Archiv der Evangelisch-lutherische Dreikönigsgemeinde, Frankfurt am Main - Sachsenhausen
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Predigten von Pfarrer Phil Schmidt: Eph. 1, 15 - 22 Göttliche Fülle, die sichtbar und greifbar ist

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4. Sonntag nach Epiphanias

Göttliche Fülle, die sichtbar und greifbar ist Eph. 1, 15 - 22

Predigt gehalten von Pfarrer Phil Schmidt 2006

Altar: für den Gottesdienst geschmückt

Altar: für den Gottesdienst geschmückt

Darum auch ich, nachdem ich gehört habe von dem Glauben bei euch an den Herrn Jesus und von eurer Liebe zu allen Heiligen, höre ich nicht auf, zu danken für euch, und gedenke euer in meinem Gebet, dass der Gott unseres Herrn Jesus Christus, der Vater der Herrlichkeit, euch gebe den Geist der Weisheit und der Offenbarung, ihn zu erkennen. Und er gebe euch erleuchtete Augen des Herzens, damit ihr erkennt, zu welcher Hoffnung ihr von ihm berufen seid, wie reich die Herrlichkeit seines Erbes für die Heiligen ist und wie überschwenglich groß seine Kraft an uns, die wir glauben, weil die Macht seiner Stärke bei uns wirksam wurde, mit der er in Christus gewirkt hat. Durch sie hat er ihn von den Toten auferweckt und eingesetzt zu seiner Rechten im Himmel über alle Reiche, Gewalt, Macht, Herrschaft und alles, was sonst einen Namen hat, nicht allein in dieser Welt, sondern auch in der zukünftigen. Und alles hat er unter seine Füße getan und hat ihn gesetzt der Gemeinde zum Haupt über alles, welche sein Leib ist, nämlich die Fülle dessen, der alles in allem erfüllt. (Eph. 1, 15 - 22)

In der Stadt New York geschah folgendes: ein junger Mann war zu Fuß unterwegs - von einer Busstation zu der Wohnung seines Vaters in Manhattan. Plötzlich wurde er von zwei jungen Männern umringt, die sagten: „Gib uns dein Portemonnaie!“ Er antwortete spontan: „Nein“. Dann hieß es: „Gib uns deine Brieftasche, oder wir erschießen dich; wir haben eine Pistole.“ Die Antwort lautete: „“Nein!“ Dann sagte einer: „Mann, Du verstehst nicht. Dies ist ein Raubüberfall: Gib uns deine Brieftasche“. Die Antwort blieb bei „Nein“. Dann hörte er: „Wir haben auch ein Messer, wir schlitzen dich auf, wenn du uns dein Portemonnaie nicht aushändigst!“ „Nein“, war die Antwort. Dann sagten die Straßenräuber – fast verzweifelt jetzt: „Gib uns deine Brieftasche oder wir schlagen dich zusammen.“ Wieder hieß es „Nein“. Und plötzlich zogen die Zwei ab. Später erzählte der junge Mann seinen Familienangehörigen, was eingetreten war. Sie fragten ihn, ob er nicht Angst hatte. Er erwiderte: „Natürlich. Was denn sonst!“ Dann wurde er gefragt, warum er sein Portemonnaie in dieser lebensbedrohlichen Situation nicht preisgeben wollte. Und er antwortete: „Mein neuer Führerschein war drin.“

Diese kleine Begebenheit offenbart etwas Allgemeingültiges. Es gibt in uns Menschen eine Lücke, die nur durch etwas Göttliches ausgefüllt werden kann. Wegen dieses Vakuums hat jeder Mensch einen Gott, bzw. einen Gottesersatz, einen Götzen. Kein Mensch kommt ohne irgendeine Gottheit aus. Und Götzen offenbaren sich in lebensentscheidenden Situationen. Wenn ein Mensch bereit ist, etwas Banales mit einem Lebenseinsatz zu verteidigen, als ob sein ganzer Lebensinhalt davon abhängt, dann muss man von einem Ersatzgott sprechen. Wie das eben erwähnte Beispiel zeigt: etwas so Alltägliches wie ein Führerschein – mit der Mobilität und Unabhängigkeit, die es bedeutet - kann ein Ersatzgott sein. Vor einigen Jahren stand in einer Tageszeitung ein Bericht von einem jungen Mann in Ostdeutschland, der bei seiner Führerscheinprüfung mehrmals durchgefallen war und daraufhin Selbstmord beging.

Solche Ereignisse offenbaren diese Lücke, die nur durch eine Gottheit oder nur durch einen Götzen gefüllt werden kann. Ein Götze kann auch aus einer Fußballdauerkarte bestehen. Es gab einen Anhänger von Schalke, der wegen Randalierens bei einem Fußballspiel Stadionverbot bekam. Daraufhin brachte er sich um. Fußball war sein Gott.

Aber diese primitiven Beispiele sind nur die Spitze des Eisbergs. Es gibt Möglichkeiten, diese göttliche Lücke zu füllen, die hintergründiger sind. Nehmen wir als Beispiel Scientology. Am 20. Januar feierte die Scientology Kirche in Frankfurt ihr 35-jähriges Jubiläum. 35 Jahre lang hat Scientology hier in Frankfurt eine sogenannte Kirche gehabt. Diese Organisation gehört zu den bekanntesten der Welt, denn manche Hollywood-Schauspieler – wie Tom Cruise und John Travolta - haben sich öffentlich zu Scientology bekannt.

Die Anziehungskraft von Scientology hängt damit zusammen, dass es in uns Menschen diese erwähnte Lücke gibt, die nur durch etwas Göttliches gefüllt werden kann. Und wenn diese Lücke nicht durch den lebendigen Gott gefüllt wird, dann wird der Mensch unweigerlich versuchen, sein eigenes Ich zu vergöttlichen.

Am Anfang der Bibel wird diese Urversuchung des Menschen geschildert. Sie lautet: „Ihr werdet sein wie Gott“. Tief in uns Menschen verborgen steckt dieses Verlangen, so wie Gott zu sein: d.h. völlig autonom, völlig selbstbestimmend, völlig souverän, unsterblich, mit göttlicher Vollmacht ausgestattet, niemandem Rechenschaft schuldig. Genau dieses Verlangen will Scientology erfüllen.

Dementsprechend kann man in Informationsheften der Scientology Kirche folgendes nachlesen: „Nach dem Glauben der Scientology-Lehre bedeutet der Tod nur das Ende des körperlichen Lebens. Das Leben im eigentlichen Sinne wird durch das Individuum, das „Ich“, die unsterbliche Seele selbst repräsentiert. Sie ist das Leben, von ihr geht alles aus. Sie ist zeitlos. Der Mensch als Geistwesen oder Seele ist in jeder Hinsicht für seine Existenz verursachend und verantwortlich. Sein vergangenes Tun, seine vergangenen sowie seine gegenwärtigen Gedanken und Absichten bestimmen seine Existenz in der Gegenwart und Zukunft.“

Diese Worte sind eine moderne Fassung der Sündenfallgeschichte. Als der Versucher mit Eva im Garten Eden sprach, hätte er diese Worte aus dem Scientology-Heft zitieren können. Denn hier wird in Aussicht gestellt, dass der Mensch Unsterblichkeit besitzt, dass er in völliger Freiheit über sein eigenes Leben verfügen kann, wie ein kleiner Gott – denn er ist, wie es heißt: „in jeder Hinsicht für seine Existenz verursachend und verantwortlich“; es kommt nur darauf an, die nötige Kenntnis und Selbsterkenntnis zu erwerben. Er ist keinem Schöpfer gegenüber Rechenschaft schuldig; er ist nicht auf irgendeinen Gott angewiesen oder einem Gott untergeordnet. Im Gegenteil: Scientology behauptet, dass der Mensch selber eine göttliche Schöpferkraft entfalten kann, dass er Macht über Materie, Energie, Zeit und Raum bekommen kann – vorausgesetzt, dass er die Lehre von Scientology verwirklicht.

Es geht hier um eine göttliche Fülle des Lebens, auf die kein Mensch verzichten kann. Wir müssen diese Fülle haben: sie ist wichtiger als Leben und Tod.

Und in dem Epheserbrieftext, der für heute vorgesehen ist, wird diese Fülle angesprochen.

Wie Scientology heute gab es damals sogenannte Gnostiker, die offenbar geglaubt hatten, dass die ganze Identität eines Menschen in seiner angeblich unsterblichen Seele steckt, die unabhängig von dem Körper eine eigene göttliche Existenz führen kann. Wie Scientology heute, behaupteten Leute damals, dass es darauf ankam, Geheimwissen zu erwerben, das zu einer totalen Freiheit führt. Die ganze Fülle des Lebens war – nach dieser Lehre - nicht etwas, worauf man warten musste und auch nicht etwas, worüber Gott allein verfügt, sondern etwas, was ein Mensch schon jetzt in sich selbst entfalten konnte.

Und ein Schlüsselbegriff in der Auseinandersetzung zwischen Paulus und den Verführern der Gemeinde war der Begriff „Fülle“. Diese Gnostiker glaubten, dass sie einen exklusiven Zugang zu der göttlichen Fülle hatten. Aber „Fülle“ ist nach Paulus nicht in esoterischem Geheimwissen zu suchen und auch nicht in der eigenen Seele, sondern – wie Paulus in dem Kolosserbrief schreibt - Christus verkörpert die ganze Fülle der Gottheit leibhaftig. Und diese Fülle verkörpert auch die christliche Gemeinschaft, denn Paulus schreibt in unserem heutigen Text von der Gemeinde, dass sie Christi Leib ist, „nämlich die Fülle dessen, der alles in allem erfüllt.“

Mit dieser Aussage bekämpft er die esoterischen Strömungen seiner Zeit, die ein Heil suchten, das von der sichtbaren Welt und von der Leibhaftigkeit des Menschen völlig losgelöst war. Die esoterischen Strömungen der antiken Welt konnten nie an eine Menschwerdung Gottes und an Sakramente glauben: denn das Materielle war für sie böse, es gab für sie keinen Schöpfer und erst recht keine Vorstellung von Dankbarkeit einem guten Schöpfer gegenüber. Die sichtbare Welt war für sie nichts anderes als ein großes Gefängnis und der Leib war für sie wie ein Grab. Es ging darum, der Welt und der Leibhaftigkeit zu entkommen. Aber christlicher Glaube ist entgegengesetzt: Weltflucht gehört nicht zu dem christlichen Glauben. Denn Jesus Christus ist in diese sichtbare Welt und in unsere Leiblichkeit gekommen, er ist die leibhaftige Verkörperung der göttlichen Fülle, und diese Fülle ist für uns Menschen sichtbar und ergreifbar gemacht worden - in den Sakramenten, in Brot und Wein, in Wasser und Handauflegung, in der sichtbaren Gestalt einer christlichen Gemeinde.

In unserem heutigen Text steht auch ein Gebet des Paulus. Er versucht in diesem Gebet die Fülle auszumalen, die auf uns wartet und die schon jetzt in der christlichen Gemeinschaft bruchstückhaft ergreifbar ist. Er schreibt:

Und er gebe euch erleuchtete Augen des Herzens, damit ihr erkennt, zu welcher Hoffnung ihr von ihm berufen seid, wie reich die Herrlichkeit seines Erbes für die Heiligen ist und wie überschwenglich groß seine Kraft an uns, die wir glauben, weil die Macht seiner Stärke bei uns wirksam wurde, mit der er in Christus gewirkt hat. Durch sie hat er ihn von den Toten auferweckt und eingesetzt zu seiner Rechten im Himmel über alle Reiche, Gewalt, Macht, Herrschaft und alles, was sonst einen Namen hat, nicht allein in dieser Welt, sondern auch in der zukünftigen.

Hier ist die Fülle, die jeder Mensch braucht, um das innere Vakuum auszugleichen. Und diese Fülle kann von uns angeeignet werden, wenn wir Taufen vollziehen und das Abendmahl feiern. Allerdings wird diese Fülle erst jenseits des jetzigen Lebens verwirklicht.

Aber wenn wir wissen, wofür wir warten, sind wir dadurch weniger anfällig für Götzen, die Menschen vergöttlichen, versklaven und entwürdigen. Möge Gott uns helfen, dass wir die Fülle des Lebens dort suchen, wo Gott sie anbietet. Amen.

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