Archiv der Evangelisch-lutherische Dreikönigsgemeinde, Frankfurt am Main - Sachsenhausen
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Frankfurt am Main - Sachsenhausen

Predigten von Pfarrer Phil Schmidt: Feier der Osternacht: Gang nach Emmaus Lukas 24, 13 – 35

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Feier der Osternacht: Gang nach Emmaus

Andacht - Gehalten von Pfarrer Phil Schmidt 2010 im Kirchsaal Süd
In der ursprünglichen Form gehörten Lieder und Lichtbilder zu dieser Andacht

'Hungrige sättigen', 1991 - Walter Habdank. © Galerie Habdank

'Hungrige sättigen', 1991 - Walter Habdank. © Galerie Habdank

Und siehe, zwei von ihnen gingen an demselben Tage in ein Dorf, das war von Jerusalem etwa zwei Wegstunden entfernt; dessen Name ist Emmaus. Und sie redeten miteinander von allen diesen Geschichten. Und es geschah, als sie so redeten und sich miteinander besprachen, da nahte sich Jesus selbst und ging mit ihnen. Aber ihre Augen wurden gehalten, dass sie ihn nicht erkannten. Er sprach aber zu ihnen: Was sind das für Dinge, die ihr miteinander verhandelt unterwegs? Da blieben sie traurig stehen. Und der eine, mit Namen Kleopas, antwortete und sprach zu ihm: Bist du der einzige unter den Fremden in Jerusalem, der nicht weiß, was in diesen Tagen dort geschehen ist? Und er sprach zu ihnen: Was denn? Sie aber sprachen zu ihm: Das mit Jesus von Nazareth, der ein Prophet war, mächtig in Taten und Worten vor Gott und allem Volk; wie ihn unsre Hohenpriester und Oberen zur Todesstrafe überantwortet und gekreuzigt haben. Wir aber hofften, er sei es, der Israel erlösen werde. Und über das alles ist heute der dritte Tag, dass dies geschehen ist. Auch haben uns erschreckt einige Frauen aus unserer Mitte, die sind früh bei dem Grab gewesen, haben seinen Leib nicht gefunden, kommen und sagen, sie haben eine Erscheinung von Engeln gesehen, die sagen, er lebe. Und einige von uns gingen hin zum Grab und fanden's so, wie die Frauen sagten; aber ihn sahen sie nicht. Und er sprach zu ihnen: O ihr Toren, zu trägen Herzens, all dem zu glauben, was die Propheten geredet haben! Musste nicht Christus dies erleiden und in seine Herrlichkeit eingehen? Und er fing an bei Mose und allen Propheten und legte ihnen aus, was in der ganzen Schrift von ihm gesagt war. Und sie kamen nahe an das Dorf, wo sie hingingen. Und er stellte sich, als wollte er weitergehen. Und sie nötigten ihn und sprachen: Bleibe bei uns; denn es will Abend werden, und der Tag hat sich geneigt. Und er ging hinein, bei ihnen zu bleiben. Und es geschah, als er mit ihnen zu Tisch saß, nahm er das Brot, dankte, brach's und gab's ihnen. Da wurden ihre Augen geöffnet, und sie erkannten ihn. Und er verschwand vor ihnen. Und sie sprachen untereinander: Brannte nicht unser Herz in uns, als er mit uns redete auf dem Wege und uns die Schrift öffnete? Und sie standen auf zu derselben Stunde, kehrten zurück nach Jerusalem und fanden die Elf versammelt und die bei ihnen waren; die sprachen: Der Herr ist wahrhaftig auferstanden und Simon erschienen. Und sie erzählten ihnen, was auf dem Wege geschehen war und wie er von ihnen erkannt wurde, als er das Brot brach.

Lukas 24, 13 – 35

Die Emmausgeschichte

Unter den Auferstehungserscheinungen Christi hat der Emmausbericht einen besonderen Stellenwert. Dieser Osterbericht ist geheimnisvoll, inhaltsreich, und feierlich. Diese Erzählung gehört zu den beliebtesten biblischen Geschichten. Was diese Geschichte besonders spannend macht, sind die Momente, die so rätselhaft sind:

'Die Jünger auf dem Weg nach Emmaus, denen der Herr nahe ist', 1914-1944, Original: Wilhelm Steinhausen

'Die Jünger auf dem Weg nach Emmaus, denen der Herr nahe ist', 1914-1944, Lukaskirche in Frankfurt am Main

  • Warum haben die Emmaus-Jünger den auferstandenen Christus zuerst nicht erkannt?
  • Was hat der Auferstandene den Jüngern aus der Bibel erzählt – als es hieß: Und er fing an bei Mose und allen Propheten und legte ihnen aus, was in der ganzen Schrift von ihm gesagt war? Bei dieser Bibelstunde wäre ich gern dabei gewesen.
  • Ein Jünger wird genannt, Kleopas. Aber es sind zwei. Warum bleibt ein Jünger anonym?
  • Was ist bei dem Brotbrechen passiert, dass der Auferstandene plötzlich erkannt wurde? Haben die Jünger seine Nägelwunde gesehen? Haben sie seine Körpersprache erkannt? Die Frage bleibt offen.

Diese Geschichte ist scheinbar zu schön, um wahr zu sein. Sie wirkt wie eine christliche Legende. Manche Bibelausleger haben die Emmaus-Geschichte als erfundene pädagogische Geschichte verstanden. Einige sogenannte kritische Bibelforscher meinen, dass diese Geschichte kein Augenzeugenbericht sei, sondern dass sich die Urchristenheit diese Geschichte ausgedacht hatte, um zu zeigen, wie sie dazu gekommen ist, an die Auferstehung Christi zu glauben, nämlich nicht durch direktes Sehen, sondern durch Bibelauslegung und durch Mahlgemeinschaft mit dem Auferstandenen.

Man hat die Emmausgeschichte in den letzten 100 Jahren unterschiedlichsten Gattungen zugeordnet

  • „Erzählung“
  • „Legende“
  • „Novelle“
  • „Weggeschichte“
  • „Wiedererkennungs-“ bzw.
  • „Rekognitionsgeschichte“
  • „Legitimationserzählung“
  • „Kultgeschichte“
  • „Mahlbericht“
  • „Gründungslegende der Gemeinde von Emmaus“.

Wir werden heute Abend die Emmausgeschichte näher betrachten. Wir werden uns in diese Geschichte hineinversetzen. Heute Abend sind wir auf dem Weg mit Jesus nach Emmaus.

Lasset uns beten:

Barmherziger, ewiger Gott, wir danken dir für die Auferstehung Jesu Christi, die einen Wendepunkt in der Menschheitsgeschichte darstellt. Seit Ostern ist es nur noch eine Frage der Zeit, bis der Auferstehungssieg überall und endgültig vollendet wird. Seit Ostern brauchen wir zuletzt keine Angst zu haben, was aus uns wird, denn wir sind für Herrlichkeit vorgesehen. Sei mit uns heute Abend, wenn wir uns in eine biblische Geschichte hineinversetzen. Hilf uns, diese Geschichte richtig zu verstehen. Hilf uns, die Botschaften zu erkennen, die dieser Bericht vermitteln will. Hilf uns, den Trost zu empfangen, der von diesem Osterbericht ausgeht. Wir danken dir und preisen dich, heute und für immer. Amen.

Was ist die Emmausgeschichte?

'Gang nach Emmaus', 1988 - Walter Habdank. © Galerie Habdank

'Gang nach Emmaus', 1988 - Walter Habdank. © Galerie Habdank

Ist sie ein Augenzeugenbericht? Ist sie ein Gleichnis, das von Christen erfunden wurde, um Glaubensinhalte zu vermitteln? Ist sie eine didaktische Legende?

Zuerst sollte man sich daran erinnern, wie Lukas sein Evangelium einleitet. Sein Vorwort lautet:

Viele haben es schon unternommen, Bericht zu geben von den Geschichten, die unter uns geschehen sind, wie uns das überliefert haben, die es von Anfang an selbst gesehen haben und Diener des Worts gewesen sind. So habe auch ich's für gut gehalten, nachdem ich alles von Anfang an sorgfältig erkundet habe, es für dich, hochgeehrter Theophilus, in guter Ordnung aufzuschreiben, damit du den sicheren Grund der Lehre erfährst, in der du unterrichtet bist.

Lukas betont drei Dinge hier:

  • Sein Evangelium besteht aus Geschichten, „die unter uns geschehen sind“, die Geschichten sind also nicht erfunden.
  • Diese Geschichten wurden von Zeugen überliefert, „die selbst gesehen haben“, was sie weitervermittelten. Es handelt sich um Augenzeugenberichte.
  • Lukas hat alles von Anfang an „sorgfältig“ überprüft.

Indizien für einen Augenzeugenbericht

Es gibt Indizien, die darauf hinweisen, dass die Emmausgeschichte ein Augenzeugenbericht ist.

Erstens: Lukas erwähnt nur einen Namen, Kleopas. Kleopas ist eine Abkürzung des Namens „Kleopatros“ (die weibliche Form dieses Namens „Kleopatra“ ist ein nicht unbekannter Name). Wenn Lukas diese Geschichte erfunden hätte, wäre es kinderleicht gewesen, dem anonymen Jünger einen Namen zu geben.

Dass nur einer der zwei Emmausjünger genannt wird, macht die Geschichte etwas unausgewogen und unabgerundet. Dass nur Kleopas genannt wird, könnte ein Hinweis sein, dass der Emmausbericht von Kleopas stammte. Eine mögliche Erklärung lautet: Lukas nennt nur die Zeugen mit Namen, bei denen er den Bericht überprüfen konnte, wie er in dem Vorwort zu seinem Evangelium angekündigt hatte.

'Gang nach Emmaus', 1973 - Walter Habdank. © Galerie Habdank

'Gang nach Emmaus', 1973 - Walter Habdank. © Galerie Habdank

Gerade bei den Auferstehungsberichten sehen wir, wie sorgfältig die Evangelisten mit Namen umgehen. Markus gilt als das älteste Evangelium. In Markus werden drei Frauen mit Namen genannt, die am Grab waren. Obwohl Matthäus das Markusevangelium als Vorlage hatte, nennt er nur zwei dieser Frauen mit Namen. Lukas hatte auch Markus als Vorlage, aber er spricht von mindestens 5 Frauen, die am Grab waren und nennt zwei Frauen mit Namen, die auch Markus nennt, und eine dritte Frau mit einem Namen, die bei Markus und Matthäus nicht vorkommt.

Warum haben Matthäus und Lukas nicht einfach die Namensliste des Markus übernommen? Vermutlich haben sie nur die Frauen genannt, mit denen sie persönlich gesprochen hatten oder bei denen sie den Bericht überprüfen konnten.

Das würde erklären, warum nur einer der Emmaus-Jünger mit Namen genannt wurde.

Es gibt einen christlichen Zeugen mit dem Namen Hegesippus, der im Jahre 100 geboren ist und im Jahre 180 starb. Nach seiner Aussage war Kleopas der Bruder von Josef, dem Stiefvater Jesu. Der ungenannte Emmaus-Jünger war laut Hegesippus der Sohn von Kleopas und hieß Simeon. Dieser Simeon war der zweite Leiter der Gemeinde in Jerusalem. Der erste Leiter der Urgemeinde in Jerusalem war Jakob, ein leiblicher Bruder von Jesus, der im Jahre 62 gemartert wurde. Simeon, sein Nachfolger als Bischof von Jerusalem, wurde im Jahre 107 gekreuzigt; er war über 90 Jahre, vielleicht sogar über 100 Jahre alt. Dieser Simeon war also ein Vetter Jesu, und er gilt in christlicher Tradition als die letzte Person, die Jesus mit eigenen Augen gesehen hatte.

Aber diese Informationen über Simeon gelten nicht als historisch bewiesen, denn es fehlt die Bestätigung durch andere Quellen.

Wusste Lukas, wo Emmaus liegt?

Ein Grund, weshalb die Emmaus-Geschichte als frommer Mythos galt, hing damit zusammen, dass Lukas scheinbar keine Ahnung hatte, wo sich Emmaus befindet.

„Und siehe, zwei von ihnen gingen an demselben Tage in ein Dorf, das war von Jerusalem etwa zwei Wegstunden entfernt; dessen Name ist Emmaus“

In dem Urtext steht nicht „zwei Wegstunden“, sondern „60 Stadien“, d. h. 11, 3 Kilometer. Es gibt tatsachlich eine bekannte Stadt, die Emmaus heißt, aber sie liegt 176 Stadien westlich von Jerusalem entfernt, d. h. 32 Kilometer. Das sind etwa 5 oder 6 Wegstunden. Und die zwei Jünger mussten diese Entfernung zwei Mal an einem Tag bewältigen. Denn gegen Abend – etwa 18 Uhr - waren sie in Emmaus angekommen und nachdem sie entdeckten, dass der Auferstandene mit ihnen das Brot brach, kehrten sie sofort nach Jerusalem zurück. Aber sie mussten Jerusalem erreichen, ehe die Stadttore von Jerusalem bei Dunkelheit zugeschlossen wurden. Zu dieser Jahreszeit war es in Jerusalem um 19 Uhr dunkel. Das ist, zeitlich gesehen, völlig unmöglich, wenn sie in der Stadt Emmaus gewesen wären. (Auch wenn sie olympische Leichtathleten gewesen wären, hätten sie es nicht geschafft. Auch nicht mit Dopingmitteln.)

Bibelforschung und Archäologie machen immer wieder neue Entdeckungen. So wurden im Jahre 2001 Reste eines Dorfes entdeckt, das im ersten Jahrhundert Emmaus hieß.

Dieses Emmaus war ein schattiger Vorort von Jerusalem, das im Sommer nicht zu heiß wurde. Hier wohnten einmal wohlhabende Juden. Der Ort hieß nachweislich in neutestamentlicher Zeit Emmaus und ist etwa 30 Stadien von Jerusalem entfernt. Es wird vermutet, dass Lukas mit der Streckenangabe „60 Stadien“ (Lukas 24, 12) den Hin- und Rückweg meinte.

Nach Rechnung eines Archäologen liegt die Ausgrabungsstätte, das vermutliche Emmaus, 8,5 Kilometer westlich von Jerusalem entfernt. Wer von Jerusalem zu diesem Dorf wandert, braucht etwa anderthalb Stunden. Wenn es stimmt, dass dieses Dorf tatsächlich das Emmaus des Lukasevangeliums ist, dann ist deutlich, wie sorgfältig Lukas geschrieben hat.

Lukas erwähnt zwei Mal, dass Emmaus ein „Dorf“ war und er gibt die ungefähre Entfernung an. Es ist als ob Lukas folgendes klarstellen wollte:

„Es gibt eine Stadt mit Namen Emmaus und es gibt ein Dorf, das so heißt. Ich meine nicht die Stadt, sondern das Dorf. Das Dorf ist nach meinen Kenntnissen etwa 11 Kilometer von Jerusalem entfernt.“

Es ergibt sich die Frage: wenn die Emmaus-Geschichte eine erfundene pädagogische Geschichte wäre, warum würde sich Lukas sonst die Mühe machen, den Ort des Geschehens so sorgfältig zu lokalisieren?

Die Erzählung

Zwei von ihnen

'Icon of saint womens who went to Tomb of Christ', end of XV - beg. of XVI c.

'Icon of saint womens who went to Tomb of Christ', end of XV - beg. of XVI c.

Diese zwei gehörten nicht zu den Zwölfen, aber sie gehörten zur Jüngerschar. Um diese zwei einzuordnen, muss man wissen, was vorher geschehen war. Lukas berichtet folgendes

Aber am ersten Tag der Woche sehr früh kamen sie zum Grab und trugen bei sich die wohlriechenden Öle, die sie bereitet hatten. Sie fanden aber den Stein weggewälzt von dem Grab und gingen hinein und fanden den Leib des Herrn Jesus nicht. Und als sie darüber bekümmert waren, siehe, da traten zu ihnen zwei Männer mit glänzenden Kleidern. Sie aber erschraken und neigten ihr Angesicht zur Erde. Da sprachen die zu ihnen: Was sucht ihr den Lebenden bei den Toten? Er ist nicht hier, er ist auferstanden. Gedenkt daran, wie er euch gesagt hat, als er noch in Galiläa war: Der Menschensohn muss überantwortet werden in die Hände der Sünder und gekreuzigt werden und am dritten Tage auferstehen. Und sie gedachten an seine Worte.
Und sie gingen wieder weg vom Grab und verkündigten das alles den elf Jüngern und den andern allen. Es waren aber Maria von Magdala und Johanna und Maria, des Jakobus Mutter, und die andern mit ihnen; die sagten das den Aposteln. Und es erschienen ihnen diese Worte, als wär's Geschwätz, und sie glaubten ihnen nicht. Petrus aber stand auf und lief zum Grab und bückte sich hinein und sah nur die Leinentücher und ging davon und wunderte sich über das, was geschehen war.

Die zwei Emmausjünger gehörten zu denen, die gehört hatten, was die Frauen berichteten, aber hielten es für Geschwätz. Es geht jetzt nicht bloß um Chauvinismus oder Frauenfeindlichkeit. Es geht nicht nur darum, dass es Frauen waren, die von Engelerscheinungen und von einer Auferstehungsbotschaft berichteten.

Sondern die Geschichte der Frauen war tatsächlich nicht ganz nachvollziehbar. Die Frauen hatten zwar gesehen, dass das Grab leer war, aber Jesus selber hatten sie nicht gesehen; sie hatten nur die Botschaft eines Engels gehört. Wenn Jesus wirklich auferstanden war, warum ist er nicht sofort zu den Jüngern gegangen, um sie zu trösten? Wenn er wirklich auferstanden war, wo war er? Ist es nachvollziehbar, dass Jesus sich von den Jüngern fernhalten würde, wenn er wirklich auferstanden ist?

Also gingen zwei Jünger aus Emmaus resigniert wieder nach Hause.

Da blieben sie traurig stehen

Das Wort, das hier als „traurig“ übersetzt wird, kann auch finsterblickend, trübselig, verstört bedeuten.

Ihre Augen wurden gehalten

Jesus überholt die zwei Jünger auf dem Weg und geht mit ihnen, aber sie erkennen ihn nicht. Warum haben sie Jesus nicht erkannt?

Es gibt zwei Erklärungen dazu.

'Emmaus, Resurrection appearances of Jesus', Giovanni and Francesco Cagnola, end of XV century - beginning of XVI century

'Emmaus, Resurrection appearances of Jesus', Giovanni and Francesco Cagnola

Erstens heißt es „Ihre Augen wurden gehalten“. Lukas verwendet ein Wort, das bedeuten kann: Ergreifen, bezwingen, unter Kontrolle bringen, in Besitz nehmen. Das Wort kommt noch einmal bei Lukas vor. Wenn Jesus die Tochter des Jairus von den Toten auferweckt, „ergreift“ er ihre Hand. Er ist der Handelnde, der über Tod und Leben verfügt, er zieht das Mädchen vom Tod ins Leben, indem er ihre Hand ergreift.

Das heißt: die Fähigkeit, den Auferstandenen zu erkennen, liegt nicht in der Hand des Betrachters. Gott verfügt über die Sehfähigkeit des Menschen. Dass Gott alles unter Kontrolle hat, wird auch durch die Passivform angedeutet: „ihre Augen wurden gehalten“. Die Passivform ist im Judentum eine Umschreibung für Gott, denn Juden vermeiden es, direkt von Gott zu sprechen. „Ihre Augen wurden gehalten“ bedeutet: „Gott hat ihre Augen zugehalten“.

Aber es gibt eine weitere Erklärung für das Unvermögen, den Auferstandenen zu erkennen. Auferstehung bedeutet auch Verwandlung, Vollendung und Neuschöpfung. Der alte Leib ist wie ein Weizenkorn im Vergleich zu den Ähren, die sich daraus entfalten. Die neue Leiblichkeit ist wie ein Schmetterling im Vergleich zu der Raupe, die vorher war.

Aber noch wichtiger ist, dass Auferstehung ein Protest Gottes gegen Ungerechtigkeit ist. Jesus wurde durch die Kreuzigung körperlich entstellt und erniedrigt. Ein Kreuzigungsopfer sieht nicht mehr menschlich aus. Auferstehung ist deshalb nicht bloß eine Wiederherstellung des alten Menschen, sondern durch Auferstehung will Gott seine Gerechtigkeit verwirklichen. Die Wüsten sollen blühen – auch die seelischen Wüsten - , Gott will seine geschundene Schöpfung als Paradies vollenden. Auferstehung ist eine Wirklichkeit, die wir noch nicht kennen. Und das heißt: wenn ein Auferstandener unter uns anwesend wäre, könnten wir zunächst nicht einordnen, was wir sehen.

Es ist also gewollt, dass die Emmaus-Jünger Jesus nicht sofort erkennen. Aber warum sollten sie ihn nicht sofort erkennen? Es geht hier auch um die Frage, wie Osterglaube zu entstehen hat.

In diesem Zusammenhang sollte man an die Geschichte von dem reichen Mann und dem armen Lazarus denken, die im Lukasevangelium vorkommt. Der reiche Mann kam in die Hölle und dachte an seine Brüder. Er wollte sie warnen und fragte, ob es möglich wäre, dass Lazarus zu ihnen geschickt werden könnte. Denn wenn jemand erscheinen würde, der tot gewesen war, würde sie das zur Umkehr zwingen. Die Antwort aber lautete: „Sie haben Mose und die Propheten; die sollen sie hören.“ Das heißt: sie haben die Bibel. Der Mann in der Hölle meinte aber, dass das nicht ausreichend wäre. Seiner Meinung nach brauchten die Brüder ein spektakuläres Zeichen wie eine Totenauferweckung. Und die Antwort lautet:

Hören sie Mose und die Propheten nicht, so werden sie sich auch nicht überzeugen lassen, wenn jemand von den Toten auferstünde.

Dasselbe gilt für die Anhänger Jesu. Sie sollen an die Auferstehung glauben. Aber es genügt nicht, dass Jesus bloß erscheint. Eine Sensation kann keinen tiefgründigen Glauben erzeugen. Echter Glaube entspringt aus dem Wort Gottes, das in der Bibel verankert ist.

Deswegen gibt sich Jesus nicht sofort zu erkennen, sondern will mit den Emmausjüngern über die Bibel sprechen. Aber nicht sofort. Zuerst will er zuhören.

Er sprach aber zu ihnen: Was sind das für Dinge, die ihr miteinander verhandelt unterwegs?

Wie gesagt: Jesus gibt sich nicht sofort zu erkennen, sondern will mit den Emmausjüngern über die Bibel sprechen. Aber nicht sofort. Zuerst will er zuhören. Deswegen lädt er sie dazu ein, zu erzählen, was in den letzten Tagen passiert ist.

Eine persönliche Erinnerung.

'Der Gang nach Emmaus', Joseph von Führich, 1837

'Der Gang nach Emmaus', Joseph von Führich, 1837

Einmal in dem Bürgermeister-Gräf-Haus (ein Altersheim) habe ich mit den Bewohnern über diese Emmausgeschichte gesprochen. Ich war wesentlich jünger damals, und ich neigte dazu, manchmal eine lässige Sprache zu verwenden, um die Bibel anschaulicher zu machen. Ich erzählte in dieser Gruppe von Senioren von der Behutsamkeit Jesu. Ich sagte: Jesus kam zu den Emmausjüngern und hat ihr Gespräch nicht unterbrochen, sondern hat zuerst höflich zugehört. Er kam nicht dazu und sagte. „Halt’s Maul, jetzt rede ich.“

Als ich das sagte, fing eine Frau in der Gruppe an fast hysterisch zu lachen, denn meine flapsige Bemerkung kam für sie völlig unerwartet. Es war kein oberflächliches Lachen. Die Frau bekam einen Lachkrampf, so wie das bei 13-jährigen Mädchen vorkommt. Sie konnte nicht mehr richtig atmen und wurde rot im Gesicht. Ich habe Angst bekommen, dass sie ersticken würde. Ich habe schon die Überschrift in der Bild-Zeitung gesehen: „Pfarrer bringt eine Frau im Altersheim um mit einer flapsigen Bemerkung“. Die Rettung kam durch die anderen Frauen in der Gruppe, die sie fragten, warum sie so lachte. Denn sie verstanden nicht, was los war. Es wurde der lachenden Frau peinlich, und sie kam langsam zu sich. Sie suchte nach einer Ausrede – sie behauptete, dass sie ein lustiges Geräusch irgendwo gehört hätte - , und begann, wieder regelmäßig zu atmen. Dann begann ich auch wieder zu atmen.

Aber sie hat verstanden, wie Jesus ist. Er kommt nicht in eine Gruppe und sagt: „Halt’s Maul, jetzt bin ich hier.“ Sondern er kann zuhören.

Das mit Jesus von Nazareth, der ein Prophet war, mächtig in Taten und Worten vor Gott und allem Volk; wie ihn unsre Hohenpriester und Oberen zur Todesstrafe überantwortet und gekreuzigt haben. Wir aber hofften, er sei es, der Israel erlösen werde.

Sie bezeichnen Jesus als „Propheten“, nicht als „Messias“. Denn wenn er der Messias gewesen wäre, wäre er nicht am Kreuz gescheitert – nach Auffassung des damaligen Judentums.

Sie sagen nicht: Jesus hat uns enttäuscht. Oder: Jesus hat versagt. Sie sind vielmehr über die führenden Personen des jüdischen Volkes enttäuscht, die Jesus zur Kreuzigung ausgeliefert hatten. Denn die Hohenpriester und Anführer sind die Vertreter Gottes. Die Frage, die hier nicht ausgesprochen wird, lautet: Warum hat Gott das zugelassen?

Die Mentalität der Emmaus-Jünger kann man im Koran nachlesen. Der Islam akzeptiert die Kreuzigung Jesu nicht, denn nach Auffassung des Islam würde Gott es nicht zulassen, dass ein echter Prophet, der von Gott gesandt ist, gewaltsam umkommt. Der Koran behauptet: nicht Jesus, sondern ein anderer ist am Kreuz gestorben.

Hier sieht man die Denkweise der antiken Welt: Gott lässt es nicht zu, dass seine Gesandten scheitern.

Und über das alles ist heute der dritte Tag, dass dies geschehen ist.

'Emmaustisch', 1984 - Walter Habdank. © Galerie Habdank

'Emmaustisch', 1984 - Walter Habdank. © Galerie Habdank

Es gab damals im jüdischen Volk die Vorstellung, dass die Seele eines Menschen drei Tage in der Nähe des Grabes verweilt, bis sie sich endgültig von dem Körper scheidet. Solange die Seele in der Nähe ist, so lange kann es Hoffnung auf Wiederbelebung geben. Aber jetzt ist die Frist abgelaufen. Drei Tage sind vorbei, und nichts ist passiert. Alle Hoffnungen sind buchstäblich begraben.

Auch haben uns erschreckt einige Frauen aus unserer Mitte, die sind früh bei dem Grab gewesen, haben seinen Leib nicht gefunden, kommen und sagen, sie haben eine Erscheinung von Engeln gesehen, die sagen, er lebe. Und einige von uns gingen hin zum Grab und fanden's so, wie die Frauen sagten; aber ihn sahen sie nicht.

Diese Stelle macht deutlich, dass der Glaube an die Auferstehung nicht leichtfertig entstanden ist. Es wird manchmal behauptet, dass die Auferstehungserscheinungen Jesu bloß Visionen waren, die aus einem Wunschdenken entsprungen wären.

Wenn die Jünger leichtgläubig sein wollten, hätten sie genügend Anhaltspunkte gehabt: das Grab war leer, Frauen hatten Engel gesehen, die verkündeten, dass Jesus lebt.

Diese Anhaltspunkte wären in der heutigen Zeit für manche Journalisten mehr als ausreichend. Wenn es damals eine Boulevardzeitung gegeben hätte, wäre die Überschrift programmiert: „Jesus lebt!“

Aber so leichtgläubig waren die Jünger nicht. Sie gingen hin zum Grab und überprüften, ob es tatsächlich leer war. Aber sie haben Jesus nicht selber gesehen, und das ist das Ausschlaggebende. Sie sind nicht bereit, einen Bericht aus zweiter Hand zu akzeptieren. Dass die zwei Emmaus-Jünger nicht in Jerusalem verweilt haben, um abzuwarten, zeigt, dass sie nicht bereit waren, anhand von unbestätigten Berichten an eine Auferstehung zu glauben.

Und er sprach zu ihnen: O ihr Toren, zu trägen Herzens, all dem zu glauben, was die Propheten geredet haben!

Überraschend in der Erwiderung Jesu ist, dass er die Jünger „träge“ nennt. Dass sie nicht glauben, was in der Bibel steht, hängt damit zusammen, dass sie im Herzen zu träge sind – d. h. zu starr, zu bequem, zu unbeweglich, zu faul. Sie sind vergleichbar mit Menschen heute, die behaupten, dass die Auferstehung Christi ein Märchen ist, ohne sich vorher zu informieren. Manche Leute sind zu faul, um die Bibel aufzuschlagen und die Osterberichte zu lesen, ehe sie sich ein Urteil erlauben.

Ein Grund, weshalb es heutzutage so schwer geworden ist, echte Atheisten zu finden, hängt damit zusammen, dass zu viele Menschen zu träge sind, um „anständige“ Atheisten zu sein.

Musste nicht Christus dies erleiden...?

Warum heißt es „musste“? Die Antwort ist ganz einfach: Wir müssen leiden und sterben, deswegen musste auch Christus leiden und sterben. Denn wenn er nicht gelitten hätte und gestorben wäre, wie wir es müssen, könnten wir keine Gemeinschaft mit Gott finden.

Das Urproblem der Menschheit ist der Abstand zwischen Mensch und Gott. Wir können nicht zu Gott hochsteigen, also muss er zu uns hinabsteigen, wenn eine Beziehung zwischen Gott und Mensch entstehen soll. Wenn Christus nicht gelitten hätte und gestorben wäre, wäre er für uns kein Trost, wenn wir leiden und sterben. Leiden und Sterben wären für uns buchstäblich gott-los geblieben. Aber weil Christus den Tod erlitten hat, gilt die Verheißung von Psalm 23: „Und ob ich schon wanderte im finsteren Tal (wortwörtlich: im Tal des Todesschattens) fürchte ich kein Unglück, denn du bist bei mir...“

...und in seine Herrlichkeit eingehen?

Hier ist es auffallend, wie Auferstehung beschrieben wird. Um diese Stelle zu verstehen, muss man zurückdenken an die Verklärung Jesu. Matthäus, Markus und Lukas berichten alle von der Verklärung. Jesus ging auf einen hohen Berg und wurde vor den Augen der drei vertrautesten Jünger – Petrus, Johannes und Jakobus – verwandelt. Jesus leuchtete wie die Sonne. Mose und Elia sind erschienen und redeten mit Jesus. Jeder Evangelist beschreibt dieses Ereignis auf seine eigene Weise. Bei Lukas kommen zwei Worte vor, die für ihn eigentümlich sind.

Ausschnitt aus 'Die Verklärung Jesu' - Ikonen-Museum Recklinghausen

Ikonen-Museum Recklinghausen: Die Verklärung Jesu (Ausschnitt)

Erstens berichtet Lukas, dass Mose und Elia mit Jesus über seinen bevorstehenden „Exodus“ redeten. Exodus bedeutet wortwörtlich „Ausweg“ bzw. „Auszug“ „Exodus“ ist der Fachausdruck für den Auszug Israels aus Ägypten. Israel zog durch das Schilfmeer, aus der Knechtschaft in die Freiheit. Dieser Auszug war unwiderruflich, denn die ägyptische Armee, die die Israeliten zurückholen wollte, ist im Meer untergegangen. Israel erreichte das jenseitige Ufer, und sollte für immer auf dieser Seite des Schilfmeeres bleiben. Das ist“ Exodus“ und das ist das Urbild der Auferstehung Christi.

Das heißt: Auferstehung ist nicht Widerbelebung – also keine Rückkehr zu diesem Leben – und Auferstehung ist auch keine Seelenbefreiung. Auferstehung ist Auszug. Auferstehung ist ein Hindurchgehen. Der ganze Mensch zieht durch den Tod hindurch zu einem jenseitigen Ufer.

Und wie heißt dieses jenseitige Ufer? Lukas beantwortet diese Frage bei der Verklärung Jesu. Zweimal berichtet er, dass Jesus, Mose und Elia in „Herrlichkeit“ erschienen sind. Die Verklärung ist eine Vorschau der Herrlichkeit, für die wir Menschen vorgesehen sind.

„Herrlichkeit“ ist ein Lieblingswort des Lukas. Bei der Geburtsgeschichte Jesu berichtet Lukas drei Mal von der Herrlichkeit Gottes. Bei seiner Geburt war Jesus die Verkörperung der Herrlichkeit Gottes auf Erden. Bei seinem Tod ist Jesus in die Herrlichkeit zurückgekehrt, damit wir wissen können, wohin er uns führen wird, wenn wir sterben müssen.

Und er fing an bei Mose und allen Propheten und legte ihnen aus, was in der ganzen Schrift von ihm gesagt war.

Dies war sicherlich die aufregendste Bibelstunde aller Zeiten. Weil der Weg zwischen Jerusalem und Emmaus etwa anderthalb Stunden zu Fuß dauerte, können wir davon ausgehen, dass Jesus mindestens eine Stunde lang die Bibel ausgelegt hatte.

Welche Stellen des Alten Testamentes hat er den Emmaus-Jüngern vorgeführt? Es gibt eine Vielfalt von Möglichkeiten, denn das Neue Testament ist übersät mit Zitaten aus dem Buch, das wir „Altes Testament“ nennen. Es ist ausgerechnet worden, dass es im Neuen Testament bis zu 638 Zitate aus der hebräischen Bibel gibt. Aber abgesehen von den direkten Zitaten gibt es auch unzählige Anspielungen auf alttestamentliche Inhalte.

Wir können ziemlich sicher sein, dass Jesaja 53 auf dem Weg nach Emmaus ausgelegt wurde: Jesaja 53 beschreibt den leidenden Knecht Gottes, der wie ein Opferlamm stellvertretend für das Volk geopfert wird. Da gibt es eine Reihe von markanten Worten: „Fürwahr er trug unsere Krankheit und lud auf sich unsere Schmerzen...durch seine Wunden sind wir geheilt“. Jesaja 53 wird im Neuen Testament mindestens 28 Mal direkt zitiert.

Und sie kamen nahe an das Dorf, wo sie hingingen. Und er stellte sich, als wollte er weitergehen.

'Christus erscheint zwei pilgernden Apostel in Emmaus', Duccio di Buoninsegna, 1308-1311

'Christus erscheint zwei pilgernden Apostel in Emmaus', Duccio di Buoninsegna

Hier sehen wir noch einmal die Höflichkeit Jesu. Er drängt sich nicht auf. Er kehrt nur dort ein, wo er eingeladen wird. Und diese Höflichkeit Jesu ist gleichzeitig die Höflichkeit Gottes. Gott respektiert die Entscheidungs-Würde eines Menschen. Er zwingt niemandem, sich für ihn oder für das Gute zu entscheiden. Niemand wird dazu gezwungen, die Gnade Gottes anzunehmen. Deswegen gibt es in der Kirche keinen Zwang, am Abendmahl teilzunehmen. Das Abendmahl ist immer nur eine Einladung, Tischgemeinschaft mit Jesus zu feiern.

Und sie nötigten ihn und sprachen: Bleibe bei uns; denn es will Abend werden, und der Tag hat sich geneigt. Und er ging hinein, bei ihnen zu bleiben.

Und es geschah, als er mit ihnen zu Tisch saß, nahm er das Brot, dankte, brach's und gab's ihnen. Da wurden ihre Augen geöffnet, und sie erkannten ihn. Und er verschwand vor ihnen.

Die Formulierungen erinnern an die Einsetzungsworte des Abendmahls: nahm er das Brot, dankte, brach's und gab's ihnen.

Die spannende Frage hier lautet: Warum wurde der Auferstandene in diesem Moment erkannt?
Es hat viele Spekulationen gegeben:
Als er das Brot brach, wurden die Nägelwunden sichtbar.
Als er das Brot brach, wurde seine charakteristische Körpersprache erkannt.

Aber die eigentliche Erklärung ist wahrscheinlich in der Passiv-Formulierung zu sehen: Ihre Augen wurden geöffnet = Gott hat ihre Augen geöffnet.

Das heißt: Osterglaube ist ein Geschenk Gottes. Aber dieses Geschenk wird nicht in einem luftleeren Raum verteilt, sondern hat Anhalspunkte: Bibelauslegung und Tischgemeinschaft mit dem Auferstandenen. Dass Jesus verschwunden war, nachdem er erkannt wurde, ist ein Zeichen, dass seine körperliche Anwesenheit nicht mehr relevant ist. Die Botschaft hier lautet: der Auferstandene ist überall dort anwesend, wo die Bibel ausgelegt und das Abendmahl gefeiert wird.

Und sie sprachen untereinander: Brannte nicht unser Herz in uns, als er mit uns redete auf dem Wege und uns die Schrift öffnete?

'Supper at Emmaus', Michelangelo da Caravaggio, painted for Ciriaco Mattei in 1601-02

'Supper at Emmaus', Michelangelo da Caravaggio, painted for Ciriaco Mattei in 1601-02

Auffallend in diesem Bild ist der Jünger zur rechten Seite (von uns aus gesehen), der seine Arme weit ausbreitet, als ob er versuchen möchte, das Unendliche zu erfassen. Durch seine Geste stellt er eine Verbindung her zwischen Jesus und uns, die wir zuschauen. Auffallend ist auch, wie jung Jesus aussieht, und dass er ohne Bart dargestellt wird - wie in den frühesten Darstellungen von Jesus in den ersten Jahrhunderten.

Nachträglich stellen die Jünger fest, dass ihre Herzen brannten, als der Auferstandene mit ihnen redete und die Schrift auslegte.

Diese Erfahrung steht uns auch zur Verfügung. Wenn man sieht, wie Altes und Neues Testament zusammenhängen, wenn man erkennt, wie das Werk Jesu Christi im Alten Testament schon vorliegt, dann brennt etwas im Herzen. In dem 2. Buch Mose gibt es Vorlagen für die Kreuzigung und Auferstehung Jesu. Aber allein wird man sie nicht entdecken. Man braucht Hilfe. Deswegen gibt es Gottesdienste und Bibelgesprächskreise.

Das Brennen des Herzens bei den Emmaus-Jüngern erinnert an den Propheten Jeremia, der das Wort Gottes als inneres Feuer erlebte. Jeremia wollte das Wort Gottes nicht mehr verkündigen, weil er sich lächerlich gemacht hatte, als er Gottes Wort verkündete. Aber er konnte es zuletzt nicht ertragen, das Wort Gottes für sich zu behalten. Er schrieb folgendes:

Ich will nicht mehr an ihn denken und nicht mehr in seinem Namen predigen. Aber es ward in meinem Herzen wie ein brennendes Feuer, in meinen Gebeinen verschlossen, dass ich's nicht ertragen konnte; ich wäre schier vergangen.

Und so ging es offenbar den Emmaus-Jüngern. Sie mussten sofort berichten, was sie gerade erlebt hatten:

Und sie standen auf zu derselben Stunde, kehrten zurück nach Jerusalem und fanden die Elf versammelt und die bei ihnen waren; die sprachen: Der Herr ist wahrhaftig auferstanden und Simon erschienen. Und sie erzählten ihnen, was auf dem Wege geschehen war und wie er von ihnen erkannt wurde, als er das Brot brach.

So ist Osterglaube; man kann ihn nicht für sich behalten.

Körpersprache

Ein Merkmal des Lukasevangeliums ist die auffallende Körpersprache des Auferstandenen, besonders in der Emmausgeschichte.

Er geht mit den Jüngern, er bleibt mit ihnen stehen, in Emmaus tut er so, als ob er weitergehen wollte, er nahm das Brot, dankte, brach’s und gab ihnen. Später als die Jünger in Jerusalem versammelt waren, wird die Körpersprache noch eindeutiger. Jesus erscheint, und die Jünger meinen zuerst, dass sie ein Gespenst sehen. Jesus erkennt sofort, was sie denken und sagt folgendes.

Seht meine Hände und meine Füße, ich bin's selber. Fasst mich an und seht; denn ein Geist hat nicht Fleisch und Knochen, wie ihr seht, dass ich sie habe. Und als er das gesagt hatte, zeigte er ihnen die Hände und Füße. Als sie aber noch nicht glaubten vor Freude und sich verwunderten, sprach er zu ihnen: Habt ihr hier etwas zu essen? Und sie legten ihm ein Stück gebratenen Fisch vor. Und er nahm's und aß vor ihnen.

Diese Leiblichkeit des Auferstandenen ist wichtig aus zwei Gründen. Es macht deutlich, dass die Auferstehungserscheinungen nicht bloß subjektive Visionen waren, sondern der Auferstandene war buchstäblich handfest erschienen. Er hat Knochen, er kann angefasst werden und er kann etwas essen.

Dieses Zeugnis ist deswegen wichtig, weil es so tröstlich ist. Die tiefste Sehnsucht des Herzens besteht darin, unvergänglich mit denen verbunden zu sein, die man liebt. Scheinbar bedeutet der Tod ein absolut endgültiger Abschied von geliebten Menschen. Aber die Osterberichte führen vor, was Gott mit uns in Ewigkeit vorhat. Gott will nicht nur, dass die Seelen in den Himmel fliegen, wenn wir sterben. Das wäre zu wenig, das wäre sogar trostlos.

Was wir zutiefst brauchen, ist die Verheißung, dass wir unsere Geliebten sehen und anfassen können, wenn wir ihnen in der ewigen Herrlichkeit Gottes begegnen. Und durch die Auferstehungserscheinung Jesu wird uns diese Verheißung vermittelt, die der tiefsten Sehnsucht des Herzens entspricht.

Lasset uns beten:

Ewiger Gott,
wir danken dir für den Emmaus-Bericht, der uns vor Augen führt, wie Osterglaube entsteht. Hilf uns, dass wir nicht träge im Herzen sind, sondern die Bibel lesen und auslegen im Sinne Jesu Christi. Wir danken Dir für das Abendmahl, das uns Tischgemeinschaft mit dem Gekreuzigten und Auferstandenen anbietet. Hilf uns, dieses Sakrament mit Ehrfurcht und Dankbarkeit zu feiern. Und hilf uns auch, Zeuginnen und Zeugen der Auferstehung zu sein. Gib uns Gelegenheiten, das weiter zu erzählen, was wir erlebt und entdeckt haben, damit andere getröstet werden. Wir danken dir, dass wir für Herrlichkeit vorgesehen sind, weil Christus in seine Herrlichkeit eingegangen ist. Dafür danken wir dir, heute und für immer.

Folgende Abbildungen gehören zum "Public Domain", weil ihr Copyright abgelaufen ist:
'Supper at Emmaus', Michelangelo da Caravaggio, painted for Ciriaco Mattei in 1601-02
Rekonstruktion des Bildes 'Die Jünger auf dem Weg nach Emmaus, denen der Herr nahe ist', Lukaskirche Frankfurt am Main, 1914-1944
'Icon of saint womens who went to Tomb of Christ', end of XV - beg. of XVI c.
Folgende Abbildung wurde unter der GNU-Lizenz für freie Dokumentation veröffentlicht.
'Emmaus, Resurrection appearances of Jesus', Giovanni and Francesco Cagnola, end of XV century - beginning of XVI century
Das Gemälde 'Der Gang nach Emmaus', Joseph von Führich, 1837, und dessen Reproduktion gehört weltweit zum "public domain". Das Bild ist Teil einer Reproduktions-Sammlung, die von The Yorck Project zusammengestellt wurde. Das copyright dieser Zusammenstellung liegt bei der Zenodot Verlagsgesellschaft mbH und ist unter GNU Free Documentation lizensiert.

Wir danken dem Ikonenmuseum Recklinghausen (www.kunst-in-recklinghausen.de/6im.html) für die Genehmigung, Ikonen aus diesem Museum kostenlos zeigen zu dürfen.

Wir danken Frau Friedgard Habdank sehr herzlich, dass sie uns die Bilder ihres Mannes auf so großzügige und kostenlose Weise zur Verfügung gestellt hat.
© Galerie Habdank, www.habdank-walter.de