Archiv der Evangelisch-lutherische Dreikönigsgemeinde, Frankfurt am Main - Sachsenhausen
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Frankfurt am Main - Sachsenhausen

Predigten von Pfarrer Phil Schmidt: Heiligabend - Christvesper - Lukas 2, 1 Die Entweihung der Welt

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'The assembly hall of Priene', 2006, QuartierLatin1968

Heiligabend

Die Entweihung der Welt Lukas 2, 1

Predigt gehalten von Pfarrer Phil Schmidt am 24.12.2010 im Kirchsaal Süd

Es begab sich aber zu der Zeit, daß ein Gebot von dem Kaiser Augustus ausging, daß alle Welt geschätzt würde. Und diese Schätzung war die allererste und geschah zu der Zeit, da Cyrenius Landpfleger von Syrien war. Und jedermann ging, daß er sich schätzen ließe, ein jeglicher in seine Stadt. Da machte sich auch auf Joseph aus Galiläa, aus der Stadt Nazareth, in das jüdische Land zur Stadt Davids, die da heißt Bethlehem, darum daß er von dem Hause und Geschlechte Davids war, auf daß er sich schätzen ließe mit Maria, seinem vertrauten Weibe, die ward schwanger. Und als sie daselbst waren, kam die Zeit, da sie gebären sollte. Und sie gebar ihren ersten Sohn und wickelte ihn in Windeln und legte ihn in eine Krippe; denn sie hatten sonst keinen Raum in der Herberge. (Matthäus 1.25) Und es waren Hirten in derselben Gegend auf dem Felde bei den Hürden, die hüteten des Nachts ihre Herde. Und siehe, des HERRN Engel trat zu ihnen, und die Klarheit des HERRN leuchtete um sie; und sie fürchteten sich sehr. Und der Engel sprach zu ihnen: Fürchtet euch nicht! siehe, ich verkündige euch große Freude, die allem Volk widerfahren wird; denn euch ist heute der Heiland geboren, welcher ist Christus, der HERR, in der Stadt Davids. Und das habt zum Zeichen: ihr werdet finden das Kind in Windeln gewickelt und in einer Krippe liegen. Und alsbald war da bei dem Engel die Menge der himmlischen Heerscharen, die lobten Gott und sprachen: Ehre sei Gott in der Höhe und Frieden auf Erden und den Menschen ein Wohlgefallen. Lukas 2, 1

Seit mehr als 50 Jahren befasse ich mich mit der Weihnachtsgeschichte nach Lukas. Und in diesem Jahr – zum ersten Mal in meinem Leben - habe ich den Eindruck, dass ich endlich diese Geschichte verstanden habe. Was mir geholfen hatte, diese Geschichte zu verstehen, ist eine archäologische Entdeckung. In der kleinasiatischen Stadt Priene wurde eine griechische Inschrift entdeckt, die zur Zeit der Geburt Jesu entstanden ist. Diese Inschrift feiert einen Geburtstag:

„Dieser Tag hat der ganzen Welt ein anderes Aussehen gegeben; sie wäre dem Untergang verfallen, wenn nicht in dem nun Gebornen für alle Menschen ein gemeinsames Heil aufgestrahlt wäre. Richtig urteilt, wer in diesem Geburtstag den Anfang des Lebens und aller Lebenskräfte für sich erkennt; nun endlich ist die Zeit vorbei, da man es bereuen musste, geboren zu sein. Von keinem andern Tage empfängt der einzelne und die Gesamtheit soviel Gutes als von diesem allen gleich glücklichen Geburtstage. Die Vorsehung, die über allem im Leben waltet, hat diesen Mann zum Heile der Menschen mit solchen Gaben erfüllt, dass sie ihn uns und den kommenden Geschlechtern als Heiland gesandt hat; jedem Krieg wird er ein Ende machen und alles herrlich ausgestalten. In seiner Erscheinung (Epiphanie) sind die Hoffnungen der Vorfahren erfüllt; er hat nicht nur die früheren Wohltäter der Menschheit sämtlich übertroffen, sondern es ist auch unmöglich, dass je ein Größerer käme. Der Geburtstag dieses Gottes hat für die Welt die an ihn sich knüpfenden Evangelien (Freudenbotschaften) heraufgeführt. Von seiner Geburt muss eine neue Zeitrechnung beginnen.“

Wer ist hier gemeint? Wer hat die Welt vor dem Untergang bewahrt? Dieser Heiland der Welt, dieser Gott, der durch Geburt erschienen ist, der Wohltäter der Menschheit, der einen ewigen und weltweiten Frieden stiftet, von denen Evangelien berichten, ist nach dieser Inschrift aus Priene niemand anderes als Kaiser Augustus. Dieser Text entstand etwa 2 bis 5 Jahre vor der Geburt Jesu.

'ritratto di Augusto', 2008, Giovanni Dall'Orto

Während seiner Lebzeit wurden mindestens 37 Tempel für Augustus gebaut. Nach seinem Tod wurden 19 weitere aufgerichtet.

Als Maria und Joseph von Nazareth nach Bethlehem unterwegs waren, ging der traditionelle Weg durch die Stadt Samaria. In Samaria stand zu dieser Zeit ein Tempel für Augustus. In diesem Tempel wurde Augustus wortwörtlich als „Sohn Gottes“ bezeichnet und angebetet. Maria trug aber in ihrem Leib ein Kind, von dem der Engel zu Maria sagte, dass er „Sohn Gottes“ genannt wird.

Augustus war der erste Kaiser, der als „Sohn Gottes“ bezeichnet wurde, denn sein Vater war der erste göttliche Kaiser. Als das römische Weltreich zu Ende ging hatte es insgesamt 182 göttliche Kaiser gegeben: also 182 Götter, bzw. Göttessöhne. In der antiken Welt gab es Zigtausende von Göttern, aber der erste und der größte von allen sollte Augustus gewesen sein.

Mit anderen Worten: die Weihnachtsgeschichte nach Lukas ist eine Kampfansage an das römische Weltreich. Die Weihnachtsgeschichte, die für uns so lieblich wirkt und die so viele liebliche Lieder angeregt hat, ist eine Provokation. Mit seiner Geburtsgeschichte hat Lukas das römische Weltreich herausgefordert. Die Lukasgeschichte ist wie eine Erwiderung auf die Inschrift von Priene. Alles, was in der Inschrift von Priene über Augustus verkündet wurde, wurde von der Christenheit über Jesus verkündet. Und diese Verkündigung begann mit der Geburtsgeschichte in Lukas.

Die Lukasgeschichte beginnt mit der Erwähnung der sogenannten „Schätzung“, d. h. Volkszählung. Es heißt:

Es begab sich aber zu der Zeit, dass ein Gebot von dem Kaiser Augustus ausging, dass alle Welt geschätzt würde.

Lukas betont diese Volkszählung mit einer Übertreibung: innerhalb von 5 Sätzen erwähnt er die Volkszählung 4 mal, damit der Leser merkt, dass er aufhorchen sollte. Denn nach biblischer Auffassung gibt es nur einen Einzigen, der die Vollmacht hat, eine Volkszählung anzuordnen, nämlich Gott selber. Diese römische Volkszählung ist nach biblischer Perspektive eine Anmaßung und eine Gotteslästerung. Denn mit seinem Befehl hat Augustus von sich behauptet: Mir gehört die ganze Welt, mir gehören alle Menschen. Nur ein wahrer Gott darf so reden. Augustus hat durch seine Volkszählung die Welt entweiht.

'Candelabro de Januca prendido el 7º día', 2008, Foto Propia

Wie kann eine Welt neu geweiht werden, die verunreinigt worden ist? Die Antwort lautet: mit Licht. Wenn wir die Kerzen am Altar anzünden, dann ist der ganze Raum der Anbetung Gottes geweiht. Weihe geschieht durch Licht. 170 Jahre vor der Geburt Jesu wurde der Tempel in Jerusalem nach einer Entweihung mit dem Anzünden eines sogenannten ewigen Lichtes erneut geweiht. Die Juden feiern diese Tempelweihung bis heute; Chanukka heißt auch „Lichterfest“. Dementsprechend erschien Gott in seiner Herrlichkeit auf dem Hirtenfeld. Es heißt:

„Die Klarheit (= die Herrlichkeit) des Herrn leuchtete um sie.

Die Welt wurde durch das ewige Licht Gottes neu geweiht. Christus, das Licht der Welt, erschien in der Krippe zu Bethlehem.

Bei dieser Erscheinung Gottes auf dem Hirtenfeld wurde eine Freudenbotschaft verkündet, die für alle Menschen gilt, nicht nur für die Kaisertreuen. Der Engel des Herrn verkündete, dass der wahre Heiland der Welt und der wahre Gott zur Welt gekommen ist, als Kind in einer Krippe.

Und dann heißt es:

Ehre sei Gott in der Höhe und Friede auf Erden bei den Menschen seines Wohlgefallens.

Das heißt: die Welt ist neu geweiht worden, die Ehre Gottes ist wiederhergestellt. Gott hat einen wahren Frieden eingeleitet, der zuletzt dauerhafter sein wird als das, was Augustus vollbrachte. Dieser Friede fängt klein an, zunächst unter den Menschen seines Wohlgefallens, wie z. B. bei den Hirten. Aber zuletzt soll die ganze Erde von diesem Frieden erfasst werden.

Augustus wurde als Gott gefeiert, weil er eine friedliche Weltordnung schaffte, die es bis dahin nicht gegeben hatte. Wegen dieses Friedens war es möglich, überall auf der Welt in relativer Sicherheit zu reisen. Zum ersten Mal in der Menschheitsgeschichte sprachen Menschen in drei Kontinenten dieselbe Sprache und waren miteinander verbunden durch ein Straßennetz, das zwischen Spanien und dem Euphrat keine Grenzen kannte. Der Friede, den Augustus einleitete, trug dazu bei, dass die Christenheit sich schnell ausbreiten konnte. Es gab auch eine relativ objektive Gerechtigkeit durch die römische Gesetzgebung. So wie es vor zwei Jahren ein Obama-Fieber gab, so gab es in der antiken Welt ein Augustus-Fieber.

'Christmas', from 1810(1810) until 1893, Grigory Gagarin

Aber der römische Friede hatte einen hohen Preis. Die römischen Legionen waren rücksichtslos, als es darum ging, die römische Auffassung von Frieden zu verteidigen.

Zum Beispiel: nur 6 Kilometer von Nazareth, dem Heimatort Jesu, entfernt, gibt es die Stadt Sepphoris. Als Jesus noch ein Kleinkind war, gab es in diesem Nachbarstädtchen einen Aufstand. Zwei römische Legionen zogen in Galiläa ein; sie plünderten, sie verbrannten Häuser, die Einwohner von Sepphoris wurden in die Sklaverei verkauft. Das war die Methode Roms, um Frieden zu schaffen: Frieden durch Verwüstung.

Der wahre Heiland der Welt führte eine ganz andere Art Frieden ein. Man könnte es nennen: Frieden durch Vergebung. Der definierende Moment dieses Friedens geschah, als Jesus am Kreuz hing und für seine Peiniger betete: „Vater vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun.“ Diese Art Frieden ist zwar für alle gemeint und wird zuletzt alle Menschen erfassen - Lebende und Verstorbene -, aber zunächst wird sie nur von einer Minderheit praktiziert. Wie es heißt: der wahre Friede auf Erden fängt bei den „Menschen seines Wohlgefallens“ an.

Ich möchte ein Beispiel dieser Art Frieden nennen, die veranschaulicht, was Gott in allen Menschen verwirklichen will. Es geht hier um einen italienischen Christen mit dem Namen Erino Dapozzo, der in ein Konzentrationslager kam und schwer misshandelt wurde. In seinen eigenen Worten schrieb er folgendes:

"Am Weihnachtsabend 1943 ließ mich der Lagerkommandant rufen. Ich stand mit bloßem Oberkörper und barfuss vor ihm. Er saß an einer reich gedeckten, festlichen Tafel. Stehend musste ich zusehen, wie er sich die Leckerbissen schmecken ließ.

In dem Moment dachte der Gefangene an Psalm 23: „Du bereitest vor mit einen Tisch im Angesicht meiner Feinde, du salbest mein Haupt mit Öl und schenkest mir voll ein. Gutes und Barmherzigkeit werden mir folgen mein Leben lang!“ Eine innere Stimme fragte spöttisch, ob diese Worte immer noch zu glauben sind. Der Italiener berichtet:

Im Stillen betete ich zu Gott und konnte dann antworten: 'Ja, ich glaube daran!'

Die Ordonnanz brachte Kaffee und ein Päckchen Kekse. Der Lagerkommandant aß sie mit Genuss und sagte zu mir: 'Ihre Frau ist eine gute Köchin, Dapozzo!' Ich verstand nicht, was er meinte. Er erklärte mir: 'Seit Jahren schickt Ihre Frau Pakete mit kleinen Kuchen, die ich immer mit Behagen gegessen habe.' Wieder kämpfte ich gegen die Versuchung an. Meine Frau und meine vier Kinder hatten von ihren ohnehin kargen Rationen Mehl, Fett und Zucker gespart, um mir etwas zukommen zu lassen. Und dieser Mann hatte die Nahrung meiner Kinder gegessen.

Der Teufel flüsterte mir zu: 'Hasse ihn, Dapozzo, hasse ihn!' Wieder betete ich gegen den Hass an um Liebe. Ich bat den Kommandanten, wenigstens an einem der Kuchen riechen zu dürfen, um dabei an meine Frau und meine Kinder zu denken. Aber der Peiniger gewährte mir meine Bitte nicht. Er verfluchte mich.

Als der Krieg vorüber war, suchte ich nach dem Lagerkommandanten. Er war entkommen und untergetaucht. Nach zehn Jahren fand ich ihn schließlich und besuchte ihn zusammen mit einem Pfarrer. Natürlich erkannte er mich nicht. Dann sagte ich zu ihm: 'Ich bin Nummer 17531. Erinnern Sie sich an Weihnachten 1943?' Da bekam er plötzlich Angst. 'Sie sind gekommen, um sich an mir zu rächen?' 'Ja' bestätigte ich und öffnete ein großes Paket. Ein herrlicher Kuchen kam zum Vorschein. Ich bat seine Frau, Kaffee zu kochen. Dann aßen wir schweigend den Kuchen und tranken Kaffee. Der Kommandant begann zu weinen und mich um Verzeihung zu bitten. Ich erzählte ihm, dass ich ihm um Christi willen vergeben hätte."

'Christ in the House of Simon', Dieric il Vecchio Bouts's art

Dieser Vorgang erinnert daran, wie Jesus durch Tischgemeinschaft mit sogenannten „Sündern und Zöllnern“ seine Art Frieden verbreitet hatte. Dieser Friede, die nach Versöhnung strebt, soll zuletzt überall und endgültig verwirklicht werden.

Die Frage, die sich für uns ergibt, lautet: für welche Art Frieden werden wir leben und kämpfen? Für Frieden durch Verwüstung oder für Frieden durch Vergebung? Für welche Art Heiland werden wir leben: für Leute wie Kaiser Augustus oder für den Heiland, der in Bethlehem geboren ist? Werden wir für einen Frieden arbeiten, der mit der Verherrlichung Gottes anfängt oder der mit der Verherrlichung von menschlichen Superhelden und Möchtegern-Göttern zu tun hat?

Die Weihnachtsgeschichte nach Lukas verkündet die Botschaft, dass wir eigentlich keine Wahl haben, welchen Frieden wir bekommen werden. Denn das Kind in der Krippe wird bestimmen, welche Art Frieden sich zuletzt durchsetzen wird - und niemand sonst. Denn es gibt nur einen Heiland der Welt und es gibt nur einen wahren Gott, und der lag in der Krippe zu Bethlehem.

Die Photographie 'The assembly hall of Priene', 2006, QuartierLatin1968, ist lizernsiert unter der Creative Commons Attribution-Share Alike 2.0 Generic license.
Die Abbildung 'ritratto di Augusto', 2008, Giovanni Dall'Orto, wurde von Ihrem Urheber dem pubic domain zur Verfügung getellt.
Die Photographie 'Candelabro de Januca prendido el 7º día', 2008, Foto Propia, ist lizernsiert unter der Creative Commons Attribution-Share Alike 3.0 Unported license.
Das Gemälde 'Christmas', from 1810(1810) until 1893, Grigory Gagarin, weil sein copyright abgelaufen ist.
Das Bild 'Christ in the House of Simon', Dieric il Vecchio Bouts's art, wurde von Ihrem Urheber dem pubic domain zur Verfügung getellt.

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