Archiv der Evangelisch-lutherische Dreikönigsgemeinde, Frankfurt am Main - Sachsenhausen
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Predigten von Pfarrer Phil Schmidt: 1. Tim. 4, 4 – 5 Ist der Esstisch ein Futtertrog oder ein Altar?

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Erntedankfest: 1. Tim. 4, 4 – 5 Ist der Esstisch ein Futtertrog oder ein Altar?

Gehalten von Pfarrer Phil Schmidt 2006

'Nikita S. Chruchstschow 
', 1963, Peter Heinz Junge

Der Geist aber sagt deutlich, dass in den letzten Zeiten einige von dem Glauben abfallen werden und verführerischen Geistern und teuflischen Lehren anhängen, verleitet durch Heuchelei der Lügenredner, die ein Brandmal in ihrem Gewissen haben. Sie gebieten, nicht zu heiraten und Speisen zu meiden, die Gott geschaffen hat, dass sie mit Danksagung empfangen werden von den Gläubigen und denen, die die Wahrheit erkennen. Denn alles, was Gott geschaffen hat, ist gut, und nichts ist verwerflich, was mit Danksagung empfangen wird; denn es wird geheiligt durch das Wort Gottes und Gebet.

1. Tim. 4, 4 – 5

Es gibt ein Dorf in Russland mit dem Namen Kalonowka. Der zuständige orthodoxe Priester kam auf eine Idee, wie er die Beteiligung am Kindergottesdienst steigern könnte: nämlich, indem er Süßigkeiten als Belohnungen anbot. Und es hat funktioniert. Eines der treuesten Kinder war ein Junge mit einer Stupsnase. Er hat Bibeltexte auswendig gelernt und hat sie mit der erforderlichen Ernsthaftigkeit vorgetragen und bekam dafür seine Belohnung. Es steckte die Süßigkeiten in seine Taschen und hat sie gegessen, während er durch die Felder wanderte. Der Priester fand Gefallen an diesem Jungen und hat ihn ermutigt, eine kirchliche Schule zu besuchen. Weil die Eltern fromm waren, sind sie auf diesen Vorschlag eingegangen. Der Priester hat den Jungen dazu ermutigt, die vier Evangelien auswendig zu lernen. Der Junge hat daraufhin die vier Evangelien in einer Kirche ohne Unterbrechung vorgetragen und bekam dafür eine besondere Auszeichnung.

Dieser Junge wurde weltberühmt, bzw. weltberüchtigt. Er hieß Nikita Chruschtschow, der die Sowjetunion vom 1953 bis 1964 regierte. Als Parteichef der kommunistischen Partei war er ein militanter Atheist, der in aller Öffentlichkeit Gott leugnete, weil seine Kosmonauten – wie es hieß - Gott im Weltall nicht gesehen hatten. Er leitete ein Regime, das Christen brutal verfolgte. Wie ist es möglich, dass ein scheinbar frommer Junge, der große Teile der Bibel auswendig gelernt hatte und in einer kirchlichen Schule erzogen wurde, zu einem aggressiven Gegner des Christentums wurde?

'Kain und Abel bringen ihre Erstlingsopfer dar', 1851-1860, Julius Schnorr von Carolsfeld

Auf der einen Seite lässt sich diese Frage – psychologisch gesehen – aus der Ferne nicht beantworten. Aber auf der anderen Seite gibt es eine biblische Geschichte, die in diesem Zusammenhang aufschlussreich ist: die Geschichte von Kain und Abel. Kain und Abel waren die allerersten Personen in der Bibel, die ein Erntedankfest feierten. Sie gaben Gott ein Dankopfer von den Früchten ihrer Arbeit. Gott hat das Dankopfer Abels angenommen, aber das Dankopfer Kains hat er nicht angenommen. Es gibt dazu keine Erklärung; es war einfach die freie Entscheidung Gottes. Und daraufhin hat Kain seinen Bruder Abel umgebracht. Was hat bei Kain nicht gestimmt? Eine Antwort auf diese Frage bekommt man erst, wenn man die 5 Bücher Mose in ihrer Gesamtheit betrachtet. Und was man aus der Bibel lernen kann ist, dass ein Dankopfer eine Weihehandlung ist. Wenn ein Mensch wie Kain einen Teil seiner Getreideernte auf einen Altar legt, dann hat er damit seine gesamte Ernte Gott geweiht - und nicht nur seine Ernte, sondern vor allem hat er sich selbst Gott geweiht. Denn durch das Erntedankopfer wird Gott als Ursprung und Ziel des Lebens anerkannt; ein Dankopfer bezeugt, dass das Leben ein Geschenk Gottes ist. Aber weil Kain einen Mord beging, leugnete er, dass das Leben ein Geschenk Gottes ist. Das Dankopfer war für Kain also keine Weihehandlung, es war deshalb inhaltslos.

Anhand der Handlungsweise eines Menschen kann man also ablesen, ob sein Leben Gott geweiht ist oder nicht. Wenn man an Chruschtschow denkt: etwas, was man mit Gewissheit sagen kann, ist, dass er sein Leben Gott nicht geweiht hatte. Denn er hat ein Regime geleitet, das Christen mit mörderischer Gewalt verfolgte. Was bei ihm gefehlt hat, ist das, was bei Kain gefehlt hat: nämlich das, was die Bibel „Weihe“ oder „Heiligung“ nennt.

Solche Begriffe sind in unserer evangelischen Kirche relativ unbekannt. Aber der Text, der für heute vorgesehen ist, spricht von einer Weihehandlung. Denn – wie wir vorhin gehört haben:

„Alles, was Gott geschaffen hat, ist gut, und nichts ist verwerflich, was mit Danksagung empfangen wird; denn es wird geheiligt durch das Wort Gottes und Gebet.“

Dieser Text spricht etwas an, was jeder von uns kennt, nämlich das Tischgebet. Mit dem Tischgebet wird eine Danksagung an Gott ausgesprochen. Und oft bestehen diese Tischgebete aus Worten aus den Psalmen, wie z. B. „Danket dem Herrn, denn er ist freundlich und seine Güte währet ewiglich.“ Oder die Worte aus Psalm 145, die wir anschließend singen werden: „Aller Augen warten auf dich, Herr, und du gibest ihnen ihre Speise zu seiner Zeit, du tust deine milde Hand auf und sättigest alles was da lebet, mit Wohlgefallen.“ Der Text aus dem 1. Timotheusbrief verkündet: Durch solche Danksagung, durch solche Worte Gottes wird das, was wir annehmen, geheiligt. Und was heißt das?

Heiligung bedeutet: Wenn wir unsere Nahrung mit Dankgebeten annehmen, dann tun wir das nicht nur aus Höflichkeit Gott gegenüber. Ein Dankgebet ist nicht bloß eine Höflichkeitsgeste, es ist ein Akt der Weihe: Damit wird bezeugt: wir essen nicht nur um zu leben - das tun auch die Tiere - sondern wir essen und leben zur Ehre Gottes. Das Leben wird Gott geweiht – durch Danksagung. Ein jüdischer Rabbi aus Haarlem in Holland hat genau zum Ausdruck gebracht, worum es geht. Er schrieb: durch das Wort Gottes und durch Dankgebet wird der Tisch zu einem Altar und das Haus zu einem Tempel. Jede Mahlzeit, die durch Dankgebet geweiht wird, bedeutet, dass die Personen, die an dieser Mahlzeit teilnehmen, ihr Leben Gott weihen und anvertrauen. Durch Dankgebet wird anerkannt: das Leben ist ein Geschenk Gottes, das Leben kommt von Gott und zielt auf Gott hin; Gott ist der Ursprung und das Ziel des Lebens.

Wenn diese Heiligung des Lebens fehlt, dann nutzt es nichts, die ganze Bibel auswendig zu lernen oder den Altar mit Ernteergebnissen vollzuladen. Wenn Heiligung fehlt, dann fehlt alles Wesentliche.

'Cliff Richard', 2006, Derek Jones from UK, United Kingdom

Vielleicht klingt das abstrakt. Aber es handelt sich hier um urmenschliche Vorgänge. Denn wir Menschen leben nicht nur, um zu essen und zu trinken. Wir Menschen müssen wissen, wozu wir leben; die menschliche Seele verlangt nach einer Antwort auf das wozu. Ein gutes Beispiel dafür ist ein britischer Popstar mit dem Namen Cliff Richard. Cliff Richard war einer von vielen britischen Musikern, die Ende der 50er Jahre versuchten, auf den Rock-‚n’-Roll-Zug aufzuspringen. Er war zuletzt erfolgreich, denn 14 Mal hat er ein Lied produziert, das Nummer 1 auf der Hitliste wurde. Erfolgreiche Popmusiker haben alles, was ein Mensch normalerweise anstrebt: Reichtum, Beliebtheit, Berühmtheit, kreative Arbeit. Aber das alles reicht nicht aus, um das Leben lebenswert zu machen – wie dieser Cliff Richard festgestellt hat. Er sagte dazu folgendes: „Ich habe nie aufgehört, Fragen zu stellen. Aber ich glaube, das ich die Antwort auf die allerwichtigste Frage gefunden habe; nämlich – Wozu ist das Leben? Wenn man diese Frage nicht beantwortet hat, dann gibt es nichts – auch nicht Geld, sinnlicher Genuss, Berühmtheit – das dich wirklich glücklich machen wird. Für mich besteht das Leben darin, Gott zu finden und Gott zu kennen. Darum ist Jesus Christus in die Welt gekommen, und das ist die ganze Bestimmung unserer Existenz auf Erden (Gott zu finden, Gott zu kennen). Das Leben fängt erst dann richtig an, wenn wir dazu kommen, die Person zu kennen und ihr zu vertrauen, die uns gemacht hat und die uns zu sich selbst einladen will.“ Mit dieser Aussage beschreibt er ein Leben, das Gott geweiht ist.

'Oude vrouw in gebed, bekend als 'Het gebed zonder end', 1656, Nicolaes Maes

Und wie gesagt, jedes Dankgebet vor einer Mahlzeit ist eine Weihehandlung, die aus dem Tisch einen Altar macht.

Es wird von einer Bäuerin berichtet, die jeden Tag die Mahlzeiten für die Arbeiter kochte, die auf den Feldern ihres Mannes arbeiteten. Jeden Tag kamen diese Männer in das Esszimmer, setzten sich hin und fingen sofort an, das Essen zu verschlingen – ohne sich zu bedanken – weder bei der Frau noch bei Gott. Als die Bäuerin täglich dieses Tischverhalten mit ansehen musste, dachte sie: „Ich werde diesen undankbaren Männern eine Lehre erteilen.“ Eines Tages kamen die Arbeiter in das Esszimmer und auf dem Tisch lagen Heu und Hafer. Die Arbeiter waren verärgert und fragten: „Was soll das? Soll das ein Witz sein?“ Die Frau erwiderte: „Das ist kein Witz! Ihr habt es nicht anders verdient. Jeden Tag kommt ihr hier herein und fresst die Mahlzeiten wie Tiere, ohne mir oder Gott zu danken.“

Ob der Esstisch ein Futtertrog oder ein Altar ist, hängt davon ab, ob eine Mahlzeit mit Dankgebet geheiligt wird oder nicht. Möge Gott uns helfen, die volle Bedeutung eines Tischgebetes zu begreifen, als eine Weihehandlung, die das ganze Leben auf Gott ausrichtet.

Amen.

Die Photographie 'Nikita S. Chruchstschow', 1963, Peter Heinz Junge, wurde im Rahmen einer Kooperation zwischen dem Bundesarchiv und Wikimedia Deutschland aus dem Bundesarchiv für Wikimedia Commons zur Verfügung gestellt. Das Bundesarchiv gewährleistet eine authentische Bildüberlieferung nur durch die Originale (Negative und/oder Positive), bzw. die Digitalisate der Originale im Rahmen des Digitalen Bildarchivs.
Die Photographie 'Cliff Richard', 2006, Derek Jones from UK, United Kingdom, ist lizenziert unter der Creative Commons-Lizenz Attribution ShareAlike 2.0.
Das Bild 'Oude vrouw in gebed, bekend als "Het gebed zonder end"', 1656, Nicolaes Maes, ist im public domain, weil sein copyright abgelaufen ist.
Der Holzschnitt 'Kain und Abel bringen ihre Erstlingsopfer dar' (aus "Die Bibel in Bildern), 1851-1860, Julius Schnorr von Carolsfeld, ist im public domain, weil sein copyright abgelaufen ist.

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