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Predigten von Pfarrer Phil Schmidt: Matthäus 3, 13 – 17 Jesus übernimmt die Rolle des Sündenbocks

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1. Sonntag nach Epiphanias

Jesus übernimmt die Rolle des Sündenbocks Matthäus 3, 13 – 17

Predigt gehalten von Pfarrer Phil Schmidt 2009

'Taufe Jesu', Ikonen-Museum Recklinghausen

'Taufe Jesu', Ikonen-Museum Recklinghausen

Zu der Zeit kam Jesus aus Galiläa an den Jordan zu Johannes, dass er sich von ihm taufen ließe. Aber Johannes wehrte ihm und sprach: Ich bedarf dessen, dass ich von dir getauft werde, und du kommst zu mir? Jesus aber antwortete und sprach zu ihm: Lass es jetzt geschehen! Denn so gebührt es uns, alle Gerechtigkeit zu erfüllen. Da ließ er's geschehen. Und als Jesus getauft war, stieg er alsbald herauf aus dem Wasser. Und siehe, da tat sich ihm der Himmel auf, und er sah den Geist Gottes wie eine Taube herabfahren und über sich kommen. Und siehe, eine Stimme vom Himmel herab sprach: Dies ist mein lieber Sohn, an dem ich Wohlgefallen habe. (Matthäus 3, 13 – 17)

Johannes den Täufer könnte man als den größten Erfinder aller Zeiten bezeichnen, denn er hat etwas erfunden, was 2000 Jahre lang erhalten geblieben ist und buchstäblich Milliarden von Menschen erlebt haben. Ein Drittel der Menschheit heute – d. h. mehr als 2 Milliarden Menschen – haben diese Erfindung am eigenen Leib erfahren. Diese Erfindung heißt Taufe. Was Johannes der Täufer am Jordan tat, war etwas grundsätzlich Neues. Er hat eine Taufe zur Vergebung der Sünden eingeführt - etwas, was nach den Vorschriften des Alten Testamentes nicht vorgesehen war. Denn es gab im Judentum keine Taufe. Es gab zwar eine Selbstreinigung, die durch Untertauchen in fließendes Wasser vollzogen wurde, aber es ging dabei nicht um Umkehr oder Sündenvergebung, sondern um kultische Reinheit. Und es war eine Selbst-Taufe. Johannes aber hat die Menschen untergetaucht und dieser Moment galt als Abkehr von den Sünden. Was Johannes einführte, war entweder völlig eigenwillig, oder er wurde dazu von Gott beauftragt.

Denn Sündenvergebung war nach den Vorschriften der hebräischen Bibel schon seit Jahrhunderten geregelt – und eine Taufe gehörte nicht dazu. Aber um die Taufe Jesu zu verstehen, muss man wissen, wie Sündenvergebung im Judentum aussah.

An dem großen Versöhnungstag, Yom Kippur, wurde ein Ziegenbock ausgewählt. Der Hohepriester hat beide Hände auf den Kopf des Ziegenbocks gelegt und sollte – wie es im 3. Buch Mose heißt - „über ihm bekennen alle Missetat der Israeliten und alle ihre Übertretungen, mit denen sie sich versündigt haben, und soll sie dem Bock auf den Kopf legen“; der Sündenbock wurde in die Wüste gebracht. Auf diese Weise sollten die Sünden des Volkes weggetragen werden.

Zu der Zeit des zweiten Tempels wurde diese Handlung ergänzt.

  • Der heilige Name Gottes wurde in dem Moment der Sündenübertragung öffentlich ausgesprochen und alle Anwesenden sollten sich beim Hören dieses Namens auf den Boden werfen mit dem Gesicht zur Erde – als Ausdruck der Anbetung und der Ehrfurcht.
  • Außerdem haben die Anwesenden während des öffentlichen Bekenntnisses ihre persönlichen Sünden in privaten Gebeten vor Gott gebracht.
  • Auf den Hörnern des Ziegenbocks wurde ein scharlachrotes Tuch befestigt, ehe er in die Wüste getrieben wurde.
'Scapegoat', Holman Hunt. Scan by Mark Harden, http://artchive.com/ftp_site.htm. (Der Sündenbock)

'Scapegoat' (Der Sündenbock), Holman Hunt.

Aber zur Zeit Jesu gab es Zweifel, ob diese Handlungen ausreichten, um das Volk von ihren Sünden zu reinigen. Eine wichtige Quelle jüdischer Geschichte ist der Talmud, eine schriftliche Zusammenfassung von Auslegungstraditionen, die auch zur Zeit Jesu bekannt waren. In dem Talmud kann man nachlesen, dass es Zweifel gab, ob der Tempel als Ort der Versöhnung noch wirksam war.

Der Talmud berichtet von einem Hohenpriester mit der Bezeichnung Simeon der Gerechte, der vermutlich 200 Jahre vor Christus lebte. 40 Jahre lang war er Hoherpriester und als er in diesem Amt war, passierten fabelhafte Ereignisse. Es gehörte zu seinen Aufgaben, das Sündenbockritual durchzuführen. Und in diesem Zusammenhang gab es eine Auffälligkeit. Das Tuch, das an dem Kopf des Sündenbocks befestigt wurde, veränderte seine Farbe: am Anfang war es scharlachrot, aber als der Ziegenbock in die Wüste gebracht wurde, wurde es weiß. Diese Farbwandlung galt als Zeichen, dass die Sünden des Volkes tatsächlich vergeben waren. Diese Farbveränderung entsprach nämlich einer Stelle in dem Propheten Jesaja, wo es heißt:

Wenn eure Sünde auch blutrot ist, soll sie doch schneeweiß werden, und wenn sie rot ist wie Scharlach, soll sie doch wie Wolle werden.

Und als Simeon der Gerechte Hoherpriester war, gab es jedes Jahr – 40 Jahre lang - diese Farbverwandlung. In der Zeit nach ihm war es wechselhaft: manchmal wurde das Tuch weiß, manchmal nicht. Aber in den letzten 40 Jahren vor der Tempelzerstörung im Jahre 70 blieb das Tuch immer scharlachrot. Nach heutigen Erkenntnissen war die Kreuzigung Jesu im Jahre 30. Das heißt: ab dem Jahr der Kreuzigung und Auferstehung Christi blieb das Tuch auf dem Sündenbock rot – was als Zeichen galt, dass die Sündenvergebung nicht mehr wirksam war.

Diese Berichte aus dem Talmud von der Farbverwandlung sind offensichtlich Legenden. Aber diese jüdischen Legenden bezeugen eine historische Begebenheit, nämlich, dass es innerhalb des Judentums Zweifel gab, ob die Sündenbockhandlungen noch wirksam waren. Zur Zeit Johannes des Täufers muss es diesen Zweifel gegeben haben, denn sonst wäre Johannes mit seiner neuen Erfindung nicht so erfolgreich gewesen. Denn Matthäus berichtet:

Da ging zu ihm hinaus die Stadt Jerusalem und ganz Judäa und alle Länder am Jordan und ließen sich taufen von ihm im Jordan und bekannten ihre Sünden.

Matthäus berichtet, dass sogar „viele Pharisäer und Sadduzäer“ zu der Taufe des Johannes kamen. Die Sadduzäer waren eine kleine Gruppierung im Judentum, die dem Tempelkult am nähesten standen, denn die Hohenpriester waren weitgehend Sadduzäer. Wenn sogar Sadduzäer sich taufen ließen, dann ist es eindeutig, dass der Tempelkult in einer Vertrauenskrise steckte. Es wäre etwas Vergleichbares, wenn die engsten Mitarbeiter der Deutschen Bank zahlreich anfangen würden, ihr Geld unter Matratzen zu verstecken oder bei der Commerzbank Konten einzurichten; so ist es auch, wenn Sadduzäer ihre Sündenvergebung nicht mehr im Tempel suchten, sondern bei einem Wanderprediger an dem Jordan.

Und die Taufe Jesu im Jordan greift Einiges auf, was bei dem Sündenbockritual vorkam. Zum Beispiel: das Opfertier sollte makellos sein. Und auch Jesus galt als makellos; bei ihm war keine Sünde zu finden. Das erkannte Johannes und deshalb wollte er Jesus nicht taufen. Er sagte:

Ich bedarf dessen, dass ich von dir getauft werde, und du kommst zu mir?

Indem Jesus sich taufen ließ, hat er sich mit der sündigen Menschheit solidarisiert. Er war durch die Taufe wie der Ziegenbock, auf den die Sünden der Menschen übertragen wurden.

'Hl. Johannes der Täufer
', um 1530, Meister von Meßkirch

Dass diese Sündenbocksymbolik tatsächlich für Jesus gilt, wird in zwei anderen Evangelien bezeugt. In dem Johannesevangelium sagt Johannes der Täufer, wenn er Jesus sieht: „Siehe, das Lamm Gottes, das die Sünden der Welt trägt.“ (Johannes sieht in Jesus eine Kombination von zwei Tieren: das Passalamm, das geopfert wurde, und den Sündenbock, der die Sünden des ganzen Volkes getragen hatte.) Und Markus identifiziert Jesus als den Sündenbock, in dem er schreibt, dass Jesus nach seiner Taufe von dem heiligen Geist in die Wüste „getrieben“ wurde. Diese sprachliche Feinheit kommt nur bei Markus vor, aber die Bedeutung ist eindeutig: Jesus ist der neue Sündenbock, der ab der Taufe die Sünden der Menschen in die Wüste trägt.

Und siehe, da tat sich ihm der Himmel auf, und er sah den Geist Gottes wie eine Taube herabfahren und über sich kommen. Und siehe, eine Stimme vom Himmel herab sprach: Dies ist mein lieber Sohn, an dem ich Wohlgefallen habe.

Normalerweise, wenn Gott so erscheint und spricht, müssten die Anwesenden ohnmächtig zu Boden fallen. Am Berg Sinai, als Gott direkt zu dem Volk Israel sprach, haben alle gedacht, dass sie bald sterben würden. Denn die unmittelbare Anwesenheit Gottes ist für Menschen nicht zu verkraften. Es gab einen Grenzzaun um den Berg Sinai, der einen Sicherheitsabstand markierte. Wer diese Grenze überschritt, musste damit rechnen, tot umzufallen, denn dieser Berg war eine Offenbarungsstätte Gottes. Am Berg Sinai wurde die Bundeslade gebaut, die als Ort galt, an dem Gott sich nieder gelassen hat. Es war verboten, diesen Kasten anzufassen. Einer, der die Bundeslade berührte, fiel tot um, als ob er eine offene Starkstromleitung berührt hätte. Der biblische Grundsatz lautet: Ein Mensch, der Gott zu nahe kommt, muss sterben; und ein Mensch, der Gott in seiner Herrlichkeit anschaut, wird nicht überleben.

Es war also eine Sensation, dass Gott bei der Taufe Jesu erschien und auf Jesus herabkam, so dass Jesus die neue Offenbarungsstätte Gottes war, aber niemand fiel in Ohnmacht. Gott ist in Jesus gegenwärtig, und niemand fällt zu Boden. Gott ist in Jesus sichtbar geworden und jeder kann Jesus anschauen, ohne das Leben zu verlieren. Johannes der Evangelist bezeugt sogar, dass es möglich war, in Jesus die Herrlichkeit Gottes zu sehen. Gott ist in Jesus Mensch geworden und jeder darf seine Herrlichkeit sehen, ohne zu vergehen, und jeder kann ihn anfassen, ohne zu sterben. So etwas hat es noch nie gegeben.

Und Jesus deutet an, was hier eingetreten ist, indem er bei seiner Taufe sagt, dass es darum geht „alle Gerechtigkeit zu erfüllen.“ Bei dem Begriff Gerechtigkeit geht es um die Beziehung zwischen Gott und Mensch. Als Jesus die Sünden der Menschen bei der Taufe auf sich nahm, überbrückte er den Abstand, der sonst zwischen Gott und Mensch besteht. Deswegen können ab jetzt Menschen in der Nähe Gottes sein, ohne dass es ihnen schadet. Im Gegenteil: es wird eher Jesus schaden. Denn Gott ist in Jesus als der neue Sündenbock erschienen, der vertrieben und getötet werden konnte. Und im Gegensatz zu dem alten Sündenbockritual, das eine zweifelhafte Wirkung hatte, hat Jesus die Vergebung aller Sünden bewirkt. Die Verheißung des Propheten Jesaja wird in Jesus verwirklicht:

Wenn eure Sünde auch blutrot ist, soll sie doch schneeweiß werden, und wenn sie rot ist wie Scharlach, soll sie doch wie Wolle werden.

Dass wir Gott nahe sein dürfen, ist keine Selbstverständlichkeit. Gott ist in Jesus zu uns gekommen, damit wir in Reinheit vor ihn treten und seine Herrlichkeit sehen dürfen – heute und für immer. Dafür sollen wir Gott mit Ehrfrucht danken – heute und für immer.

Wir danken dem Ikonenmuseum Recklinghausen (www.kunst-in-recklinghausen.de/6im.html) für die Genehmigung, Ikonen aus diesem Museum kostenlos zeigen zu dürfen.
Das Bild 'Hl. Johannes der Täufer', um 1530, Meister von Meßkirch, ist im public domain, weil sein copyright abgelaufen ist.

Wir danken Mark Harden für die Bestätigung, das Bild 'Scapegoat' von Holman Hunt kostenlos zeigen zu dürfen.

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