Archiv der Evangelisch-lutherische Dreikönigsgemeinde, Frankfurt am Main - Sachsenhausen
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Frankfurt am Main - Sachsenhausen

Predigt von Pfarrer Phil Schmidt: 10. Sonntag nach Trinitatis: Joh. 4, 19 - 26 „Das Heil ist von den Juden“ am 04. August 2013

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'Stirnseite (Gebetsraum) der Westend-Synagoge in Ffm.', 2010, Dontworry

10. Sonntag nach Trinitatis

„Das Heil ist von den Juden“ Joh. 4, 19 - 26

Predigt gehalten von Pfarrer Phil Schmidt am 04. August 2013 in der Dreikönigskirche

Die Frau spricht zu ihm: Herr, ich sehe, dass du ein Prophet bist. Unsere Väter haben auf diesem Berge angebetet, und ihr sagt, in Jerusalem sei die Stätte, wo man anbeten soll. Jesus spricht zu ihr: Glaube mir, Frau, es kommt die Zeit, dass ihr weder auf diesem Berge noch in Jerusalem den Vater anbeten werdet. Ihr wisst nicht, was ihr anbetet; wir wissen aber, was wir anbeten; denn das Heil kommt von den Juden. Aber es kommt die Zeit und ist schon jetzt, in der die wahren Anbeter den Vater anbeten werden im Geist und in der Wahrheit; denn auch der Vater will solche Anbeter haben. Gott ist Geist, und die ihn anbeten, die müssen ihn im Geist und in der Wahrheit anbeten. Spricht die Frau zu ihm: Ich weiß, dass der Messias kommt, der da Christus heißt. Wenn dieser kommt, wird er uns alles verkündigen. Jesus spricht zu ihr: Ich bin's, der mit dir redet. Joh. 4, 19 - 26

Hier in Frankfurt gibt es im Westend eine Synagoge. In den 90er Jahren habe ich mit einer Gemeindegruppe diese Gebetsstätte besucht. Normalerweise gibt es in Synagogen – wie in Moscheen – ein Bilderverbot. Aber innendrin an der vorderen Wand waren 6 große Löwen abgebildet. Es wurde uns erklärt, dass der Löwe den Stamm Juda darstellt, denn im 1. Buch Mose, Kapitel 49, heißt es:

Juda ist ein junger Löwe. Wie ein Löwe hat er sich hingestreckt und wie eine Löwin sich gelagert.

Der Stamm Juda - als einziger von den ursprünglich 12 Stämmen Israels – hat seine Identität bis zum heutigen Tag bewahrt. Alle anderen Stämme sind mehr oder weniger untergegangen. Deswegen besteht das Volk Israel aus den Juden, d. h. aus denen, die zu dem Stamm Juda gehören. Und dass die Juden 2500 Jahre lang ihre Identität bewahrt haben, wird als göttliches Wunder verstanden. Dieses Wunder wird durch die Abbildung der Löwen in der Westend-Synagoge gewürdigt.

Dieses Überlebenswunder der Juden hat ein Kontrastbild, nämlich die Samariter. Der Text, der für heute vorgesehen ist hat als Hintergrund eine Feindschaft zwischen Juden und Samaritern, die 5 Jahrhunderte vor Christus anfing. Nämlich: als die Juden von Babylon zurückkehrten, fingen sie an, den Tempel wieder aufzubauen. Die Bewohner des Landes Samaria, das nördlich von Jerusalem liegt, boten ihre Hilfe an. Diese Hilfe wurde abgewiesen, denn die Samariter hatten sich auf Mischehen eingelassen, d. h. Eheschließungen mit Personen aus anderen Völkern, die fremde Götter und Götzen in das Land brachten und dadurch den Glauben Israels infizierten. In den Augen der Juden hatten die Bewohner Samarias eine Todsünde begangen und gehörten deshalb nicht mehr zum auserwählten Volk. Damit fing eine bittere Feindschaft an.

'Mount Gerizim archaeological remains', 2013, Deror_avi

Weil die Samaritaner in Jerusalem abgelehnt wurden, bauten sie später auf dem Berg Garazim in Samaria einen eigenen Tempel, der allerdings von einem jüdischen Feldherrn zerstört wurde. In dem Johannestext haben wir gehört, wie die Frau am Brunnen zu Jesus sagte:

„Unsere Väter haben auf diesem Berge angebetet, und ihr sagt, in Jerusalem sei die Stätte, wo man anbeten soll.“

Dieses Gespräch zwischen Jesus und einer Samariterin ist bemerkenswert. Jesus war ein Lehrmeister und wurde mit dem Titel „Rabbi“ angeredet. Ein Rabbi durfte in der damaligen Zeit nicht mit einer Frau in der Öffentlichkeit sprechen, nicht einmal mit seiner eigenen Frau oder der eigenen Tochter. Es gab sogar Pharisäer, die sich konsequent weigerten, eine Frau überhaupt anzuschauen. Wenn sie auf der Straße eine Frau von weitem sahen, hielten sie die Augen zu und stießen gegen Mauern und Hauswände. Sie wurden „wundgestoßene, blutende Pharisäer“ genannt.

Jesus aber redete an einem öffentlichen Platz mit einer Frau. Und, als ob das nicht „schlimm“ genug wäre, sie war eine Samariterin und sie hatte einen zweifelhaften Ruf, weil sie nacheinander 6 Lebensabschnittsgefährten hatte. Was Jesus tat ist ungefähr so, als wenn der Papst nach Afghanistan reisen würde, eine 5 Mal geschiedene talibanische Frau auf der Straße ansprechen und sie bitten würde, ihre Burka abzuziehen, damit er mit ihr auf Augenhöhe ein theologisches Gespräch führen könnte. Das heißt: Jesus verkörpert eine grenzenlose Liebe, die keine Berührungsängste hat, sondern Abgründe und Schranken hemmungslos überschreitet.

'Christ and the woman of Samaria at Jacob's Well', between 1835 and 1856, N. Currier

Aber diese Liebe hat auch harte Kanten. Denn Jesus sagte zu der Samariterin:

„Ihr wisst nicht, was ihr anbetet; wir wissen aber, was wir anbeten; denn das Heil kommt von den Juden.“

Im Urtext heißt es sogar:

„Das Heil IST von den Juden.“

Was meinte Jesus, als er sagte:

„Ihr wisst nicht, was ihr anbetet“?

Die Samariter hatten eine kleinere Bibel als die Juden, denn sie erkannten nur die 5 Bücher Mose an; es gab keine Psalmen und keine Prophetenschriften. Die Samariter waren in der Geschichte Israels nicht eingebettet. Sie glaubten offenbar nicht an die Auferstehung. Als Jesus zu der Frau am Brunnen sagte:

„ihr wisst nicht, was ihr anbetet“

so zeigt Jesus, dass er intolerant ist einer Religion gegenüber, die bruchstückhaft ist.

Und diese Aussage:

„Ihr wisst nicht, was ihr anbetet…das Heil ist von den Juden“

könnte auch an uns Christen gerichtet sein. Denn wie die Samaritaner haben auch wir eine historische Tendenz gezeigt, die biblische Botschaft zu reduzieren und wichtige Inhalte auszuklammern. Denn spätestens im 4. Jahrhundert hat das Christentum sich von seinen jüdischen Wurzeln abgeschnitten, als das erste ökumenische Konzil verkündete, dass Christsein und Judesein unvereinbar sind. D. h.: wenn Jesus und seine Jünger im 4. Jahrhundert gelebt hätten, wären sie von der Kirche ausgeschlossen worden.

Aber wenn Jesus von dem Judentum abgeschnitten wird, entsteht ein subjektives Jesusbild, das nicht mehr in der biblischen Geschichte verankert ist. Wenn Jesus nicht mehr historisch eingebettet ist, projizieren wir unsere eigenen Idealwerte auf ihn. Es entsteht ein Jesus, der harmlos ist, weil er das darstellt, was wir so wie so schon schätzen. Auf Jesus zu sehen ist dann, als ob man in einen Brunnen schaut und das eigene Spiegelbild sieht.

Ich denke z. B. an die Jesusbilder, die ich im Laufe meines Lebens gesehen oder erlebt habe. In den 50er Jahren, als ich im Kindergottesdienst war, war Jesus sanft und mild, aber auch traurig, weil er alle Sünden beobachtete. Dieser Jesus war bürgerlich und puritanisch; er würde niemals laut lachen und sicherlich wäre er mit Elvis Presley nicht einverstanden gewesen. In den 60er Jahren sah Jesus wie ein Hippy aus, und für diesen Jesus drehte sich alles um die Liebe, so wie Liebe damals definiert wurde – nämlich als spontanes Gefühl, das kein Disziplin kennt. In den 70er Jahren war er Jesus Christ Superstar. Aber es galt auch als chic, Jesus als Revolutionär darzustellen, der gegen Kapitalisten und Institutionen war. In den 80er Jahren war Jesus ein Sozialdemokrat und ein Pazifist, der gegen Mittelstreckenraketen war. Damals war Gott auch für die 35-Stunden Arbeitswoche. In den 90er Jahren bekam Jesus esoterische und feministische Dimensionen und war deshalb besser zu vermarkten. In dem letzten Jahrzehnt ist der Jesus der Verschwörungstheorien prominent geworden, dieser Jesus hat Maria Magdalena geheiratet. Aber das Wichtigste an Jesus in den letzten 20 Jahren war offenbar seine Toleranz. Toleranz ist das A und das O für unsere heutige Bevölkerung.

'A Czech actor of Městské divadlo Brno Robert Jícha', 2005, Jef Kratochvil

Jede Generation und jede Glaubensgemeinschaft projiziert auf Jesus das, was gerade als wertvoll und aktuell angesehen wird. Deswegen ist Jesus manchmal ein Moralapostel oder ein Tugendheld gewesen. Mal ist er ein unerbittlicher Richter, der die Verdammten in die Hölle schickt, Mal ist er ein Humanist und Sozialreformer.

Aber in den letzten 2000 Jahren gibt es eine Rolle, die auf Jesus so gut wie nie projiziert wurde. Nur sehr wenige sind auf die Idee gekommen, Jesus als palästinensischen Jude zu sehen. Aber auf das Judesein Jesu können wir absolut nicht verzichten. Ein Fundament des christlichen Glaubens ist, dass Gott vor 2000 Jahren in Palästina Mensch geworden ist: aber nicht ein allgemeiner Mensch: Gott wurde Jude, Gott wurde Rabbi. Jesus war von Anfang bis Ende seines Lebens im Judentum verankert.

Und als Jesus zu der Samariterin sagte:

„das Heil ist von den Juden“

,sagt er damit zu uns heute: Ich bin immer noch Jude. Das heißt: Wer Jesus sehen will, wie er wirklich ist, so dass seine Ausstrahlungskraft voll zur Geltung kommt, muss das Judentum kennen, sonst wird man fast alles, was er sagte, falsch auslegen oder von einer verkehrten Perspektive sehen.

Es gibt bestimmte Dinge, die wir Christen, historisch gesehen, nicht begreifen können, weil wir von unseren jüdischen Wurzeln abgeschnitten sind. Zum Beispiel Sabbatruhe. Wir Christen verstehen nicht den biblischen Begriff Sabbat, denn wir haben den Sabbat aufgegeben. Seitdem leben wir Christen mit einer dauerhaften, unterschwelligen Unruhe. Auch am Sonntag kommen wir Christen nicht wirklich zur Ruhe, so wie Ruhe von Gott vorgesehen ist. Der Sabbat ist aber der Inbegriff aller Verheißungen. Sabbatruhe veranschaulicht, was es bedeutet, allein von der Gnade Gottes zu leben. Von Juden können wir lernen, dass der Sabbat eine Vorschau der Vollendung ist, für die alle Menschen vorgesehen sind. Es heißt von dem Sabbat: weil die Juden den Sabbat am Leben hielten, hat der Sabbat die Juden am Leben erhalten. Wer Jesus wahrhaftig begegnen will, sollte versuchen, den jüdischen Sabbat zu verstehen.

'Löwe Stamm Juda', PSch

Ein anderes Beispiel: wir Protestanten neigen dazu, Gott in unseren Gedanken, Gebeten und Gefühlen zu suchen. Glaube ist für uns Protestanten eine Innigkeit. Aber die erste Stelle, wo Gott zu suchen ist, ist nicht in der eigenen Seele, sondern in der biblischen Geschichte. Glaube bedeutet: sich in die biblischen Geschichte hineinzuversetzen und sich diese Geschichte anzueignen. Jesus kommt zu uns durch Geschichte, durch die Geschichte von Abraham, Isaak, Jakob, durch die Geschichte von dem Auszug aus Ägypten, der Wüstenwanderung, dem Einzug in das gelobte Land, durch die Geschichte von Königen, Propheten, Abtrünnigkeit, Zerstörung und Exil. Jesus ist verankert in der Geschichte Israels. Jesus hat in dieser Geschichte seine eigene Identität gesehen. Wer sich die Geschichte Israels nicht aneignet, kennt Jesus nicht so, wie er war und wie er ist.

Hier in Frankfurt haben wir eine schöne Veranschaulichung, wie Juden und Christen zusammengehören. Die Löwen in der Westendsynagoge zeigen an, was Juden und Christen verbindet. Diese Löwen sind Hinweise auf den Messias, den die Juden aus dem Stamm Juda erwarten, denn wie es in 1. Mose heißt:

Juda ist ein Löwe… Es wird das Zepter von Juda nicht weichen noch der Stab des Herrschers von seinen Füßen, bis dass der Held (d. h. der Messias) komme, und ihm werden die Völker anhangen. (1. Mose 49, 9.10)

Für uns Christen ist Jesus der Messias, „der Löwe aus dem Stamm Juda“, wie es im Neuen Testament heißt.

Möge Gott uns helfen, diesen Löwen aus dem Stamm Juda in seiner jüdischen Identität zu sehen. Möge Gott uns helfen zu erkennen, was unsere Wurzel im Judentum sind und wie wir auf sie angewiesen sind. Möge Gott uns helfen zu verstehen, wie wir von unseren Wurzeln immer noch getragen werden und von ihnen immer noch Glaubenssaft brauchen.

Die Photographie 'Stirnseite (Gebetsraum) der Westend-Synagoge in Ffm.', 2010, Dontworry, ist lizensiert unter der Creative Commons Attribution-Share Alike 3.0 Unported license.
Die Photographie 'Mount Gerizim archaeological remains', 2013, Deror_avi, ist lizensiert unter der Creative Commons Attribution-Share Alike 3.0 Unported, 2.5 Generic, 2.0 Generic and 1.0 Generic license.
Die Abbuldung 'Christ and the woman of Samaria at Jacob's Well', between 1835 and 1856, N. Currier, is in the public domain in the United States. This applies to U.S. works where the copyright has expired, often because its first publication occurred prior to January 1, 1923. See this page for further explanation.
Die Photographie 'A Czech actor of Městské divadlo Brno Robert Jícha', 2005, Jef Kratochvil, is licensed under the Creative Commons Attribution-Share Alike 3.0 Czech Republic license.

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