Archiv der Evangelisch-lutherische Dreikönigsgemeinde, Frankfurt am Main - Sachsenhausen
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Predigten von Pfarrer Phil Schmidt: Mt 15,21-28 Nicht Antworten, sondern Beharrlichkeit

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Ausschnitt 'Warum ? - Kleine Gedenkstätte für die Opfer des Einsturzes des Archives am Kölner Waidmarkt, direkt über der Nord-Süd Stadtbahn.'

17. Sonntag nach Trinitatis

Nicht Antworten, sondern Beharrlichkeit Mt 15,21-28

Predigt gehalten von Pfarrer Phil Schmidt 2000

Und Jesus ging weg von dort und zog sich zurück in die Gegend von Tyrus und Sidon. Und siehe, eine kanaanäische Frau kam aus diesem Gebiet und schrie: Ach Herr, du Sohn Davids, erbarme dich meiner! Meine Tochter wird von einem bösen Geist übel geplagt. Und er antwortete ihr kein Wort. Da traten seine Jünger zu ihm, baten ihn und sprachen: Lass sie doch gehen, denn sie schreit uns nach. Er antwortete aber und sprach: Ich bin nur gesandt zu den verlorenen Schafen des Hauses Israel. Sie aber kam und fiel vor ihm nieder und sprach: Herr, hilf mir! Aber er antwortete und sprach: Es ist nicht recht, dass man den Kindern ihr Brot nehme und werfe es vor die Hunde. Sie sprach: Ja, Herr; aber doch fressen die Hunde von den Brosamen, die vom Tisch ihrer Herren fallen. Da antwortete Jesus und sprach zu ihr: Frau, dein Glaube ist groß. Dir geschehe, wie du willst! Und ihre Tochter wurde gesund zu derselben Stunde. Mt 15,21-28

Es wird von einem jungen Pfarrer berichtet, der eine Gemeinde übernahm, in der es starke Spannungen zwischen den Mitgliedern gab. Er entwickelte gleich eine Methode, um diese Spannungen zu bekämpfen. Wenn eine Person ihn aufsuchte, um sich über ein Vorkommnis in der Gemeinde zu beschweren oder um eine andere anzuklagen, holte er ein Notizbuch heraus. Auf dem Notizbuch war das Wort „Beschwerden“ deutlich zu sehen. Der Pfarrer sagte: „Sagen Sie mir genau, was Ihre Beschwerde ist. Ich werde es aufschreiben. Dann werde ich Sie bitten, durchzulesen, was ich geschrieben habe und die Aussage zu unterschreiben. Bei der nächsten Kirchenvorstandsitzung werden wir Ihre Beschwerde besprechen und Ihnen Gelegenheit geben, Ihre Anklage persönlich vorzutragen."

Innerhalb von 10 Dienstjahren hat dieser Pfarrer das Notizbuch mindestens 30 Mal hervorgeholt. Aber das Buch blieb leer. Niemand in dieser Gemeinde wollte die Beschwerden konkret anpacken. Man wollte unverbindlich meckern.

Hier offenbart sich etwas typisch Menschliches. Wir Menschen meckern gern, aber nur in den seltensten Fällen wollen wir, dass unsere Meckereien ernst genommen werden.

Und dies gilt auch, wenn es um Gott geht. Es gibt Menschen, die Gott anklagen, weil er so viel Unheil zulässt, scheinbar ohne einzugreifen. Sie stellen die bekannte Warumfrage: z.B. warum hat Gott zugelassen, dass ein Mensch plötzlich oder frühzeitig gestorben ist? Warum hat Gott zugelassen, dass etwas Unerträgliches eingetreten ist

Ich habe diese Warumfrage öfters gehört. Und ich habe dabei eine bestimmte Erfahrung gemacht. Nämlich: sobald man nachhakt und versucht, auf diese Frage konkret einzugehen, ist auf einmal die Aufmerksamkeit weg. Das Interesse, wirklich eine Antwort zu suchen, ist selten vorhanden.

Und es ergibt sich deshalb die Frage: ist es wirklich wichtig, zu wissen, warum Gott Leiden zulässt? Denn wenn der Fragende eine Antwort bekommen würde, würde diese Antwort irgendetwas ändern? Wenn eine Stimme vom Himmel uns jetzt in diesem Moment erklären würde, warum Gott unschuldiges Leiden zulässt, würde sich irgendetwas dadurch ändern? Wären wir dadurch liebevoller und geduldiger als vorher? Würden wir Gott mehr anbeten als vorher? Würden die Menschen, die keine Lust auf Gottesdienst haben, plötzlich – nachdem sie diese Antwort bekommen haben – auf einmal Gott in Ehrfurcht loben und preisen? Würden Menschen, die nur an sich selbst denken, auf einmal etwas mehr für andere tun?

Die Antwort auf alle diese Fragen ist – ganz offensichtlich - nein! Und dass diese Frage nicht wichtig ist, zeigt sich an einer zweiten Sache: Wenn ein Mensch seine Beziehung zu Gott klären will – nachdem er etwas Tragisches oder etwas Unzumutbares erlebt hat – warum tut er es nicht? Die Angebote sind da. Warum sucht er nicht die Angebote auf, die es in der Christenheit gibt. Es gibt hier in Frankfurt in jeder Kirchengemeinde und in vielen Einrichtungen und Beratungsstellen Ansprechpersonen, Gesprächsgruppen und es gibt eine Vielfalt von Gottesdienstformen: wer seine Beziehung zu Gott klären will, der kann nicht behaupten, dass es keine Möglichkeit gibt, diese Sache anzupacken. Nur Wenige, die Gott anklagen, wollen wirklich ihre Beziehung zu Gott klären. Denn sonst wären die kirchlichen Angebote überfüllt.

'Christus und das kanaanäische Weib ', Nürnberg 1543, Hans Vischer, Photo: Andreas Praefcke

In diesem Zusammenhang ist der Evangeliumtext relevant. Eine Frau, die nicht zu dem offiziellen Volk Gottes gehört – eine sogenannte „Heidin“ – sucht Jesus auf und will, dass er etwas für ihre Tochter tut. Jesus weist sie ab - zuerst mit Schweigen. Diese Frau erlebte das, was viele durchmachen, wenn sie Gott in einer Krise anrufen: zunächst erleben sie ein großes Schweigen. Und dann geben sie auf. Denn es war ihnen doch nicht so wichtig.

Aber diese Frau lässt sich durch Schweigen nicht entmutigen. Sie bleibt dran. Dann fühlt sich Jesus genötigt, etwas zu sagen; und er sagt: er ist nur für das Volk Israel zuständig. Und als die Frau sich mit dieser Antwort nicht zufrieden gibt, setzt Jesus eine härtere Sprache ein:

Es ist nicht recht, dass man den Kindern ihr Brot nehme und werfe es vor die Hunde.

„Hund“ war eine Bezeichnung für die Heiden, die Juden damals manchmal verwendeten. Aber die Frau lässt sich nicht durch diese freche Sprache abweisen. Sie sagt: Auch die Hunde, die unter dem Tisch sitzen, bekommen etwas ab. Und in diesem Moment lobt Jesus ihren Glauben.

Diese Frau führt vor, wie Glaube aussieht. Glaube ist ein Suchen nach Gott, das hartnäckig ist. Glaube lässt sich nicht abweisen, auch wenn Gott scheinbar abweisend ist. Diese Frau ist überzeugt, dass Gott ihr helfen will und dass Jesus diese Zuwendung Gottes verkörpert. Sie lässt sich durch nichts abschrecken; sie gibt nicht auf, auch wenn die Situation aussichtslos erscheint.

'Karelo-Finnish Laika puppy
', 2004, Pavel Trofimov

Und diese Art Glaube macht aus uns bessere Menschen: geduldiger und liebevoller als wir vorher waren. Dieser suchende Glaube, der nie aufgibt, ist es, was unsere besten Möglichkeiten aufschließt. Wir brauchen nicht unbedingt Antworten; wir brauchen Beharrlichkeit.

Und vielleicht deswegen gibt uns Gott keine schnelle Antworten auf unsere Warumfragen. Viele Leute fragen – im Moment eines Verlustes – Warum? Aber zwei Monate später ist diese Warumfrage ihnen ziemlich egal geworden, denn Gott ist ihnen ziemlich egal. Wenn Gott für einen Menschen wirklich wichtig ist, dann wird er die Frage nach Gott nicht aufgeben, nicht nach zwei Monaten, nicht nach zwei Jahren, nicht nach zwei Jahrzehnten.

Es wird von einem Schneider berichtet, der während eines Gottesdienstes auffallend geworden war. Er redete mit sich selbst; er ballte seine Fäuste; er war offenbar über irgendetwas aufgewühlt. Die Menschen um ihn herum konnten sich kaum konzentrieren. Nach dem Gottesdienst ging der Geistliche auf den Mann zu und fragte, was denn los sei. Der Schneider antwortete: „Ach, ich haderte mit Gott. Ich sagte zu ihm: Ich weiß, dass ich nicht vollkommen bin. Manchmal habe ich bei Mahlzeiten vergessen, vorher das Tischgebet zu sprechen. Und manchmal habe ich meine Gebete gedankenlos gesprochen. Manchmal habe ich sogar meine Kunden betrogen und Stoff, den sie gekauft hatten, für mich behalten und davon Kleider für meine Kinder gemacht. Aber Du, Gott, Du lässt kleine Kinder sterben. Junge Männer sterben im Krieg. Menschen sterben frühzeitig, weil sie eine schwere Krankheit bekommen hatten. Wie kannst Du das alles zulassen? Also habe ich mit Gott abgemacht: wenn er mir vergibt, werde ich ihm auch vergeben.

Und dann fragte der Schneider: „Habe ich dadurch etwas Falsches getan?“ Der Geistliche erwiderte: Mein Freund, du hattest so viele gute Argumente, warum hast du Gott so leichtfertig freigesprochen? Warum hast du Gott losgelassen?

Und diese Frage sollen wir auch an uns selbst richten. Wenn wir mit Gott nicht einverstanden sind, dann sollen wir hartnäckig sein und Gott nicht einfach loslassen, als ob er uns egal wäre, sondern so hartnäckig sein wie die Frau in der Matthäusgeschichte: Gott nicht loslassen, bis wir die Beziehung zu ihm geklärt haben, auch wenn es bis an das Lebensende dauert.

Der hundertste Erzbischof von Canterbury, Michael Ramsey, bezeugte, dass es nichts Wichtigeres gibt, als die Beziehung zu Gott zu klären. Denn die Anbetung Gottes ist es, was eine heilende Kraft in diese gebrochene Welt hineinfließen lässt. Und er unterstrich diesen Gedanken mit einem Gleichnis. Ein Mann ging zu einem Arzt, weil er drei hässliche Beulen hatte. Er bat den Arzt, die Beulen zu entfernen. Der Arzt erwiderte: Ich kann diese Beulen nicht dauerhaft entfernen, bis wir das Gift entfernen, das in Ihrem Körper steckt, das diese Beulen verursacht.“ Und der Erzbischof sagte dazu: So geht es der Menschheit. Die soziale Ordnung ist gestört und sie will die hässliche Erscheinungen – wie Kriminalität und Krieg - beseitigen. Aber die Menschheit versteht nicht, dass es eine tiefere Krankheit gibt; unsere Welt ist vergiftet, weil die Beziehung zu dem Schöpfer gestört ist. Wir müssen die tiefste Ursache anpacken. Der Mensch muss seine Beziehung zu Gott klären. Denn alles, was mit dieser Welt nicht stimmt, hängt damit zusammen.“

Deswegen ist der Glaube der kanaanäischen Frau so vorbildlich. Sie lässt nicht locker, bis die Beziehung zu Jesus geklärt ist, und dadurch klärt sie auch ihre Beziehung zu Gott. Das Ergebnis ist, dass eine heilende Kraft freigesetzt wird. Möge Gott uns helfen, beharrlich zu sein.

Das Photo 'Warum ? (Kleine Gedenkstätte für die Opfer des Einsturzes des Archives am Kölner Waidmarkt, direkt über der Nord-Süd Stadtbahn, März 2009) wurde unter der GNU-Lizenz für freie Dokumentation veröffentlicht.
Die Abbildung 'Christus und das kanaanäische Weib ', Nürnberg 1543, Hans Vischer, Photo: Andreas Praefcke, wurde von ihrem Urheber zur uneingeschränkten Nutzung freigegeben. Diese Datei ist damit gemeinfrei („public domain“). Dies gilt weltweit.
Die Photographie 'Karelo-Finnish Laika puppy', 2004, Pavel Trofimov, ist lizenziert unter der Creative Commons-Lizenz Namensnennung 2.5.

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