Archiv der Evangelisch-lutherische Dreikönigsgemeinde, Frankfurt am Main - Sachsenhausen
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Predigten von Pfarrer Phil Schmidt: Heb. 10, 23 - 25 Wie man Gott genießen kann

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'David Lloyd George, British prime minister 1916-1922.' 1915,  Photo by A. & R. Annan & Sons

1. Sonnntag im Advent

Wie man Gott genießen kann Heb. 10, 23 - 25

Predigt gehalten von Pfarrer Phil Schmidt 2001

Laßt uns festhalten an dem Bekenntnis der Hoffnung und nicht wanken; denn er ist treu, der sie verheißen hat; und laßt uns aufeinander achthaben und uns anreizen zur Liebe und zu guten Werken und nicht verlassen unsre Versammlungen, wie einige zu tun pflegen, sondern einander ermahnen, und das um so mehr, als ihr seht, daß sich der Tag naht. Heb. 10, 23 - 25

Ein früherer Premierminister von Großbritannien, Lloyd George, hatte in seiner Kindheit eine ungewöhnliche Angst: er hatte Angst, in den Himmel zu kommen. Er sagte dazu folgendes: „Als ich ein Junge war, hatte ich mehr Angst vor dem Himmel als vor der Hölle. Ich stellte mir den Himmel als einen Ort vor, wo es immer Sonntag ist, wo man sich ohne Unterbrechung in einem Gottesdienst befindet. Es war ein schrecklicher Alptraum, und ich war deshalb zehn Jahre lang ein Atheist.“

Diese Horrorvision hat sogar eine gewisse Berechtigung. Denn nach kirchlicher Tradition soll der Sonntagsgottesdienst ein Vorgeschmack der Ewigkeit sein. Der Hebräerbrieftext, der für heute vorgesehen ist, macht diese Verbindung. Denn die Christen werden ermahnt, die christliche Versammlung nicht zu verlassen, denn der „Tag naht“, wie es heißt: gemeint ist der Tag, an dem alle Verheißungen verwirklicht werden. Der Sonntagsgottesdienst sollte einen Vorgeschmack bieten, was eintreten wird, wenn Christus in Macht und Herrlichkeit erscheint. Der Sonntagsgottesdienst sollte eine Vorbereitung auf die Ewigkeit sein.

Das Problem dabei ist, dass viele Menschen den Gottesdienst als trocken und öde empfinden. Wenn der Gottesdienst ein Vorgeschmack der Ewigkeit sein sollte, dann haben wir Christen scheinbar ein großes Problem: wollen wir wirklich, dass das in Ewigkeit fortgesetzt wird, was wir im Gottesdienst erleben?

'Gottesdienst in der Kath. Jugendkirche JONA (in St. Bonifatius), Frankfurt am Main' 2009, Jugendkirche JONA

Es gibt Gemeinden, die deshalb um jeden Preis versuchen, den Gottesdienst lebhafter und unterhaltsamer zu machen. Ein extremes Beispiel für diesen Vorgang bietet eine Gemeinde im Südwesten der USA. Die Gemeinde kam zu der Schlussfolgerung: der Gottesdienst muss unterhaltsamer sein, denn sonst bleiben uns die Leute weg. Wir müssen deutlich machen, dass Gottesdienst auch Spaß machen kann. Der Kirchenvorstand kam auf eine eigentümliche Idee: er schickte die Mitarbeiter der Gemeinde nach Las Vegas, um die Unterhaltungsindustrie dort zu studieren. Diese kirchlichen Mitarbeiter verbrachten viel Zeit in Bally’s Casino, um die Show-Einlagen zu betrachten, die es dort gibt. Und sie brachten ihre Las Vegas-Erkenntnisse in die Gemeinde. Für $500.000 wurde die Kirche umgerüstet. Die Predigten waren danach nie wieder langweilig. Denn die Sätze der Predigt wurden mit dramatischen Begleiterscheinungen unterstrichen: es gab Feuer, Rauch, Funken, Laserstrahlungen. Einmal am Ende der Predigt, wurde eine Himmelfahrt inszeniert: der Pfarrer wurde mit unsichtbaren Drähten hochgezogen, begleitet von dem Kirchenchor und von Rauch, Feuer und Lichteffekten. Einmal hat der Pfarrer während der Predigt einen Baum mit einer Kettensäge umgehauen, und hat damit die Botschaft von Johannes dem Täufer aktualisiert. In einem Weihnachtsgottesdienst gab es lebendige Tiere: einen Elefanten, ein Kängeruh, und ein Zebra. Einhundert Clowns verteilten Weihnachtsgeschenke unter den Kindern. Hier ist also eine Gemeinde, die mit voller Konsequenz die Spaßgesellschaft ansprechen will.

Aber es ergibt sich die Frage: bietet dieser Unterhaltungsgottesdienst, der auf Nervenkitzel und auf Konsumerlebnis ausgerichtet ist, ein Vorgeschmack der Ewigkeit? Ist die Erlebnis-Unterhaltung etwas, was die Ewigkeit ausfüllen wird? Wird der Himmel eine Fortsetzung der Spaß- und Erlebnisgesellschaft sein?

An dieser Stelle müssen wir uns im Klaren sein, wozu wir Menschen existieren. Wir sind Geschöpfe Gottes und wir müssen uns fragen: wozu hat uns Gott geschaffen? Was ist das Ziel, das Gott mit uns vorhat? Der Kirchenvater Iräneus hat in diesem Zusammenhang gesagt: Gott will, dass wir Menschen dem Bild seines Sohnes entsprechen, damit wir reifen und vollendet werden, damit wir zuletzt Gott sehen und genießen. Gott in Ewigkeit zu sehen und zu genießen lautet das Ziel. Und der Gottesdienst soll uns auf dieses Ziel ausrichten. Im Gottesdienst sollen wir lernen, Gott zu sehen, indem wir Jesus Christus begegnen. Wir sollen lernen, Gott zu genießen, indem wir lernen, Gott anzubeten mit unserem Singen, mit unserem Gebet und mit unserer Abendmahlsgemeinschaft. Es geht also nicht darum, sich selbst zu genießen – das ist das Ziel der Spaß- und Erlebnisgesellschaft – sondern es geht darum, Gott zu genießen – das ist das Ziel des Gottesdienstes.

Es gibt Leute, die noch nicht gelernt haben, Gott zu genießen durch Gebet, durch Singen, durch ein Hören auf die biblische Botschaft und durch Abendmahlsgemeinschaft. Solche Leute werden zuletzt nicht ans Ziel kommen allein dadurch, dass der Gottesdienst fetziger gemacht wird. Was wir vor allem brauchen, ist das, was die Adventszeit bieten sollte: nämlich eine Fastenzeit. Fasten trägt dazu bei, dass das, was der Gottesdienst zu bieten hat, wahrgenommen werden kann. Die Anbetung Gottes im Gottesdienst ist vergleichbar mit einer Kerzenflamme, die erst dann zur Geltung kommt, wenn alle grellen Lichter ausgeschaltet sind. Oder der Gottesdienst ist wie leise Musik, die erst dann zur Geltung kommt, wenn alle lärmenden Geräusche ausgeschaltet sind.

Wir leben in einer Welt der Reizüberflutung, die Stille und Ruhe nicht verkraftet. In unserer Welt muss immer was los sein. Unsere Stadt Frankfurt veranschaulicht diese Haltung mit der frühzeitigen Eröffnung des Weihnachtsmarktes; die stillen Tage des Novembers, wie der Martinstag, der Buß- und Bettag und Ewigkeitssonntag, werden nicht mehr ausgehalten. Am Martinstag stand schon der Weihnachtsbaum am Römerberg. Am Buß- und Bettag standen schon die Buden des Weihnachtsmarktes. Wer am Ewigkeitssonntag nicht an die Toten denken wollte, konnte am Römerberg die Betriebsamkeit und die Lichter des Weihnachtsmarktes genießen. In einer solchen Umwelt kann der Sonntagsgottesdienst nur dann zur Geltung kommen, wenn diese Reizüberflutung bewusst ausgeklammert wird.

'Edward Herzog von Windsor, 1932

Vor dem zweiten Vatikanischen Konzil war es eine Vorschrift unter katholischen Christen, dass sie ab Mitternacht nichts mehr essen oder trinken durften, wenn sie am nächsten Tag an der Eucharistie teilnehmen wollten. Diese Fastenzeit ist heutzutage verkürzt worden, denn zu viele Leute, besonders Kinder, sind während der Messe ohnmächtig geworden; jetzt brauchen katholischen Christen nur eine Stunde vor dem Empfang der Hostie nüchtern zu bleiben. Aber der Gedanke, dass der Gottesdienst eine längere Vorbereitungszeit braucht, die aus Fasten besteht, ist schon richtig. In der heutigen Zeit kommt es vielleicht nicht so sehr darauf an, auf Essen und Trinken zu verzichten, sondern auf akustische und konsum-orientierte Reize zu verzichten. Es geht darum, auf selbstorientierten Genuss eine Zeitlang zu verzichten, damit man lernen kann, Gott zu genießen.

Advent war ursprünglich eine Vorbereitungszeit – nicht auf Weihnachten – sondern auf die Ankunft Christi am Ende der Zeit oder in das eigene Herz hinein. Das Herz soll auf die Ankunft Jesu Christi vorbereitet werden.

In diesem Zusammenhang gibt es eine Begebenheit, die als Gleichnis dienen kann. König Eduard der VIII. war König von England für etwa 11 Monate im Jahre 1936. Er sollte ein Schiff mit einer Champagnerflasche taufen. Vorher wollte er das Wohnviertel in der Hafengegend besuchen, wo das Schiff gebaut wurde. Es gab in diesem Hafengebiet verwahrloste Wohnungen. Der König suchte eine solche Wohnung aus und klopfte an der Tür. Der Bewohner fragte mit schroffer Stimme: „Wer ist da?“ Die Antwort lautete: „Ich bin dein König. Darf ich hereinkommen?“ Der Bewohner dachte, dass es sich um einen schlechten Witz handelte und rief durch die Tür: „Hau ab!“ Eduard der VIII. hat sich diesem Mann nicht aufgedrängt, sondern hat seine Privatsphäre respektiert; er ging einfach weg. Aber der Mann hatte eine Chance verspielt, seinen König in seiner Wohnung zu empfangen.

'The Light of the World' (Das Licht der Welt), Holman Hunt, St. Paul's Cathedral, London, Photo von Peter Smith

'The Light of the World' (Das Licht der Welt), Holman Hunt, St. Paul's Cathedral, London, Photo von Peter Smith

Diese Begebenheit kann als Gleichnis für die Adventszeit dienen. Wie es in dem Wochenspruch heißt: „Siehe, dein König kommt zu dir, ein Gerechter und ein Helfer.“ Dieser König will zu jedem einzelnen kommen, aber so etwas ist schwer vorstellbar. Der Bewohner des Hafenviertels konnte sich nicht vorstellen, dass der König von England sich in einem unscheinbaren Ort aufhalten würde und ihn persönlich aufsuchen wollte. So ist es auch für uns Menschen schwer vorstellbar, dass Christus als Weltherrscher in einem unscheinbaren Gottesdienst anwesend sein könnte, anwesend in alltäglichen Dingen wie Brot und Wein, anwesend in unseren bescheidenen Gebeten. Dieser Weltherrscher wird sich uns nicht aufdrängen, sondern wird die Privatsphäre respektieren und nur dort einziehen, wo er eingeladen wird. Und die Entscheidung liegt bei uns, ob er aufgenommen wird oder nicht. Advent ist die Zeit der Vorbereitung des Herzens. Und diese Vorbereitung besteht traditionsgemäß aus Fasten und Stille.

Ein altes Adventsgebet lautet: Lieber Herr und Gott, wecke uns auf, damit wir bereit sind, wenn dein Sohn kommt ihn mit Freude zu empfangen und dir mit reinem Herzen zu dienen. Möge Gott uns helfen, uns auf seine Ankunft vorzubereiten.

Wir danken St. Paul's Cathedral in London (www.stpauls.co.uk) für die Erlaubnis, das Bild "The Light of the World" kostenlos zu zeigen.
Das Bild 'David Lloyd George, British prime minister 1916-1922.' 1915, Photo by A. & R. Annan & Sons, ist möglicherweise außerhalb der USA nicht gemeinfrei (dies gilt insbesondere in Kanada, China (jedoch nicht in Hongkong, Macao oder Taiwan), Deutschland, Mexiko und der Schweiz). Urheber und Veröffentlichungsjahr sind unverzichtbare Informationen, die angegeben werden müssen.
Die Photographie 'Gottesdienst in der Kath. Jugendkirche JONA (in St. Bonifatius), Frankfurt am Main' 2009, Jugendkirche JONA, ist lizensiert unter der Creative Commons Attribution-Share Alike 3.0 Unported license.
Für die Photographie 'Edward Herzog von Windsor, 1932, gilt: For documentary purposes the German Federal Archive often retained the original image captions, which may be erroneous, biased, obsolete or politically extreme. Factual corrections and alternative descriptions are encouraged separately from the original description. Additionally errors can be reported at this page to inform the Bundesarchiv.

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