Archiv der Evangelisch-lutherische Dreikönigsgemeinde, Frankfurt am Main - Sachsenhausen
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Predigten von Pfarrer Phil Schmidt: Lukas 13, 22 – 30 Die enge Pforte der Gnade

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Buß- und Bettag: Lukas 13, 22 – 30 Die enge Pforte der Gnade

Gehalten von Pfarrer Phil Schmidt 2007

'Petrus und der schreiende Hahn', 1979 - Walter Habdank. © Galerie Habdank

'Petrus und der schreiende Hahn', 1979 - Walter Habdank
© Galerie Habdank

Und er ging durch Städte und Dörfer und lehrte und nahm seinen Weg nach Jerusalem. Es sprach aber einer zu ihm: Herr, meinst du, dass nur wenige selig werden? Er aber sprach zu ihnen: Ringt darum, dass ihr durch die enge Pforte hineingeht; denn viele, das sage ich euch, werden danach trachten, wie sie hineinkommen, und werden's nicht können.
Wenn der Hausherr aufgestanden ist und die Tür verschlossen hat, und ihr anfangt, draußen zu stehen und an die Tür zu klopfen und zu sagen: Herr, tu uns auf!, dann wird er antworten und zu euch sagen: Ich kenne euch nicht; wo seid ihr her?
Dann werdet ihr anfangen zu sagen: Wir haben vor dir gegessen und getrunken, und auf unsern Straßen hast du gelehrt. Und er wird zu euch sagen: Ich kenne euch nicht; wo seid ihr her? Weicht alle von mir, ihr Übeltäter! Da wird Heulen und Zähneklappern sein, wenn ihr sehen werdet Abraham, Isaak und Jakob und alle Propheten im Reich Gottes, euch aber hinausgestoßen. Und es werden kommen von Osten und von Westen, von Norden und von Süden, die zu Tisch sitzen werden im Reich Gottes. Und siehe, es sind Letzte, die werden die Ersten sein, und sind Erste, die werden die Letzten sein.
(Luther-Übersetzung)

Es wird von einem Pfarrer berichtet, der über diesen Text gepredigt hatte. Wie wir gehört haben, gibt es eine Stelle, wo es heißt: „Da wird Heulen und Zähneklappern sein“. Dieser Pfarrer sah in dieser Stelle die Drohung einer jenseitigen Bestrafung. Es saßen aber Konfirmanden in der Gemeinde. Als der Prediger auf diese Stelle näher eingegangen ist und ausgemalt hat, wie die Menschen in der Hölle mit Heulen und Zähneklappen beschäftigt sein werden, sagte ein Konfirmand zu einem anderen: „Was ist, wenn man keine Zähne mehr hat?“ Die Konfirmanden fingen an zu kichern. Der Küster, der direkt hinter diesen Konfirmanden saß und mitbekommen hatte, worüber sie sprachen, rief folgendes: „Halt’s Maul: wer keine Zähne mehr hat, bekommt sie zugestellt!“

Dieser Küster wollte die heilige Schrift an dieser Stelle verteidigen. Sein Gedankengang lautet: Gott kann alles. Wenn Gott Zähneklappern verordnet hat, dann wird es Zähneklappern geben, auch bei Menschen, die alle Zähne verloren haben. Gott wird für die jenseitige Bestrafung notfalls eine Prothese zur Verfügung stellen.

Aber die scheinbar spöttische Frage des Konfirmanden ist zutreffender als der krampfhafte Erklärungsversuch des Küsters. Denn „Heulen und Zähneklappern“ ist nicht der Schwerpunkt dieses Textes. Jesus hat kein Interesse daran, dass Zähneklappern wortwörtlich eintritt. Und wenn man in diesem Text eine Drohung sieht, hat man Jesus falsch verstanden.

Denn Jesus spricht hier in dem Lukastext mit Menschen, die nur eine Form der Gerechtigkeit kennen: nämlich Gerechtigkeit, die aus Vergeltung besteht: d. h. man bekommt die Bestrafung, die man verdient hat; man bekommt die Belohnung, die man verdient hat. Diese Form der Gerechtigkeit ist wie eine breite Pforte – um die Sprache Jesu aufzugreifen – die zum Verderben führt. Denn fast alle Menschen glauben an Strafe und Vergeltung. Aber diese breite Pforte führt in eine Sackgasse.

In diesem Zusammenhang gibt es eine Anekdote aus den 70er Jahren der DDR. Der sowjetische Regierungschef Breschnew hatte gerade die DDR besucht, und als er nach Hause kam, zeigte er einem befreundeten Genossen die Geschenke, die er in Ostdeutschland bekommen hatte: Teppiche, Meissner Porzellan, Gemälde, eine Goldmünzensammlung. Der Genosse war erstaunt, so viele wertvolle Geschenke zu sehen und sagte: „Mann, müssen die dich in der DDR lieb haben.“ Breschnew erwiderte: „Genau, die müssen.“

Diese Anekdote veranschaulicht einen Widerspruch: wenn Menschen lieben müssen, dann kann man eigentlich nicht von Liebe sprechen. Denn Liebe ist grundsätzlich etwas Freiwilliges und ohne Hintergedanken, sonst ist sie nicht Liebe.

Und nach der Bibel sind wir Menschen für Liebe bestimmt: Liebe zu Gott und Liebe zu den Mitmenschen ist das oberste Gebot. Durch Liebe bekommt das Leben seinen eigentlichen Sinn. Und auch hier gilt dasselbe Prinzip: Liebe muss freiwillig und ohne Hintergedanken sein. Liebe kann durch Zwang und Drohung nicht erzeugt werden, auch nicht durch die Drohung von Heulen und Zähneklappern. Sie kann auch nicht durch Aussicht auf Belohnungen erzeugt werden.

Und deswegen geht von Gott kein Zwang aus. Die Christenheit hat in früheren Zeiten manchmal im Namen Gottes Druck ausgeübt, indem sie mit Höllenfeuer, mit Exkommunikation oder mit Gewissensqualen drohte. Aber Gott nicht. Der Gott, der sich in Jesus offenbarte, ist ein Gott, der uns die Freiheit lässt, uns für oder gegen Liebe zu entscheiden. Und das ist die enge Pforte, die nur wenige Menschen finden: eine freiwillige Liebe zu Gott, die entsteht, weil Gott uns mit seiner freiwilligen Liebe aufgesucht hat. Nur wenige entdecken diese Pforte zum Leben.

In England gibt es einen Verleger, der diese Wahrheit erlebte, als seine Frau starb. Er schreibt folgendes: „Wie kann man beten, wenn die Augen voller Tränen sind? In jenen dunklen Tagen, als ich Verlust, Angst, Selbstmitleid und ungeklärte Fragen erlebte, machte ich eine Entdeckung: ich musste nicht beten. Diese Wahrheit habe ich von keinem Prediger gehört und auch in keinem Buch nachgelesen. Aber ich erfuhr, dass die Liebe Gottes, sein Verständnis und seine Gemeinschaft von meinen Gebeten nicht abhängig waren. In dieser besonderen Situation musste ich Gott nicht ausdrücklich suchen – denn er war da. Und es war, als ob er mir sagte: „Rede mit mir wieder, wenn du dazu bereit bist; ich werde warten und lauschen.“ Dieser Verleger – in der dunkelsten Zeit seines Lebens - erlebte, dass Gott keinen Zwang ausübt. Er zwingt niemanden dazu, ihn im Gebet zu suchen. Genauso wenig zwingt er uns, ihn anzubeten oder den Gottesdienst aufzusuchen. Wir sind frei, Gott anzubeten oder nicht anzubeten. Und wir sind frei, den Willen Gottes auszuführen oder nicht auszuführen. Diese Erkenntnis der Gnade ist die enge Pforte, die zur Seligkeit führt.

Die breite Masse glaubt an Vergeltung; nur eine kleinere Minderheit weiß, dass alles von der Gnade Gottes abhängt. Wer zu dieser kleinen Minderheit gehört, ist dazu beauftragt, die Gnade Gottes zu bezeugen - durch selbstlose Güte, durch unbegrenzte Barmherzigkeit, durch geduldige Besonnenheit - damit andere diese enge Pforte auch finden.

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