Archiv der Evangelisch-lutherische Dreikönigsgemeinde, Frankfurt am Main - Sachsenhausen
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Predigten von Pfarrer Phil Schmidt: Epheser 4, 1 – 6 Wie man mit Gehässigkeit umgehen kann

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'Preserved King Alfred 596 LCG', Arriva436, 2008

17. Sonntag nach Trinitatis

Wie man mit Gehässigkeit umgehen kann Epheser 4, 1 – 6

Predigt gehalten von Pfarrer Phil Schmidt 2008 in der Dreikönigskirche

So ermahne ich euch nun, ich, der Gefangene in dem Herrn, dass ihr der Berufung würdig lebt, mit der ihr berufen seid, in aller Demut und Sanftmut, in Geduld. Ertragt einer den andern in Liebe, und seid darauf bedacht, zu wahren die Einigkeit im Geist durch das Band des Friedens: EIN Leib und EIN Geist, wie ihr auch berufen seid zu EINER Hoffnung eurer Berufung; EIN Herr, EIN Glaube, EINE Taufe; EIN Gott und Vater aller, der da ist über allen und durch alle und in allen. Epheser 4, 1 – 6

Es gibt einen Pfarrer, der im Jahre 1966 einen Busausflug mit einer Frauengruppe seiner Gemeinde unternahm. Diese Busfahrt wird er nie vergessen. Es handelte sich um Frauen aus einer Dorfgemeinde, die in eine größere Stadt gefahren sind. Vorgesehen waren eine Besichtigung, Mittagessen und ein Kinofilm. Der Pfarrer schreibt folgendes: „Sie sind alle liebenswürdige Frauen, aber wenn sie zusammen in einer Gruppe sind, offenbart sich manchmal eine Gehässigkeit, die mich traurig macht.“

Denn im Bus konnte er mithören, wie einige Frauen, die hinter ihm saßen, boshafte Bemerkungen über eine der anwesenden Frauen machten: Ihre Anmerkungen waren bissig und unbarmherzig.

Das Mittagessen war in einer Gaststätte, aber einige Frauen hatten zusätzlich zu den bestellten Mahlzeiten eigene Fressalien aus Tüten herausgeholt. Der Wirt machte sie darauf aufmerksam, dass es nicht erlaubt war, so etwas zu tun, denn wenn er das zuließe, würde das Gesundheitsamt seine Gaststätte schließen. Sofort wurde der Wirt angegiftet. Es entstand ein Wortkrieg, bei dem die Frauen dem Wirt gegenüber gehässig und vulgär wurden. Der Streit wurde immer heftiger und es drohte die Gefahr, dass diese kirchliche Gruppe Hausverbot bekommen würde. Der Pfarrer konnte gerade noch rechtzeitig schlichten. Später bei dem Kinobesuch sind diese Frauen noch einmal in einen Streit geraten, als sie mit ihren Hüten die Sicht der Kinobesucher blockiert hatten. Auch hier zeigten die Frauen eine verblüffende Gehässigkeit.

Die Vorkommnisse bei diesem Gemeindeausflug sind zwar extrem, aber sie sind nicht außergewöhnlich. Wer lange genug in einer Kirchengemeinde bleibt, wird solche Dinge erleben. Unter Christen kann eine solche Bissigkeit zum Vorschein kommen, dass man sich fragt: wo bin ich hier gelandet? Soll das eine christliche Gemeinde sein?

Es kommt immer wieder vor, dass Gemeindemitglieder sich zurückziehen, wenn sie erleben, dass Christen genauso rücksichtslos oder selbstsüchtig sein können wie alle anderen Menschen.

Und es ergibt sich hier eine Frage: ist nicht jede Gemeinde gespalten? Müsste man nicht in jeder Kirchengemeinde eine klare Unterscheidung vollziehen zwischen „richtigen“ Christen und „falschen“ Christen? Gibt es nicht in jeder Gemeinde echte Christen und scheinheilige, die eigentlich nicht dazu gehören? Müsste man nicht klar feststellen, dass es Menschen gibt, die keine Berechtigung haben, sich Christen zu nennen, weil sie zu oft fies und gehässig sind? Solche Überlegungen habe ich öfters gehört – auf zwei Kontinenten. Und solche Überlegungen sind grundsätzlich falsch.

Denn der Epheserbrieftext, der für heute vorgesehen ist, bezeugt die Einheit der Christenheit. Wie es im Text heißt:

Es gibt EINEN Leib und EINEN Geist, es gibt EINE Hoffnung, zu der alle gemeinsam berufen sind. Es gibt EINEN Herrn, EINEN Glauben, EINE Taufe; EINEN Gott und Vater aller, der da ist über allen und durch alle und in allen.

'Det ursprunglida dopfundet i 'Stora Sköndals kyrka' i Stockholm', Holger.Ellgaard, 2005

Der Ausgangspunkt ist die Taufe. Ob es uns passt oder nicht: durch die Taufe gehören wir alle zusammen. Denn es gibt eine einzige Taufe, die einen einzigen Geist Gottes überträgt. Die Taufe ist etwas Absolutes: es gibt keine Steigerung oder Minderung der Taufe. Und die Taufe ist unwiderruflich. Sie kann nicht rückgängig gemacht werden. Kein Mensch kann durch Fiesheit oder Gehässigkeit seine Taufe ungültig machen. Deswegen kann man keine Unterscheidung machen zwischen sogenannten „echten“ und „unechten“ Christen. Denn weil die Taufe „echt“ ist, ist jeder Christ „echt“.

Vor einigen Wochen gab es Aufsehen, als der Bischof von Limburg einen Bezirksdekan in Wetzlar absetzte, der an einer Segenshandlung für ein homosexuelles Paar beteiligt war. Es gab hinterher eine Reihe von Leserbriefen in Tageszeitungen. Für mich war der interessanteste Brief von einem Mann, der ungefähr folgendes schrieb: Mit der Absetzung des Bezirksdekans, der das Paar segnete, ist die Angelegenheit scheinbar abgeschlossen. Aber eine Sache ist doch unerledigt geblieben: wie ist es mit dem erteilten Segen? Müsste man nicht versuchen, diesen Segen rückgängig zu machen? Wenn man konsequent sein wollte, müsste es eine gottesdienstliche Handlung geben, bei der der unerlaubte Segen feierlich zurückgeholt oder für ungültig erklärt würde.

Dieser Vorschlag ist natürlich ironisch gemeint. Dieser Leserbriefschreiber hat etwas Wesentliches festgestellt: Segen kann nicht zurückholt oder ungültig gemacht werden. Das kann man immer wieder in der biblischen Geschichte feststellen, besonders bei der Jakob und Esau Geschichte.

Und diese Wahrheit gilt auch für uns Christen. Durch die eine Taufe, durch den einen Geist, durch die Zugehörigkeit zu dem einen Leib Christi, zu dem einen Herrn, zu dem einen Glauben sind wir alle gesegnet. Und nichts, was wir tun oder unterlassen, kann diesen Segen rückgängig oder ungültig machen. Wir gehören alle zusammen, weil wir alle unter dem einen Segen Gottes stehen.

'Billet de 100 Euros', 2009, Robert Kalina

Einmal bei einer Andacht auf einer Konfirmandenfreizeit habe ich einen Hundert-Euro-Schein in die Hand genommen. Ich habe die Konfirmanden gefragt: Wer will diesen Schein haben? Alle wollten ihn haben. Dann habe ich den Schein auf den Boden gelegt und drauf getrampelt. Danach war der Schein etwas schmutzig und hatte meine Verachtung erlitten. Ich fragte: wer will den Schein jetzt haben? Alle wollten ihn haben. Danach habe ich zu dem Schein gesprochen: ich habe ihn beleidigt. Ich habe fiese Worte zu dem Schein gesprochen. Komischerweise waren die Konfirmanden immer noch bereit, den Schein als Geschenk anzunehmen. Ich habe auch andere Versuche unternommen, den Wert des Hundert-Euro-Scheins zu mindern, aber es ging nicht. Es spielt keine Rolle, was man diesem Schein antut. Und es spielt auch keine Rolle, wozu dieser Schein eingesetzt wird. Man könnte den Schein einsetzen, um Drogen anzuschaffen oder um ein Computerspiel zu kaufen, das Gewalt verherrlicht. Dieser Schein kann nicht abgewertet werden. Und so ist es auch mit Christsein. Man kann Christsein nicht aufwerten oder abwerten. Denn alles hängt von der Absolutheit der Gnade ab, nicht von menschlicher Leistung. Und Gnade kann nicht ergänzt oder vermindert werden. Deshalb gibt es keine guten oder schlechten Christen – so wie es keine guten oder schlechten €100-Scheine gibt: es gibt nur Christen.

Ich hatte vorhin den Busausflug erwähnt. Auf der Heimfahrt hat der Pfarrer über das nachgedacht, was er erlebt hatte. Und er musste an etwas denken, was er von einem anglikanischen Bischof gelernt hatte. Leonard Wilson, der damalige Bischof von Birmingham, wurde im zweiten Weltkrieg von japanischen Soldaten gefangen genommen und gefoltert. Normalerweise will das Opfer einer sadistischen Misshandlung seine Peiniger verfluchen und normalerweise entstehen Rachsucht und Verbitterung. Als dieser anglikanische Christ seine Peiniger anschaute, sah er zwar kaltblütige, arrogante Gesichter, aber er sah hinter die Oberfläche; er sah eine ganz andere Wirklichkeit. Er sah diese Soldaten, so wie sie in der Kindheit waren, als sie noch in der Liebe der Eltern geborgen waren. Und dann hat er seine Peiniger gesehen, so wie sie eines Tages aussehen würden, wenn das Licht Christi ihre Seelen erleuchtet. Diese Betrachtungsweise hat ihn davor bewahrt, diese japanischen Soldaten zu hassen. Denn Kinder kann man nicht hassen. Und Menschen, die von Christus erleuchtet worden sind, kann man auch nicht hassen.

Und als der Pfarrer im Bus saß, hat er dieselbe Betrachtungsweise an die Frauen gerichtet. Er sah diese Frauen, so wie sie in der Kindheit waren: schutzbedürftig, verwundbar, total auf Liebe und Schutz angewiesen. Er sah diese Frauen, so wie sie eines Tages aussehen würden, wenn sie jenseits der Grenze des Todes Christus begegnen. Er hatte eine innere Vision, wie sie von Christus eine bedingungslose Liebe erfahren, die sie vielleicht nie im Leben erfahren hatten, wie sie von Christus eine Zärtlichkeit erfahren, die sie vielleicht seit Jahren nicht mehr erlebt hatten. Er hat diese Frauen gesehen, wie sie reagieren würden, wenn sie in der ewigen Herrlichkeit mit Familienangehörigen wieder vereint werden, die sie verloren hatten. Er schreibt folgendes: „Ich stellte mir vor, wie Jesus Gesichter streichelt, die kein Mensch seit Jahren berührt hatte, wie er mit seinen Fingern die Falten glättet, wie er die Sorgen-Linien im Gesicht aufweicht, wie er die Lippen zum Lächeln bringt. Er bringt sie wieder zum Lachen, er lässt sie ihre Kindheit wiederentdecken, er lässt sie die erste Liebe wieder erleben, sie umarmen die Kinder, von denen sie sich am Grab verabschiedet hatten. Ihre Augen leuchten wieder, als Jesus seine Liebe schenkt, während im Hintergrund eine goldene Morgendämmerung aufstrahlt. Und Ihre Schultern sind nicht mehr gebeugt. Als mir diese Gedanken durch den Kopf gingen, empfand ich eine wahre Zuneigung für diese Frauen.“

Diese Betrachtungsweise kann man in jeder Situation anwenden. Es ist unsere Aufgabe, die Menschen zu sehen – nicht nur wie sie jetzt sind, sondern wie sie sein werden, wenn sie im Reich Gottes in der Anwesenheit Christi wie Kinder sind, die wissen, dass alles von Gnade abhängt. In diesem Sinne gehören wir alle zusammen. Die Abstufungen zwischen echt und scheinheilig, die im Moment so ausschlaggebend erscheinen, sind zuletzt nichtig. Zuletzt gibt es eine allumfassende Einheit unter dem einen Gott.

Die Photographie 'Preserved King Alfred 596 LCG', Arriva436, 2008, wurde unter den Bedingungen der Creative Commons "Namensnennung-Weitergabe unter gleichen Bedingungen 3.0 Unported"-Lizenz veröffentlicht.
Die Photographie 'Det ursprunglida dopfundet i 'Stora Sköndals kyrka' i Stockholm', Holger.Ellgaard, 2005, wurde unter den Bedingungen der Creative Commons "Namensnennung-Weitergabe unter gleichen Bedingungen 3.0 Unported"-Lizenz veröffentlicht.
Die Abbildung 'Billet de 100 Euros', 2009, Robert Kalina, stellt eine Abbildung einer durch die Europäische Zentralbank (EZB) herausgegebenen Währungseinheit dar. Das graphische Design ist durch die EZB urheberrechtlich geschützt, „darf [jedoch] ohne vorherige Genehmigung der EZB verwendet werden [...], solange Reproduktionen in der Werbung oder in Illustrationen nicht mit echten Banknoten verwechselt werden können.“ [1] Eine „Reproduktion des gesamten oder eines Teils des Münzbildes der gemeinsamen Seite der Euro-Münzen“ auf „nicht-metallischen relieflosen Materialien gilt als zulässig“, vorrausgesetzt, daß die „Ähnlichkeit nicht mißbraucht wird oder das Originalabbild verletzt wird“. (CftC 2001/C 318/03).

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