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Predigten von Pfarrer Phil Schmidt: Rogate: 1. Timotheus 2, 1 – 6a Hast du jemals die Tiefe erreicht?

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Rogate: 1. Timotheus 2, 1 – 6a Hast du jemals die Tiefe erreicht?

Gehalten von Pfarrer Phil Schmidt 2010

'Cells in Alcatraz Island', 2008, Superchilum

So ermahne ich nun, dass man vor allen Dingen tue Bitte, Gebet, Fürbitte und Danksagung für alle Menschen, für die Könige und für alle Obrigkeit, damit wir ein ruhiges und stilles Leben führen können in aller Frömmigkeit und Ehrbarkeit. Dies ist gut und wohlgefällig vor Gott, unserm Heiland, welcher will, dass allen Menschen geholfen werde und sie zur Erkenntnis der Wahrheit kommen. Denn es ist EIN Gott und EIN Mittler zwischen Gott und den Menschen, nämlich der Mensch Christus Jesus, der sich selbst gegeben hat für alle zur Erlösung.

1. Timotheus 2, 1 – 6a

Es gab in den USA einen Verbrecher mit dem Namen Floyd Hamilton. In den 30er Jahren gehörte er zu der legendären Bande, die von Bonnie Parker und Clyde Barrow geleitet wurde, bekannt durch ihre Vornamen Bonnie und Clyde. Hamilton war an bewaffneten Überfällen beteiligt. Er gehörte zu den 10 meistgesuchten Kriminellen des FBI. Als er verhaftet wurde, landete er zuletzt in dem berüchtigten Alcatraz-Gefängnis, wo die härtesten Kriminellen inhaftiert wurden. Aus diesem Gefängnis zu entkommen, war so gut wie aussichtslos, denn es liegt auf einer Insel in der eiskalten Bucht von San Francisco. Aber im April 1943 versuchte Floyd Hamilton zu entkommen und erreichte das Wasser, aber er wurde bei dem Fluchtversuch wieder gefangen. Danach bekam er Isolationshaft in einer Zelle, die an der tiefsten Stelle des Gefängnisses lag. Seine Zelle war gerade groß genug für seine Schlafmatte. Es wird berichtet, dass er keine Kleider tragen durfte – also nur Unterwäsche – und er bekam durch die Zellengitter seine kargen Mahlzeiten gereicht: wie ein Tier im Käfig. 21 Tage verbrachte er in dieser Zelle, die wie ein Sarg war. Und in dieser Situation passierte ein Wunder. Dieses Wunder wird mit der Formulierung beschrieben: Gott suchte ihn auf und „er wurde durch die Gnade Jesu Christi verwandelt.“

Diese Verwandlung war auch nicht oberflächlich. Später als er wieder in Freiheit war und einen Beruf hatte, hatte er zweimal an seinem Arbeitsplatz die Gelegenheit gehabt, viel Geld an sich zu nehmen, das jemand aus Nachlässigkeit liegen gelassen hatte. Er hätte das Geld vereinnahmen können, ohne in Verdacht zu geraten. Aber in beiden Fällen gab er das Geld den Besitzern zurück.

Was Floyd Hamilton erfuhr, hat einen exemplarischen Charakter. Hier war eine Person, die nach menschlichem Ermessen hoffnungslos verdorben war. Als er in Isolationshaft saß, war er so gut wie tot und war scheinbar mehr Tier als Mensch. Seine Zelle war wie eine Vorstufe zur Hölle. Scheinbar war dieser Mensch absolut unerreichbar. Aber die Gnade Jesu Christi drang durch die Gefängnismauer und erreichte eine verborgene Tiefe seiner Seele und hat ihn aus der Tiefe geholt. Er wurde befreit von seiner Triebhaftigkeit und konnte deswegen zuletzt auch entlassen werden.

'Christ's Descent into Limbo', 1470–75, Andrea Mantegna

Es ergibt sich die Frage: Warum interessiert sich Gott für einen solchen Menschen? Warum holt er einen solchen Menschen aus der Tiefe heraus? Die Antwort lautet: es ist das Uranliegen Gottes, alle Gefangenen und Versklavten zu befreien und alle Toten aufzuwecken. Und ab und zu wird dieses Anliegen Gottes an einzelnen Personen demonstriert, damit die Welt sehen kann, was Gott mit allen Menschen vorhat.

Es gibt eine Vorlage für das, was in dem Alcatraz-Gefängnis geschah: nämlich die Auferstehung Jesu Christi von den Toten. Es heißt im Glaubensbekenntnis, dass Jesus Christus: „hinabgestiegen“ ist „in das Reich des Todes“. Von Anfang an wurde die Auferstehung Christi als Abstieg in das Totenreich verstanden. Und das Totenreich galt als Gefängnis. Nach urchristlicher Auffassung ist Christus in dieses Gefängnis eingebrochen, um alle Toten von ihren Ketten zu befreien. Diese Totenbefreiung wurde als allumfassend verstanden: alle Toten wurden auferweckt. Es wurde keine Unterscheidung gemacht zwischen „guten“ und „bösen“ Toten. Die Totenbefreiung war eine reine Gnade für alle. Wie es in dem 1. Korintherbrief des Paulus heißt: „So wie sie in Adam alle sterben, so werden sie in Christus alle lebendig gemacht.“ Die Gnade der Auferstehung ist für alle vorgesehen.

Dieses Hinabsteigen Christi zu den Gefangenen des Todes ist ein Urbild für die Art und Weise, wie Gott in dieser Welt vorgeht. Unzählige Menschen haben erlebt, dass Christus mit seiner Gnade zu ihnen in die Finsternis hinabgestiegen ist, um sie mit seiner Gnade zu trösten und zu verwandeln.

'Karl Barth', 1955, Maria Netter

In diesem Zusammenhang gibt es eine Aussage von Karl Barth, die beschreibt, was Unzählige erlebt haben:

Hast du jemals die Tiefe erreicht? Nicht nur die Tiefe einer inneren oder äußeren Trübsal, sondern die Tiefe, in der ein Mensch zugeben muss, dass er sich selbst nicht mehr helfen kann, dass kein Mensch ihm helfen kann, dass es absolut keine Hilfe gibt außer Gottes Barmherzigkeit. In dieser Tiefe hat die Barmherzigkeit Gottes dich schon gesucht und gefunden, und du wirst erleben, dass sie dich zu der höchsten Höhe erheben wird.

Die Barmherzigkeit Gottes macht keine Unterscheidungen zwischen sogenannten „Guten“ und „Bösen“. Er geht auch zu denen, die als hoffnungslos verdorben gelten.

Es ist aber offensichtlich, dass nicht alle Menschen gleichzeitig verwandelt werden. Warum erleben scheinbar nicht alle die Barmherzigkeit Gottes? Warum werden anscheinend nur einzelne Personen von der Gnade erfasst?

Eine Antwort lautet: vielleicht hängt es von Fürbittengebet ab, wo die Gnade Gottes zunächst wirksam wird. Vielleicht hat jemand für diesen Floyd Hamilton gebetet. Denn etwas kann man mit Sicherheit sagen: Gott wartet auf Gebet. Gott verwendet Gebet, um seinen Willen zu verwirklichen. Dass Gott nicht mehr tut, hängt vielleicht damit zusammen, dass zu wenig gebetet wird.

In dem Text, der für heute vorgesehen ist, heißt es:

So ermahne ich nun, dass man vor allen Dingen tue Bitte, Gebet, Fürbitte und Danksagung für alle Menschen, für die Könige und für alle Obrigkeit, damit wir ein ruhiges und stilles Leben führen können in aller Frömmigkeit und Ehrbarkeit. Dies ist gut und wohlgefällig vor Gott, unserm Heiland, welcher will, dass allen Menschen geholfen werde und sie zur Erkenntnis der Wahrheit kommen. Denn es ist EIN Gott und EIN Mittler zwischen Gott und den Menschen, nämlich der Mensch Christus Jesus, der sich selbst gegeben hat für alle zur Erlösung.

Auffallend in diesem Text ist das Wort „alle“. Christen sollen für alle Menschen beten, denn Gott will, dass allen Menschen geholfen werde und sie zur Erkenntnis der Wahrheit kommen. Und das Zeichen dafür, dass Gott mit allen Menschen eine Beziehung herstellen will, heißt Jesus Christ, der sich hingegeben hat, für „alle“ zur Erlösung.

Wenn ein scheinbar hoffnungslos verdorbener Verbrecher von der Gnade Christi aufgesucht wird, so ist das ein Zeichen, dass Gott mit seiner Gnade grundsätzlich alle Menschen verwandeln will. Und ob es uns gefällt oder nicht: unser Fürbittengebet spielt eine Rolle dabei.

'Русский: Молитва', 2009, Sergei Frolov

Es gibt Menschen, die gemerkt haben, wie ausschlaggebend Fürbittengebete sind und dementsprechend handeln. Es gibt z. B. eine Frau mit dem Namen Diane Talbert, die eine Gebetsliste angefertigt hat. Auf dieser Liste stehen die Namen von Menschen, mit denen sie im Laufe der Jahre über Fragen des Glaubens gesprochen hat. Inzwischen stehen 1.100 Namen auf dieser Liste. Sie betet jeden Tag für alle 1.100 Personen. Dafür braucht sie mehr als eine Stunde. Diese Ernsthaftigkeit im Gebet ist etwas Urchristliches.

Fürbittengebet erfordert Geduld und Ausdauer, denn die Gnade Gottes ist geduldig. Die Barmherzigkeit Gottes ist nicht etwas Magisches, das den menschlichen Verstand oder die Willensentscheidung außer Kraft setzt, sondern etwas, was langfristig in Menschen arbeitet. Manchmal geht eine jahrelange Vorbereitungszeit voraus, ehe ein Mensch empfänglich wird für das, was Gott schenken will. Bei Gott gibt es im Allgemeinen keine magischen Abkürzungen, aber bei Gott gibt es Wunder. Und Fürbittengebet kann dazu beitragen, dass Wunder geschehen.

Zum Beispiel: es gibt einen Muslimen in Iran, der einen Traum hatte. In seinem Traum sah er, wie er auf seinem Haus stand und von hellem Licht bestrahlt wurde. Das Licht bewegte sich nach unten und beleuchtete einen Bach, der offenbar aus Licht bestand. Dieser Traum war so eindringlich, dass der Mann unbedingt eine Auslegung finden wollte. Er las Bücher und suchte Traumdeuter auf, aber fand keine zufriedenstellende Erklärung. Schließlich fragte er einen christlichen Freund und der Freund erzählte ihm von Christus, dem Licht der Welt, der alle Menschen erleuchtet und zu allen Menschen eine Beziehung herstellen will durch die Taufe. Der Muslim ließ sich taufen. Und nach Aussage einer christlichen Organisation, die im Iran arbeitet, ist er kein Einzelfall. Viele Muslime, die sonst keine Beziehung zu Christus hatten, finden eine neue Beziehung zu Gott in Christus durch Träume, wird berichtet. Die Gnade Gottes findet Wege durch Gefängnismauern und durch religiöse Abgrenzungen. Unsere Aufgabe ist es, diese Gnade zu unterstützen durch unsere Fürbitten für alle Menschen. Jeder von uns ist dazu beauftragt, für alle Menschen zu beten, denn „Gott will, dass allen Menschen geholfen werde und sie zur Erkenntnis der Wahrheit kommen“. Amen.

Die Photographie 'Cells in Alcatraz Island', 2008, Superchilum, wurde unter der GNU-Lizenz für freie Dokumentation veröffentlicht. Es ist erlaubt, die Datei unter den Bedingungen der GNU-Lizenz für freie Dokumentation, Version 1.2 oder einer späteren Version, veröffentlicht von der Free Software Foundation, zu kopieren, zu verbreiten und/oder zu modifizieren.
Das Gemälde Christ's Descent into Limbo', 1470–75, Andrea Mantegna, ist im public domain, weil sein copyright abgelaufen ist.
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