Archiv der Evangelisch-lutherische Dreikönigsgemeinde, Frankfurt am Main - Sachsenhausen
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Frankfurt am Main - Sachsenhausen

Predigt von Pfarrer Phil Schmidt: Lukas 23, 33 – 49 „Vater, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun“

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'The Crucifixtion from the medieval Georgian MSS of the Gospels from Gelati', 12th century

Karfreitag

„Vater, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun“ Lukas 23, 33 – 49

Predigt gehalten von Pfarrer Phil Schmidt am 22.04.2011 im Kirchsaal Süd

Und als sie kamen an die Stätte, die da heißt Schädelstätte, kreuzigten sie ihn dort und die Übeltäter mit ihm, einen zur Rechten und einen zur Linken. Jesus aber sprach: Vater, vergib ihnen; denn sie wissen nicht, was sie tun! Und sie verteilten seine Kleider und warfen das Los darum. Und das Volk stand da und sah zu. Aber die Oberen spotteten und sprachen: Er hat andern geholfen; er helfe sich selber, ist er der Christus, der Auserwählte Gottes. Es verspotteten ihn auch die Soldaten, traten herzu und brachten ihm Essig und sprachen: Bist du der Juden König, so hilf dir selber! Es war aber über ihm auch eine Aufschrift: Dies ist der Juden König.
Aber einer der Übeltäter, die am Kreuz hingen, lästerte ihn und sprach: Bist du nicht der Christus? Hilf dir selbst und uns! Da wies ihn der andere zurecht und sprach: Und du fürchtest dich auch nicht vor Gott, der du doch in gleicher Verdammnis bist? Wir sind es zwar mit Recht, denn wir empfangen, was unsre Taten verdienen; dieser aber hat nichts Unrechtes getan. Und er sprach: Jesus, gedenke an mich, wenn du in dein Reich kommst! Und Jesus sprach zu ihm: Wahrlich, ich sage dir: Heute wirst du mit mir im Paradies sein.
Und es war schon um die sechste Stunde, und es kam eine Finsternis über das ganze Land bis zur neunten Stunde, und die Sonne verlor ihren Schein, und der Vorhang des Tempels riss mitten entzwei. Und Jesus rief laut: Vater, ich befehle meinen Geist in deine Hände! Und als er das gesagt hatte, verschied er. Als aber der Hauptmann sah, was da geschah, pries er Gott und sprach: Fürwahr, dieser ist ein frommer Mensch gewesen! Und als alles Volk, das dabei war und zuschaute, sah, was da geschah, schlugen sie sich an ihre Brust und kehrten wieder um. Es standen aber alle seine Bekannten von ferne, auch die Frauen, die ihm aus Galiläa nachgefolgt waren, und sahen das alles. Lukas 23, 33 – 49

Im Jahre 1941 befand sich ein Kriegsschiff der britischen Marine (HMS Trinidad) in der Arktis. Es kam zu einer Begegnung mit einem deutschen Kriegsschiff, und ein Torpedo wurde auf das feindliche Schiff abgefeuert. Allerdings ging etwas grundsätzlich schief. Weil das Wasser eiskalt war, wurde der Steuerungsmechanismus des Torpedos beeinträchtigt. Das Unterwassergeschoss ging nicht gradlinig auf das Ziel zu, sondern machte eine Kurve. Innerhalb einer Minute kam der Torpedo zurück und traf das Schiff, von dem er abgefeuert wurde. Die Trinidad war bis zum Ende des Krieges nicht mehr einsetzbar.

'The British Fiji class cruiser HMS TRINIDAD', 15 - 18 February 1942,  Parnall, C H (Lt) Royal Navy official photographer

Dieses Ereignis kann als Gleichnis dienen für einen Vorgang, der unter Menschen vorkommt. Nämlich: aggressive Handlungen sind selbstzerstörerisch. Bösartigkeit ist zuletzt nicht nur Dummheit, sondern die größte Dummheit, die es geben kann. Alle Angriffe, die auf andere Menschen abgefeuert werden, kehren auf den Angreifer zurück und verwüsten ihn. Deswegen braucht Gott das Böse nicht zu bestrafen; das Böse enthält seine eigene Bestrafung; das Böse bringt sich selbst um. Deshalb gibt es ein hebräisches Wort in der Bibel, das gleichzeitig Sünde und Bestrafung bedeutet. Die Sünde beinhaltet ihre eigene Selbstzerfleischung. Oder wie es in einem Paulusbrief heißt: Die Sünde gebiert den Tod.

Diese Dynamik ist besonders erkennbar in den Passionsgeschichten der Evangelisten. Die Evangelisten verstehen es, auf hintergründige Weise zu bezeugen, dass alle Angriffe auf Jesus eine Form der Selbstverwüstung sind.

  • Die Menschen, die Jesus verspotten, machen sich selbst lächerlich. Die Menschen, die Jesus anklagen, klagen sich selbst an. Sie verurteilen einen Unschuldigen und machen sich selbst dadurch schuldig.

  • Die Menschen, die Jesus schlagen und geißeln, verkrüppeln sich selbst. Jesus soll verunstaltet werden, aber es sind die Angreifer, die missgebildet aussehen.

  • Der Hass, der auf Jesus gerichtet wird, ist zuletzt Selbst-Hass. Hass ist selbstmörderisch. Es gab einen polnischen Schriftsteller, der durch seine Erfahrung mit Kommunismus festgestellt hatte, dass Diktaturen ihre Bevölkerungen zum Hass erziehen, nicht um sie durch Hass zu mobilisieren, sondern um ihre Widerstandskraft auszuhöhlen. Denn Hass bewirkt eine Verwesung des Geistes, eine Auflösung der Persönlichkeit. Hass ist eine Form von Selbst-Mord.

  • Jesus wird als König der Juden hingerichtet: das heißt: die Menschen bringen ihren eigenen Messias um. Sie bringen den um, der sie erlösen kann. Kann es eine größere Unwissenheit und eine größere Dummheit geben als diese, den eigenen Erlöser abschaffen zu wollen?

'The Crucifixion.', ca. 1395, English School

Trotz Verspottung, Verleumdung und Misshandlung bleibt Jesus innerlich intakt, während seine Ankläger grotesk und feige aussehen. Denn alle Angriffe auf Jesus sind Angriffe auf Gott. Und wer Gott angreift, kann nur sich selbst ruinieren.

Von diesem Hintergrund aus ist das Gebet Jesu zu verstehen: „Vater, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun.“ Alle, die dazu beigetragen hatten, dass Jesus ans Kreuz kam, waren verblendet: sie haben keine Ahnung gehabt, was sie wirklich taten.

Und damit sie erkennen, was sie tun, bittet Jesus um Vergebung. Es heißt: „Vater, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun.“ Dieses „denn“ ist ein Schlüsselwort. Es geht nicht darum, zu sagen, dass die Vergebung von der Unwissenheit abhängt. Vergebung hängt immer nur von Gnade ab. Es geht also nicht darum, zu sagen: Vergib ihnen, weil sie nicht wissen, was sie tun. Sondern gemeint ist: vergib ihnen, damit sie endlich erkennen, was sie tun, damit sie von ihrer Unwissenheit befreit werden.

Wenn ein Mensch Unrecht erlitten hat und Rache nehmen will, dann ist die beste Form der Rache die Vergebung. Denn Vergebung kann dazu führen, dass ein aggressiver Mensch endlich erkennt, was er angerichtet hat. Vergeltung erzeugt eine Trotz-Reaktion. Vergeltung erzeugt Selbstrechtfertigung. Gnade dagegen hat eine entwaffnende Wirkung. Gnade und Vergebung können die Augen so öffnen, dass ein Mensch mit voller Klarheit sieht, was er getan hat, - das Gute und das Böse - so dass er sich in die Lage seiner Mitmenschen hineinversetzen kann.

Während des Koreakrieges Anfang der 50er Jahre haben Kommunisten versucht, die Christenheit auszulöschen. Einmal wurde ein Christ von einer Kommunistentruppe verhaftet und sollte erschossen werden. Als der Offizier dieser Kampfeinheit hörte, dass der verhaftete Christ der Leiter eines Waisenhauses war, entschied er, dass er nicht sterben sollte. An seiner Stelle aber wurde sein Sohn, 19 Jahre alt, vor den Augen des Vaters erschossen. Später wurde dieser Offizier von Uno-Truppen festgenommen; es gab eine Gerichtsverhandlung und er wurde zum Tode verurteilt. Aber ehe das Urteil vollstreckt werden konnte, kam der Leiter des Waisenhauses, dessen Sohn von ihm hingerichtet wurde, und plädierte intensiv für eine Begnadigung. Wie Jesus am Kreuz erklärte er, dass dieser kommunistische Offizier jung war und nicht wirklich wusste, was er tat. Er sagte: „Wenn er mir übergeben wird, werde ich für ihn sorgen.“ Seine Bitte wurde erfüllt. Er nahm den Mörder seines Sohnes mit zu sich nach Hause und sorgte für ihn. Im Laufe der Zeit blieb die Gnade und Vergebung, die er erfahren hatte, nicht ohne Wirkung. Seine Augen sind aufgegangen. Er bekannte sich zu Christus, studierte Theologie und wurde Pfarrer.

Diese Begebenheit zeigt, dass das Vergebungsgebet Jesu am Kreuz „Vater, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun“, eine versöhnende Wirkung hat, die nicht beschränkt war auf die Menschen, die damals um das Kreuz herum standen. Von diesem Kreuzgebet geht eine versöhnende Kraft aus, die alle nationalen Grenzen überschreitet. Es gibt z. B. einen Japaner mit dem Namen Mitsuo Fuchida. Er gehörte ursprünglich zum Schintoismus, zum Buddhismus und auch zum Kaiserkult. Eines Tages wurde ihm eine Bibel geschenkt. Er las das Lukasevangelium und als er zu den Worten kam „Vater, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun“, ging für ihn eine Tür auf. Wie er sagte: „Es ist mir aufgegangen, was der Herr Jesus für mich getan hatte. Niemand musste mir diese Stelle erklären.“ Heute gehört er zu der presbyterianischen Kirche in Japan.

'Crucifixion
 ', 1912, Jindřich Prucha

Diese versöhnende Wirkung des Gebets Jesu zeigte sich aber nicht nur weltweit, sondern unmittelbar in der Nähe Jesu. Für den Gekreuzigten zu seiner Rechten ging auch eine Tür auf: er erkannte die Unschuld Jesu, er erkannte seine eigene Schuldhaftigkeit und er erkannte, dass Jesus nicht erledigt war, sondern dass er seine Herrschaft antreten würde. Die Tür zum Paradies ging für diesen Verurteilten auf.

Auch am Fuß des Kreuzes hatte das Gebet Jesu eine Wirkung. Es heißt:

Als aber der Hauptmann sah, was da geschah, pries er Gott und sprach: Fürwahr, dieser ist ein frommer (d. h. gerechter) Mensch gewesen! Und als alles Volk, das dabei war und zuschaute, sah, was da geschah, schlugen sie sich an ihre Brust (ein Zeichen der Reue) und kehrten wieder um (was doppeldeutig gemeint ist).

Gnade und Vergebung führen dazu, dass Menschen etwas sehen, was sie vorher nicht sahen. Zuletzt sind wir Menschen dazu bestimmt, Gott zu sehen, wie er wirklich ist – wie in dem 1. Johannesbrief angekündet: „Wir werden ihm gleich sein, denn wir werden ihn sehen, wie er ist.“

Aber schon jetzt ist es möglich, zu sehen, wie Gott ist. Es ist eine Offenbarung Gottes, dass Jesus in dem Moment der schlimmsten Grausamkeit um Vergebung für seine Peiniger beten konnte. Hier zeigt sich das Herz Gottes.

Und dieses Herz Gottes sollte in uns wohnen, so dass auch wir in jeder Situation die Gnade und die Vergebung Gottes bezeugen können. Das Gebet Jesu sollte unser Gebet sein: Vater, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun“.

Möge Gott uns helfen, das Kreuzgebet Jesu in unseren Herzen zu tragen.

Diese von der Regierung des Vereinigten Königreichs erstellte Photographie, 'The British Fiji class cruiser HMS TRINIDAD', 15 - 18 February 1942, Parnall, C H (Lt) Royal Navy official photographer, ist in der public domain.
Das Gemälde 'The Crucifixtion from the medieval Georgian MSS of the Gospels from Gelati', 12th century, ist im public domain, weil sein copyright abgelaufen ist.
Das Gemälde 'The Crucifixion.', ca. 1395, English School (Berger Collection: id #42 (Denver, Colorado), ist gemeinfrei, weil ihre urheberrechtliche Schutzfrist abgelaufen ist. Dies gilt für alle Staaten mit einer gesetzlichen Schutzfrist von 100 Jahren oder weniger nach dem Tod des Urhebers.
Das Bild 'Crucifixion', 1912, Jindřich Prucha, ist gemeinfrei, weil ihre urheberrechtliche Schutzfrist abgelaufen ist. Dies gilt für die Europäische Union, die Vereinigten Staaten und alle weiteren Staaten mit einer gesetzlichen Schutzfrist von 90 Jahren nach dem Tod des Urhebers.

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