Archiv der Evangelisch-lutherische Dreikönigsgemeinde, Frankfurt am Main - Sachsenhausen
Zurück zum Archiv Home der Dreikönigsgemeinde

Evangelisch-Lutherische

DREIKÖNIGSGEMEINDE

Frankfurt am Main - Sachsenhausen

Predigten von Pfarrer Phil Schmidt: Jakobus 5, 7 – 8 Geduld und Menschlichkeit

« Predigten Home

'Klatschmohn (Papaver rhoeas) in einem Weizenfeld (Triticum)', 2009, 3268zauber

2. Sonnntag im Advent

Geduld und Menschlichkeit Jakobus 5, 7 – 8

Predigt gehalten von Pfarrer Phil Schmidt 2009

So seid nun geduldig, liebe Brüder, bis zum Kommen des Herrn. Siehe, der Bauer wartet auf die kostbare Frucht der Erde und ist dabei geduldig, bis sie empfange den Frühregen und Spätregen. Seid auch ihr geduldig und stärkt eure Herzen; denn das Kommen des Herrn ist nahe. Jakobus 5, 7 – 8

Wir leben in einem ungeduldigen Zeitalter. Ein Kunde in einem Supermarkt hat Folgendes erlebt:

„Ich war an der Kasse: mein Korb mit Lebensmitteln stand direkt neben der Kasse. Die Kassiererin hatte gerade meine Kreditkarte in das Lesegerät eingesteckt. Die Frau, die hinter mir stand, mischte sich plötzlich ein und sagte zu der Kassiererin: „Ich habe es eilig, ich habe nur wenig, nehmen Sie mich zuerst dran.“ Sie schaute mich nicht an, sie entschuldigte sich nicht, sie gab keinen Grund an, weshalb meine Bezahlung unterbrochen werden sollte, sie fragte nicht, ob es mir etwas ausmacht, wenn sie vorgelassen wird. Sie hat die Kassiererin einfach überwältigt, weil sie so aufgeregt und so dominierend auftrat. Ich sagte nichts und ließ sie vorgehen. Später als ich vom Parkplatz wegfuhr, war ihr Auto direkt vor mir. Das heißt: sie hatte ungefähr 10 Sekunden Zeit gespart.“

Diese Begebenheit veranschaulicht, dass es einen Zusammenhang gibt zwischen Ungeduld und Unmenschlichkeit. Im Alltag ist immer wieder erkennbar, dass Lebensverachtung mit Ungeduld zusammenhängt. Jeder Autofahrer z. B. erlebt es immer wieder, dass ein Raser von hinten kommt und an einer unüberschaubaren Stelle aggressiv überholt; und bei der nächsten Ampel steht der Raser direkt vor einem. Das heißt: jemand hat sein Leben und das Leben anderer Menschen auf's Spiel gesetzt, damit er zuletzt 10 Sekunden Zeit gewinnen konnte. Ungeduld und Unmenschlichkeit hängen zusammen.

'Institute for Advanced Studies in Princeton, New Jersey, USA', 2005, Eecc

Ein Professor der Ethik an der Universität von Princeton führte ein Experiment durch, das an die Geschichte des barmherzigen Samariters erinnert. Er hat drei Gruppen von Studenten beauftragt, wichtige Unterlagen in einem Büro abzugeben. Es waren 15 Studenten zu je 5 in drei Gruppen eingeteilt. Die erste Gruppe hatte 15 Minuten Zeit, um die Unterlagen abzugeben. Die zweite Gruppe hatte 45 Minuten Zeit. Die dritte Gruppe drei Stunden. Dieser Ethik-Professor hatte drei Schauspieler beauftragt, die auf dem Weg zum Büro drei Notfall-Situationen für die Stundengruppen inszenieren sollten. Einer hielt seinen Kopf mit beiden Händen fest und tat so, als ob er große Schmerzen hätte. Ein Stück weiter lag der nächste auf einem Treppengang, sein Gesicht nach unten als ob er bewusstlos wäre. Der Dritte, der ein Stück weiter entfernt war, hatte scheinbar einen Anfall erlitten. Wie reagierten die drei Gruppen (die natürlich nicht wussten, dass es sich um Inszenierungen handelte)? Von der Gruppe, die unter Zeitdruck stand, hielt niemand an. Von der zweiten Gruppe, die etwas mehr Zeit hatte, hielten zwei von den 5 Personen an. Von der dritten Gruppe, die drei Stunden Zeit hatte, den Auftrag zu erledigen, hielten alle fünf an und kümmerten sich um diese drei Personen, die scheinbar in Notsituationen geraten waren. Noch einmal wird sichtbar, dass Zeitdruck und Unmenschlichkeit zusammengehören. Menschenfreundlichkeit hat immer etwas mit Zeit nehmen zu tun.

Der Jakobustext, der für den 2. Advent vorgesehen ist, spricht das Thema „Geduld“ an:

So seid nun geduldig, liebe Brüder, bis zum Kommen des Herrn. Siehe, der Bauer wartet auf die kostbare Frucht der Erde und ist dabei geduldig, bis sie empfange den Frühregen und Spätregen. Seid auch ihr geduldig und stärkt eure Herzen; denn das Kommen des Herrn ist nahe.

Es gibt in diesem Text eine winzige Feinheit, von der die korrekte Auslegung dieses Textes abhängt. Das griechische Wort, das Luther hier mit „Geduld“ übersetzt, kommt auch in der griechischen Übersetzung des alten Testaments vor, und zwar in dem 2. Buch Moses, wo eine Eigenschaft Gottes beschrieben wird, nämlich seine Bereitschaft abzuwarten, damit Abtrünnige Zeit bekommen, sich zu ändern.

Das heißt: Geduld ist nicht eine Tugend, die wir Menschen in uns selbst produzieren. Dazu sind wir nicht fähig. Sondern Gott ist die Quelle aller Geduld. Es geht darum, so zu werden wie Gott. Geduld ist eine Frucht, die sich entfaltet, wenn der Geist Gottes in uns wohnt.

Weil Gott unermesslich geduldig ist, können wir auch geduldig werden. Die vier Kerzen am Adventskranz sind eine Veranschaulichung der Geduld Gottes. Sie sind Hinweise auf die 4000-jährige Wartezeit auf den Messias. Nach christlicher Auslegungstradition liegen ca. 4000 Jahre zwischen Adam und Eva und der Geburt Christi. Das heißt: Gott hat 4000 Jahre abgewartet, „bis die Zeit erfüllt war“ (wie Paulus schreibt), bis die Zeit reif war für die Erscheinung Jesu als Menschwerdung Gottes. Und seitdem wartet die Christenheit schon 2000 Jahre auf die Wiederkehr Christi. Diese 2000 Jahre Wartezeit sind ein Hinweis auf die Geduld Gottes. Wie es in dem 2. Petrusbrief heißt:

Der Herr verzögert nicht die Verheißung, wie es einige für eine Verzögerung halten; sondern er hat Geduld mit euch und will nicht, dass jemand verloren werde, sondern dass jedermann zur Buße finde.

'Icon of Second Coming ', ca. 1700, Anonymous, Greece

Weil Gott uns gegenüber uneingeschränkt geduldig ist, können wir miteinander geduldig sein. Es gibt eine menschliche Neigung, zu meinen, dass man Dinge verändern kann durch energisches Auftreten, durch ein Machtwort oder indem man auf den Tisch haut. Aber so ist Gott nicht. In Christus wurde offenbart, wie sanft und zart Gott vorgeht. Wie Jesus sagte: „mein Joch ist sanft und meine Last ist leicht“.

Ein christlicher Zeuge hat das alles mit den folgenden Worten zusammengefasst:

„Ein Schwerpunkt der biblischen Botschaft ist das Warten, das Warten auf Gott. Es fällt so leicht, ungeduldig zu werden, weil Gott scheinbar zögert. Viele Sorgen entstehen, weil wir ruhelos und rücksichtslos-hastig sind. Wir können nicht warten, bis eine Frucht reif wird, wir pflücken sie vorher ab. Wir können nicht auf die Antworten unserer Gebete warten, obwohl vieles, wofür wir bitten, eine jahrelange Vorbereitungszeit erfordert. Wir sollen mit Gott gehen, aber Gott geht manchmal so furchtbar langsam. Wie gut für uns, dass Gott nicht nur Geduld mit uns hat, sondern uns auch mit Treue begleitet, denn oft muss er auf uns warten.“

Ein weiterer Grund für Ungeduld hängt mit der Unüberschaubarkeit des Lebens zusammen. Für Manche ist es unerträglich, mit Ungewissheit und mit ungeklärten Fragen zu leben. Anfang November hatten wir hier im Gemeindehaus ein Montagnachmittagsgespräch zum Thema „Faszination Buddhismus“. Pfarrerin Ilona Klemens, die eine Spezialistin für den Dialog zwischen Christentum und anderen Religionen ist, war unser Gast. Sie berichtete, dass ein Grund, weshalb Menschen zum Buddhismus übertreten, mit dem Thema Leiden zusammenhängt. Sie erzählte, dass es Menschen gibt, die unbedingt eine Erklärung für Leiden haben müssen, besonders wenn Leiden ungerecht erscheint. Das Christentum bietet zuletzt keine Antwort auf die Frage, warum es unzumutbares Leiden gibt, sondern sagt, dass wir auf einen Tag warten müssen, an dem Gott sich selbst und die volle Wahrheit offenbart. Für Menschen, die nicht warten wollen, bietet Buddhismus eine Erklärung für alles Leiden, das „Karma“ heißt. Vereinfacht gesagt, bedeutet Karma, dass jede sündhafte Verfehlung bestraft wird. Und wenn die Zeit in diesem Leben nicht ausreicht, um alle Verfehlungen abzubüßen – was der Normalfall ist - , wird die Strafe auf das nächste Leben übertragen. Ob diese Erklärung richtig ist oder nicht, ist für manche Leute offenbar zweitrangig. Die Hauptsache ist, man hat eine eindeutige Erklärung.

'Buddha Statue', 2008, YashiWong

Was hier zum Vorschein kommt, ist weitverbreitet. Es gibt eine menschliche Neigung, nach Besserwisserei zu streben, damit es für alles eine Erklärung gibt. Die Besserwisser sind überall. Sie können ganz genau sagen, was die Politiker, die Wirtschaftsbonzen und die Nachbarn alles falsch machen. Für alles, was in einer Kirchengemeinde, in der Kirchenverwaltung und in der Kirchenleitung schief geht, haben sie eine eindeutige Erklärung. Wenn der Papst nur auf sie hören würde, würde die katholische Kirche nicht so viel vermasseln (meinen sie). Sie sind Experten des Islams, die genau wissen, was 1,8 Milliarden Muslime auf der ganzen Welt denken, denn sie überschauen alles. Bei solchen Menschen gibt es keine Unklarheiten. Sie wissen Bescheid, wer die Heuchler, die Versager und die Faulenzer sind. Für Besserwisser ist Empörung ein Dauerzustand: sie glauben, dass sie ein Recht dazu haben, empört zu sein und empört zu bleiben.

Eine Eigenart von Besserwissern ist, dass alles, was sie sagen, lieblos ist. Und hinter dieser Lieblosigkeit steckt Ungeduld. Besserwisser wollen nicht mit ungelösten Fragen oder mit Begrenztheit leben. Sie haben nicht genügend Geduld, um sich umfassend und sorgfältig zu informieren oder ihre Grenzen anzuerkennen, ehe sie sich ein Urteil erlauben. Vor allem haben sie nicht genügend Geduld, um auf Gott zu warten. Dass die Christenheit auf einen Tag wartet, an dem Gott verhüllte Wahrheit offenbaren wird, ist für solche Menschen der größte Schwachsinn, den man sich vorstellen könnte.

Aber Gott will, dass wir Ungeklärtes aushalten, denn nur so können wir zu einem christusähnlichen Zustand reifen. Wir sind für Vollendung vorgesehen, und der Weg dorthin hat keine Abkürzungen: der Weg zu der Herrlichkeit Gottes ist ein Weg der Geduld.

Christus sagte zu seinen Jüngern:

„Ihr habt nun Traurigkeit (weil ich weggehen werde); aber ich will euch wiedersehen, und euer Herz soll sich freuen, und eure Freude soll niemand von euch nehmen. An dem Tag werdet ihr mich nichts fragen.“ Denn alles wird offenbart.

Möge Gott uns seine Geduld geben, damit es bei uns keine lieblosen Kurzschlusshandlungen gibt und damit wir mit Besonnenheit und Liebe in seinem Willen ausharren.

Die Photographie 'Klatschmohn (Papaver rhoeas) in einem Weizenfeld (Triticum)', 2009, 3268zauber, wurde unter den Bedingungen der Creative Commons "Namensnennung-Weitergabe unter gleichen Bedingungen 3.0 Unported"-Lizenz veröffentlicht.
Die Photographie 'Institute for Advanced Studies in Princeton, New Jersey, USA', 2005, Eecc, wurde von ihrem Urheber zur uneingeschränkten Nutzung freigegeben. Diese Datei ist damit gemeinfrei („public domain“). Dies gilt weltweit.
Die Abbildung 'Icon of Second Coming ', ca. 1700, Anonymous, Greece, ist im public domain, weil ihr copyright abgelaufen ist.
Die Photographie 'Buddha Statue', 2008, YashiWong, wurde unter den Bedingungen der „Creative Commons Namensnennung-Weitergabe unter gleichen Bedingungen“-Lizenz, in den Versionen 1.0, 2.0, 2.5 und 3.0 veröffentlicht.

^ Zum Seitenanfang

PSch