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Predigt von Pfarrer Phil Schmidt: Lukas 24, 36 – 48 Die österliche Bibelstunde des Auferstandenen

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'Blumenkreuz im Kirchsaal Süd', Ostermontag 2011, PSch

Ostermontag

Die österliche Bibelstunde des Auferstandenen Lukas 24, 36 – 48

Predigt gehalten von Pfarrer Phil Schmidt am 25.04.2011 im Kirchsaal Süd

Als sie aber davon redeten, trat er selbst, Jesus, mitten unter sie und sprach zu ihnen: Friede sei mit euch! Sie erschraken aber und fürchteten sich und meinten, sie sähen einen Geist. Und er sprach zu ihnen: Was seid ihr so erschrocken, und warum kommen solche Gedanken in euer Herz? Seht meine Hände und meine Füße, ich bin's selber. Fasst mich an und seht; denn ein Geist hat nicht Fleisch und Knochen, wie ihr seht, dass ich sie habe. Und als er das gesagt hatte, zeigte er ihnen die Hände und Füße. Als sie aber noch nicht glaubten vor Freude und sich verwunderten, sprach er zu ihnen: Habt ihr hier etwas zu essen? Und sie legten ihm ein Stück gebratenen Fisch vor. Und er nahm's und aß vor ihnen. Er sprach aber zu ihnen: Das sind meine Worte, die ich zu euch gesagt habe, als ich noch bei euch war: Es muss alles erfüllt werden, was von mir geschrieben steht im Gesetz des Mose, in den Propheten und in den Psalmen. Da öffnete er ihnen das Verständnis, so dass sie die Schrift verstanden, und sprach zu ihnen: So steht's geschrieben, dass Christus leiden wird und auferstehen von den Toten am dritten Tage; und dass gepredigt wird in seinem Namen Buße zur Vergebung der Sünden unter allen Völkern. Fangt an in Jerusalem, und seid dafür Zeugen. Lukas 24, 36 – 48

Im Januar 1977 wurde Jimmy Carter in sein Amt als Präsident der USA eingeführt. Nach seiner Einführung am Kongressgebäude lief er mit seiner Familie die Pennsylvania Avenue entlang zum Weißen Haus. Er war der erste Präsident, der diesen Weg zu Fuß unternommen hatte. Auf der Straße wurde die Carter-Familie von Journalisten umringt. Der Pressesprecher des Präsidenten hat die Familie dazu aufgefordert: „Niemand sollte anhalten, um Fragen zu beantworten.“ Die Mutter des Präsidenten, Lilian Carter, ließ sich nichts vorschreiben, und sie hielt an, um mit der Presse zu sprechen. Die erste Frage, die an sie gerichtet wurde, lautete: „Miss Lilian, sind Sie nicht stolz auf Ihren Sohn?“ Sie antwortete mit einer Gegenfrage: „Welchen Sohn meinen Sie?“

Sie hatte zwei Söhne. Der andere Sohn, William, war nicht sonderlich erfolgreich oder stabil. Im 1976, als sein Bruder zum Präsidenten gewählt wurde, kandidierte er für das Amt des Bürgermeisters in seinem Geburtsort und verlor. In der Öffentlichkeit ist er öfters auf peinliche Weise aufgefallen – z. B. als er in der Anwesenheit von Journalisten und Prominenten eine Flughafenpiste als öffentliche Bedürfnisanstalt benutzte. Zuletzt ist er frühzeitig gestorben – offensichtlich deswegen, weil er im Laufe seines Lebens zu viel Alkohol getrunken hatte.

'Jimmy and Billy Carter', 1979, White House Staff Photographers

Trotzdem hat seine Mutter angedeutet, dass sie nicht unbedingt nur auf einen Sohn stolz war, nur weil der eine erfolgreich war und der andere nicht. Sie ließ sich nicht durch öffentlichen Erfolg beeindrucken. Sie hat auch etwas in dem anderen Sohn gesehen, was sie beeindruckt hatte.

Diese Sichtweise von Lilian Carter hat für uns als Kirche eine Relevanz. Es ergibt sich die Frage: neigen wir nicht auch dazu, erfolgsorientiert zu sein? Denn es gibt zwei Fassungen von Kirche, die wie zwei Brüder sind: es gibt eine Kirche, die dynamisch, stimmungsvoll und attraktiv aussieht – wie z. B. wenn es einen Kirchentag gibt, oder am Heiligabend, wenn die Kirchen überfüllt sind, oder wenn das Weihnachtsoratorium in einer historischen Kirche aufgeführt wird. Und dann gibt es den ärmeren Bruder: die Kirche im Alltag, die klein, unauffällig und bedeutungslos aussieht.

Es gibt eine starke Neigung heute, die Kirche danach zu beurteilen, wie „erfolgreich“ sie aussieht und wie viel Einfluss sie in der Gesellschaft hat. Evangelische Christen wollen eine Kirche haben, auf die sie stolz sein können. Margot Käßmann, vor ihrer berüchtigten Alkohol-am-Steuer-Geschichte, war die Verkörperung dessen, was viele Evangelische sehen wollten: eine attraktive Kirchenvertreterin mit Ausstrahlung, die medienwirksam auftreten kann, ein evangelischer Superstar. Wir wollen eine Kirche haben, die so einflussreich ist, dass niemand es wagen würde, am Karfreitag Tanzveranstaltungen in Diskos anzubieten – wie es hier in Frankfurt vorgekommen ist.

Es wird von der Kirche erwartet, dass sie eigentlich eine dynamische Ausstrahlung haben müsste. Es gibt die Auffassung: wenn die Kirche ihre Sache richtig machen und wenn sie ihr Produkt richtig verkaufen würde, dann müsste sie Erfolg und Einfluss haben. Es wird damit gerechnet, dass die Mehrheit der Bevölkerung für die Christenheit zu gewinnen sein müsste. Wenn das Christentum in der Bevölkerung nicht ankommt, dann kann das nur bedeuten, dass zu viele Kirchenvertreter zu ungeschickt, zu schwerfällig oder zu faul sind. Der mangelnde Erfolg der Kirche in der Öffentlichkeit wird als Versagen der Kirche ausgelegt.

Von diesem Hintergrund aus ist der heutige Text zu verstehen. Wenn Christus in der heutigen Zeit auferstanden wäre, könnte man daraus ein Medienereignis machen. Die Auferstehung ist ein Jahrtausendereignis, das man gut vermarkten könnte. Die Auferstehung Christi könnte die Kirche als die größte Sensation aller Zeiten verkaufen. Was könnte sensationeller sein als Fernsehbilder von einem ehemaligen Toten, der ein Stück gebratenen Fisch vor den Augen der Fernsehzuschauer verspeist?

Aber es gäbe ein Hindernis: Christus selber schien nicht daran interessiert zu sein, die Auferstehung als ein Event zu vermarkten.

'Joshua 1:1 in the Aleppo Codex', 10th century CE

Als er auferstanden ist, ist er nicht öffentlichkeitswirksam aufgetreten – z. B. vor dem Kaiser und dem Senat in Rom -, sondern er hat es bevorzugt, hinter verschlossenen Türen zu erscheinen – unter denen, die ihn kannten. Aber noch merkwürdiger ist, dass er als Auferstandener nichts wichtigeres zu tun hat als eine private Bibelstunde zu halten. Anstatt eine Verkaufsstrategie mit den Jüngern abzusprechen, tut er etwas völlig Weltfremdes: er weist nach, wie die Auferstehung Christi im Alten Testament vorgezeichnet ist. Er hebt hervor, dass er als Messias leiden musste, weil es im Alten Testament vorgegeben war. Seine Anhänger sollten einen gekreuzigten Messias predigen, der in die Geschichte Israels eingebettet ist.

Mit einer solchen Botschaft ist programmiert, dass die Christenheit für alle Zeiten eine Minderheit bleiben wird. Das Christentum ist zwar die größte Weltreligion, aber sie hat es nie geschafft, mehr als 1/3 der Menschheit zu erfassen. Denn sie predigt einen gedemütigten Erlöser. Mit einer solchen Botschaft werden wir nie eine Mehrheit sein.

Es wäre interessant zu wissen, was der Auferstandene erzählte, als er seinen Jüngern das Alte Testament auslegte. Wir können ziemlich sicher sein, dass es nicht bloß darum ging, bestimmte Stellen zu zitieren, die hellseherisch die Zukunft voraussagten, die zwangsläufig in Erfüllung gehen mussten. Sondern es ging sicherlich mehr um die grundsätzliche Vorgehensweise Gottes in der Geschichte Israels, dass er einzelne Personen auserwählt hatte, um sein Heil zu offenbaren, und dass seine Auserwählten immer wieder angegriffen, verworfen und getötet wurden.

Stephanus war der erste christliche Märtyrer. Vor seiner Steinigung hielt er eine Rede vor dem Hohen Rat, in der er die alttestamentliche Geschichte zusammenfasste und erläuterte, wie Israel immer wieder den Auserwählten Gottes mit Misstrauen und Ablehnung begegnet ist. Es kann gut sein, dass seine Rede etwas von dem wiedergibt, was Jesus seinen Jüngern erzählte, denn Stephanus ist eindeutig eine Christusfigur: wie Jesus wurde er fälschlich angeklagt und wie Jesus betete er für die Vergebung seiner Mörder.

'Moses striking the rock', 1630,  Pieter de Grebber

Ich möchte wetten – wenn ich könnte - , dass Jesus in seiner österlichen Bibelstunde eine bestimmte alttestamentliche Begebenheit aufgegriffen hatte, die exemplarisch ist für die Geschichte Israels. Als Israel aus Ägypten auszog, geschahen Zeichen und Wunder: die zehn Plagen und die Spaltung des Schilfmeers. Der Durchzug Israels durch das Schilfmeer war ein Urbild der Auferstehung Christi, wie die Evangelien bezeugen. Zuerst gab es große Freude über diese Befreiung. Dann ging der Weg in die Wüste und das Volk hatte Angst, zu verhungern und zu verdursten. Die Israeliten murrten gegen Gott, aber weil Gott nicht angreifbar ist, gab es die Überlegung, Mose als Vertreter Gottes zu steinigen. Mose wandte sich an Gott und bekam die Anweisung, sich vor einem Felsen am Abhang des Sinaiberges zu platzieren. Mose sollte die Rolle des Richters übernehmen und Gott würde sich vor ihn stellen – die Position des Angeklagten. Mose sollte mit seinem Stab auf den Felsen schlagen – mit demselben Stab, den er in Ägypten eingesetzt hatte, als es darum ging, Gerichtshandlungen an den Ägyptern zu vollstrecken. Der Stab Mose stand für das Gericht Gottes. Mit diesem Stab wurde Gott symbolisch geschlagen. Gott nahm die Strafe auf sich, die eigentlich dem Volk zustand, weil es Gott misstraute und seinen Vertreter töten wollte. Aus dem Felsen kam lebensrettendes Wasser heraus. Dieses Ereignis gilt in der christlichen Tradition als eine Vorlage für Jesus am Kreuz, der als die Verkörperung der Gegenwart Gottes von einer Römerlanze durchbohrt wurde, so dass Blut und Wasser herauskamen. Paulus sieht in dem wasserspendenden Felsen eine Christusvorlage, wie er in seinem 1. Korintherbrief bezeugt.

Was ich gerade erzählt habe ist nicht etwas, was allgemein verständlich ist. Alttestamentliche Geschichten, die auf Christus hinweisen, sind nicht unbedingt publikumswirksam. Aber das ist unsere Aufgabe als Christenheit: die ganze Bibel aus der Perspektive der Kreuzigung und Auferstehung Christi auszulegen. Die Auferstehung soll nicht als Sensation verkauft werden, sondern als Ereignis, das in der biblischen Geschichte eingebettet ist. Denn nur so werden Herzen grundlegend verwandelt. Nicht wir, sondern Gott ist zuständig für den Erfolg seiner Osterbotschaft. Unsere Aufgabe ist es, der Botschaft treu zu bleiben, die uns anvertraut wurde.

Es wird von einem Jungen erzählt, der den Kindergottesdienst besuchte. Als er nach Hause kam fragte die Mutter, was er im Kindergottesdienst gehört hatte. Der Junge sagte: „Wir hörten, wie Mose die Israeliten aus Ägypten befreite. Er hat Panzer und Raketen eingesetzt, um die ganze ägyptische Armee auszulöschen. Er ließ eine Brücke über das rote Meer bauen, auf der die Israeliten in die Freiheit wanderten. Er richtete Gaststätten in der Wüste ein, damit die Israeliten nicht verhungern mussten. Am Berg Sinai gab es ein Feuerwerk und die zehn Gebote wurden über Lautsprecher angekündigt.„ Die Mutter war verwirrt und fragte zurück: „Hast du das wirklich im Kindergottesdienst gehört?“ Die Antwort lautete: „Eigentlich nicht. Aber wenn ich dir erzählt hätte, wie die Geschichte in der Bibel steht, hättest du gedacht, dass ich spinne!“

Hier sehen wir eine Versuchung, der es zu widerstehen gilt. Die biblische Geschichte scheint zu hintergründig oder zu weltfremd zu sein, um etwas Erfolgreiches in dieser Welt auszurichten. Es gibt die Versuchung, diese Geschichte zu verfälschen – aufzupäppeln - und etwas zu bieten, was scheinbar publikumswirksamer ist als die biblische Geschichte. Aber in diese Geschichte ist der Gekreuzigte und Auferstandene integriert. Der Auferstandene will im Rahmen der gesamten biblischen Geschichte entdeckt und verkündet werden.

Möge Gott uns helfen, stolz zu sein auf eine Kirche, die der biblischen Botschaft treu bleibt, auch wenn sie durch ihre Treue zu dieser Botschaft nicht erfolgreich oder publikumswirksam auftreten kann. Denn wir sind dazu beauftragt, einen gekreuzigten Messias zu predigen: wie Paulus schreibt, „eine Torheit“ und „ein Ärgernis“.
Amen

Die Photographie 'Jimmy and Billy Carter', 1979, White House Staff Photographers, ist in den Vereinigten Staaten gemeinfrei, da es von einem Beamten oder Angestellten einer US-amerikanischen Regierungsbehörde in Ausübung seiner dienstlichen Pflichten erstellt wurde und deshalb nach Titel 17, Kapitel 1, Sektion 105 des US Code ein Werk der Regierung der Vereinigten Staaten von Amerika ist.
Das Gemälde 'Moses striking the rock', 1630, Pieter de Grebber, ist im public domain, weil sein copyright abgelaufen ist.
Die Abbildung 'Joshua 1:1 in the Aleppo Codex', 10th century CE, ist im public domain, weil sein copyright abgelaufen ist.

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