Archiv der Evangelisch-lutherische Dreikönigsgemeinde, Frankfurt am Main - Sachsenhausen
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Predigten von Pfarrer Phil Schmidt: Johannes 4, 5-14 Grenzüberschreitende Versöhnung

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3. Sonntag nach Epiphanias

Grenzüberschreitende Versöhnung Johannes 4, 5-14

Predigt gehalten von Pfarrer Phil Schmidt 2001

'Jesus und die samaritische Frau', Miniatur aus dem 12 Jahrhundert, Jruchi Gospels II MSS, Georgia.

'Jesus und die samaritische Frau', Miniatur aus dem 12 Jahrhundert, Jruchi Gospels II MSS, Georgia.

Da kam er in eine Stadt Samariens, die heißt Sychar, nahe bei dem Feld, das Jakob seinem Sohn Josef gab. Es war aber dort Jakobs Brunnen. Weil nun Jesus müde war von der Reise, setzte er sich am Brunnen nieder; es war um die sechste Stunde. Da kommt eine Frau aus Samarien, um Wasser zu schöpfen. Jesus spricht zu ihr: Gib mir zu trinken! Denn seine Jünger waren in die Stadt gegangen, um Essen zu kaufen. Da spricht die samaritische Frau zu ihm: Wie, du bittest mich um etwas zu trinken, der du ein Jude bist und ich eine samaritische Frau? Denn die Juden haben keine Gemeinschaft mit den Samaritern. - Jesus antwortete und sprach zu ihr: Wenn du erkenntest die Gabe Gottes und wer der ist, der zu dir sagt: Gib mir zu trinken!, du bätest ihn, und der gäbe dir lebendiges Wasser. Spricht zu ihm die Frau: Herr, hast du doch nichts, womit du schöpfen könntest, und der Brunnen ist tief; woher hast du dann lebendiges Wasser? Bist du mehr als unser Vater Jakob, der uns diesen Brunnen gegeben hat? Und er hat daraus getrunken und seine Kinder und sein Vieh. Jesus antwortete und sprach zu ihr: Wer von diesem Wasser trinkt, den wird wieder dürsten; wer aber von dem Wasser trinken wird, das ich ihm gebe, den wird in Ewigkeit nicht dürsten, sondern das Wasser, das ich ihm geben werde, das wird in ihm eine Quelle des Wassers werden, das in das ewige Leben quillt. (Johannes 4, 5-14)

Es wird von einem Waliser erzählt, der nach einem Schiffbruch eine unbewohnte Insel erreichte. Er lebte dort wie Robinson Crusoe und blieb 20 Jahre lang unentdeckt. Eines Tages wurde ein Schiff während eines Sturmes in die Nähe dieser Insel getrieben; die Matrosen suchten Zuflucht auf der Insel und warteten ab, bis der Sturm vorbei war. Auf diese Weise wurde der Waliser entdeckt. Und die Matrosen waren verblüfft, als sie entdeckten, dass der Gestrandete ein ganzes Dorf gebaut hatte, das wie ein Dorf in seiner Heimat, Wales, aussah. Es gab ein Rathaus, einen Verkaufsladen, ein Wirtshaus und einige Wohnhäuser. Und eigenartigerweise gab es zwei Kirchen. Der Waliser wurde gefragt, warum er zwei Kirchen gebaut hatte. Und mit strengem Tonfall erwiderte er: die eine Kirche ist die methodistische, zu der ich gehöre. Die andere ist die anglikanische, die ich ablehne.

Es handelt sich hier um eine erfundene Geschichte. Was aber nicht erfunden ist, ist die Haltung dieses Walisers. Um seinen Glauben zu definieren, genügt es nicht, eine Zugehörigkeit zu einer christlichen Gemeinschaft zu haben. Er braucht außerdem etwas, - wie er meint - was er ablehnen kann. Er fühlt sich genötigt, sich von anderen Gläubigen abzugrenzen, damit er eine Glaubensidentität hat. Diese Dynamik ist so alt wie die Menschheit.

'Jesus and Samaritan woman', XVII c.
, Jacinto de Espinosa

Der Text aus dem Johannesevangelium, der für heute vorgesehen ist, erzählt von der Begegnung zwischen Jesus und einer samaritischen Frau. Diese Geschichte wirkt harmlos, aber im Hintergrund sind Abgrenzungen, die so massiv sind, dass diese Begegnung am Jakobsbrunnen eine Sensation ist. An einer Stelle sagt die Frau zu Jesus: „Wie, du bittest mich um etwas zu trinken, der du ein Jude bist und ich eine samaritische Frau?“ Und Johannes kommentiert diese Verwunderung, indem er schreibt: „Denn die Juden haben keine Gemeinschaft mit den Samaritern.“ Was Johannes hier schreibt ist eine Untertreibung. Es gab zwischen Juden und Samaritern eine Feindschaft, die jahrhundertlang angehalten hatte. Diese Geschichte der Feindschaft fing im Jahre 720 vor Christus an, als das Nordreich von Assyrien überfallen wurde; die meisten Bewohner wurden verschleppt, fremde Völker wurden angesiedelt und die zurückgebliebenen Israeliten ließen sich auf Eheschließungen mit den Fremden ein. Aber damit hatten sie ihre Identität als Volk Israel aufgegeben, obwohl sie nach wie vor die fünf Bücher Mose als Glaubensgrundlage bewahrten. Die Juden in dem südlichen Teil des Landes erlitten auch einen Überfall und Verschleppung, aber sie haben trotzdem ihre jüdische Identität bewahrt und ließen sich nicht auf Mischehen ein. Nach der babylonischen Gefangenschaft kamen diese Juden zurück und haben Jerusalem mit seinem Tempel wieder aufgebaut. Die Samariter wollten dabei mithelfen, aber ihr Angebot wurde mit Verachtung abgelehnt: mit der Begründung, dass sie nicht mehr zum Volk Gottes gehörten und kein Recht hätten, am Wiederaufbau des Gotteshauses mitzuwirken. Und seitdem war die Entfremdung zwischen Samaritern und Juden endgültig. Als nächster Schritt wurde in Samarien von einem abtrünnigen Juden ein Tempel auf dem Berg Garizim gebaut, der dann in Konkurrenz zu dem Tempel in Jerusalem stand. Und 130 Jahre vor Christus wurde dieser Tempel auf Garizim von einem jüdischen Feldherrn geplündert und zerstört. Die Feindschaft war also bitter, ungefähr vergleichbar mit der Feindschaft zwischen Israeliten und Palästinensern heute.

Wie Johannes schrieb: „Die Juden haben keine Gemeinschaft mit den Samaritern.“ In diesem Zusammenhang gibt es ein rabbinisches Wort, das lautet: „Niemand soll das Brot eines Samariters essen, denn das ist, als ob er Schweinefleisch äße.“ Es gibt deswegen einen erstaunlichen Satz, der am Anfang des Johannestextes vorkommt; der lautet: „Seine Jünger waren in die Stadt gegangen, um Essen zu kaufen.“ Dass Jesu Jünger in einer Stadt Samariens etwas zu Essen kaufen, ist, als ob jemand in eine Leprakolonie gehen würde, um dort einkaufen zu gehen. Dies war schockierend.

Und genauso schockierend war es, dass Jesus mit einer Frau redete. Später, als die Jünger zurückkamen, hieß es: Sie wunderten sich, dass er mit einer Frau redete. Auch diese Aussage ist verharmlosend. Die Jünger müssen schockiert gewesen sein, denn Jesus galt als Rabbi, als Lehrmeister, und ein Rabbi durfte in der Öffentlichkeit nicht einmal eine Frau begrüßen. Er durfte sogar nicht mit seiner eigenen Frau oder seiner eigenen Tochter in der Öffentlichkeit sprechen. Und es gab Pharisäer, die „wundgestoßene, blutende Pharisäer“ hießen, weil sie die Augen schlossen, wenn sie auf der Straße eine Frau sahen und deswegen gegen Mauern und Hauswände stießen. Ein Rabbi, der in der Öffentlichkeit mit einer Frau redete, hatte seinen Ruf verspielt und war erledigt. Und was die Sache noch verschärft hatte, war, dass diese Frau nicht nur eine Samariterin war, sondern sie galt als unanständig, weil sie mit 6 Männern hintereinander zusammengelebt hatte, ohne mit ihnen verheiratet gewesen zu sein. Jesus hat also seinen Ruf völlig aufs Spiel gesetzt, um mehrere Abgrenzungen zu überschreiten.

Und diese grenzüberschreitende Tätigkeit Jesu ging nach seiner Auferstehung weiter. In der Urgemeinde wurde im Geist Jesu Christi zuerst die Abgrenzung zwischen Juden und Nicht-Juden überbrückt. Weitere Abgrenzungen wurden auch überwunden. Wie es in dem Galaterbrief heißt: (Gal 3,28) Hier ist nicht Jude noch Grieche, hier ist nicht Sklave noch Freier, hier ist nicht Mann noch Frau; denn ihr seid allesamt einer in Christus Jesus. Es war zum Beispiel in der Zeit des römischen Reiches gesetzlich nicht erlaubt, Eheschließungen zwischen Sklaven und Freien zu vollziehen, aber in der Christenheit wurde so etwas praktiziert.

In dem 16. Jahrhundert gab es einen Prediger in Schottland, der von der aus Kanzel versucht hat, zu erläutern, wie verblüffend diese grenzüberschreitende Einheit in Christus ist. Er zählte die Sorten von Menschen auf, die in Christus zueinander gehören; er sagte: „Sogar die Türken, die Juden, die Mohren, die Kannibalen, die Inder sind durch Christus unsere Nächsten geworden.“ Und dann zum Abschluss wollte er das krönende Beispiel bringen – um zu veranschaulichen, wie verblüffend diese grenzüberschreitende Einheit in Christus ist, und er sagte: „Ja, Sie werden es kaum glauben können, aber in Christus sind sogar die Engländer unsere Nächsten.“

'Luis Palau predicando a multitudes
', Asociación Luis Palau

Und der Geist Jesu Christi ist überall auf der Welt dabei, Grenzen zu überschreiten. Zum Beispiel: in Peru gab es eine Frau mit dem Namen Rosario. Sie hatte den Ruf, kaltblütig und brutal zu sein; sie war in verschiedenen Kampfsportarten eine Expertin. Als Terroristin hatte sie 12 Polizisten umgebracht. Sie hatte auch einen Hass gegen Christen. Als sie hörte, dass ein bekannter Evangelist mit dem Namen Luis Palau Gottesdienste in Lima veranstalten sollte, nahm sie sich vor, ihn umzubringen. Sie suchte das Fußballstadion auf, in dem die Gottesdienste veranstaltet wurden. Als sie überlegte, wie sie in die Nähe des Predigers kommen könnte, um ihn zu erschießen, hörte sie unwillkürlich zu, was dieser Palau sagte. Anstatt ihn zu erschießen, wurde sie verwandelt. Sie erlebte das, was die samarische Frau am Jakobsbrunnen erlebte, nämlich eine endgültige Antwort auf ihren Lebensdurst. Erst zehn Jahre später kam es zu einer Begegnung zwischen dieser Rosario und dem Evangelisten, den sie umbringen wollte. In diesen zehn Jahren hatte sie 5 christliche Gemeinden gegründet und ein Waisenhaus, in dem 1000 Kinder untergebracht waren.

Wie Jesus sagte zu der Frau am Brunnen: „Wer aber von dem Wasser trinken wird, das ich ihm gebe, den wird in Ewigkeit nicht dürsten, sondern das Wasser, das ich ihm geben werde, das wird in ihm eine Quelle des Wassers werden, das in das ewige Leben quillt.“ Die Überwindung von Abgrenzungen fängt damit an, dass der Lebensdurst in Jesus gelöscht wird. Wenn ein Mensch weiß, dass er sich nicht sorgen muss, ob er genügend Lebenserfüllung bekommt, sondern dass Lebenserfüllung in Christus angefangen hat und in Ewigkeit vollendet wird, dann können erstaunliche Dinge eintreten.

Vielleicht erinnern Sie sich an die Zeit vor zehn Jahren, als der eiserne Vorhang fiel und Erich und Margot Honecker den Palast in Vandlitz verlassen mussten, wo sie in Luxus gewohnt hatten. Sie waren zunächst wohnsitzlos. Und erstaunlicherweise zogen sie in eine Pfarrwohnung. Pfarrer Uwe Holmer und seine Frau nahmen die Honeckers auf. Dieses Ehepaar hatte 10 Kinder, und 9 davon durften keine höhere Bildung genießen, weil Margot Honecker 26 Jahre lang für Schulpolitik verantwortlich war. Wer sich zum christlichen Glauben bekannte und nicht zu dem atheistischen Regime, durfte keine höhere Schulbildung genießen. Die Honeckers blieben zwei Monate lang in der Pfarrwohnung und teilten ihr Leben und ihre Mahlzeiten mit dieser Pfarrfamilie, die unter ihnen gelitten hatte. Und weil sie die Honeckers aufgenommen hatte, wurde diese Pfarrfamilie von vielen Mitchristen geächtet. Aber der Geist Jesu Christi kann sich mit Entfremdung nicht abfinden, sondern will unbedingt alle Entfremdung überwinden, auch wenn es bedeutet, Menschen vor den Kopf zu stoßen, die an Rache und Abgrenzung festhalten wollen.

Wenn wir anschließend Abendmahl feiern - und besonders wenn wir dabei Wein trinken - feiern wir die Erfüllung des Lebensdurstes in Christus, eine Erfüllung, die unweigerlich zu einer allumfassenden, grenzüberschreitenden Versöhnung führen will.

Die Miniatur 'Jesus und die samaritische Frau', 12 Jahrhundert, Jruchi Gospels II MSS, Georgia, ist im public domain, weil das copyright abgelaufen ist.
Der Urheberrechtsinhaber erlaubt es jedem, die Photographie 'Luis Palau predicando a multitudes', Asociación Luis Palau, für jeglichen Zweck, inklusive uneingeschränkter Weiterveröffentlichung, kommerziellem Gebrauch und Modifizierung, zu nutzen.
Das Bild 'Jesus and Samaritan woman', XVII c., Jacinto de Espinosa, ist im public domain, weil das copyright abgelaufen ist.

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