Archiv der Evangelisch-lutherische Dreikönigsgemeinde, Frankfurt am Main - Sachsenhausen
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Predigt von Pfarrer Phil Schmidt: Markus 14, 3 – 9 Evangelium oder Nützlichkeit?

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'Jesus is anointed by Mary Magdalene. XIX century engraving', XIX c.

Palmsonntag

Evangelium oder Nützlichkeit? Markus 14, 3 – 9

Predigt gehalten von Pfarrer Phil Schmidt am 17.04.2011 in der Bergkirche und im Kirchsaal Süd

Und als er in Betanien war im Hause Simons des Aussätzigen und saß zu Tisch, da kam eine Frau, die hatte ein Glas mit unverfälschtem und kostbarem Nardenöl, und sie zerbrach das Glas und goss es auf sein Haupt. Da wurden einige unwillig und sprachen untereinander: Was soll diese Vergeudung des Salböls? Man hätte dieses Öl für mehr als dreihundert Silbergroschen verkaufen können und das Geld den Armen geben. Und sie fuhren sie an. Jesus aber sprach: Lasst sie in Frieden! Was betrübt ihr sie? Sie hat ein gutes Werk an mir getan. Denn ihr habt allezeit Arme bei euch, und wenn ihr wollt, könnt ihr ihnen Gutes tun; mich aber habt ihr nicht allezeit. Sie hat getan, was sie konnte; sie hat meinen Leib im voraus gesalbt für mein Begräbnis. Wahrlich, ich sage euch: Wo das Evangelium gepredigt wird in aller Welt, da wird man auch das sagen zu ihrem Gedächtnis, was sie jetzt getan hat. Markus 14, 3 – 9

Am 13. März gab es frühmorgens in Bockenheim eine hässliche Auseinandersetzung zwischen Polizisten und Chaoten. Ein afrikanischer Autofahrer wurde angehalten, weil er unordentlich gefahren ist, als ob er betrunken wäre. Als er angehalten wurde, versuchte er zu fliehen, denn er war tatsächlich betrunken, und außerdem hatte er keinen Führerschein. Als der Autofahrer festgenommen wurde, beschimpfte er die Polizisten und nannte sie Rassisten. Nach und nach erschienen 20 bis 30 Personen aus der Nachbarschaft und waren sofort auf der Seite des Autofahrers; sie warfen den Polizisten auch Rassismus vor. Die Sympathisanten kesselten die Polizisten ein und wurden handgreiflich. Einige versuchten, die Schusswaffen der Beamten aus den Holstern zu ziehen; andere versuchten, den Verhafteten aus dem Polizeiauto zu befreien. Erst als Verstärkung eintraf, war es möglich, die Situation im Griff zu bekommen.

'Streifenwagen der Polizei Hamburg', 2005, Alexander Blum

Zwei Wochen später erschien ein Leserbrief zu diesem Vorfall. Der Briefschreiber war verständlicherweise entsetzt über die Verhaltensweise der Menschen, die so aggressiv und willkürlich gegen Polizisten vorgingen. Er stellte fest, dass „das Unrechtsgefühl in unserer Gesellschaft nachgelassen hat“. Und er hatte einen Vorschlag, wie man vorgehen sollte: „Statt frommen Religionsunterrichts in öffentlichen Schulen... sollte überkonfessioneller Ethikunterricht die Jugend zu mehr Rechtsbewusstsein erziehen.“ Er schlägt auch vor: „Ebenso sollten Rechtsbrecher im Interesse eines harmonischen Miteinanders verpflichtend Unterweisung in Rechten und Pflichten als Staatsbürger erhalten.“

Was dieser Briefschreiber vorschlägt, hat einen exemplarischen Charakter. Sogenannter „Frommer Religionsunterricht“ ist für ihn wertlos. Er meint, dass es möglich ist, durch Belehrung in Ethik und Moral – eine Belehrung, die unabhängig ist von religiösen Glaubensinhalten - ein stärkeres Rechtsbewusstsein in jungen Menschen zu schaffen.

Seine Bemerkungen erinnern mich an Eltern, die ihre Kinder in Religionsunterricht schicken, nicht damit sie Glaubensinhalte lernen, sondern damit sie „die zehn Gebote“ lernen, wie es heißt. Religionsunterricht sollte den Schülern sogenannte christliche Werte beibringen – wie Toleranz, Rücksicht, Ehrlichkeit, soziales Verhalten, Zivilcourage, Gerechtigkeitssinn. Ob er auch Glaubensinhalte vermittelt, ist scheinbar zweitrangig.

Es geht hier um eine grundsätzliche Haltung. Für manche Menschen reduziert sich christlicher Glaube auf das, was für die Gesellschaft pragmatisch nützlich ist. Wenn die Kirche jungen Menschen beibringt, dass sie sich anständig zu verhalten haben, dann ist die Kirche anscheinend nützlich und relevant.

Es kommt immer wieder vor, dass die Angebote der Kirche nach pragmatischen Nützlichkeitserwägungen beurteilt werden. Ethik, Moral, Belehrung, Pädagogik, soziale Dienstleistungen werden von der Kirche gefordert, weil sie offenbar nützlich sind.

Wenn Journalisten von Predigten berichten – sei es eine Predigt des Papstes oder eines Kirchenpräsidenten – dann wird alles, was gesagt wurde, auf moralische Belehrung reduziert. Nach dem Motto: in seiner Weihnachtspredigt hat der Papst die Menschen dazu aufgefordert, gerechter und friedlicher miteinander umzugehen. Dass die Christenheit ein Evangelium hat, das etwas über Jesus sagt und Gnade verkündet, scheint für unsere pragmatisch denkende Welt total uninteressant zu sein. Denn eine Gnadenbotschaft ist scheinbar zu schwach und zu weltfremd, um irgendetwas Zweckmäßiges in dieser Welt auszurichten.

Diese Spannung zwischen Evangelium und Nützlichkeit ist nichts Neues; es ist das Thema des Textes, der für heute vorgesehen ist.

In dem Markustext geht es um eine Frau, die ein kostbares Nardenöl auf den Kopf Jesu ausgießt. Sofort melden sich die Pragmatiker: was für eine Verschwendung! Dieses kostbare Öl kostete 300 Denare; ein Tagelöhner muss 300 Tage arbeiten, um so viel zu verdienen. Wäre es nicht besser gewesen, diese 300 Denare für die Armen einzusetzen? Das wäre nützlich und relevant. Davon würden Journalisten und Fernsehteams gern berichten.

Jesus sieht die Sache anders. Er sagt:

Sie hat meinen Leib im voraus gesalbt für mein Begräbnis. Wahrlich, ich sage euch: Wo das Evangelium gepredigt wird in aller Welt, da wird man auch das sagen zu ihrem Gedächtnis, was sie jetzt getan hat.

Diese Aussage Jesu enthält eine versteckte Botschaft. Es geht hier um das Evangelium, wie Jesus sagt. Und was ist das Evangelium?

Das Markusevangelium beginnt mit dem Satz:

'The Meal in the House of the Pharisee', between 1886(1886) and 1894,  James Joseph Jacques Tissot

Dies ist der Anfang des Evangeliums von Jesus Christus, dem Sohn Gottes.

Das Evangelium hat zwei Fokuspunkte: Jesus ist der Christus (der Messias) und Jesus ist der Sohn Gottes (d. h. Gott selber ist in ihm gegenwärtig). Aber welche Art Messias ist Jesus? Die Antwort des Markusevangeliums ist eindeutig, aber auch rätselhaft: Jesus ist der Messias dadurch, dass er als Sohn Gottes gekreuzigt wird. Durch Kreuzigung ist Jesus der Messias, der König Israels – nicht durch Machtkämpfe mit den römischen Legionen.

Die Frau, die Jesus salbte, hat durch diese Handlung bezeugt: Jesus ist der Messias, Jesus ist der König der Juden, der im Voraus für sein Begräbnis gesalbt wird. Denn ehe es möglich sein wird, seine Leiche zu salben, wird er schon längst auferstanden sein. Die Salbung bezeugt, dass Jesus der gekreuzigte und auferstandene Messias ist. Das ist das Evangelium, das in aller Welt verkündet werden sollte.

Wo das Evangelium gepredigt wird in aller Welt, da wird man auch das sagen zu ihrem Gedächtnis, was sie jetzt getan hat.

Es ergibt sich die Frage: Warum wird die Frau nicht mit Namen genannt? Markus ist kein männlicher Chauvinist, der Frauennamen für unwichtig hält. Er nennt die Frauen, die den Tod Jesu als Augenzeugen beglaubigten. Er nennt die Frauen, die am Ostermorgen zum Grab gingen, um Jesus zu salben. Er hat nichts gegen Frauen.

Es gibt eine mögliche Erklärung, warum diese Frau nicht genannt wird, nämlich, um sie zu schützen. Ihre Salbung ist – politische gesehen – eine subversive Handlung. Unter der römischen Besatzungsmacht dürfen nur die Römer bestimmen, wer König der Juden ist. Diese salbende Frau musste mit Verhaftung rechnen. Vermutlich lebte die Frau noch, als Markus sein Evangelium verfasste und musste durch Anonymität geschützt werden. Aber diese „schützende Anonymität“, wie sie von Bibelauslegern genannt wird, verstärkt die Ansicht, dass die Salbung dieser Frau bezeugt, dass Jesus der Messias ist.

Aber jetzt kommt der springende Punkt. Was ist wichtiger: die Armen finanziell zu unterstützen oder das Evangelium zu verkündigen? Ist diese Frau berechtigt, das Geld von 300 Arbeitstagen für eine symbolische Verkündigungshandlung einzusetzen?

Der Markustext bezeugt, dass das Evangelium so unermesslich kostbar ist, dass es gerechtfertigt ist, eine verschwenderische Summe einzusetzen, um das Evangelium zu verkündigen. Wenn es um das Evangelium geht, darf man nicht bloß pragmatisch berechnend denken.

'Roman Denar Coin showing Emperor Augustus (30 BC - 14 AD)', 2006, Dr. Meierhofer

Es wäre für uns vergleichbar, wenn wir uns als Gemeinde die Frage stellen würde: Warum leisten wir uns Kantatengottesdienste in unserer Gemeinde: statt nicht das entsprechende Geld für Essensgutscheine einsetzen? Warum leisten wir uns Pfarrer als Prediger: warum nicht Pfarrstellen einsparen und mehr Prädikanten ausbilden, die wesentlich preiswerter sind als ausgebildete Theologen? Das eingesparte Geld könnte an Brot für die Welt gehen. Und in diesem Zusammenhang könnte man sogar fragen: Warum Mitglied der Kirchen bleiben? Warum nicht austreten und das eingesparte Geld für Dinge einsetzen, die nützlicher erscheinen? Warum leisten wir uns als Kirche Religionsunterricht: genügt es nicht, wenn es einen staatlichen Ethikunterricht gibt?

Aber der Mensch lebt nicht von Brot allein. Ohne das Evangelium ist das Leben nur noch ein Überleben - ohne Verheißung und ohne Sinn. Auch wenn es gelingen würde, alle Menschen auf dieser Erde zu sättigen - aber auf Kosten der Verkündigung des Evangeliums - wäre die Erde eine Hölle.

Und dasselbe Prinzip gilt für den Religionsunterricht. Ein Religionsunterricht, der nur noch aus Belehrung von Moral und Ethik bestehen würde, wäre sinnlos. Christliche Werte haben keine Ausstrahlungskraft, wenn sie von dem Evangelium abgekoppelt werden. Die zehn Gebote und die vier Evangelien hängen zusammen: man kann nicht das eine ohne das andere haben. Das wäre, als ob man das Licht von einer Lichtbirne haben möchte, aber auf eine Elektrizitätsquelle verzichten wollte.

Wenn es um die Verkündigung des Evangeliums geht, darf man nicht pragmatisch berechnend denken. Denn das Evangelium ist unermesslich mehr als eine Sammlung von Texten. Das Evangelium ist ein Geheimnis, das nur von eingeweihten Personen verstanden werden kann. Es ist etwas Tiefgründiges, das eine einsichtsvolle Bibelauslegung erfordert. Es ist ein verborgener Schatz, der ausgegraben werden muss von Menschen, die dafür ausgestattet sind. Die Verkündigung des Evangeliums kostet immer Geld.

Die Armen werden wir immer bei uns haben und wir können ihnen helfen, wenn wir wollen, sagte Jesus. Aber dass wir das Evangelium bei uns haben, ist nicht etwas Selbstverständliches. Einen Zugang zu dem Evangelium von Jesus Christus kann man verlieren.

Am Anfang wurde von der Auseinandersetzung zwischen Polizisten und Chaoten in Bockenheim berichtet. Was diesen Chaoten zuletzt fehlt, ist nicht moralische Belehrung, sondern das Licht des Evangeliums. Menschenfeindliches Chaos kann man nicht mit Moral und Ethik allein erfolgreich bekämpfen, sondern zuletzt ist es das Evangelium, dass eine dauerhafte und friedliche Ordnung schaffen kann, die tief in dem Herzen anfängt und zuletzt die Welt verwandeln wird.

Möge Gott uns das Evangelium erhalten.

Die Photographie 'Streifenwagen der Polizei Hamburg, 2005' wurde lizenzfrei fotografiert und freigegeben von Alexander Blum.
Das Bild 'Jesus is anointed by Mary Magdalene. XIX century engraving', XIX c., ist im public domain, weil sein copyright abgelaufen ist.
Das Gemälde 'The Meal in the House of the Pharisee', between 1886(1886) and 1894, James Joseph Jacques Tissot, ist im public domain, weil sein copyright abgelaufen ist.
Die Abbildung 'Roman Denar Coin showing Emperor Augustus (30 BC - 14 AD)', 2006, Dr. Meierhofer, ist lizensiert unter der Creative Commons Attribution-Share Alike 3.0 Unported license.

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