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Predigten von Pfarrer Phil Schmidt: Cantate: Kolosser 3, 12 – 17 Dankbare Lieder im Herzen

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'Alleluia', 1896, Thomas Cooper Gotch

Cantate

Dankbare Lieder im Herzen Kolosser 3, 12 – 17

Predigt gehalten von Pfarrer Phil Schmidt 2010

So zieht nun an als die Auserwählten Gottes, als die Heiligen und Geliebten, herzliches Erbarmen, Freundlichkeit, Demut, Sanftmut, Geduld; und ertrage einer den andern und vergebt euch untereinander, wenn jemand Klage hat gegen den andern; wie der Herr euch vergeben hat, so vergebt auch ihr!
Über alles aber zieht an die Liebe, die da ist das Band der Vollkommenheit. Und der Friede Christi, zu dem ihr auch berufen seid in einem Leibe, regiere in euren Herzen; und seid dankbar. Lasst das Wort Christi reichlich unter euch wohnen: lehrt und ermahnt einander in aller Weisheit; mit Psalmen, Lobgesängen und geistlichen Liedern singt Gott dankbar in euren Herzen. Und alles, was ihr tut mit Worten oder mit Werken, das tut alles im Namen des Herrn Jesus und dankt Gott, dem Vater, durch ihn. Kolosser 3, 12 – 17

Im Jahre 1930 hat eine Gemeinde in Reutlingen etwas Humorvolles in ihrem Gemeindeblatt veröffentlicht; es heißt „Verhaltensregeln für Kirchgänger“. Diese Regeln sind ironisch gemeint und greifen Erfahrungen auf, die mit Gottesdienstbesuchern gemacht worden sind. Die meisten dieser Anweisungen haben direkt oder indirekt mit Kirchenmusik zu tun. Hier eine Auswahl:

  • Es ist völlig unnötig, allzu früh, also zum Beispiel schon während des Glockenläutens, sich im Gotteshaus einzufinden. Es genügt auch noch beim zweiten oder dritten Vers des Eingangsliedes.
  • Bei schwächer besuchten Gottesdiensten suche sich womöglich jeder eine besondere Bank aus, damit das kleine Häuflein wenigstens über den ganzen Raum verteilt ist.
  • Man meine nicht, dass auch das Orgelvorspiel zum Gottesdienst gehöre. Man füllt darum diese Zeit am zweckmäßigsten auch durch eine gemütliche Plauderei mit dem Nebensitzer. Das ergibt die beste Überleitung zum nachfolgenden Gesang.
  • Es ist ein Zeichen besonderer Bildung, beim Gemeindegesang entweder zu schweigen oder höchstens durch leichtes Bewegen der Lippen das Singen anzudeuten. Insbesondere für Männer schickt es sich nicht, sich am Singen zu beteiligen.
  • Die Zeit während des Schlussgesangs benutzt man am besten dazu, Brille und Gebetbuch zu versorgen oder nach dem Opfer zu suchen. Das Klappern der Geldstücke, besonders das Zuklappen der Handtasche, ergibt ein angenehmes Schlussgeräusch und eine wohltuende Entspannung nach dem Gottesdienst.
  • Beim Heimgehen suche man das Gesangbuch möglichst zu verbergen; man braucht es einem ja nicht unbedingt anzumerken, dass man aus der Kirche kommt.

Diese ironischen Regeln spiegeln Situationen wider, die tatsächlich vorgekommen sind. Zum Beispiel: vor 11 Monaten war ich in einem Gottesdienst in Mecklenburg und es fiel mir auf, dass nur die Frauen sangen. Die Männer haben den Mund nicht aufgemacht: manche haben nicht einmal ihr Gesangbuch aufgeschlagen, sondern sie haben nur vor sich hin gestarrt, so als ob sie sich die Regel zu Herzen genommen hatten, die lautet: „Insbesondere für Männer schickt es sich nicht, sich am Singen zu beteiligen.“

Es ist eine Ironie der Kirchengeschichte, dass es eine Zeit gab, als nur Männer im Gottesdienst sangen. Im 4. Jahrhundert, als die Kirche von Verfolgung befreit wurde, hat die ganze Gemeinde im Gottesdienst gesungen. Aber in manchen Gebieten durften die Frauen nicht mitsingen, denn Singen galt als Männersache. Aber im nächsten Jahrhundert wurde dieses Verbot an manchen Orten aufgelockert - mit der pragmatischen Begründung: wenn man die Frauen nicht mitsingen lässt, werden sie im Gottesdienst schwätzen.

Die ironischen Verhaltensregeln für Kirchgänger aus Reutlingen veranschaulichen, dass Singen im Gottesdienst nicht nur eine Frage der Stimmbänderfähigkeit ist. Diese Anweisungen offenbaren, dass Gottesdienstbesuch für viele Menschen damals keine Freude war, sondern eine Pflichtübung. Wenn Singen zaghaft oder unkonzentriert ist, hängt eine Lebenseinstellung damit zusammen. Denn man singt nicht nur mit den Stimmbändern, sondern mit dem ganzen Körper. Wie man singt, hängt mit der gesamten Lebensweise zusammen.

Das ist auch das Thema des Textes aus dem Kolosserbrief, der für heute vorgesehen ist. Dieser Text endet mit der Forderung, Gott dankbare Lieder zu singen:

mit Psalmen, Lobgesängen und geistlichen Liedern singt Gott dankbar in euren Herzen.

Aber diese Forderung steht in einem Zusammenhang. Damit man dankbare Lieder im Herzen hat, gibt es Voraussetzungen, die vorher erläutert werden. Es heißt:

So zieht nun an ...herzliches Erbarmen, Freundlichkeit, Demut, Sanftmut, Geduld; und ertrage einer den andern und vergebt euch untereinander, wenn jemand Klage hat gegen den andern; wie der Herr euch vergeben hat, so vergebt auch ihr! Über alles aber zieht an die Liebe...der Friede Christi regiere in euren Herzen; und seid dankbar. Lasst das Wort Christi reichlich unter euch wohnen: lehrt und ermahnt einander in aller Weisheit

Wenn dankbare Lieder im Herzen sind, dann steckt eine Lebensart dahinter. Dieser Text beschreibt Leben in einer christlichen Gemeinschaft. Es wird vorausgesetzt, dass Christen oft genug zusammenkommen, dass sie sich gegenseitig mit Worten, mit Weisheit und mit gemeinsamem Lobgesang unterstützen können.

'Haendel concert by the Stuttgarter Kantorei', 2008, StiftsmusikStuttgart

Besonders hervorgehoben wird Vergebungsbereitschaft.

Vergebt euch untereinander, wenn jemand Klage hat gegen den andern; wie der Herr euch vergeben hat, so vergebt auch ihr!

Es gab einmal eine psychologische Untersuchung zum Thema Glück und Zufriedenheit. Es ging um die Frage, wovon es abhängt, ob ein Mensch glücklich und zufrieden ist. Einige Feststellungen waren keine Überraschung: Glück und Zufriedenheit hängen davon ab, dass es einen zuverlässigen Familien- und Freundeskreis gibt, dass man nicht neidisch ist auf die Nachbarn, dass man sinnvolle Aufgaben hat. Aber eine Sache war doch auffallend: es wurde festgestellt, das, was zuletzt ausschlaggebend ist, ist Vergebungsbereitschaft. Eine Psychologin sagte: „Das Wichtigste ist die Fähigkeit, freigiebig vergeben zu können.“ Ein anderer Fachmann sagte, dass die Fähigkeit, vergeben zu können, das Bestimmende ist, wenn es um Lebenszufriedenheit geht. Er nannte Vergebungsbereitschaft „die Königin aller Tugenden, die wahrscheinlich am schwierigsten ist, sich anzueignen.“ Wer nicht vergeben kann, wird ein Herz haben, das beherrscht ist von Bitterkeit und Verstimmung. Ein unversöhnlicher Mensch will nicht, dass alle Menschen glücklich sind, sondern will, dass die Personen leiden, die ihn gekränkt haben. In einem nachtragenden Herzen gibt es keine dankbaren Lieder für Gott.

Wie kann man ein Herz bekommen, das freigiebig vergebungsbereit ist? Der Kolosserbrieftext spricht davon, etwas anzuziehen.

So zieht nun an herzliches Erbarmen, Freundlichkeit, Demut, Sanftmut, Geduld... Über alles aber zieht an die Liebe

Wie kann man solche Dinge anziehen? Diese Sprache bezieht sich auf die Auferstehung. Dieser Abschnitt des Kolosserbriefes beginnt mit dem Thema Auferstehung Christi und was diese Auferstehung für seine Anhänger bedeutet. Es heißt: wer zu Christus gehört, gehört schon jetzt zu der Auferstehung, sein Leben ist in Gott „geborgen“.

Und Auferstehung wird von Paulus als ein Anziehen beschrieben: das Sterbliche zieht die Unsterblichkeit an, das Verwesliche zieht die Unverweslichkeit an. Paulus spricht davon, dass der Mensch nach dem Sterben „überkleidet“ wird, damit das Sterbliche vom Leben verschlungen wird. Dieses Anziehen der Unvergänglichkeit wurde bei frühchristlichen Taufen veranschaulicht, als die Taufkandidaten weiße Gewänder angezogen hatten, als sie aus dem Taufwasser kamen.

Wer die Auferstehung angezogen hat, der ist in Gott in Ewigkeit geborgen. Wer dieses unermessliche Geschenk der Gnade empfangen hat, kann nicht mehr unversöhnlich bleiben, sondern kann nur ein Herz haben, das Dank- und Loblieder singen will. Die Verheißung der Auferstehung ist so überwältigend, dass alles andere zweirangig ist. Das Herz will singen, egal wie die äußere Situation aussieht. Christlicher Lobgesang ist in erster Linie eine Erwiderung auf den Ostersieg Christi. Deswegen befindet sich der Sonntag Cantate in der Osterzeit.

Es gibt unzählige Beispiele dafür, wie Lobgesang in den finstersten Situationen vorgekommen ist, Lobgesang ist manchmal wie ein Auferstehungswunder. Zum Beispiel: ein Pfarrer aus einer Gemeinde in Norddeutschland erlebte folgendes:

„Als ich eine alte Dame besuchen wollte, teilte mir die Tochter mit: "Unsere Mutter kriegt gar nichts mehr mit. Und sie spricht auch nicht mehr - schon seit Monaten. Es ist ganz traurig." Und tatsächlich war kein Gespräch möglich. Ich spürte die bedrückende Atmosphäre im Zimmer. Schließlich fing ich an, ein Lied zu singen. "Lobe den Herren, den mächtigen König der Ehren." Und plötzlich geschieht das Wunder. Die alte Dame singt mit. Nicht nur eine Strophe, sondern das ganze Lied. Und den nächsten Choral auch noch. Ich konnte sehen, wie das Singen ihr Gesicht veränderte. Das Singen machte die alte Frau zumindest für einen kleinen Augenblick fröhlich. Es rührte etwas in ihr an. Sie sang nicht nur mit der Stimme mit, sondern mit dem Herzen.“

Ein anderes Beispiel: Nach dem Erdbeben in Haiti gab es innerhalb der Katastrophen ein Phänomen, das völlig unlogisch erschien, nämlich Lobgesang. Eine Frau wurde beobachtet, die verletzt war und auf einer Schlafmatte lag. Sie sang immer wieder ein Lied mit dem Osterruf: „Hallelujah, Amen. Hallelujah. Amen.“

Lobgesang im Herzen hängt nicht davon ab, ob es einem gut oder schlecht geht. Es hängt davon ab, ob man zu dem Auferstandenen gehört. Durch das Wort Gottes, durch Taufe und Abendmahl, durch Beteiligung an christlicher Gemeinschaft gehören wir zu der Auferstehung Christi. Die einzige angemessene Reaktion auf diese ewige Geborgenheit, die uns in Christus geschenkt ist, kann nur darin bestehen, Gott mit dankbarem Herzen zu loben.

Möge Gott uns bewusst machen, wozu wir in Ewigkeit vorgesehen sind, damit unsere Herzen singen: „Gelobt sei Gott, immer und ewig.“

Die Abbildung 'Alleluia', 1896, Thomas Cooper Gotch, ist im public domain, weil ihr copyright abgelaufen ist.
Die Photographie 'Haendel concert by the Stuttgarter Kantorei', 2008, StiftsmusikStuttgart, wurde unter der GNU-Lizenz für freie Dokumentation veröffentlicht. Es ist erlaubt, die Datei unter den Bedingungen der GNU-Lizenz für freie Dokumentation, Version 1.2 oder einer späteren Version, veröffentlicht von der Free Software Foundation, zu kopieren, zu verbreiten und/oder zu modifizieren.

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