Archiv der Evangelisch-lutherische Dreikönigsgemeinde, Frankfurt am Main - Sachsenhausen
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Predigten von Pfarrer Phil Schmidt: Mt. 10, 34 – 39 Der Teufel hat keine Zeit

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21. Sonntag nach Trinitatis: Mt. 10, 34 – 39 Der Teufel hat keine Zeit

Gehalten von Pfarrer Phil Schmidt 2005

'Jerry Seinfeld', Alan Light, 1997

Ihr sollt nicht meinen, dass ich gekommen bin, Frieden zu bringen auf die Erde. Ich bin nicht gekommen, Frieden zu bringen, sondern das Schwert. Denn ich bin gekommen, den Menschen zu entzweien mit seinem Vater und die Tochter mit ihrer Mutter und die Schwiegertochter mit ihrer Schwiegermutter. Und des Menschen Feinde werden seine eigenen Hausgenossen sein. Wer Vater oder Mutter mehr liebt als mich, der ist meiner nicht wert; und wer Sohn oder Tochter mehr liebt als mich, der ist meiner nicht wert. Und wer nicht sein Kreuz auf sich nimmt und folgt mir nach, der ist meiner nicht wert. Wer sein Leben findet, der wird's verlieren; und wer sein Leben verliert um meinetwillen, der wird's finden.

In den 90er Jahren gab es eine humorvolle Fernsehserie mit dem Titel Seinfeld. In einer Episode saß ein Mann mit seinen Freunden in einer Gaststätte und stellte fest, dass er grundsätzlich falsch gepolt war. Er diagnostizierte, dass jede Entscheidung – seit Jahren - verkehrt war. Und er nahm sich vor, seine Entscheidungen umzukehren. Er würde ab jetzt genau das Gegenteil von dem machen, was er machen wollte. Es fing gleich mit seiner Bestellung an. Seit Jahren aß er jeden Mittag dieselbe Mahlzeit; er suchte etwas auf der Speisekarte, was das genaue Gegenteil von dem war, was er sonst bestellte. In seinen zwischenmenschlichen Beziehungen kehrte er alles um. Er sagte nicht mehr das, was er sagen wollte, sondern das, was er am wenigsten sagen wollte. Er stellte alles auf den Kopf. Und siehe da, plötzlich war er nicht mehr eine Niete. Auf einmal war sein Leben ein Triumph. Er wurde bewundert. Und in Lebensbereichen, in denen früher alles schief ging, ging jetzt alles hervorragend.

Der Text aus dem Matthäusevangelium, der für heute vorgesehen ist, ist eine Aufforderung, etwas ähnliches zu tun wie der Mann in der Fernsehserie. Denn in diesem Text wird das normale Leben auf den Kopf gestellt. Das übliche menschliche Streben wird von Jesus in Frage gestellt. Es ist z. B. unsere alltägliche Neigung, Familienharmonie zu suchen. Jesus stellt fest: wenn Du zu mir gehören willst, musst du bereit sein, deine eigene Familie zu entfremden. Oder es ist ein natürliches Vorhaben, nach Gesundheit, Ansehen, Macht und Selbstverwirklichung zu streben. Jesus setzt dagegen die Bereitschaft, ein Kreuz zu tragen – d.h. die Bereitschaft, etwas Ungesundes zu tun, Schande auf sich nehmen, Unrecht zu erleiden, und auf Macht und Selbstverwirklichung zu verzichten. Diese Umkehrung der normalen Lebensverhältnisse fasst Jesus zusammen in der Botschaft: „Wer sein Leben findet, der wird's verlieren; und wer sein Leben verliert um meinetwillen, der wird's finden.“ Mit anderen Worten: wer zu Christus gehören will, wird dazu aufgefordert, genau das Gegenteil von dem zu tun, was man tun will. Man sollte sich so verhalten, wie der Mann in der Fernsehserie: bereit sein, notfalls alle Entscheidungen umzukehren, so dass man tut und sagt, was man am wenigsten tun und sagen will.

Aber in diesem Zusammenhang gibt es Missverständnisse, denen vorzubeugen ist. Es geht nicht darum, eine lebensfeindliche Haltung einzuführen; Gott ist nicht lebensfeindlich. Es geht nicht darum, zu behaupten, dass Spaß und Vergnügen verboten sind. Es gibt strenge kirchliche Gemeinschaften, die jede Vergnügung automatisch für etwas Sündhaftes halten: Dinge wie Tanzen, Kino, Theater, oder Alkohol waren oder sind unter manchen Christen verpönt. Es geht auch nicht darum, Leiden und Schande zu verherrlichen, als ob man aktiv danach trachten sollte, möglichst viel zu leiden. Diese Märtyrer-Mentalität, die nach Möglichkeiten sucht, sich selbst aufzuopfern, hat es auch in der Christenheit gegeben. Aber es geht nicht darum, Kreuze zu suchen, sondern nur die Kreuze zu tragen, die einem auferlegt werden.

Es kann kein Zweifel sein, dass Gott will, dass wir zuletzt gut leben, dass wir sogar die Fülle des Lebens genießen. Wir sollen uns zuletzt verwirklichen. Wir sollen zuletzt in Harmonie mit Familienangehörigen und mit allen Menschen leben. Aber der Weg zum Leben ist in Jesus ein Umweg geworden – ein indirekter Weg.

Ein Theologe schrieb folgendes dazu:

Gott will durchaus das Leben, und zwar in Lust und Fülle. Aber wer dabei nur auf dem schnellen und direkten Weg an sich selbst denkt, verfehlt das Ziel mit Sicherheit. Warum? Weil der Mensch sich als Kern und Mitte des Universums setzt, um das alles kreist, ja kreisen muss, wenn es keinen andern Pol gibt. „Was habe ich denn davon?“ ist die menschlich letzte Frage in einer Welt, in der es keinen Gott gibt. Es muss dann rücksichtslos um das Durchsetzen der eigenen Vitalität gehen....Unsere Vitalität ist nicht unschuldig, sondern seit Adam und Eva ist sie raffgierig, egozentrisch, kurzatmig, sie hat keine Zeit, sondern will auf kürzestem Wege nur für sich selbst sorgen. Und sie verfehlt ihr Ziel, weil nur für sich selbst niemand glücklich ist.

'Bearing of the Cross. Stained glass, Paris, ca. 1500', Jastrow (2006)

Hinter diesen Gedanken steckt eine Wahrheit, die in Jesus deutlich wurde. Die Kreuzigung Jesu hat eine Realität offenbart - nämlich, dass diese Welt in Feindschaft zu Gott steht. Diese Welt lügt und betrügt, diese Welt verrät und ermordet die Unschuldigen, diese Welt lässt sich verblenden durch Geld, Ansehen und Macht. Denn diese Welt erkennt Gott nicht an. Und deswegen werden Christusanhänger dazu aufgefordert, in Widerspruch zu dieser Welt zu leben. Das heißt: nicht raffen, sondern schenken, nicht sofort an sich selbst denken, sondern abwarten; nicht das eigene Recht um jeden Preis durchsetzen, sondern auf Recht verzichten, weil man damit auf eine höhere Gerechtigkeit hinweisen will.

Der Christuszeuge wird ein Fremdkörper in dieser Welt sein: innerhalb der eigenen Familie und innerhalb des Freundeskreises muss er mit Unverständnis und mit Spott rechnen. Denn wie soll man erklären, dass man sonntags in die Kirche geht, um Gott anzubeten und die Auferstehung Christi zu feiern, anstatt sich auszuschlafen? Wie soll man erklären, weshalb man Bosheiten nicht mit gleicher Härte erwidert? Wie soll man verständlich machen, dass man das Leben nicht pausenlos mit Konsumerlebnissen ausfüllen will, weil man für etwas lebt, was erst jenseits der Grenze des Todes offenbar wird? Wie soll man Wehrlosigkeit im Namen Jesu Christi verständlich machen in einer aggressiven Welt, die Gerechtigkeit als etwas versteht, was man nur kämpferisch durchsetzen kann?

Der Unterschied zwischen Menschen dieser Welt und Menschen der kommenden Welt hängt mit Zeitgefühl zusammen. Wer Gott nicht anerkennt hat keine Zeit. Wie ein christlicher Zeuge schrieb: „Die Sünde besteht immer darin, dass wir keine Zeit haben.“ Wir Menschen sind für ein paradiesisches Leben vorgesehen, aber wenige sind bereit zu warten, bis Gott das paradiesische Leben verwirklicht. Menschen, die nicht auf Gott warten können, nehmen Drogen, trinken zu viel Alkohol, brechen in Wohnungen ein, machen Schulden, fahren zu schnell oder füllen ihren Terminkalender voll aus: sie können nicht warten, sondern wollen sofort und täglich das Leben in Fülle haben.

Streit ist auch etwas, was entsteht, weil Menschen meinen, nicht warten zu können – d. h. sie wollen sich nicht Zeit nehmen, um Andersdenkende zu verstehen und zu ertragen. Streit will man schnell gewinnen, weil angeblich das eigene Ansehen davon abhängt. Aber Jesus auf dem Weg von Gethsemane zu Golgatha hat vorgemacht, dass man Streit verlieren darf, denn Gott allein wird zuletzt Recht und Gerechtigkeit definieren. Jesus hat vorgemacht, dass man auf Gott warten darf – sogar bis in den Tod hinein. Man muss nicht Konflikte gewinnen. Man muss auch nicht alles Leiden dieser Welt erklären. Man muss nicht einen Gott verteidigen, der vorläufig unschuldiges Leiden zulässt. Man darf als Nichtwissender, als Versager und als Verlierer dastehen. Man darf schweigen, wenn man keine Antwort hat, denn Jesus hat auch geschwiegen, als er zu Unrecht angeklagt war. Denn man darf auf den Sieg der Gerechtigkeit Gottes warten, weil man als Zeuge Jesu Christ bewusst in Widerspruch zu einer gottlosen Welt stehen will. Nach einem alten Sprichwort heißt es: „Der Teufel hat keine Zeit“. Wer aber zu Christus gehört, hat Zeit, denn Gott gehört die Ewigkeit. Wer Zeit hat, lebt ganz anders.

'James Earl 'Jimmy' Carter'

Im Jahre 1978 starb ein amerikanischer Politiker mit dem Namen Hubert Humphrey. In den 60er Jahren war er Vizepräsident und Präsidentschaftskandidat. Es gab für ihn eine Trauerfeier in Washington und Hunderte von Menschen aus aller Welt waren versammelt. Auch dabei war der ehemalige Präsident Richard Nixon, der wegen des berüchtigten Watergate-Skandals sein Amt in Schande aufgeben musste. Nixon galt als der Inbegriff eines schmutzigen, rücksichtslosen Politikers. Und bei dieser Trauerfeier wurde er deshalb von allen gemieden. Niemand wollte mit ihm reden; niemand wollte mit Nixon zusammen gesehen werden. Und dann kam Präsident Jimmy Carter dazu, ein tiefgläubiger Christ. Carter sah, wie Nixon allein für sich stand – wie ein Aussätziger. Er ging auf Nixon zu und begrüßte ihn wie ein Familienmitglied, er lächelte ihn an, umarmte ihn und sagte: „Willkommen zu Hause, Mister Präsident; willkommen zu Hause“.

Was Carter hier tat, war politisch absolut inkorrekt. Nach der Mentalität unserer Welt sollte man ekelhaften, anmaßenden Personen zeigen, wie sehr man sie und ihre Methoden verachtet. Nach der Mentalität dieser Welt gewinnt man Ansehen, wenn man sich von abscheulichen Fieslingen distanziert. Aber Carter bezeugte eine Liebe, die in Widerspruch zu dieser Welt steht. Es ist die Liebe des Vaters zu seinem heimkehrenden Sohn in dem bekannten Gleichnis von dem verlorenen Sohn. Diese Liebe Gottes nimmt Menschen mit einer Gnade an, die uneingeschränkt bedingungslos ist, und diese Liebe vermittelt die Botschaft: „Willkommen zu Hause.“ Wer zu Christus gehören will, ist dazu beauftragt, diese Art Liebe zu bezeugen. Wer diese Art Liebe verkörpert, die völlig ohne Hintergedanken ist, die in den meisten Fällen völlig inkorrekt und unpragmatisch ist, wird ein Fremdkörper in dieser Welt sein – er wird vielleicht in der eigenen Familie ein Fremdling sein, vielleicht sogar in der eigenen Kirchengemeinde. Denn unsere natürlichen Neigungen gehen in eine andere Richtung. Deswegen ist das ganze Leben eines Christenmenschen – wie Luther in seinen 95 Thesen bezeugte – eine ständige, tägliche Umkehr. Bei jeder Entscheidung sollte man also überlegen, ob man nicht genau das Gegenteil tun sollte, was man eigentlich will. So sieht die Nachfolge Christi aus.

Umkehr klingt vielleicht anstrengend, als ob es sich um eine lästige Pflicht und Schuldigkeit handelt, die man nur widerwillig tut. Wer Umkehr so versteht, sollte gleich aufgeben. Umkehr im Namen Jesu Christi ist nicht Zwang, sondern ein Liebesdienst, den man freiwillig und dankbar tut; ein Liebesdienst, der das Leben zuletzt leichter und einfacher macht. Das wahre Leben in Gott ist zuletzt nicht etwas Anstrengendes, sondern bringt eine innere Ruhe. Ein Leben ohne Gott oder gegen Gott ist hoffnungslos hektisch und kraftraubend.

Möge Gott uns helfen, bei jeder Entscheidung zu überlegen und zu vollziehen, was dem wahren Leben dient.

Die Photographie 'Jerry Seinfeld', Alan Light, 1997, ist lizenziert unter der Creative Commons Namensnennung 2.0 Lizenz.
Das Glasfenster 'Bearing of the Cross. Stained glass, Paris, ca. 1500. From the chapel of the Hôtel de Cluny in Paris, now housing the museum', Jastrow (2006), wurde von seinem Urheber zur uneingeschränkten Nutzung freigegeben. Diese Datei ist damit gemeinfrei („public domain“). Dies gilt weltweit.
Die Photographie 'James Earl 'Jimmy' Carter', ist in den Vereinigten Staaten gemeinfrei, da es von einem Beamten oder Angestellten einer US-amerikanischen Regierungsbehörde in Ausübung seiner dienstlichen Pflichten erstellt wurde und deshalb nach Titel 17, Kapitel 1, Sektion 105 des US Code ein Werk der Regierung der Vereinigten Staaten von Amerika ist.

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