensiert unter der Creative Commons Attribution-Share Alike 2.5 Generic license.

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