Archiv der Evangelisch-lutherische Dreikönigsgemeinde, Frankfurt am Main - Sachsenhausen
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Predigten von Pfarrer Phil Schmidt: Matthäus 20, 1 – 16a Was Scientology bieten will

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Vorfastenzeit - Septuagesimae

Was Scientology bieten will Matthäus 20, 1 – 16a

Predigt gehalten von Pfarrer Phil Schmidt 2002

'An etching by Jan Luyken illustrating Matthew 20:1-15 in the Bowyer Bible, Bolton, England.', 2009, Phillip Medhurst, Photo by Harry Kossuth

Das Himmelreich ist gleich einem Hausvater, der am Morgen ausging, Arbeiter zu mieten in seinen Weinberg. Und da er mit den Arbeitern eins ward um einen Groschen zum Tagelohn, sandte er sie in seinen Weinberg. Und ging aus um die dritte Stunde und sah andere an dem Markte müßig stehen und sprach zu ihnen: Gehet ihr auch hin in den Weinberg; ich will euch geben, was recht ist. Und sie gingen hin. Abermals ging er aus um die sechste und die neunte Stunde und tat gleichalso. Um die elfte Stunde aber ging er aus und fand andere müßig stehen und sprach zu ihnen: Was steht ihr hier den ganzen Tag müßig? Sie sprachen zu ihm: Es hat uns niemand gedingt. Er sprach zu ihnen: Gehet ihr auch hin in den Weinberg, und was recht sein wird, soll euch werden. Da es nun Abend ward, sprach der Herr des Weinberges zu seinem Schaffner: Rufe die Arbeiter und gib ihnen den Lohn und heb an an den Letzten bis zu den Ersten. Da kamen, die um die elfte Stunde gedingt waren, und empfing ein jeglicher seinen Groschen. Da aber die ersten kamen, meinten sie, sie würden mehr empfangen; und sie empfingen auch ein jeglicher seinen Groschen. Und da sie den empfingen, murrten sie wider den Hausvater und sprachen: Diese haben nur eine Stunde gearbeitet, und du hast sie uns gleich gemacht, die wir des Tages Last und die Hitze getragen haben. Er antwortete aber und sagte zu einem unter ihnen: Mein Freund, ich tue dir nicht Unrecht. Bist du nicht mit mir eins geworden für einen Groschen? Nimm, was dein ist, und gehe hin! Ich will aber diesem letzten geben gleich wie dir. Oder habe ich nicht Macht, zu tun, was ich will, mit dem Meinen? Siehst du darum so scheel, dass ich so gütig bin? So liegt es nun nicht an jemandes Wollen oder Laufen, sondern an Gottes Erbarmen. Hat nicht ein Töpfer Macht, aus einem Klumpen zu machen ein Gefäß zu Ehren und das andere zu Unehren? Also werden die Letzten die Ersten und die Ersten die Letzten sein. Denn viele sind berufen, aber wenige auserwählt. Matthäus 20, 1 – 16a

In der Darmstädter Landstraße, kurz unterhalb des Südfriedhofs, gab es früher ein Scientology-Zentrum. Dieses Zentrum trug den Namen „Celebrity Center“. Einmal wurde eine Rechnung veröffentlicht, die von diesem Zentrum ausgestellt wurde: es ging um 25 Stunden „Beratung“, und dafür hat jemand DM 10. 260 bezahlt. Es ergibt sich die Frage, warum Menschen bereit sind, so viel Geld an eine Organisation zu zahlen, die einen zweifelhaften Ruf hat. Offensichtlich gelingt es Scientology mit ihrer Werbung, die Menschen so anzusprechen, dass sie angelockt werden. Und offenbar ist Scientology eine erfolgreiche Organisation, denn sie ist inzwischen in mindestens 129 Ländern vertreten; mehr als 62 Millionen Menschen haben die Bücher des Sektengründers gekauft.

Dieses Scientology-Zentrum lag für mich direkt auf dem Fußweg zwischen meiner Wohnung und dem Gemeindehaus in der Tucholskystraße und manchmal habe ich die Werbung mitgenommen, die in einem Kästchen direkt an der Straße ausgelegt wurde. In dieser Werbung kann man feststellen, wie Scientology versucht, Menschen zu gewinnen. Bei der Selbstdarstellung dieser Organisation gibt es drei Punkte, die auffällig sind:

Erstens: Scientology behauptet, dass das Ziel des Lebens darin besteht, zu überleben. Wie es wortwörtlich heißt: „Das Ziel des Lebens kann als unendliches Überleben betrachtet werden....Es kann nachgewiesen werden, dass der Mensch als Lebensform bei all seinen Handlungen und Zielsetzungen nur einem Befehl folgt: ‚ÜBERLEBE’“

Zweitens: es wird behauptet, dass der Mensch sein eigenes Überleben selbst bestimmen kann. Wie es wortwörtlich heißt: „Der Mensch als Geistwesen oder Seele ist in jeder Hinsicht für seine Existenz verursachend und verantwortlich. Mit anderen Worten: der Mensch hat sein ewiges Schicksal selbst in der Hand, vorausgesetzt, dass er befreit worden ist von allem, was seine Selbstbestimmung beeinträchtigt. Totale Befreiung ist etwas, was Scientology offenbar anbieten will.

Drittens: das wahre Ich eines Menschen besteht aus seiner unsterblichen Seele – Thetan genannt - die unabhängig vom Körper und Verstand eine eigene Existenz hat und die wahre Identität eines Menschen ausmacht. Offenbar ist es ein Ziel von Scientology, diese Seele zu „exteriorisieren“, d.h. vom Körper und Verstand abzusondern, direkt anzusprechen und zu fördern. Es wird behauptet, dass jede Seele die verborgene Fähigkeit hat, „Gegenstände zu erschaffen“. Mit anderen Worten: jeder Mensch ist nach diesem Menschenbild ein kleiner Gott, der Unvergänglichkeit und Schöpferfähigkeiten in sich trägt.

'Scientology building on Hollywood Boulevard in Los Angeles, California', 2007, sv:User:Caspiax

Anhand dieser drei Anhaltspunkte kann man erkennen, warum Scientology Anziehungskraft auf manche Menschen ausübt. Unendliches Überleben, totale Freiheit, totale Selbstbestimmung, völlige Selbstentfaltung bis zu göttlichen Fähigkeiten werden in Aussicht gestellt.

Diese Selbstdarstellung von Scientology macht um so deutlicher, was wir Christen glauben. Denn was wir Christen glauben, ist ein scharfer Gegensatz zu dem, was Scientologen glauben. Und was glauben wir?

Erstens: das oberste Ziel des Lebens ist für uns Christen nicht das bloße Überleben. Die Bibel offenbart ein anderes Ziel. Das oberste Ziel für uns lautet: Gott zu lieben und zu verherrlichen in Ewigkeit. Und aus dieser Liebe heraus soll eine Liebe zu den Mitmenschen entstehen, die völlig frei ist von egoistischen Hintergedanken. Wenn Überleben das oberste Ziel lautet, dann wird das normalerweise zu Kaltblütigkeit führen.

Zweitens: nach christlicher Auffassung hat ein Mensch sein ewiges Schicksal nicht in der Hand. Scientology sagt: „Der Mensch ist in jeder Hinsicht für seine Existenz verursachend und verantwortlich“. Wer aber so denkt, erkennt die menschliche Begrenztheit nicht an. Ein Mensch, der in jeder Hinsicht für sein ewiges Schicksal „verursachend und verantwortlich“ wäre, wäre völlig überfordert. Die Bibel lädt uns Menschen dazu ein, die Sorge um das ewige Schicksal in die Hände Gottes zu geben. Wie es im Neuen Testament heißt: „Alle eure Sorge werft auf ihn, denn er sorgt für euch.“ Nur durch Vertrauen kann der Mensch seine volle Menschlichkeit, seine volle menschliche Wärme entfalten. Ein Mensch, der die volle Verantwortung für sein ewiges Schicksal tragen muss, wird irgendwann verbissen.

Drittens: nach biblischer Auffassung ist nur Gott unsterblich. Nach biblischer Auffassung kann die Seele eines Menschen nicht von seinem Körper und Verstand abgetrennt werden. Die Vorstellung, dass der Mensch eine unsterbliche Seele hat, die in dem Körper bloß haust oder sogar gefangen gehalten wird, ist nicht eine biblische Vorstellung.

Als Gott in Jesus Mensch wurde, hat er nicht bloß als göttlicher Geist in einem menschlichen Körper vorübergehend gehaust, sondern Gott ist Mensch geworden. Die Menschwerdung Gottes bedeutete, dass Gott in Jesus eine untrennbare Einheit von Fleisch und Blut, Seele und Geist angenommen und geheiligt hat. Scientology behauptet, dass die wahre Identität eines Menschen nicht in seiner Gesamtheit als Leib, Geist und Seele zu sehen ist, sondern in einer sogenannten Thetan, einer Art Geistwesen, das sich von dem Körper selbstständig machen kann; eine solche beliebige Aufteilung des Menschen wird von der christlichen Botschaft energisch bestritten.

Vielleicht entsteht jetzt der Eindruck, dass diese Unterscheidungen zwischen Scientology und Christentum nicht wichtig sind, dass es sich bloß um dogmatische Haarspalterei handelt. Denn unsere Bevölkerung heute neigt dazu, zu glauben, dass es beliebig ist, was man glaubt. Neulich gab es in der Zeitschrift Stern einen Artikel über die zehn Gebote: es wurde behauptet, dass die traditionellen zehn Gebote überholt sind, dass sie für viele nur noch als „religiöse Folklore“ gelten. Und diese Zeitschrift bot dem Leser zehn neue, zeitgemäße Gebote an. Das letzte dieser neuen Gebote lautete: „Glaube, woran du willst, aber füge keinem Menschen Leid zu“ - als ob es völlig egal wäre, was man glaubt, und als ob es allein darauf ankommt, unabhängig von Glaubensüberzeugungen zu handeln! Aber etwas, was die Christenheit in 2000 Jahren eindeutig gelernt hat, ist, das ein falscher Glaube unweigerlich dazu führt, dass Leid zugefügt wird - und besonders dann, wenn der Mensch vergöttlicht wird – wie das in manchen Sekten vorkommt; eine Vergöttlichung des Menschen führt unweigerlich zu Lieblosigkeit und Verbissenheit.

In diesem Zusammenhang hat das Gleichnis aus dem Matthäusevangelium etwas zu sagen. Die Arbeiter im Weinberg haben alle einen Silbergroschen bekommen, egal ob sie den ganzen Tag oder nur eine Stunde gearbeitet hatten. Vordergründig gesehen, erscheint diese Zahlung ungerecht. Aber der Silbergroschen ist ein Gleichnis. Es geht hier nicht um Lohn oder Belohnung, sondern es geht hier um etwas, was nur Gott schenken kann: es geht um die Wertschätzung, die Gott für jeden Menschen empfindet. Der Silbergroschen ist die bedingungslose Liebe Gottes. Diese Liebe kann man nicht verdoppeln oder verdreifachen; deswegen ist es ausgeschlossen, dass Menschen, die mehr leisten, mehr von dieser Liebe bekommen. Die Gnade Gottes lässt sich nicht vervielfältigen oder aufteilen. Diese Gnade ist wie die Unendlichkeit, die sich nicht vervielfältigen oder teilen lässt. Die gnädige Liebe Gottes ist eine unermessliche, unergründliche Größe, die Gott jedem Menschen schenken will, so wie der Weinbergbesitzer jedem Arbeiter dasselbe geben wollte.

Wenn man jetzt zurückgeht zu dem Vergleich mit Scientology, ergibt sich folgendes: das Ziel des Lebens ist nicht Überleben, sondern eine ewige Lebensgemeinschaft mit Gott. Dieses Ziel wird jedem Menschen als Geschenk angeboten; es ist nicht etwas, was man erarbeiten kann. Gott übernimmt die Verantwortung für das ewige Schicksal eines Menschen, indem er sein Leben in Gnade schenkt; er kommt uns mit diesem Geschenk entgegen. Und das Geschenk der Gnade bejaht den ganzen Menschen; denn nicht bloß ein Teil des Menschen ist Gott geweiht – etwa nur die Seele – sondern der ganze Mensch, denn der Mensch in seiner Ganzheit wird von Gott angenommen.

Und deswegen ist es erlaubt, das Leben zu genießen. Es ist erlaubt, die kleinen Freuden des Lebens unbefangen zu genießen. Man steht nicht unter dem Druck, pausenlos an sich selbst zu arbeiten oder pausenlos danach zu streben, die eigene Seele von einem sogenannten genusssüchtigen Körper zu befreien. Und man darf es hinnehmen, wenn die Leistungsfähigkeit abnimmt.

Scientology ist Stolz darauf, dass sie die Leistungsfähigkeit eines Menschen steigert. In den Werbebroschüren von Scientology sieht man Bilder von Menschen, die Erfolg und Leistungsstärke ausstrahlen. Alte und gebrechliche Menschen kommen in diesen Werbebroschüren nicht vor, denn Alte und Gebrechliche sind kein geeignetes Aushängeschild für das, was diese Organisation darstellen will. Die Kirche dagegen hat ein ganz anderes Erscheinungsbild. In unseren Gottesdiensten sieht man überwiegend ältere Menschen, und es wird dementsprechend der Kirche vorgehalten, dass es ihr nicht gelingt, die jungen, dynamischen Menschen zu gewinnen. Aber die älteren Menschen, die unser Gottesdienstbild prägen, sind unser Aushängeschild als Kirche. Denn unsere Bevölkerung betet Jugendlichkeit an und sie betet Leistungsstärke an. Aber in der Kirche hat jeder Mensch durch Gottes Gnade einen unabdingbaren Wert, der nicht davon abhängt, jung, dynamisch, gesund und erfolgreich zu sein.

In einer kirchlichen Zeitschrift wurde von einem Werkmeister berichtet, der mit 62 Jahren unfreiwillig vorzeitig in den Ruhestand ging, obwohl er noch völlig gesund war. Ein halbes Jahr nach dem Ausscheiden aus dem Berufsleben wurde er mit einem Herzinfarkt ins Krankenhaus eingeliefert. Einem Seelsorger, der ihn besuchte, sagte er folgendes: „Ich war sicher, dass der Betrieb mich wieder anfordern würde. Wer sollte denn meine spezialisierte Arbeit übernehmen? Aber es ist niemand gekommen. Alles ging weiter, als ob ich niemals da gewesen wäre, und das habe ich einfach nicht mehr ausgehalten. Wer bin ich denn, wenn ich so entbehrlich bin?“ In diesem Beispiel wird erkennbar, dass die eigene Leistungsfähigkeit keine Lebensgrundlage bilden kann. Die einzige Lebensgrundlage, die uns tragen kann – bis zum Lebensende und darüber hinaus, bis in die Ewigkeit hinein – ist die Gnade Gottes. Wer von Leistung lebt, ist zuletzt austauschbar und entbehrlich. Die Gnade Gottes dagegen verkündet die Botschaft: du bist von Gott unermesslich geliebt, du bis deshalb absolut einmalig und nicht austauschbar. Du bist für ewige Herrlichkeit vorgesehen, egal ob du leistungsstark oder leistungsschwach bist, egal ob du erfolgreich bist oder ein Versager.

Möge Gott uns helfen, dass wir seine Gnade vorbehaltlos annehmen und von seiner Gnade leben.

Die Abbildung 'An etching by Jan Luyken illustrating Matthew 20:1-15 in the Bowyer Bible, Bolton, England.', 2009, Phillip Medhurst, Photo by Harry Kossuth, ist frei, Sie kann gemäß den Festlegungen der Lizenz Freie Kunst weiterverbreitet und/oder modifiziert werden. Ein Exemplar dieser Lizenz findet sich auf der Website von "Copyleft Attitude" http://artlibre.org/licence/lal/de/ sowie auch auf anderen Websites.
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