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Predigten von Pfarrer Phil Schmidt: Röm. 12, 9 – 16 Wie sieht ein Christ aus?

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2. Sonntag nach Epiphanias

Wie sieht ein Christ aus? Röm. 12, 9 – 16

Predigt gehalten von Pfarrer Phil Schmidt 2010

Die Liebe sei ohne Falsch. Hasst das Böse, hängt dem Guten an. Die brüderliche Liebe untereinander sei herzlich. Einer komme dem andern mit Ehrerbietung zuvor. Seid nicht träge in dem, was ihr tun sollt. Seid brennend im Geist. Dient dem Herrn. Seid fröhlich in Hoffnung, geduldig in Trübsal, beharrlich im Gebet. Nehmt euch der Nöte der Heiligen an. Übt Gastfreundschaft. Segnet, die euch verfolgen; segnet, und flucht nicht. Freut euch mit den Fröhlichen und weint mit den Weinenden. Seid eines Sinnes untereinander. Trachtet nicht nach hohen Dingen, sondern haltet euch herunter zu den geringen. Haltet euch nicht selbst für klug. Röm. 12, 9 – 16

Einmal fragte ein Junge seinen Vater: „Papa, wie sieht ein Christ aus?“ Der Vater erwiderte: „Ein Christ ist jemand, der Gott liebt und anbetet. Er liebt seinen Nächsten und sogar seine Feinde. Er betet oft, ist gütig, sanft und fromm. Die himmlische Welt ist ihm wichtiger als irdischer Wohlstand. So stelle ich mir einen Christen vor.“ Der Junge sah etwas verwirrt aus und dachte nach. Dann fragte er: „Habe ich einen Christen schon mal gesehen?“

Gandhi during the early days of legal practice', Johannesburg, 1900

Nicht nur Kinder fragen sich, ob sie jemals einen Christenmenschen gesehen haben. Als Mahatma Gandhi, ein Hindu, in Südafrika einen Arbeitsplatz hatte, wohnte er bei einer christlichen Familie. Zu diesem Zeitpunkt war er auf der Suche nach Informationen über die verschiedenen Religionen. Er hatte gehofft, im Rahmen dieser Familie etwas über den christlichen Glauben zu lernen. Aber nachdem er 7 Monate lang bei dieser Familie gelebt hatte, stellte er fest, dass ihre Beziehung zu Gott lauwarm war: Jedes Mal, wenn es darum ging, um Christi willen ein Opfer zu bringen, haben sie sich beschwert. Ihr Glaubensleben war durch Nachlässigkeit geprägt. Gandhi soll hinterher gesagt haben: „Christentum kann nicht die einzig wahre, übernatürliche Religion sein, die ich hoffte finden zu können. Sie ist eine gute Religion, aber nur eine unter vielen.“

Auf derselben Linie liegt eine Aussage des Philosophen Friedrich Nietzsche. Er wuchs in einem Pfarrhaus auf. Nach seiner Konfirmation besuchte er bis zum Abitur ein kirchliches Begabten-Internat in Naumburg. Später wurde er ein Gegner des Christentums. Eine bekannte Aussage von ihm lautet: "Die Christen müssten mir erlöster aussehen. Bessere Lieder müssten sie mir singen, wenn ich an ihren Erlöser glauben sollte." Eine andere Form dieses Zitats lautet: “Würden die Christen doch nur erlöster aussehen, dann würde ich an ihren Erlöser glauben.“

'Portät Friedrich Nietzsches', 1882, Gustav-Adolf Schultze

Christen sind also Aushängeschilder. Ob ein Mensch dazu kommt, eine Beziehung zu Christus zu finden, kann davon abhängen, wie Christen sich verhalten. Aber wie soll ein Christ sich verhalten? Kann man so etwas verbindlich beschreiben?

Der Text aus dem Römerbrief ist eine Beschreibung, wie ein Leben in Christus auszusehen hat. Die Merkmale dieses Lebens sind – nach diesem Text:

  • herzliche, aufrichtige, selbstlose Liebe
  • eine deutliche Abkehr von dem Bösen
  • die Bereitschaft, anderen Personen Ehre zu geben
  • Eifer, ein brennender Geist (also keine Spur von Trägheit oder Gleichgültigkeit)
  • fröhliche Hoffnung
  • Geduld in Trübsal
  • beharrliches Gebet
  • Gastfreundschaft
  • segnende Tätigkeit
  • herzliche Anteilnahme an Freude und Leid
  • Bescheidenheit, sich selbst nicht überschätzen

Auffallend an dieser Liste ist, dass das, was hier aufgeführt wird, nicht unbedingt etwas eigentümlich Christliches ist. Diese Liste enthält Vorgehensweisen, die von jedem Menschen zu erhoffen wären, auch von Nicht-Christen.

Aber in der damaligen Zeit, als diese Liste entstanden ist, konnten Christen tatsächlich ihre Eigentümlichkeit demonstrieren, indem sie die Eigenschaften verkörperten, die Paulus hier aufführt. Denn es war eine brutale, grimmige Zeit.

Aber es kommt nicht so sehr auf eine Liste von Eigenschaften an, sondern vielmehr geht es um konkrete Momente, wo das Evangelium durch Verhalten sichtbar wird. Es gibt z. B. einen Bericht aus der Frühzeit des Christentums, der deutlich macht, wie Christen sich von Nicht-Christen unterschieden hatten. Eine hochgestellte Persönlichkeit war zum Christentum übergetreten. Bei seinem ersten Gottesdienstbesuch wurde er von dem Leiter der Gemeinde begrüßt und dazu aufgefordert, Platz zu nehmen. Dieser sagte: „Bitte dorthin setzen“ und deutete auf einen leeren Sitzplatz. Das neue Gemeindeglied war entsetzt und erwiderte: “Doch nicht neben meinem Sklaven?“ Es heißt: „Erst nachdem er ein zweites und ein drittes Mal aufgefordert wurde, den ihm zugewiesenen Platz einzunehmen, durchschritt der Mann endlich den Raum, setzte sich neben seinen Sklaven und gab ihm den vorgesehenen Friedenskuss.“ Die christliche Gemeinde war der einzige Ort im römischen Weltreich, an dem Herr und Sklave Seite an Seite saßen.

Diese Begebenheit veranschaulicht, worum es in dem Römerbrieftext geht. Es geht darum, den christlichen Glauben durch Verhaltensweisen in konkreten Situationen sichtbar werden zu lassen. Es geht nicht um Moral, es geht nicht um Tugenden, es geht nicht um Ethik, es geht darum, sichtbar zu machen, wer der Gott ist, der sich in Jesus Christus offenbart hat.

Christlicher Glaube wird immer wieder danach beurteilt, ob tatsächlich die selbstlose Liebe sichtbar wird, die Gott in Christus offenbart hat, ob er den natürlichen Egoismus eines Menschen in vorbehaltlose Barmherzigkeit verwandeln kann.

Aber in jeder Generation sieht die Herausforderung anders aus. In der Anfangszeit sind Christen dadurch aufgefallen, dass sie sich um hilfsbedürftige Menschen kümmerten, die ihnen fremd waren, die nicht zu ihnen gehörten. Unsere heutige westliche Welt ist durch Christentum so geprägt worden, dass es schwieriger geworden ist, als Christ aufzufallen. Denn auch Nicht-Christen kümmern sich um fremde, hilfsbedürftige Menschen heutzutage. Auch Nicht-Christen zeigen selbstlose Liebeshandlungen.

'Nuur-Moschee in Frankfurt', 2007, rupp.de

Am Neujahrsmorgen z. B. gibt es eine Aktion, die von Jugendlichen einer religiösen Gemeinschaft bundesweit in verschiedenen deutschen Städten durchgeführt wird. Anhänger dieser Gemeinschaft stehen am 1. Januar um 6 Uhr auf. Nach einem Gebet und gemeinsamen Frühstück gehen sie auf die Straßen, beseitigen die Reste von Feuerwerkskörpern, Böllern, und Sektflaschen, füllen Müllsäcke und kehren die Straßen. Das machen sie als Liebesdienst an die Gesellschaft, ohne irgendeine Belohnung dafür zu erwarten. Die Begründung lautet: Gott hat uns Menschen geschaffen, um seinen Mitmenschen ohne Gegenleistung zu dienen. Wer ist diese Glaubensgemeinschaft? Sie besteht aus Muslimen der Ahmadiyya Moscheen. Seit 13 Jahren läuft diese Aktion.

Eine solche Handlung veranschaulicht, wie Christen in der Anfangszeit aufgefallen sind, als sie eine verfolgte Minderheit waren, nämlich durch überraschende und uneigennützige Handlungen der Wohltätigkeit.

Das heißt: die Frage, wie wir durch unser Verhalten als andersartig auffallen können, muss immer wieder neu geklärt werden.

Wie sieht heutzutage christliches Verhalten aus? Alles, was in dem Römerbrieftext steht, ist nach wie vor gültig. Aber es gibt einige mögliche Schwerpunkte.

Erstens: als Gandhi sich vom Christentum abkehrte, hing das nicht nur damit zusammen, dass er in Afrika keine ernsthaften Christen kannte. Im Gegenteil: er kannte Christen, die eifrig waren und ihren Glauben bezeugten. Aber der christliche Glaube, den er bezeugt bekam, enthielt Ungereimtheiten, die er nicht akzeptieren konnte. Gandhi hatte Sehnsucht nach Wahrheit, und fand sie bei den Christen nicht. Sie waren zu selbstsicher in ihrem Glauben und sie hatten nicht gemerkt, dass sie manche Glaubensinhalte nicht konsequent durchdacht hatten. Ihre Glaubensvorstellungen waren lückenhaft und unfertig, und sie merkten es nicht.

Und was Gandhi in Afrika erfuhr, hat eine Allgemeingültigkeit. Ein Vorurteil, das heutzutage verbreitet ist, ist die Vorstellung, dass Christen selbstsicher sind, dass sie nicht mehr nach Wahrheit suchen, weil sie sich einbilden, dass sie die volle Wahrheit schon besitzen. Für jemand, der auf der Suche nach Wahrheit ist und dieses Vorurteil hat, ist das Christentum etwas Abschreckendes. Deswegen, wenn wir einladend wirken wollen, ist es wichtig, dass wir zeigen, dass wir auch Lernende sind und Lernende bleiben, dass wir noch lange nicht fertig sind mit der Suche nach Wahrheit. Was Paulus in dem Römerbrieftext schrieb, ist immer noch relevant: Haltet euch nicht selbst für klug.

'Autel. Altar'

Eine andere Sache, die Paulus nicht ausdrücklich erwähnen musste, die in den letzten 30 Jahren an Bedeutung zugenommen hat, ist das Abendmahl. Das Abendmahl wurde jahrzehntelang, vielleicht sogar jahrhundertlang, in der evangelischen Kirche stiefmütterlich behandelt. Aber unsere ganze Identität als Christen hängt davon ab, was in einem Abendmahlsgottesdienst passiert. Wenn wir nach Vorne kommen, um Tischgemeinschaft mit dem fleischgewordenen, gekreuzigten und auferstandenen Christus zu feiern, empfangen wir die Gnade, die wir brauchen, um die Liebe Christi in dieser Welt zu verkörpern. Christliches Verhalten ist nicht etwas, was wir aus uns selbst produzieren, sondern etwas, was fast spontan entsteht, wenn wir mit der ganzen Person, mit Körper, Geist und Seele die Liebe sehen, spüren und schmecken, die Gott uns schenken will. Das Abendmahl ist ein Brennpunkt dieses Glaubens. Das Abendmahl unterscheidet uns von Juden, Muslimen, Buddhisten, Hindus und atheistischen Humanisten. In der heutigen Zeit, in der der Gottesdienst einen niedrigen Stellenwert hat, ist es um so wichtiger, das Altarsakrament zu betonen. Denn ohne die Gnade, die das Abendmahl auf eine eigentümliche Weise vermittelt, kann Christsein nicht sichtbar werden.

Am Anfang stand die Frage, wie ein Christ aussieht. Die Antwort lautet: Christsein wird zuallererst sichtbar in der Tischgemeinschaft mit Christus. Alles andere – wie z. B. Liebe und Bescheidenheit - ergibt sich fast von selber, wenn die Tischgemeinschaft mit dem Auferstandenen im Mittelpunkt steht.

Möge Gott uns helfen, seine Gnade auszustrahlen, die wir von ihm empfangen, damit wir auf andere Menschen einladend wirken können. Amen.

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Die Photographie 'Portät Friedrich Nietzsches', 1882, Gustav-Adolf Schultze, ist im public domain, weil ihr copyright abgelaufen ist.
Die Photographie Gandhi during the early days of legal practice', Johannesburg, 1900, weil ihr copyright abgelaufen ist.
Die Photographie Nuur-Moschee in Frankfurt', 2007, rupp.de, wurde unter der GNU-Lizenz für freie Dokumentation veröffentlicht. Es ist erlaubt, die Datei unter den Bedingungen der GNU-Lizenz für freie Dokumentation, Version 1.2 oder einer späteren Version, veröffentlicht von der Free Software Foundation, zu kopieren, zu verbreiten und/oder zu modifizieren.
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