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Predigten von Pfarrer Phil Schmidt: Judica: Hebräerbrief 5, 7 – 9 Warum Jesus geschrieen hat

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'Maria, du Pforte zum Himmel', 2009, Wolfgang Sauber

Judica

Warum Jesus geschrieen hat Hebräerbrief 5, 7 – 9

Predigt gehalten von Pfarrer Phil Schmidt 2010

Und er hat in den Tagen seines irdischen Lebens Bitten und Flehen mit lautem Schreien und mit Tränen dem dargebracht, der ihn vom Tod erretten konnte; und er ist auch erhört worden, weil er Gott in Ehren hielt. So hat er, obwohl er Gottes Sohn war, doch an dem, was er litt, Gehorsam gelernt. Und als er vollendet war, ist er für alle, die ihm gehorsam sind, der Urheber des ewigen Heils geworden, genannt von Gott ein Hoherpriester... Hebräerbrief 5, 7 – 9

Ein Pfarrer, ein Missionar und eine alte Frau starben zur gleichen Zeit und standen vor dem Himmelstor. Ein Wächter stand vor dem Tor, aber es war nicht Petrus, sondern ein anderer Mann. Dieser Wächter stellte die Frage, auf die alle gewartet hatten: „Warum soll ich euch erlauben, in den Himmel einzutreten?“

Der Pfarrer antwortete zuerst: „Also, ich war 40 Jahre lang im Dienst der Kirche. Außer der Gemeindearbeit war ich in verschiedenen Synoden und Gremien; ich habe immer gewissenhaft gearbeitet.“ Der Wächter fragte: „Aber kennst du Jesus?“ Der Pfarrer war von dieser Frage irritiert und erwiderte: „Hätte ich das alles tun können, wenn ich ihn nicht gekannt hätte?“

Dann wurde der Missionar gefragt: „Warum soll ich dir erlauben, in den Himmel einzutreten?“ Er erwiderte: “Ich habe mich in einem afrikanischen Land aufgeopfert. Ich habe den einheimischen Kindern Lesen und Schreiben beigebracht, ich übersetzte die Bibel in die Sprache des Stammes, unter dem ich wohnte; mit anderen zusammen habe ich eine medizinische Klinik errichtet.“ Dann kam wieder die Frage: „Aber kennst du Jesus?“ Auch der Missionar konnte diese Frage nicht nachvollziehen, sondern antwortete: „Hätte ich so viel in seinem Namen leisten können, wenn ich ihn nicht gekannt hätte?“

Dann kam die alte Frau dran. Und wieder ging es um die Frage, ob sie in den Himmel eintreten dürfte. Die Frau hat davon gesprochen, wie sie auf ihre bescheidene Weise das Christsein gelebt hatte: sie war in ihrer Gemeinde aktiv, sie betete regelmäßig, las eifrig in der Bibel und versuchte, hier und dort zu helfen, je nachdem wie sie gebraucht wurde. Dann kam wiederum die Frage des Wächters: „Aber kennen Sie Jesus?“ Die alte Frau lächelte und sagte: „Aber selbstverständlich, Herr! Ich habe dich sofort erkannt.“ Nur diese Frau hat also erkannt, wer vor dem Himmelstor stand.

Diese Geschichte veranschaulicht, dass der Zugang zu der ewigen Herrlichkeit Gottes nicht von Leistungen im Namen Jesu abhängt, sondern von einer persönlichen Beziehung zu Jesus. Diese Geschichte erinnert auch an die Auferstehungserscheinungen Christi. Lukas und Johannes berichten, dass der Auferstandene nicht automatisch zu erkennen war. Obwohl die Jünger jahrelang mit ihm zusammen waren und sich für ihn viel aufgeopfert hatten, haben sie ihn nach der Auferstehung zuerst nicht erkannt. Lukas und Johannes deuten auch an, dass die Fähigkeit, Jesus zu erkennen, mit seinem vorherigen Leiden zusammenhing. Ein Jünger, Thomas, musste die Nägelwunde sehen, und erst dann erkannte er, dass er in der unmittelbaren Anwesenheit Gottes stand. Zwei Jünger aus Emmaus brauchten eine Bibelauslegung, um den Auferstandenen zu erkennen: sie mussten anhand der Bibel erkennen, warum der Messias leiden musste; erst dann waren sie in der Lage, den Auferstandenen zu erkennen, als er Tischgemeinschaft mit ihnen feierte.

Mit anderen Worten: wer einen Zugang zu dem himmlischen Leben finden will, muss Jesus kennen. Und wer Jesus kennen will, muss wissen, warum er leiden musste.

Der Hebräerbrieftext, der für heute vorgesehen ist, erläutert diese Dynamik des Glaubens. Um diesen Hebräerbrieftext zu verstehen, muss man etwas wissen. Der Verfasser dieses Briefes hat eine Perspektive, die in der heutigen Zeit fremd ist. Für ihn dreht sich alles um die Frage: wie findet ein Mensch Zugang zu Gott?

In der heutigen Zeit wird diese Frage nicht mehr gestellt. Heutzutage wird angenommen, dass Gott jederzeit und automatisch zugänglich ist. Es wird angenommen, dass jeder Mensch immer einen Zugang zu Gott haben kann, wenn er will.

Wir kennen alle die üblichen Redewendungen. Es heißt: man muss nicht in die Kirche rennen, um eine Beziehung zu Gott zu haben: man kann Gott genauso gut in einem privaten Kämmerlein oder im Wald aufsuchen. Und es heißt: es kommt nicht auf Frömmigkeit an, es kommt darauf an, dass man hilfsbereit und anständig ist; praktische Nächstenliebe ist es, was Gott gefällt. Hinter diesen Formulierungen steckt die Auffassung, dass Gott automatisch für alle da ist, und besonders für die Anständigen. Die Frage, ob ein Mensch Jesus kennt, spielt in diesem Zusammenhang scheinbar überhaupt keine Rolle. Der liebe Gott hat für uns immer und überall da zu sein; das ist seine Rolle.

Aber für den Verfasser des Hebräerbrieftextes ist es nicht selbstverständlich, dass Gott jederzeit für alle da ist. Der schottische Theologe William Barclay schreibt folgendes: „Der Verfasser des Hebräerbriefes geht von dem Grundgedanken aus: Glaube heißt, Zugang zu Gott zu haben. Für ihn besteht das Wesen des Glaubens darin, dass die Menschen Zugang zu Gott erlangen, da alle Furcht und alle Schranken gefallen sind.“

Unter dem Bund mit Israel war der Zugang zu Gott eine mühsame Sache. Dabei spielte der Hohepriester eine Schlüsselrolle. Er war der einzige, der in die Nähe Gottes treten durfte.

'High priest offering incense on the altar', Illustrator of Henry Davenport Northrop's 'Treasures of the Bible', 1894,

In dem Text für heute wird Jesus mit dem Hohenpriester verglichen. Der Hohepriester sollte ein Vermittler sein zwischen Gott und Mensch. Das lateinische Wort für Priester „Pontifex“ bedeutete ursprünglich Brückenbauer. Der Hohepriester sollte eine Bücke herstellen zwischen Gott und seinem Volk, indem er das Opferblut von Tieren in das Allerheiligste des Tempels brachte. Er sollte die Gemeinschaft zwischen Gott und Mensch wiederherstellen, indem er mit Opferblut in die unmittelbare Anwesenheit Gottes trat. Aber dieser Opferkult hat zuletzt doch nicht funktioniert. Dieses System war zuletzt nur etwas Vorläufiges - nach Auffassung des Hebräerbriefes.

Und deshalb hat Gott eine neue Art Hohepriester eingesetzt, nämlich Jesus, der sich selbst als Opfer hingegeben hat. Und in dem heutigen Text werden bestimmte Momente in dem Leben Jesu hervorgehoben:

Und er (Jesus) hat in den Tagen seines irdischen Lebens Bitten und Flehen mit lautem Schreien und mit Tränen dem dargebracht, der ihn vom Tod erretten konnte... Und als er vollendet war, ist er für alle, die ihm gehorsam sind, der Urheber des ewigen Heils geworden, genannt von Gott ein Hoherpriester.

Viele Ausleger sehen hier eine Anspielung auf das Gebet Jesu in Gethsemane, wo er vor seiner Verhaftung mit seiner eigenen Todesangst kämpfte. Jesus wusste, was passieren würde, wenn er sich verhaften ließe, nämlich die grausamste Art des Sterbens, die man sich vorstellen konnte. Er hat Gott um einen Ausweg gebeten, aber zuletzt hat er gebetet: „Doch nicht wie ich will, sondern wie du willst.“ Dieses Gebet ist die Pforte des Himmels. Wer so betet, gehört zu Gott in Ewigkeit. Jesus betete mit lautem Schreien und mit Tränen nicht nur für sich selbst, sondern stellvertretend auch für uns.

Es gibt ein Wort in diesem Text, das etwas überraschend ist, nämlich „Schreien“ – „mit lautem Schreien“ hat Jesus gebetet. Das Wort im Urtext, das hier als „Schreien“ übersetzt wird, wird von einem Ausleger so erläutert; das Wort „bezeichnet ein unbeabsichtigtes Schreien, das sich uns gegen unseren Willen entringt, wenn wir unerhörten Belastungen, unerträglichen Qualen und Schmerzen ausgesetzt sind“.

Mit anderen Worten: Jesus hat alle Tiefen durchlebt, die in einem Leben vorkommen können. Egal, was wir erleben und erleiden, wir können damit rechnen, dass Jesus uns aus eigener Erfahrung versteht.

1878, Wassilij Grigorjewitsch Perow

Und auf diese Weise ist Jesus der Hohepriester für alle Menschen geworden, der Brückenbauer zwischen Gott und uns. Durch das Leiden Jesu sind wir bei Gott und Gott ist bei uns. Wer Jesus in seinem Leiden kennt, der ist bei Gott. Wer Jesus kennt, steht schon jetzt vor einer offenen Himmelspforte. Wir lernen Jesus kennen durch Wort und Sakrament. Durch Bibelauslegung, durch Taufe und Abendmahl lernen wir Jesus so kennen, dass wir ihn eines Tages sofort erkennen werden, wenn wir jenseits des Todes vor ihm stehen.

Es gibt in der Stadt Monmouth im US-Bundesstadt Illinois ein CVJM-Schwimmbad. Unter dem Wasser auf dem Keramikboden ist das Bild einer aufgeschlagenen Bibel. Wer nach unten taucht, kann in dieser aufgeschlagenen Bibel eine Stellenangabe lesen, nämlich Johannes 17, 21. Einmal ist ein Junge nach unten geschwommen, las die Stellenangabe und als er aus dem Wasser kam, fragte er den zuständigen Rettungsschwimmer, was in Johannes 17, 21 steht. Der antwortete: Es ist eine Formulierung aus einem Gebet Jesu, die lautet: „damit sie alle eins seien.“ Der Junge erwiderte: „Um das herauszufinden, muss man ziemlich tief gehen.“ Diese Bemerkung war vordergründig gemeint - gemeint war die Tiefe des Schwimmbeckens - aber in einem übertragenen Sinne trifft es auf Jesus zu. Jesus ist in die Tiefe gegangen, damit wir alle eins seien. Er ist tief abgestiegen in den Bereich der Tränen und des Schreiens, um das gesamte Spektrum menschlicher Erfahrung auf sich zu nehmen, damit alle Menschen mit Gott eins werden. Deswegen hängt alles von der Frage ab: kennst du Jesus? Jesus ist der Hohepriester, der Brückenbauer zwischen Gott und der Menschheit.

Das Bild 'Maria, du Pforte zum Himmel', 2009, Wolfgang Sauber, wurde unter der GNU-Lizenz für freie Dokumentation veröffentlicht.
Die Abbildung 'High priest offering incense on the altar', Illustrator of Henry Davenport Northrop's 'Treasures of the Bible', 1894, ist gemeinfrei in den Vereinigten Staaten. Dies gilt für US-amerikanische Werke, deren Urheberrecht erloschen ist, üblicherweise, weil ihre Erstveröffentlichung vor dem 1. Januar 1923 liegt.
Das Bild von 1878, Wassilij Grigorjewitsch Perow, ist im public domian, weils ein copyright abgelaufen ist.

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