Archiv der Evangelisch-lutherische Dreikönigsgemeinde, Frankfurt am Main - Sachsenhausen
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Predigten von Pfarrer Phil Schmidt: 2. Korinther 1, 18 – 22 Bei Gott gibt es kein "Ja, aber..."

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4. Sonnntag im Advent

Bei Gott gibt es kein "Ja, aber..." 2. Korinther 1, 18 – 22

Predigt gehalten von Pfarrer Phil Schmidt 1999

Gott ist mein Zeuge, dass unser Wort an euch nicht Ja und Nein zugleich ist. Denn der Sohn Gottes, Jesus Christus, der unter euch durch uns gepredigt worden ist, durch mich und Silvanus und Timotheus, der war nicht Ja und Nein, sondern es war Ja in ihm. Denn auf alle Gottesverheißungen ist in ihm das Ja; darum sprechen wir auch durch ihn das Amen, Gott zum Lobe. Gott ist's aber, der uns fest macht samt euch in Christus und uns gesalbt und versiegelt und in unsre Herzen als Unterpfand den Geist gegeben hat. 2. Korinther 1, 18 – 22

Im 18. Jahrhundert gab es den preußischen König Friedrich Wilhelm I. Im Jahre 1740 lag Friedrich Wilhelm auf dem Sterbebett. Der Hofgeistliche, ein lutherischer Pfarrer, der für den König zuständig war, ermahnte ihn, ein reines Gewissen herzustellen, indem er seinen Feinden vergibt. Nur auf diese Weise, betonte er, könnte er sicher sein, einen Platz im Himmel zu bekommen. Der König fragte: „Sind Sie sicher?“ Der Hofgeistliche antwortete: „Absolut sicher“. Daraufhin dachte der König an seinen Schwager, den englischen König Georg II, den er nicht ausstehen konnte. Der Sterbende sagte zu seiner Frau, die in der Nähe stand: „Wenn das so ist, dann schreib deinem Bruder und teile ihm mit, dass ich ihm vergebe; aber schicke den Brief erst ab, nachdem ich gestorben bin.“

Diese kleine Begebenheit veranschaulicht einen Zusammenhang. Es gibt einen Zusammenhang zwischen unseren Gottesvorstellungen und unserem Verhalten. So wie ein unbarmherziger Gott Unbarmherzigkeit in Menschen produziert, so entsteht Güte in Menschen, wenn sie an einen gütigen Gott glauben. Und wenn es eine Zwiespältigkeit in Gott gibt, - d.h. in einer Gottesvorstellung, dann wird diese Zwiespältigkeit in Menschen widergespiegelt.

'Staatsporträt Friedrich Wilhelm I.', um 1733, Antoine Pesne

Der Gott, den der lutherische Hofgeistliche bezeugte, ist ein zwiespältiger Gott. Er ist zwar bereit, einen Platz im Himmel zur Verfügung zu stellen, aber nur wenn der Mensch bestimmte Bedingungen erfüllt. In dem Fall des preußischen Königs geht es um Vergebungsbereitschaft als Aufnahmebedingung. In der Sprache des Korintherbrieftextes, der für heute vorgesehen ist, könnte man sagen: dieser Gott sagt Ja zu den Menschen, aber dieses Ja ist kein bedingungsloses Ja, sondern ist mit einem kleinen Nein vermischt. Es ist ein Ja, aber... Dieser Gott verkündet: Ja, es gibt einen Platz in meiner ewigen Herrlichkeit für dich, Mensch, aber du musst auch die Vorbedingungen erfüllen.

Und dementsprechend reagiert Friedrich Wilhelm. Seine Art der Vergebung entspricht genau dieser Gottesvorstellung; seine Vergebung seinem Schwager gegenüber ist auch ein Ja, das mit einem Nein vermischt ist - nach der Weise: Ja, ich vergebe dir, aber nur weil ich sicher sein will, dass ich in den Himmel komme; und deshalb will ich die Vergebung so lange wie möglich hinauszögern.

Diese Begebenheit mit dem Preußenkönig veranschaulicht ein Problem, das die Christenheit seit Jahrhunderten belastet. Es fällt Christen schwer, zu glauben, dass Gott die Menschen bedingungslos bejaht, dass das Ja Gottes zu uns Menschen ohne wenn und aber ist. Die Gnade Gottes wird unweigerlich abgeschwächt, indem irgendeine Bedingung nachträglich angehängt wird.

Paulus aber bezeugte eine Gnade Gottes, die nicht mit Bedingungen abgeschwächt war. Wie Paulus schreibt: „Gott ist mein Zeuge, dass unser Wort an euch nicht Ja und Nein zugleich ist.“

In diesem Jahr gab es am Reformationstag die Bestätigung einer gemeinsamen Erklärung der katholischen und lutherischen Kirchen zur Rechtfertigungslehre. Bei diesem Anliegen zeigt sich, wie schwer wir Christen uns tun, wenn es darum geht, das Ja Gottes zu den Menschen eindeutig zu bezeugen. 470 Jahre lang konnten katholische und lutherische Christen sich über diese Rechtfertigungslehre nicht einigen. Es geht dabei um die Frage, ob die Gnade Gottes allein ausschlaggebend ist, oder ob es Voraussetzungen gibt, die der Mensch erfüllen muss, um volle Gemeinschaft mit Gott zu finden. Es ist behauptet worden, dass es sich hier um pedantische Unterscheidungen handelt, die nur für theologische Fachleute interessant sind. Aber das stimmt nicht. Es geht hier um den Kern unseres Glaubens, der das alltägliche Leben bestimmen wird. Hier muss jeder von uns klar erkennen, worum es geht

'The prison cell of Cagliostro', 2007, Larry Yuma

Und um klar zu erkennen, was hier der springende Punkt ist, kann es hilfreich sein, eine extreme Situation zu betrachten. Zum Beispiel: als der kommunistische Ostblock noch existierte, entstanden in den dortigen Gefängnissen Situationen, die veranschaulichen, wie grenzenlos und wie eindeutig die Gnade Gottes ist.

Es gab zum Beispiel einen Pfarrer mit dem Namen Demitri, der von einem Wächter mit einem Hammer auf die Wirbelsäule so geschlagen wurde, dass er davon gelähmt wurde. Er konnte nur noch den Hals bewegen, sonst nichts mehr. Und jahrelang lag er so im Gefängnis. Es gab kein fließendes Wasser, um ihn zu waschen. Es gab keine Wäsche, die man hätte wechseln können. Tagsüber war niemand bei ihm, der ihm Wasser oder Speise geben konnte. So lag er mehrere Jahre lang im Gefängnis. Es war eine Hölle. Dann kam im Dezember 1989 die Befreiung. Dieser Demitri kam nach Hause. Kein Arzt konnte ihm mehr helfen, aber nun konnte er zumindest von seiner Familie betreut werden. Und dann bekam er eines Tages einen überraschenden Besuch: es war der Wächter, der ihn zum Krüppel geschlagen hatte. Und der sagte folgendes: „Glauben Sie nur nicht, ich sei gekommen, Sie um Vergebung zu bitten. Was ich getan habe, kann nicht vergeben werden, nicht auf Erden und nicht im Himmel. Sie sind nicht der einzige, den ich so gequält habe, und Sie können mir nicht vergeben. Niemand kann mir vergeben, nicht einmal Gott. Meine Schuld ist zu groß. Ich will Ihnen nur sagen, dass es mir heute leid tut. Ich gehe jetzt und werde mich erhängen. Mehr habe ich nicht zu sagen.“ Mit diesen Worten wollte er sich verabschieden.

Aber der Gelähmte rief ihn zurück und teilte ihm folgendes mit: „In all diesen Jahren hat es mir niemals so leid getan wie heute, dass ich meine Arme nicht bewegen kann. Ich würde sie gern ausstrecken und Sie umarmen. Jahrelang habe ich täglich für Sie gebetet, ich liebe Sie von ganzem Herzen, ich habe ihnen vergeben!“

Dieser Verkrüppelte verkörpert die Bedingungslosigkeit der Gnade Gottes. Es handelt sich um eine Vergebungsbereitschaft, die unermesslich ist, denn sie kann auch die schlimmste Schuld erfassen. Und diese Vergebungsbereitschaft hängt nicht von irgendeiner Vorleistung ab; sie ist einfach da. Die Vergebungsbereitschaft ist da, egal ob der Schuldige Reue empfindet oder nicht. Reue ist hilfreich, weil sie es einem ermöglicht, das Geschenk der Vergebung anzunehmen. Aber die Reue ist keine Vorbedingung, die ein Mensch aus eigener Kraft herstellt, sondern sie ist auch ein Geschenk der Gnade Gottes. Das Einzige, was ein Mensch tun kann, wenn es um die Vergebung Gottes geht, ist das Geschenk der Gnade annehmen.

'Bust of Paul Johannes Tillich by James Rosati in New Harmony, Indiana, U.S.A.', 2008, Richard Keeling

Und so wie die Gnade Gottes ein bedingungsloses Ja ist, ohne wenn und aber, so muss auch das Annehmen der Gnade dementsprechend ein bedingungsloses Ja sein, ohne wenn und aber. Der Theologe Paul Tillich hat eindrucksvoll geschildert, wie ein Mensch reagieren soll, wenn die Gnade Gottes sich ereignet. Er sagte folgendes:

Wenn die Gnade sich ereignet, „ist es, als ob eine Stimme sagte: Du bist dennoch bejaht! Dennoch bejaht, bejaht durch das, was größer ist als du...Versuche jetzt nicht, etwas zu tun, vielleicht wirst du später viel tun. Trachte nach nichts, versuche nichts, beabsichtige nichts. Nimm nur dies an, dass du bejaht bist...Diese Erfahrung fordert nichts; sie bedarf keiner Voraussetzung, weder einer religiösen, noch einer moralischen, noch einer intellektuellen; sie bedarf nichts als nur das Annehmen.

Als der preußische König Friedrich Wilhelm I im Sterben lag, hat er also nicht das Evangelium gehört, sondern eine Verfälschung der christlichen Botschaft. Was er hätte hören sollen, ist, dass Gott ihm längst alles vergeben hat, auch wenn er seinen Schwager unerträglich findet. Er hätte hören sollen, dass die Himmelstür schon für ihn offen steht, egal wie viel Schuld er auf sich geladen hatte. Denn wenn er das gehört hätte, dann hätte er die Gnade Gottes als Geschenk annehmen können. Dann hätte er seinem Schwager sofort alles vergeben können und vergeben wollen, ohne Vorbehalt, ohne weitere Verzögerung, ohne abwarten zu müssen, ob der Schwager irgendeine Reue empfindet.

Denn wer die Gnade Gottes als Geschenk annimmt, will diese Gnade nicht für sich allein behalten, sondern will sie unbedingt so vorbehaltlos weitergeben, wie sie empfangen wurde.

Im antiken Rom gab es einen Gelehrten mit dem Namen Muretus. Er war ein Wanderer und hatte auch kein Einkommen. Eines Tages wurde er krank und wurde in eine Art Armenhaus gebracht, wo die hilflosesten Menschen untergebracht waren. Es gab Ärzte, die die Kranken dort untersuchten. Als sie zu diesem Muretus kamen, diskutierten sie miteinander in lateinischer Sprache über seinen Zustand. Sie sagten, dass dieser Kranke offensichtlich ein nutzloser Mensch sei, und dass es eine Geldverschwendung wäre, wenn man versuchen würde, einem solch wertlosen Menschen zu helfen. Die Ärzte hatten nicht damit gerechnet, dass der Mann, über den sie sprachen, Latein verstand. Und er schaute diese Ärzte an und sagte in Latein: „Kein Mensch darf wertlos genannt werden, für den Christus gestorben ist.“

Und mit diesem Spruch bringt er zum Ausdruck, was die Gnade Gottes für unseren Alltag bedeutet. Kein Mensch darf so behandelt werden, als ob er wertlos wäre. Sondern weil Christus in unsere Welt gekommen und für alle gestorben ist, ist jeder Mensch Gott heilig und jeder Mensch soll deshalb behutsam behandelt werden. Niemand darf gedemütigt werden. Niemand darf als Sündenbock für die eigenen ungelösten Probleme missbraucht werden. Niemand darf als Zielscheibe für die eigene Aggressivität missbraucht werden. Vergebung darf niemals verweigert werden. Es steht jedem Menschen zu, mit Güte und Geduld behandelt zu werden. Das sind die Folgen, wenn die Gnade Gottes ohne wenn und aber erkannt und angenommen wird.

Am kommenden Wochenende feiern wir die Menschwerdung Gottes in Bethlehem. Diese Menschwerdung ist ein Ja Gottes zu allen Menschen, ein reines Ja, ein vorbehaltloses Ja, das mit keinem Nein und mit keinem Aber vermischt ist. Wie Paulus bezeugt:

Gott ist mein Zeuge, dass unser Wort an euch nicht Ja und Nein zugleich ist. Denn der Sohn Gottes, Jesus Christus, der unter euch durch uns gepredigt worden ist,... der war nicht Ja und Nein, sondern es war Ja in ihm. Denn auf alle Gottesverheißungen ist in ihm das Ja; darum sprechen wir auch durch ihn das Amen, Gott zum Lobe.

Die Abbildung 'Staatsporträt Friedrich Wilhelm I.', um 1733, Antoine Pesne, ist im public domain, weil ihr copyright abgelaufen ist.
Die Photographie 'The prison cell of Cagliostro', 2007, Larry Yuma, ist lizensiert unter der Creative Commons Attribution-Share Alike 3.0 Unported license.
Die Abbildung 'Bust of Paul Johannes Tillich by James Rosati in New Harmony, Indiana, U.S.A.', 2008, Richard Keeling, ist lizensiert unter der Creative Commons Attribution-Share Alike 3.0 Unported, 2.5 Generic, 2.0 Generic and 1.0 Generic license.

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