Archiv der Evangelisch-lutherische Dreikönigsgemeinde, Frankfurt am Main - Sachsenhausen
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Predigten von Pfarrer Phil Schmidt: Römerbrief 3, 21 – 28 Gnade allein

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'Voting USA', Rich Legg, 2008

Reformation

Gnade allein Römerbrief 3, 21 – 28


Predigt gehalten von Pfarrer Phil Schmidt 2004

Nun aber ist ohne Zutun des Gesetzes die Gerechtigkeit, die vor Gott gilt, offenbart, bezeugt durch das Gesetz und die Propheten. Ich rede aber von der Gerechtigkeit vor Gott, die da kommt durch den Glauben an Jesus Christus zu allen, die glauben. Denn es ist hier kein Unterschied: sie sind allesamt Sünder und ermangeln des Ruhmes, den sie bei Gott haben sollten, und werden ohne Verdienst gerecht aus seiner Gnade durch die Erlösung, die durch Christus Jesus geschehen ist. Den hat Gott für den Glauben hingestellt als Sühne in seinem Blut zum Erweis seiner Gerechtigkeit, indem er die Sünden vergibt, die früher begangen wurden in der Zeit seiner Geduld, um nun in dieser Zeit seine Gerechtigkeit zu erweisen, dass er selbst gerecht ist und gerecht macht den, der da ist aus dem Glauben an Jesus. Wo bleibt nun das Rühmen? Es ist ausgeschlossen. Durch welches Gesetz? Durch das Gesetz der Werke? Nein, sondern durch das Gesetz des Glaubens. So halten wir nun dafür, dass der Mensch gerecht wird ohne des Gesetzes Werke, allein durch den Glauben. Römerbrief 3, 21 – 28

Am kommenden Dienstag gibt es in den USA Wahlen. Was nicht allgemein bekannt ist, ist dass es nicht nur um politische Ämter geht, sondern in jeder Wahl werden Initiativen, Maßnahmen und Gesetzesvorlagen abgestimmt. Auf dem Wahlzettel, den ich von Nordkalifornien bekommen habe, gibt es 32 Initiativen, die zu entscheiden sind. In Kalifornien z. B. wird entschieden, ob Steuergelder für medizinische Stammzellenforschung einzusetzen sind oder nicht. Der Wähler bekommt ein Begleitheft, in dem die Argumente für und gegen jede Initiative aufgelistet sind.

Eine Maßnahme betrifft das öffentliche Transportsystem in meinem Wahlbezirk. Es geht darum, eine Grundstückssteuer zu erheben, damit die Fahrtkosten für Busse und Bahnen zumutbar bleiben für Senioren, Behinderte und Studenten. Menschen, die wegen Ihres Alters oder wegen einer gesundheitlichen Belastung gehbehindert sind, sollen ihre Unabhängigkeit bewahren können – heißt es in dem Begleittext zu dieser Maßnahme. Diese Maßnahme war die Einzige auf dem Wahlzettel, für die es kein Gegenargument gab. Niemand hatte es gewagt, ein Argument gegen dieses Vorhaben vorzubringen.

Ich erwähne diese Begebenheit, weil hier ein Menschenbild zum Vorschein kommt. In unserer westlichen Welt hat jeder Mensch eine unantastbare Würde. Niemand darf als minderwertig gelten, weil er nicht voll leistungsfähig ist. Jeder Mensch hat einen unabdingbaren Wert, auch wenn er für die Allgemeinheit scheinbar keinen Beitrag leisten kann. Mit anderen Worten: unsere westliche Welt ist – mehr oder weniger - von der Gnade Gottes geprägt worden. Und diese Gnade Gottes ist nicht bloß ein abstraktes, geistiges Konzept, sondern hat praktische Auswirkungen auf unser Leben – z. B. auf öffentliche Verkehrsmittel und auf Steuergesetze.

'Lutherbibel im Lutherhaus Wittenberg', 2005, Torsten Schleese

Dass unser öffentliches Leben von Gnade geprägt worden ist, haben wir der Reformation zu verdanken. Heute am Reformationsfest feiern wir die Gnade Gottes, die im Leben von Martin Luther offenbart wurde. Der Wendepunkt seines Lebens geschah, als er in seinem Arbeitszimmer saß und bei der Auslegung einer Stelle aus dem Römerbrief die Gnade Gottes entdeckte: sein sogenanntes Turmstubenerlebnis. Dieser Wendepunkt in seinem Leben führte dazu, dass er die Bibel übersetzte. Und eine umstrittene Stelle seiner Bibelübersetzung betrifft den Text, der für heute vorgesehen ist. In dem letzten Satz heißt es:

So halten wir nun dafür, dass der Mensch gerecht wird ohne des Gesetzes Werke, allein durch den Glauben.

Luther wurde von seinen Gegnern kritisiert, weil er in seiner Übersetzung ein Wort einfügte, das in dem Urtext nicht vorkommt, nämlich das Wort „allein“ („allein durch den Glauben“). Luther erwiderte, dass es ihm bekannt war, dass das Wort „allein“ in dem Urtext nicht vorkommt, dass es aber darauf ankommt, denn Sinn des Textes in der deutschen Sprache eindeutig widerzugeben. Und er fügte das Wort „allein“ in seine Übersetzung hinein, damit die Aussage des Textes unmissverständlich widergegeben wird.

Dieses Wort „allein“ gehörte zu den vier Schlachtrufen der Reformation: Christus allein, die Bibel allein, Gnade allein, Glaube allein. Gnade allein z. B. bedeutet, dass die Gnade Gottes nicht ergänzt werden darf, denn sonst ist sie nicht mehr Gnade und sonst verliert sie ihre befreiende Kraft. Bis heute können die katholische und die evangelisch-lutherische Kirche sich an diesem Punkt offiziell nicht einigen. Bis heute gehen Theologen der lutherischen Kirche davon aus, dass die katholische Kirche es immer noch nicht unterlassen kann, die Gnade Gottes ergänzen zu wollen durch menschliche Tätigkeit.

Es gab während der Reformation Formulierungen, die entstanden sind, um die Gnade Gottes vor Ergänzungen zu schützen. Luther sprach von der „Gefangenschaft des Willens“. Die Schweizer Reformatoren sprachen von Prädestination. Beide Ausdrücke sind ungeschickt und missverständlich, aber die Absicht in beiden Fällen ist eindeutig: der Mensch darf sich nicht einbilden, dass er irgendetwas zu seiner absoluten Würde vor Gott beitragen kann. Jede Seele ist für Gott unendlich kostbar. Keine menschliche Leistung kann die unbeschränkte Kostbarkeit einer menschlichen Seele beeinflussen. Es ist wie eine mathematische Rechnung mit der Unendlichkeit. Man kann die Unendlichkeit nicht ergänzen und nicht teilen. So lässt sich die Gnade Gottes nicht ergänzen oder vermindern.

Deswegen gehört es zu der Gnade, dass ein Mensch erkennen muss, dass er absolut hilflos ist, sein ewiges Schicksal zu beeinflussen. In dem Römerbrieftext sagt Paulus: die Menschen

„werden ohne Verdienst gerecht aus seiner Gnade durch die Erlösung, die durch Christus Jesus geschehen ist... Wo bleibt nun das Rühmen? Es ist ausgeschlossen.“

Wie schon gesagt: Gnade ist kein abstraktes Konzept, sondern ist etwas, was unser Leben beeinflusst – auch unsere öffentlichen Einrichtungen. Es gibt sicherlich kein Leben, in dem die Gnade Gottes sich nicht irgendwann meldet.

'John D. Rockefeller
', ca. 1875,  JAMES BOND, 2005

Ein anschauliches Beispiel, wie die Gnade Gottes sich ereignet, kann man in dem Leben von John Rockefeller sehen. John Rockefeller, geboren im Jahre 1839, war der erste Mensch, der eine Milliarde Dollar zusammenbekommen hatte. Als er 23 Jahre alt war, war er schon Millionär, und 27 Jahre später, als er 50 Jahre alt war, hatte er eine Milliarde Dollar. Aber 3 Jahre danach bekam er einen Nervenzusammenbruch. Denn sein ganzer Lebensstil war offenbar darauf ausgerichtet, Geld und Einfluss zu vermehren, und er konnte sein Lebenstempo nicht aufrechterhalten. Nach diesem Zusammenbruch war sein ganzer Körper voller Schmerzen und er verlor alle Haare am Kopf, auch an seinen Augenbrauen. Ein Arbeitskollege schrieb dazu folgendes: „Er konnte nicht schlafen, er wollte nicht lächeln, und nichts im Leben hatte für ihn einen Sinn.“ Seine persönlichen Ärzte, die zu den allerbesten gehörten, sagten voraus, dass er innerhalb eines Jahres sterben würde. Er hatte also den Tod vor Augen gehabt und bekam eines Nachts einen Traum. Als er aufwachte, konnte er sich an diesen Traum nur bruchstückhaft erinnern, aber was er deutlich in Erinnerung hatte, war, dass er die Erfolge seines Lebens in das nächste Leben nicht mitnehmen konnte. Dieser Mann, der die Geschäftswelt im Griff hatte, merkte anhand dieses Traumes, dass er sein eigenes Schicksal nicht im Griff hatte. Und diese einfache, bescheidene Erkenntnis befreite ihn für eine Entscheidung. Er rief seine Anwälte, Buchhalter und Manager zu sich und verkündete, dass er sein Geld für Krankenhäuser, medizinische Forschung und Missionsarbeit einsetzen wollte. An diesem Tag fing er an, sein Geld zu verschenken. Zuletzt wurde er 97 Jahre alt und es ist ihm gelungen, schätzungsweise 98% seines Reichtums wegzugeben.

Der befreiende Wendepunkt in seinem Leben kam, als er merkte, dass er sein endgültiges Schicksal nicht in der Hand hatte. Diesen Moment darf man als einen Moment der Gnade ansehen. Denn Gnade wird in dem Moment spürbar, in dem ein Mensch merkt, dass er total auf Barmherzigkeit angewiesen ist.

Der Theologe Paul Tillich beschreibt diesen Vorgang mit den folgenden Worten:
Die Gnade trifft uns, wenn wir in großer Qual und Unruhe sind. Sie trifft uns, wenn wir durch das finstere Tal eines sinnlosen und leeren Lebens gehen. Sie trifft uns, wenn wir fühlen, dass wir ein anderes Leben verletzt haben, ein Leben, das wir liebten oder von dem wir entfremdet waren. Sie trifft uns, wenn der Ekel an unserem eigenen Sein, an unserer Gleichgültigkeit, unserer Schwachheit, unserer Feindseligkeit, unserem Mangel an zielbewusstem Leben unerträglich geworden ist. Sie trifft uns, wenn Jahr für Jahr die Vollendung unseres Lebens ...ausbleibt, wenn die alten Mächte in uns herrschen, wenn die Verzweiflung alle Freude und allen Mut zerstört. Zuweilen bricht in einem solchen Augenblick eine Welle von Licht in unsere Finsternis ein, und es ist, als ob eine Stimme sagte: „Du bist dennoch bejaht!“ Dennoch bejaht, bejaht durch das, was größer ist als du und dessen Namen du (vielleicht noch) nicht kennst.“

Was Tillich hier bezeugt, ist, dass die Gnade Gottes besonders dann nahe ist, wenn das Leben gnadenlos aussieht. Denn ein Mensch muss zuerst merken, dass er aus eigener Kraft sein Leben nicht bewältigen kann, damit er die Gnade Gottes als Geschenk annehmen kann.

Das Beispiel Rockefeller zeigt, dass Gnade jeden Menschen umhauen kann – auch einen mehrfachen Millionär, der als kalt berechnend galt. Was Rockefeller erlebte, ist eine allgemeine menschliche Erfahrung. Irgendwann und irgendwie wird jeder Mensch erkennen müssen, dass er total auf Gnade angewiesen ist. Und bis diese Erkenntnis eingetreten ist, ist ein Menschenleben unvollständig.

Heute am Reformationsfest feiern wir diese Gnade Gottes. Und jedes Reformationsfest ist eine Mahnung an uns evangelisch-lutherische Christen, diese Gnade Gottes rein und unverfälscht zu bewahren und zu bezeugen. Die Parole lautet: Gnade allein – d.h. ohne Ergänzung, eine Gnade, die durch Glauben allein als Geschenk empfangen wird, eine Gnade, die Christus allein vollgültig offenbart hat und eine Gnade, die allein durch das Zeugnis der Bibel immer wieder neu entdeckt werden kann.

Die Abbildung 'Voting USA', Rich Legg from Salt Lake City, UT, United States, 2008, ist lizenziert unter der Creative Commons Namensnennung 2.0 Lizenz.
Die Photographie 'Lutherbibel im Lutherhaus Wittenberg', 2005, Torsten Schleese, wurde von ihrem Urheber zur uneingeschränkten Nutzung freigegeben. Diese Datei ist damit gemeinfrei („public domain“). Dies gilt weltweit.
Die Photographie 'John D. Rockefeller', ca. 1875 (Autor unbekannt), JAMES BOND, 2005, ist im public domain, weil ihr copyright abgelaufen ist.

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