Archiv der Evangelisch-lutherische Dreikönigsgemeinde, Frankfurt am Main - Sachsenhausen
Zurück zum Archiv Home der Dreikönigsgemeinde

Evangelisch-Lutherische

DREIKÖNIGSGEMEINDE

Frankfurt am Main - Sachsenhausen

Predigten von Pfarrer Phil Schmidt: Pfingsten: Apostelgeschichte 2, 1 – 11 Sprachkompetenz

« Predigten Home

'Sinaiticus text'

Pfingsten

Sprachkompetenz Apostelgeschichte 2, 1 – 11

Predigt gehalten von Pfarrer Phil Schmidt 2010

Und als der Pfingsttag gekommen war, waren sie alle an einem Ort beieinander. Und es geschah plötzlich ein Brausen vom Himmel wie von einem gewaltigen Wind und erfüllte das ganze Haus, in dem sie saßen. Und es erschienen ihnen Zungen zerteilt, wie von Feuer; und er setzte sich auf einen jeden von ihnen, und sie wurden alle erfüllt von dem heiligen Geist und fingen an, zu predigen in andern Sprachen, wie der Geist ihnen gab auszusprechen. Es wohnten aber in Jerusalem Juden, die waren gottesfürchtige Männer aus allen Völkern unter dem Himmel. Als nun dieses Brausen geschah, kam die Menge zusammen und wurde bestürzt; denn ein jeder hörte sie in seiner eigenen Sprache reden. Sie entsetzten sich aber, verwunderten sich und sprachen: Siehe, sind nicht diese alle, die da reden, aus Galiläa? Wie hören wir denn jeder seine eigene Muttersprache?
Parther und Meder und Elamiter und die wir wohnen in Mesopotamien und Judäa, Kappadozien, Pontus und der Provinz Asien, Phrygien und Pamphylien, Ägypten und der Gegend von Kyrene in Libyen und Einwanderer aus Rom, Juden und Judengenossen, Kreter und Araber: wir hören sie in unsern Sprachen von den großen Taten Gottes reden. Apostelgeschichte 2, 1 – 11

'First Surah Koran', 1988, Hattat Aziz Efendi

Im Rahmen von Fortbildungen und Gemeindegruppen habe ich insgesamt 7 Moscheen besucht. Bei jedem Besuch ging es darum, von Muslimen etwas über den Islam zu erfahren. Und ein Thema, das bei diesen Besuchen immer wieder angesprochen wurde, ist das Thema Sprachkompetenz. Der Koran ist in Arabisch geschrieben. Es wurde immer wieder darauf hingewiesen, dass es keine gültige Übersetzung des Korans gibt, weil jede Übersetzung eine Verfälschung wäre. Vor einigen Jahrzehnten war es sogar noch verboten, den Koran zu übersetzen. Zum Beispiel gibt es den bekannten arabischen Begriff „Dschihad“, der meistens als „heiliger Krieg“ übersetzt wird. Muslime erklären, dass der Begriff „heiliger Krieg“ eine irreführende Fehlübersetzung ist; Dschihad ist in erster Linie ein Kampf gegen die eigene Schwäche, nicht ein Kampf mit Waffen. In einer Moschee in der Mainzer Landstraße wurde uns erklärt, dass der Begriff „Ungläubige“ in dem Koran nicht vorkomme. „Ungläubige“ sei eine irreführende Übersetzung. Ob diese Wort-Erklärungen stimmen oder nicht, kann ich nicht beurteilen, weil ich nicht Arabisch spreche.

Aber eines ist klar: wer zum Islam gehören und ein mündiger Anhänger sein will, muss Arabisch lernen. Wer zum Islam gehören will, muss das Glaubensbekenntnis und die vorgesehenen Gebete in Arabisch sprechen. Wer Arabisch nicht als Muttersprache gelernt hat, wird sich sprachlich bilden müssen, um vollgültige Erkenntnisse zu gewinnen.

'Sefer Torah from Theresienstadt concentration camp', 2008, דני גולדשמידט

Im Judentum gibt es etwas Vergleichbares. Wer ein vollgültiges Mitglied des Judentums sein will, muss Hebräisch lernen. Sobald ein Kind sprechen kann, soll der erste Satz seines Lebens ein hebräischer Satz sein: nämlich das Urbekenntnis des Judentums aus dem 5. Buch Mose, das lautet: „Höre, Israel, der Herr ist unser Gott, der Herr ist einer...“ Bei der Bar Mitzwa muss ein 13-jähriger Junge einen Teil der hebräischen Bibel in der Synagoge vorlesen, um zu demonstrieren, dass er Torah-mündig geworden ist. Hebräisch ist die Gottesdienstsprache der Juden. Wer Hebräisch nicht beherrscht, kann bei Diskussionen über Bibel-Auslegungen nicht mitreden.

Für die Christenheit gab es eine Zeit, als es vergleichbare Einschränkungen gab. In der Zeit zwischen Ostern und Pfingsten im Jahre 30, gab es unter den Anhängern Jesu eine einzige gültige Sprache, nämlich Aramäisch. Wer Aramäisch nicht kannte, konnte bei Gebeten und bei Diskussionen über Jesus nicht mitmachen. Einige Anhänger Jesu sprachen auch Griechisch, aber das war zunächst eine Nebensprache. Wir, die wir heute Christen sind, hätten absolut keinen Zugang zu der ersten Gemeinde Jesu Christi, weil wir nicht Aramäisch sprechen und weil wir nicht zum Judentum gehören.

Aber an Pfingsten geschah ein Wendepunkt: ein Wunder ist eingetreten und es war ein Sprach- und Hörwunder. Es heißt:

Sie wurden alle erfüllt von dem heiligen Geist und fingen an, zu predigen in andern Sprachen, wie der Geist ihnen gab auszusprechen.

Und es heißt:

Es wohnten aber in Jerusalem Juden, die waren gottesfürchtige Männer aus allen Völkern unter dem Himmel. Als nun dieses Brausen geschah, kam die Menge zusammen und wurde bestürzt; denn ein jeder hörte sie in seiner eigenen Sprache reden. Sie entsetzten sich aber, verwunderten sich und sprachen: Siehe, sind nicht diese alle, die da reden, aus Galiläa? Wie hören wir denn jeder seine eigene Muttersprache?

Was hier genau eingetreten ist, lässt sich nicht rekonstruieren: es bleibt ein Geheimnis. Aber eine Sache ist eindeutig: wer ein vollgültiges Mitglied einer christlichen Gemeinde sein will, muss seit Pfingsten nicht eine fremde Sprache beherrschen. Seit Pfingsten sind alle Sprachen anerkannte Sprachen der Christenheit. Denn überall auf der Welt bekennen sich Christen zu Jesus in ihrer Muttersprache. Die Christenheit hat so viele Sprachen wie die Menschheit, und jede Sprache ist gültig.

Von Anfang an war es deswegen ein Anliegen, die Bibel in möglichst viele Sprachen zu übersetzen. Keine andere Religion hat ihre heiligen Schriften in so viele Sprachen übersetzt wie das Christentum. Teile der Bibel sind in 6.700 Sprachen übersetzt worden. 98,7% der Menschheit hat, sprachlich gesehen, einen Zugang zu der Bibel.

Die syrisch-orthodoxe Kirche z. B. hat als Gottesdienstsprache Aramäisch, die Muttersprache Jesu und seiner ersten Anhänger: aber sie sind Jesus nicht näher als wir, die wir eine Sprache sprechen, die es zur Zeit Jesu noch nicht gab. Der Geist Jesu Christi ist hier und heute bei uns in diesem Kirchsaal authentisch anwesend, so wie er vor 2000 Jahren in dem Obergemach in Jerusalem authentisch anwesend war, als das Pfingstwunder geschah.

'Estudo pessoal da Bíblia', 2007, Steelman

Wenn wir heute in einem Bibelgesprächskreis einen biblischen Text auslegen, ist jede Person in der Runde beauftragt, zu der Auslegung beizutragen. Denn Bibelauslegung ist in der Christenheit nicht nur eine intellektuelle Fähigkeit, sondern eine Gabe des Heiligen Geistes, der uns Sprachkompetenz verleiht. Jede Person hat etwas zu sagen, was für die anderen eine Bereicherung ist.

Diese Mündigkeit aller Gläubigen ist allerdings etwas, was immer wieder in Frage gestellt wurde. Können Sie sich folgende Situation vorstellen? Eine Gruppe von christlichen Laien trifft sich in einer Wohnung, um gemeinsam zu beten und einen biblischen Text zu besprechen. Es klopft an der Tür: es ist die Polizei, die gekommen ist, um die Gruppe auseinander zu treiben. Wer hat sie geschickt? Die KGB? Die Gestapo? Die Antwort lautet: ein evangelischer Pfarrer. Solche Situationen gab es einmal hier in Frankfurt vor ein paar hundert Jahren, als die Kirche noch die Macht hatte, sich in Privatangelegenheiten einzumischen. Eine Gruppe von Christen, die sich privat traf, um die Bibel nach eigenem Ermessen auszulegen, wurde einmal als „Konventikelunwesen“ bezeichnet und wurde von der offiziellen Kirche bekämpft. Hier ist der genaue Gegensatz zu Pfingsten.

Und lange Zeit war die Kirche von dieser Denkweise geprägt, dass Bibelauslegung nur von fachkompetenten Theologen zu erlauben sei. Als ich in den 70er Jahre in der Gemeinde anfing, war die Auslegung der Bibel weitgehend eine belehrende Veranstaltung. Eine Bibelstunde (es hieß nicht Bibelgespräch) Anfang der 70er Jahren sah folgendermaßen aus: ein Pfarrer legte einen biblischen Text aus. Anschließend haben die etwas Gebildeteren in der Runde einige schlaue Fragen gestellt, die der Pfarrer beantwortete. Es ging hauptsächlich darum, zu klären, was der Pfarrer zu sagen hatte. Im Laufe der Zeit entdeckte ich, dass viele Gemeindeglieder Angst hatten, eine Bibelstunde zu besuchen – mit der Begründung: man würde sich blamieren, wenn es sich herausstelle, wie wenig man von der Bibel wüsste.

Aber in den letzten 35 Jahren hat sich etwas geändert. Die sogenannten Laien sind mündiger geworden. Etwas, was ich mit Freude zur Kenntnis nehme, ist, dass manche Gemeindemitglieder keine Scheu haben, der Bibelauslegung eines Pfarrers zu widersprechen und in einem Gottesdienst eigene Gebete frei zu formulieren. Hier ist ein Zeichen, dass der heilige Geist am Wirken ist, wenn sich Sprachkompetenz in einer Gemeinde ausbreitet.

Selbstverständlich wird es auch fehlerhafte Auslegungen geben. Selbstverständlich sind nicht alle Menschen mit der gleichen Kompetenz ausgestattet, wenn es um Bibelauslegung geht. Aber jeder hat etwas zu sagen, was alle zu hören haben.

'Pfingstwunder', Ende 15. Jh., Meister des Salemer Heiligenaltars

Denn was der heilige Geist garantiert, ist, dass wir trotz menschlicher Fehlerhaftigkeit vertrauen können, dass jede Bibelauslegung etwas von dem wahren Geist Jesu Christi überträgt. Menschliche Unzulänglichkeit kann das Wort Gottes nicht aufhalten. Denn der heilige Geist ist für Sprachkompetenz zuständig. Der Geist Gottes garantiert, dass das Evangelium in jeder Generation intakt bleibt. Der heilige Geist ist dafür zuständig, dass gültige biblische Botschaften in jeder christlichen Gemeinschaft zustande kommen.

Es heißt in unserem apostolischen Glaubensbekenntnis: „Ich glaube an den heiligen Geist, die heilige christliche Kirche....“ Heiliger Geist und heilige christliche Kirche werden in einem Atemzug genannt. Der heilige Geist ist deshalb nicht etwas Abstraktes. Er ist so konkret wie die Gemeinde, die sich zum Gottesdienst versammelt. Dass hier und heute eine Gemeinde anwesend ist, die im Namen Jesu Christi Gott anbetet, ist ein Wunder des Heiligen Geistes. Und der Geist Jesu Christi ist überall auf der Welt der Gleiche. Egal ob man einen Baptisten-Gottesdienst in einem Dorf in Russland besucht oder eine feierliche anglikanische Eucharistie in der Londoner Westminster Abbey, überall wird man demselben Geist Jesu Christi voll und ganz begegnen. Der auferstandene Christus ist überall auf der Welt gegenwärtig, egal welche Bibelübersetzung im Gottesdienst verwendet wird, egal ob der Prediger rhetorisch kompetent ist oder nicht, egal ob die Gemeinde energisch oder zaghaft singt. Das ist das Pfingstwunder, das sich immer wieder wiederholt. Der Geist garantiert, dass unsere Anbetung und unsere Verkündigung authentisch bleiben - trotz menschlicher Unzulänglichkeiten.

Wir sind deshalb, wie die Reformation verkündete, ein Priestertum aller Gläubigen. Das Gebet eines Kindes ist so wertvoll wie das Gebet eines Bischofs. Niemand ist unmündig, wenn es um die Entdeckung und Vermittelung von Glaubensinhalten geht. Jede Stimme zählt, denn durch den heiligen Geist sind wir alle sprachkompetent. Dafür danken wir Gott, heute und für immer. Amen.

Die Abbildung 'Sinaiticus text', ist im public domain, weil ihr copyright abgelaufen ist.
Die Abbildung 'First Surah Koran', 1988, Hattat Aziz Efendi, ist im public domain, weil ihr copyright abgelaufen ist.
Die Photographie 'Sefer Torah from Theresienstadt concentration camp', 2008, דני גולדשמידט, wurde (oder wird hiermit) von ihrem Autor als gemeinfrei veröffentlicht. Dies hat weltweite Gültigkeit.
Die Photographie 'Estudo pessoal da Bíblia', 2007, Steelman, ist lzensiert unter der licensed Creative Commons Attribution-Share Alike 2.5 Generic license.
Das Bild 'Pfingstwunder', Ende 15. Jh., Meister des Salemer Heiligenaltars, ist im public domain, weil ihr copyright abgelaufen ist.

^ Zum Seitenanfang

PSch