Archiv der Evangelisch-lutherische Dreikönigsgemeinde, Frankfurt am Main - Sachsenhausen
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Predigt: "Christus wohnt in unseren Schmerzen"

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"Christus wohnt in unseren Schmerzen"

Bittgottesdienst um Heilung am 15. Februar 2009 im Kirchsaal Süd.

Einleitende Worte zum Gottesdienst

Es gab in dem US-Repräsentantenhaus ein Mitglied mit dem Namen Samuel Rayburn. Gegen Ende seines Lebens erfuhr er, dass er tödlich krank war. In Washington hätte er die beste medizinische Versorgung bekommen können, die vorstellbar war. Aber er wollte unbedingt sein Leben in seiner kleinen Heimat-Stadt in Texas vollenden. Viele Freunde fragten ihn, warum er auf die besten Kliniken verzichten wollte; in einem kleinen Städtchen würde er schneller sterben. Er antwortete folgendermaßen: „Dort, wo ich hingehe, wissen die Leute, ob du krank bist, und es ist ihnen nicht egal, ob du stirbst.“

Diese Aussage sollte für jede Kirchengemeinde gelten. In einer Kirchengemeinde soll niemand anonym krank sein. Wir sollen wissen, wenn jemand krank ist, und es sollte erkennbar sein, dass es uns nicht egal ist, ob ein Mensch gesund oder krank ist, ob er lebt oder stirbt. Und dazu dient der heutige Gottesdienst.

Wir werden heute die Namen von Menschen nennen, für die wir um Heilung bitten. Die Namen, die wir nennen, werden allerdings nicht nur auf die eigene Gemeinde beschränkt sein, sondern sind weltweit verstreut. Durch unsere Gebete werden wir bezeugen, dass es uns nicht egal ist, was aus diesen Menschen wird.

Und mit unseren Gebeten bezeugen wir, dass wir zu einem Gott gehören, der zuletzt Heil und Heilung an allen Menschen vollziehen will – allerdings zu einem Zeitpunkt, den er allein zu bestimmen hat. Deswegen heißt dieser Gottesdienst nicht „Heilungsgottesdienst“, sondern „Bittgottesdienst um Heilung“.

Jeder Mensch braucht Heilung, denn in jedem Menschen stecken krankmachende Verletzungen. Deswegen ist es angemessen, heute in diesem Gottesdienst für alle Menschen zu beten, die uns am Herzen liegen, auch wenn sie nicht schwerkrank sind. Und Sie sind alle herzlich dazu eingeladen, das Gebet um Heilung zu empfangen, auch wenn Sie sich im Moment gesund fühlen.

Anspiel „Schmerzen“

Dieses Anspiel ist zwar ein erfundenes Gespräch, aber die Inhalte sind authentisch. Das Anspiel wurde von einem Gemeindeglied geschrieben, das alles so erfahren und gedeutet hat, wie hier geschildert

Hallo, wie schön dich mal wieder zu sehen.

Ach hallo, stimmt, wir haben uns ja ewig nicht gesehen, wie geht’s dir denn?

Willst du eine ehrliche oder eine höfliche Antwort?

Wie meinst du denn das??

Na ja, eigentlich ist die Frage „wie geht’s dir denn“ doch nur eine Floskel, die man so daher sagt, ohne sie wirklich so zu meinen. Und die Antwort lautet, „Danke mir geht es gut“, oder aber vielleicht „danke ich kann nicht klagen“ Auch dann, wenn es einem eher dreckig geht.

Hmm, da hast du Recht, aber wenn ich jetzt ehrlich wissen will, wie es dir geht?

Dann muss ich dir antworten, dass ich ziemliche Kopfschmerzen habe, wie meistens.

Wie meistens? Aber du bist doch eigentlich fast immer gut gelaunt und lächelst. Da fällt es mir schwer zu glauben, dass du Schmerzen hast. Wie kannst du das denn aushalten?

Also so genau kann ich das nicht erklären, chronische Schmerzen sind zwar immer da, aber ich habe manchmal das Gefühl, dass ich sie irgendwie wegblocken kann, so dass ich sie nicht mehr als Schmerzen wahrnehme, sondern eher als ein Druck, der im Hintergrund lauert.

Und das geht so einfach, die Schmerzen in Druck umwandeln?

Nein, einfach ist es nicht, es erfordert Konzentration. Und manchmal fehlt sie dann an anderer Stelle.

Wie äußert sich das?

Genauso wie dir das auch passiert, wenn du dich nicht mehr richtig konzentrieren kannst, dir fallen Worte nicht mehr ein, die dir eigentlich auf der Zunge liegen, du kannst nicht richtig zuhören, da gibt es keine besondere Form.

Klappt das immer, dass du durch Konzentration Schmerzen verdrängst?

Leider nicht, besonders nicht, wenn die Kopfschmerzen sich zu einer Migräne ausweiten, da gibt es dann die komplette Palette mit Übelkeit, Erbrechen, Licht- und Geräuschempfindlichkeit. Da hilft nur noch ein abgedunkelter Raum, absolute Ruhe und nach einiger Zeit schwarzer Tee.

Passiert das häufig?

Zum Glück nicht, nur ab und zu mal so heftig.

Aber Kopfschmerzen hast du immer? Wie schaffst du es dann, so besonnen zu bleiben?

Zum einen, weil ich selbst nicht so gerne von miesepetrigen Leuten umgeben sein will. Es gibt aber auch noch einen anderen Beweggrund. Ich will mich einfach nicht von Schmerzen beherrschen lassen. Wenn du etwas zu Ernst nimmst, verschaffst du ihm einen großen Raum, gibst ihm eine Macht, deine Gedanken und Gefühle zu beherrschen, es verdrängt alles andere aus deinem Bewusstsein. Und das sind mir die Schmerzen eigentlich nicht wert.

Ich habe das Gefühl, dass du noch nicht alles erzählt hast, was dich belastet.

Das stimmt. Es gibt auch noch die Sache mit meinem Knie. Als Teenager habe ich davon geträumt, die Ausbildung zur Leichtathletiktrainerin zu machen und im Sportverein zu unterrichten.

Und was ist passiert?

Da machte das Knie nicht mehr mit, zum Schluss konnte ich noch nicht einmal etwas vom Boden aufheben, ohne mich an einem Tisch oder Stuhl wieder hochzuziehen. Ich verfiel in Depressionen, alles war mir egal.

Wie bist du aus diesem Loch wieder heraus gekommen?

Durch die Hilfe von Freunden, die mich zu einer Kur gedrängt haben. Da habe ich an einem Vormittag nichts anderes gemacht als zu lernen, sich auf einen Stuhl zu setzen und wieder aufzustehen, an einem anderen Tag lernte ich, Treppen zu steigen. Das klingt vielleicht merkwürdig, aber es ist gar nicht so einfach, Dinge richtig zu lernen, über die man nicht mehr nachdenkt. Oder denkst du darüber nach, wie du eine Treppe runterläufst, bevor du auf die erste Stufe steigst?

Und hast du heute keine Probleme mehr mit dem Knie?

Doch, da die Knochen schief sind, sind auch die Probleme noch da.

Und was machst du, damit du laufen kannst?

Tanzen gehen.

Was, du machst Witze??

Nein ganz im Ernst, ich mache Scottish Country Dancing, da bist du die meiste Zeit auf den Zehenspitzen, dadurch kräftigst du die Waden- und Oberschenkelmuskulatur, und das entlastet das Kniegelenk.

Hast du versucht, die Schmerzen im Rahmen deines Glaubens einzuordnen? Manche Personen würden in deiner Situation eine Art Strafe vermuten.

Du meinst als Vergeltung für mein sündiges Leben? Nein das ist nicht mein Gottesverständnis. Für mich kommt es nicht auf die Frage an, warum ich das alles erleiden musste, sondern im Vordergrund steht meine Beziehung zu Gott. Im Laufe der Zeit habe ich eine intensivere Beziehung zu Jesus aufgebaut. Am Anfang eher vorwurfsvoll, so nach dem Motto, warum ich auf dieses und jenes verzichten müsse. Später, als ich dann wieder mehr und mehr laufen konnte, wurde ich auch dankbarer.

Wofür kannst du dankbar sein?

Einer der intensivsten Urlaube war ein Wanderurlaub, als ich zum ersten Mal wieder vier Stunden am Stück laufen konnte. Natürlich tat mir abends das Knie weh, aber ich habe die Kleinigkeiten am Wegrand, das Wetter, oder die Landschaft vorher nie so intensiv wahrgenommen, wie nach der Zeit, da es mir unmöglich war, länger zu laufen.

Das kann ich mir gut vorstellen: Dinge werden kostbarer, wenn man erkennt, dass sie nicht selbstverständlich sind - gerade auch für Kleinigkeiten wird man dankbar. Und hast du etwas aus dem Ganzen gelernt?

Ich habe erfahren, dass Gott mir immer wieder Wege aufzeigt, auf denen ich weiter gehen kann, auch wenn sie nicht die Wege sind, die ich mir vorgestellt habe. Er hat mir immer wieder Menschen zur Seite gestellt, mir zu helfen, auch wenn ich das manchmal erst im Rückblick gesehen habe. Deshalb kann ich sogar meistens ganz ehrlich antworten: Danke, mir geht es gut und das trotz Schmerzen.

Und ich danke dir, dass du mir das alles erzählt hast.

Ansprache

Fürwahr, er trug unsre Krankheit und lud auf sich unsre Schmerzen (Jesaja 53, 4)

Es gibt in England an der Universität von Surrey eine Historikerin mit dem Namen Margaret Spufford, die auch als Laienpredigerin ausgebildet ist. Sie bekam Osteoporose als sie relativ jung war, und ihr ganzes Leben lang lebt sie mit starken Schmerzen. Sie musste deswegen öfters ins Krankenhaus.

Einmal wurde sie mit einer Tragbahre von einem Krankenwagen in ihr Haus zurück transportiert. Einer der Träger stolperte und die Bahre fiel ruckartig ein paar Zentimeter nach unten und wurde genau so schlagartig aufgefangen. Dieser Zwischenfall löste in dieser Frau unerträgliche Schmerzen aus. Sie geriet völlig außer sich und konnte sich nicht mehr unter Kontrolle bringen. Sie schrie und konnte nicht aufhören zu schreien. Sie griff wild um sich und erwischte die Haare von jemand, der daneben stand, und sie ließ seine Haare nicht los. Sie sagte später dazu: „Die Welt war ein Chaos. Mein Mann, der dabei war, war für mich in dem Moment völlig irrelevant, denn er konnte mich in meinen Schmerzen nicht erreichen. Niemand konnte mich erreichen.“

Aber während dieses Schmerzüberfalls passierte etwas Außerirdisches. Monatelang hatte diese Frau es nicht gewagt, ihrem Mann zu erzählen, was sie innerhalb des Unerträglichen erlebt hatte. Sie wollte nicht den Eindruck erwecken, dass sie unter einem religiösen Wahn leide. Aber zuletzt erzählte sie, was sie erlebt hatte: Sie sagte: „In jenem Moment der Unerreichbarkeit war mir plötzlich bewusst – während ich schrie – dass der Gekreuzigte gegenwärtig war. Er hat den Moment nicht ausgelöscht, und er hat die Schmerzen nicht gelindert, aber er war in diesem Moment mitten drin.“ Und in einer Predigt zur Passionszeit hat sie folgendes gesagt: „Nur wenn Christus unsere Schmerzen teilt, und die Schmerzen von Tausenden von Opfern, können wir ihn anbeten. Aber durch die Ereignisse der Karwoche wissen wir, dass er unsere Schmerzen freiwillig und vollständig teilt. Deshalb können wir ihn anbeten; als Schöpfer und als mit uns Leidenden.“

Die Grundlage für eine solche Glaubensaussage befinden sich in dem Buch des Propheten Jesaja: Fürwahr, er trug unsre Krankheit und lud auf sich unsre Schmerzen. (Jesaja 53, 4)

Aber was haben wir davon, dass Christus unsere Qualen teilt und in unseren Schmerzen wohnt? Die Antwort auf diese Frage lautet: Er wird zwar das Unerträgliche nicht unbedingt verhindern – obwohl wir dafür beten dürfen - , aber weil er mitten in unserem Leiden wohnt – als der Gekreuzigte und der Auferstandene – sind unsere Schmerzen voller unermesslicher Verheißung. Zuletzt werden Krankheit, Gebrechlichkeit, Qual und Schmerz zu einer ewigen Herrlichkeit beitragen, die in ihrem Ausmaß unvorstellbar ist. Zuletzt wird das Heil, für das wir vorgesehen sind, so überwältigend sein, dass alles, was wir jetzt erleiden, im Vergleich dazu bedeutungslos klein ist.

Dieser Glaube ist ein wartender Glaube, der auf etwas wartet, was erst nach dem Tode voll und ganz eintreten wird. Aber von diesem Osterglauben kann schon jetzt eine starke heilende Kraft ausgehen. Und möge Gott uns heute in diesem Gottesdienst helfen, die heilende Kraft zu spüren, die von seinen Verheißungen ausgeht.

Einleitende Worte und Ansprache von Pfr. Phil Schmidt

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