Archiv der Evangelisch-lutherische Dreikönigsgemeinde, Frankfurt am Main - Sachsenhausen
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Predigten von Pfarrer Phil Schmidt: Röm. 5, 5 Die Liebe Gottes ist ausgegossen in unsre Herzen

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Pfingsten

Die Liebe Gottes ist ausgegossen in unsre Herzen Röm. 5, 5

Predigt gehalten von Pfarrer Phil Schmidt 2008 im Kantatengottesdienst im Kirchsaal Süd

'Pentecostes', Luis Tristán, 17. Jhd.

Die Liebe Gottes ist ausgegossen in unsre Herzen durch den heiligen Geist, der uns gegeben ist. Röm. 5, 5

Albert Schweitzer war einer der bekanntesten Missionare, den es jemals gegeben hat. Er war Theologe, Orgelkünstler, Musikforscher, Philosoph und Arzt. Im Jahre 1913 hat er in dem afrikanischen Land, das heute Gabun heißt, eine medizinische Urwaldklinik in Lambarene gegründet.

Er bekam dort viele Besucher. Einmal, als er 85 Jahre alt war, bekam er Besuch von Theologieprofessoren. Eines Tages um etwa 11 Uhr waren Schweitzer und seine Besucher dabei, einen steilen Hang bergauf zu laufen. Es war ein extrem heißer Tag. Plötzlich – ohne ein Wort zu sagen – entfernte sich Schweitzer von der Gruppe und ging auf eine alte Frau zu, die auf ihren Schultern eine große Ladung Brennholz trug, die sie bergauf schleppen wollte. Schweitzer nahm ihr die ganze Ladung ab und trug das Holz für die Frau den Hang hinauf. Hinterher kam er zu der Besuchergruppe zurück. Sie fragten ihn, warum er solche Dinge tat. Sie machten sich Sorgen, dass ein Mann in seinem Alter in dieser unerträglichen Hitze solche körperlichen Belastungen auf sich nahm. Schweitzer schaute seine Besucher an, deutete auf die Frau und sagte: „Niemand sollte eine solche Ladung allein tragen müssen.“

Die Schlichtheit dieser Antwort ist verblüffend. Es handelt sich hier um einen vierfachen Doktor, der eine Dissertation über „die Religionsphilosophie Kants von der Kritik der reinen Vernunft“ geschrieben hatte. Von einem solchen Intellektuellen würde man eine tiefgründige Erklärung erwarten, warum er als alter Mann Holzladungen in der Hitze für andere trägt. Aber hinter seiner schlichten Bemerkung, „Niemand sollte eine solche Ladung allein tragen müssen“, steckt ein unermesslicher Reichtum an Glaubensinhalten.

Was Schweitzer hier vorführt, ist nichts Geringeres als die Liebe Gottes: eine selbstlose Liebe, die nur die Not einer Person sieht und handelt – ohne zuerst zu fragen, ob der Einsatz sinnvoll ist oder nicht, ohne Rücksicht darauf, ob die hilfsbedürftige Person es verdient hat, dass ihr geholfen wird, und ohne sich darum zu kümmern, ob der Liebesdienst vergolten oder anerkannt wird. Diese göttliche Liebe sieht nur, dass niemand mit einer drückenden Last allein gelassen werden sollte und reagiert mit Tätigkeit.

Albert Schweitzer veranschaulicht, wie es aussieht, wenn die Liebe Gottes in unsre Herzen durch den heiligen Geist ausgegossen wird. Die Kantate, die wir gerade gehört haben, feiert diese Liebe Gottes, die durch die Wirkung des heiligen Geistes in uns Menschen eingegossen wird. Diese Liebe ist etwas, was von außerhalb der eigenen Person kommt. Göttliche Liebe ist nicht etwas, was wir Menschen in uns selbst durch irgendeine Anstrengung produzieren können. Diese Liebe ohne Hintergedanken wird von dem Geist Gottes in das Herz eingegossen. Sie ist nicht etwas Selbstverständliches.

Dass christliche Liebe nicht selbstverständlich ist, wird erkennbar, wenn man das erste Pfingstfest betrachtet und wozu es führte. Das Pfingstfest führte unmittelbar dazu, dass die Anhänger Jesu sich gegenseitig unterstützt hatten. Unmittelbar nach dem Pfingstwunder wird in der Apostelgeschichte folgendes berichtet:

Alle aber, die gläubig geworden waren, waren beieinander und hatten alle Dinge gemeinsam. Sie verkauften Güter und Habe und teilten sie aus unter alle, je nachdem es einer nötig hatte.

Diese gegenseitige Hilfe war zuerst spontan, aber dann wurde festgestellt, dass sie organisiert werden musste, weil griechischsprechende Witwen bei der täglichen Versorgung benachteiligt waren. Der nächste Schritt war die Auswahl von 7 sogenannten Armenpflegern, die für eine gerechte Verteilung sorgen sollten, damit alle Hilfsbedürftigen in der Gemeinde die tägliche Versorgung bekämen, die sie brauchten. In dem heutigen kirchlichen Sprachgebrauch würde man von der ersten diakonischen Einrichtung der Christenheit sprechen.

Ausschnitt aus einem Glasfenster, das 'sacred heart' zeigt, Rebecca Kennison, 1985

Aber diese gegenseitige Hilfe innerhalb der Gemeinde war noch nicht etwas eigentümlich Christliches, denn im Judentum hat es so etwas schon gegeben. Die Christenheit hat aber etwas erfunden, was es bis dahin noch nicht gegeben hatte. Die einzigartige Pionierleistung der Christenheit war bedingungslose Wohltätigkeit – d. h. Wohltätigkeit ohne Ansehen der Person, barmherzige Zuwendung ohne Einschränkung. Und in diesem Zusammenhang gab es eine weitere Innovation der Christenheit – nämlich, dass von allen Mitgliedern einer christlichen Gemeinde erwartet wurde, - egal ob reich oder arm – dass sie zu der Unterstützung von Notleidenden beitragen sollten - je nach Fähigkeit und Möglichkeit.

Eine der ersten Projekte der entstehenden Christenheit war es, ausgesetzte Säuglinge zu retten. In dem römischen Weltreich zur Zeit Jesu war es eine Selbstverständlichkeit, dass unerwünschte Säuglinge im Freien ausgesetzt werden konnten: es gab keine Gesetze dagegen. Christen haben diese Säuglinge an sich genommen und gepflegt. Die Christenheit bot außerdem von Anfang an einen besonderen Schutz für Witwen, Waise und Kranke.

Im Jahre 250, als die Christenheit noch verfolgt wurde und deshalb in der Öffentlichkeit nicht in Erscheinung treten durfte, hat die Kirche in Rom 1500 notleidende Personen regelmäßig gespeist. Im 4. Jahrhundert hatte die Kirche in Antiochien in Syrien ein Speiseprogramm für 3000 Personen. Es gibt eine Liste mit den Namen der 3000. Und solche diakonische Einrichtungen hatten die Eigenart, dass sie für alle offen waren – sogar für die Gegner der Christenheit.

Und gerade die Feinde der Christenheit sind die besten Zeugen, wie wirksam christliche Liebe ist. Zum Beispiel: im Jahre 312 wurde die Christenheit offiziell toleriert und die Verfolgung der Christen wurde eingestellt. Aber in den Jahre 331 bis 363 hat Kaiser Julian versucht, seine Untertanen dazu zu bewegen, die heidnischen Götter wieder zu verehren. Sein Versuch, die römische Götterwelt zur Geltung zu bringen, scheiterte an der Bedingungslosigkeit christlicher Wohltätigkeit. Julian bezeichnete die Christen als Atheisten, weil sie einen unsichtbaren Gott anbeteten und seine römischen Götter leugneten. Dieser Kaiser schrieb folgendes:

„Atheismus (d. h. christlicher Glaube) ist besonders gefördert worden durch den liebenden Dienst an Fremden, und durch die fürsorgliche Bestattung der Toten. Es ist ein Skandal, dass kein einziger Jude betteln muss, und dass sich die gottlosen Galiläer (die Christen) nicht nur um ihre eigenen Notleidenden kümmern, sondern auch um unsere. Wer zu uns gehört wartet vergeblich auf die Hilfe, die er bekommen sollte.“

Es geht hier um die Ausstrahlung einer Liebe, die direkt von Gott kommt und in die Herzen seiner Auserwählten ausgegossen wird. Sie ist eine Liebe, wie Albert Schweitzer sie veranschaulichte: sie sieht die Not und sie reagiert – ohne nach der Würdigkeit der Notleidenden zu fragen, ohne Rücksicht darauf, ob der Liebesdienst eventuell eine Verschwendung sein könnte, ohne gekränkt zu sein, wenn der Liebesdienst nicht ausreichend gewürdigt wird.

Und bis heute hat christliche Liebe eine Ausstrahlung, die besonders Atheisten schätzen können. Es ist gut, dass es Atheisten gibt, denn sie sind glaubwürdige Zeugen, was christliche Liebe bewirken kann. In Russland z. B. zu der Zeit Gorbatschows gab es eine ungewöhnliche Begegnung in einer Baptistenkirche. Eine Baptistengemeinde lud das Personal eines Krankenhauses zu einem Gottesdienst ein. Der Chefarzt, der Valentin Kozyrev heißt, wurde dazu eingeladen, ein Grußwort an die Gemeinde zu richten, obwohl er ein bekennender Atheist war. Er sagte folgendes: Kranke Menschen werden durch eine Mischung von „Chemie und Liebe“ geheilt. „Wir Mediziner können den ersten Teil, die Chemie, liefern, aber was die Liebe betrifft, sind wir unvermögend. Nur Sie (die Sie Christen sind) können diese (heilende Liebe) liefern, und wir haben Ihren Beitrag sehr geschätzt.“

Hier wird noch einmal bestätigt, dass göttliche Liebe nicht von Menschen produziert werden kann; sie kommt immer von außerhalb der eigenen Person. Oder wie wir gehört haben – als Lesung und als Kantate – sie wird in die Herzen ausgegossen.

Als Gemeinde sind wir manchmal so sehr mit Finanz- und Strukturfragen beschäftigt, dass wir vergessen, dass wir nicht von Geld und von Gebäuden leben, sondern von der Liebe, die der Geist Gottes in unsere Herzen eingießt. Ohne diese Liebe sind wir nicht lebensfähig oder existenzberechtigt. Wie Jesus sagte: „Daran wird jedermann erkennen, dass ihr meine Jünger seid, wenn ihr Liebe untereinander habt.“

Und eine konkrete Möglichkeit, die wir haben, unsere Liebe füreinander und für Fremde zu zeigen, ist in den Zeiten vor und nach einem Gottesdienst – besonders wenn Kaffee und Tee nach einem Gottesdienst angeboten werden. Hier ist eine Gelegenheit, aufeinander zuzugehen und Interesse füreinander zu zeigen.

Möge Gott uns helfen, die Liebe auszuleben, die er in unsere Herzen ausgegossen hat.

Das Gemälde 'Pentecostes', Luis Tristán, 17. Jhd., ist im public domain, weil sein copyright abgelaufen ist.
Die Abbildung eines Ausschnittes aus dem Glasfenster (Rebecca Kennison, 1985: Stained glass showing an image of the sacred heart and roses, from chapel that used to be part of a convent (now a Baptist church and school complex) in El Cajon, California) wurde unter der GNU-Lizenz für freie Dokumentation veröffentlicht. Es ist erlaubt, die Datei unter den Bedingungen der GNU-Lizenz für freie Dokumentation, Version 1.2 oder einer späteren Version, veröffentlicht von der Free Software Foundation, zu kopieren, zu verbreiten und/oder zu modifizieren.

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