Archiv der Evangelisch-lutherische Dreikönigsgemeinde, Frankfurt am Main - Sachsenhausen
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Predigten von Pfarrer Phil Schmidt: Jakobus 2, 1 – 13 Gott nachahmen

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'Albert Schweitzer', Deutsches Bundesarchiv, 1999

18. Sonntag nach Trinitatis

Gott nachahmen Jakobus 2, 1 – 13


Predigt gehalten von Pfarrer Phil Schmidt 2006

Liebe Brüder, haltet den Glauben an Jesus Christus, unsern Herrn der Herrlichkeit, frei von allem Ansehen der Person. Denn wenn in eure Versammlung ein Mann käme mit einem goldenen Ring und in herrlicher Kleidung, es käme aber auch ein Armer in unsauberer Kleidung, und ihr sähet auf den, der herrlich gekleidet ist, und sprächet zu ihm: Setze du dich hierher auf den guten Platz! und sprächet zu dem Armen: Stell du dich dorthin! oder: Setze dich unten zu meinen Füßen!, ist's recht, dass ihr solche Unterschiede bei euch macht und urteilt mit bösen Gedanken? Jakobus 2, 1 – 13

Albert Schweitzer war der Sohn eines Pfarrers und war in seiner Kindheit ein kräftiger Junge. Manchmal gab es am Schulhof Raufereien mit anderen Jungen und Schweitzer hat sich meistens durchgesetzt. Einmal hat er einen Schulkameraden auf den Boden geworfen, der daraufhin sagte: „Wenn ich täglich eine Fleischsuppe essen könnte wie ein Pfarrerssohn, würdest du mich nicht zu Boden werfen können.“ Als Albert Schweitzer nach Hause kam, teilte er seinen Eltern mit: „Solange dieser Junge keine Fleischsuppe essen kann, werde ich auch keine essen.“ Und dann im Winter hat er festgestellt, dass er gute Schuhe hatte, dass aber die anderen Kinder alte, rissige Schuhe hatten und sie bekamen deshalb kalte Füße und Erkältungen. Als er das merkte, weigerte er sich, gute Schuhe zu tragen. Als Schweitzer in späteren Jahren von diesen Vorfällen berichtete, bezeugte er, dass es Christus war, der ihn beeinflusst hatte, so zu handeln.

Albert Schweitzer ist ein Beispiel, was konkret eintreten kann, wenn Jesus Christus in uns Menschen Gestalt annimmt. Ein Christusanhänger neigt dazu, die Handlungsweise Jesu Christi nachzuahmen. Diese Nachahmung ist ein Hauptmotiv der Bibel. Es gab schon im Alten Testament die Botschaft, dass der Mensch dazu bestimmt ist, Gott nachzuahmen. Gott selber lebte vor, wozu der Mensch bestimmt ist.

'Abraham, God and two angels', Gustave Doré, 1852

Denn z. B. so wie Gott am Sabbat ruhte, so sollte der Mensch auch am Sabbat ruhen. Und so wie Gott barmherzig ist, so sollten die Menschen untereinander barmherzig sein. Und jüdische Gelehrte haben dieses Thema ausführlich ausgelegt. In einem jüdischen Lehrtext steht folgendes: „Wie er (Gott) Nackte kleidete, wie geschrieben steht: ‚Er, Gott machte Adam und seiner Frau Röcke aus Fell und kleidete sie’ – so sei auch du: Kleide die Nackten! Er besuchte die Kranken, wie geschrieben steht: ‚Er ließ sich von ihm (nämlich Abraham, als dieser drei Tage nach der Beschneidung Schmerzen hatte) an den Steineichen von Mamre schauen’ – so sei auch du: Besuche die Kranken! Er tröstete die Trauernden, wie geschrieben steht: ‚Es geschah nach Abrahams Tod, da segnete Gott Isaak, seinen Sohn’ – so sei auch du: Tröste die Trauernden!“

Diese Linie lässt sich beliebig fortsetzen: Als Israel in Ägypten gefangen war, hat Gott sie besucht und befreit – so soll der Mensch die Gefangenen besuchen. Als Israel in der Wüste hungerte, schickte Gott Manna und Wachteln – ebenso soll der Mensch die Hungernden speisen. Als Israel durstete, hat Gott dafür gesorgt, dass Wasser aus einem Felsen herauskam, so soll der Mensch den Dürstenden zu trinken geben. Und Mose wurde eigenhändig von Gott beerdigt, so ist die Bestattung der Toten eine der Taten der Barmherzigkeit, mit denen der Mensch Gott nachahmen kann. Und weil Gott seinem Volk mit einer kompromisslosen Treue beistand und sich weigerte, sich auf eine Scheidung einzulassen, so sollen Ehepartner einander dieselbe Treue zeigen, wie Gott sie seinem Volk gegenüber vorgelebt hat. Im Alten Testament hat Gott die Taten der Barmherzigkeit persönlich vorgeführt, zu denen der Mensch bestimmt ist.

'Geertgen tot Sint Jans', Lamré, 2004

Und im neuen Testament geht diese Dynamik einen Schritt weiter. Gott ist Mensch geworden und wohnte unter uns – offenbar weil er die Kluft zwischen ihm und uns nicht ertragen konnte. Sein erstes Bett war ein Futtertrog; sein letztes Bett war ein Grab. Ansonsten war er weitgehend ein Nichtsesshafter, denn wie Jesus sagte: „Die Füchse haben Gruben, und die Vögel unter dem Himmel haben Nester; aber der Menschensohn hat nichts, wo er sein Haupt hinlege“. Gott in Jesus erlitt Hunger, Kälte und Nacktheit. Er kannte aus eigener Erfahrung Einsamkeit und Verachtung. „Er trug unsere Krankheit und lud auf sich unsere Schmerzen“ ...wie es heißt. Er erlitt eine unrechtmäßige Verhaftung, ein ungerechtes Gericht und Henkerjustiz. Das, was Jesus durchmachte, vermittelt die Botschaft, dass Gott es nicht ertragen konnte, dass es ihm besser ging, als es uns geht. Was in der Kindheit Albert Schweitzers vorkam, war ein Abglanz dessen, was Gott in Jesus vorlebte. Wie Paulus schrieb: „Denn ihr kennt die Gnade unseres Herrn Jesus Christus: obwohl er reich ist, wurde er doch arm um euretwillen...“.

In diesen Rahmen gehört der Text aus dem Jakobusbrief, der für heute vorgesehen ist. Es heißt:

Denn wenn in eure Versammlung ein Mann käme mit einem goldenen Ring und in herrlicher Kleidung, es käme aber auch ein Armer in unsauberer Kleidung, und ihr sähet auf den, der herrlich gekleidet ist, und sprächet zu ihm: Setze du dich hierher auf den guten Platz! und sprächet zu dem Armen: Stell du dich dorthin! oder: Setze dich unten zu meinen Füßen!, ist's recht, dass ihr solche Unterschiede bei euch macht und urteilt mit bösen Gedanken?

Jakobus fordert hier eine Gleichberechtigung der Reichen und Armen. Die Geltung eines Menschen sollte in einer christlichen Gemeinde nicht von dem Bankkonto oder den Kleidern eines Menschen abhängen.

Aber was ist die Begründung für diese Gleichwertigkeit aller Menschen? Auch glaubenslose Humanisten und Marxisten fordern die Gleichberechtigung. Was ist aber die eigentümlich christliche Botschaft hier?

In diesem Zusammenhang denke ich an einen Mann, der viele Gottesdienste besuchte, weil er herausfinden wollte, was die Christenheit predigt. Er ist von Stadt zu Stadt und von Gemeinde zu Gemeinde gepilgert und hörte sich unzählige Predigten an. Schließlich hat er festgestellt, dass eine Botschaft sich herauskristallisiert hat. Er fasste die christliche Verkündigung mit dem folgenden Satz zusammen: „Darf ich vorschlagen, dass du gut sein sollst.“ Das war die Botschaft, die er immer wieder herausgehört hatte: „Darf ich vorschlagen, dass du gut sein sollst.“ Aber das ist keine christliche Botschaft. Man braucht nicht an Jesus Christus zu glauben, um zu wissen, dass man eventuell gut sein sollte.

Es gibt etwas Vergleichbares, wenn die Zeitungen an den Tagen nach Weihnachten und Ostern die Predigt des Papstes oder eines Bischofs oder eines Kirchenpräsidenten zusammenfassen. Man liest immer wieder dasselbe. Es heißt: in seiner Weihnachtsbotschaft - bzw. in seiner Osterpredigt - hat der Papst bzw. Kardinal Lehmann bzw. Kirchenpräsident Steinacker die Menschen dazu aufgefordert, friedlich und gerecht miteinander umzugehen und den Notleidenden beizustehen. Die christliche Botschaft wird auf moralische Appelle reduziert.

Aber es genügt nicht, eine bestimmte Verhaltensweise zu fordern. Erst durch die Begründung entsteht eine christliche Botschaft. Auch Jakobus bietet eine Begründung, die allerdings in der Lutherübersetzung nicht richtig zum Vorschein kommt. Denn der erste Satz des heutigen Textes ist schwer zu übersetzen. Wenn man den Urtext betrachtet, geht es offenbar nicht um den „Glauben an Jesus Christus“ – wie Luther übersetzte – sondern um die Treue Jesu Christi, die gleichzeitig die Treue Gottes ist, denn Jesus wird als Träger der göttlichen Herrlichkeit bezeichnet. Es geht also darum, sich nach der Treue Jesu Christi, des Trägers der (göttlichen) Herrlichkeit, zu richten und dementsprechend kein Ansehen der Person zuzulassen. Es geht darum, sich so zu verhalten, wie Gott selber in Jesus sich verhalten hat.

'red and black star, symbol of Quaker service', Zach Alexander, 2005

Und wie Gott sich verhalten hat, wird in christlichen Menschen immer wieder sichtbar. Es gibt in einer nordamerikanischen Großstadt eine Schule der Quakerkirche. Hinter der Schule ist ein Spielplatz für die Kinder dieser christlichen Schule. Und dahinter ist ein zweiter Spielplatz für Schüler einer öffentlichen Schule; die Kinder dieser öffentlichen Schule sind fast alle Schwarze. Es gibt zwischen den zwei Spielplätzen keinen Zaun, so dass die Kinder miteinander spielen und sich kennenlernen. Eines Tages hat ein Mädchen der Quakerschule an einem Donnerstag eines der Kinder der öffentlichen Schule zum Mittagessen am Wochenende eingeladen. Ihre Mutter hatte ihr die Erlaubnis gegeben, solche Einladungen auszusprechen. Die Mutter war neugierig und fragte ihre Tochter: „Das ist nett, dass du jemanden eingeladen hast. Ist deine Freundin weiß oder schwarz?“ Die Tochter dachte nach und sagte erstaunlicherweise : „Ich weiß es nicht, ich werde morgen nachschauen.“

Die Augen dieses Mädchens sind wie die Augen Gottes. Denn wenn Gott auf die Menschen schaut, sieht er nicht in erster Linie auf die Hautfarbe oder auf das Ansehen oder auf die Leistungsfähigkeit. Die Barmherzigkeit Gottes ist grenzenlos und wir sind dazu berufen, diese grenzenlose Barmherzigkeit – so gut wir können – nachzuahmen – so wie diese Barmherzigkeit in der biblischen Geschichte und in Jesus Christus offenbart wurde. Denn das ist unsere Bestimmung: Gott ähnlich zu sein, sogar Gott gleich zu sein.

Wie es in dem 1. Johannesbrief heißt:

„Meine Lieben, wir sind schon Gottes Kinder; es ist aber noch nicht offenbar geworden, was wir sein werden. Wir wissen aber: wenn es offenbar wird, werden wir ihm gleich sein; denn wir werden ihn sehen, wie er ist.“

Aber schon jetzt können wir indirekt sehen, wie Gott ist – durch die biblische Offenbarung. Und wer Gott sieht, wird ihm gleich sein. Denn dazu sind wir vorgesehen – heute und in Ewigkeit.

Die Photographie 'Albert Schweitzer', Deutsches Bundesarchiv, 1999, ist lizenziert unter der Creative-Commons-Lizenz Namensnennung-Weitergabe unter gleichen Bedingungen 3.0 Deutschland.
Die Zeichnung 'Abraham, God and two angels', Gustave Doré, 1852, ist im public domain, weil ihr copyright abgelaufen ist.
Das Bild 'Geertgen tot Sint Jans', Lamré, 2004, ist im public domain, weil sein copyright abgelaufen ist.
Die Abbildung 'red and black star, symbol of Quaker service', Zach Alexander, 2005, hat keine Quellen.

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